Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.02.2016, Az.: 7 OB 13/16

Akteneinsichtsrecht; Annex; Konzessionierungsverfahren; Rechtsverhältnis; Rechtsweg; Rechtswegbeschwerde; Vergabeverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.02.2016
Aktenzeichen
7 OB 13/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43193
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.12.2015 - AZ: 11 A 4655/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für den Anspruch eines Beteiligten an einem Konzessionsverfahren nach § 46 EnWG auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG analog ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Das Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG (analog) ist ein Annex zu den Hauptrechten der Beteiligten eines Verfahrens (hier: des Konzessionierungsverfahrens nach § 46 EnWG). Eine für letzteres geltende Rechtswegzuweisung (hier: § 102 EnWG) ist daher auch auf die Geltendmachung des Akteneinsichtsrechts zu erstrecken.

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 11. Kammer - vom 22. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die weitere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird zugelassen.

Gründe

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses den Verwaltungsrechtsweg für das auf Akteneinsicht gerichtete Klageverfahren der Klägerin für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover verwiesen hat, hat keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG in analoger Anwendung der ordentliche Rechtsweg gemäß § 102 EnWG eröffnet ist. Danach werden dem Landgericht bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem EnWG ergeben, ausdrücklich zugewiesen. Das gilt nach § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG auch, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist.

Dem Begehren der Klägerin auf Akteneinsicht liegt ein Stromkonzessionierungsverfahren nach § 46 EnWG zugrunde, in dem durch die Beklagte zugunsten der D. und zulasten der Klägerin eine Entscheidung getroffen worden ist. Für das Verfahren nach § 46 EnWG ist eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte - nach § 102 EnWG - begründet (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.02.2012 - 11 B 1187/11 -, juris; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.01.2015 - 2 W 67/14 -, juris). Vor dem Landgericht Hannover hat die Klägerin in dem Stromkonzessionierungsverfahren unter Bezugnahme auf § 102 EnWG insoweit auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt (Az.: 25 O 42/15). Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin Einsicht in näher bezeichnete Unterlagen dieses Stromkonzessionierungsverfahrens. Zwar sieht das EnWG für diesen Akteneinsichtsanspruch keine gesonderte Rechtsgrundlage vor, so dass sich die Klägerin auf § 29 VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG in analoger Anwendung stützt. Im Fall des § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG muss sich die Anspruchsgrundlage jedoch nicht unmittelbar aus dem EnWG ergeben. Dafür spricht - neben dem Wortlaut - die Gesetzesbegründung. Zwar wird in der Gesetzesbegründung lediglich darauf verwiesen, dass § 102 EnWG dem § 87 GWB entspreche (vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 75). § 87 GWB wurde jedoch geschaffen, um die Kartellrechtspflege durch Konzentration bei bestimmten Gerichten zu vereinheitlichen. Die vom Gesetzgeber hiernach gewollte Vereinheitlichung der Rechtsprechung zum EnWG steht danach einer zu engen Auslegung des § 102 EnWG, etwa in dem Sinne, dass sich der geltend gemachte Anspruch als solcher unmittelbar aus dem EnWG ergeben müsste, entgegen (vgl. LG C-Stadt, Beschluss vom 15.06.2011 - 31 O 430/10 -, n. v., m. w. N.).

§ 102 EnWG umfasst damit auch die mit den Rechtsstreitigkeiten nach dem EnWG in Zusammenhang stehenden Nebenverfahren. Nach dieser Maßgabe unterfällt auch der auf § 29 VwVfG (analog) gestützte Akteneinsichtsanspruch der (abdrängenden) Sonderzuweisung. Das Akteneinsichtsrecht eines Beteiligten an dem Stromkonzessionierungsverfahren nach § 46 EnWG steht in einem engen Zusammenhang mit dem betreffenden Verfahren selbst, für welches die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 102 EnWG begründet ist. Das nach § 46 EnWG begründete Rechtsverhältnis verpflichtet zur Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens; dazu zählt auch die Gewährung von Akteneinsicht. Das Akteneinsichtsrecht dient der Verwirklichung der Rechte des Beteiligten und ist im Verhältnis zu diesen Rechten nur ein Annex. Nebenansprüche, die nur einen Annex zu dem Hauptrecht des Beteiligten darstellen, folgen indes in der Rechtswegfrage denselben Regeln wie das Hauptrecht. Eine für letzteres geltende Rechtswegzuweisung ist daher auch auf die Geltendmachung des Akteneinsichtsrechts zu erstrecken (vgl. zu § 48 Abs. 4 WpÜG: BGH, Beschluss vom 27.11.2013 - III ZB 59/13 -, juris).

Soweit das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Vorlagebeschluss vom 15.10.2012 - 7 B 2.12 -, juris; Beschluss vom 17.04.2013 - 7 B 6.13 -, juris) festgestellt hat, dass für einen auf § 4 HmbIFG gestützten Anspruch des Insolvenzverwalters gegen das Finanzamt auf Einsicht in die den Schuldner betreffenden Vollstreckungsakten der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei und die Sonderzuweisung nach § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO diesen Anspruch nicht erfasse, steht dies dem vorliegend gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Denn das - hier streitige - Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG weist grundlegende strukturelle Unterschiede zu dem IFG auf. Das auf § 29 VwVfG gestützte Akteneinsichtsrecht besteht ausschließlich im Rahmen eines konkreten Verwaltungsverfahrens und dient den Akteneinsicht Begehrenden zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen als Beteiligte im Sinne des § 13 VwVfG. Das Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG ist mithin - als Annex zu den Hauptrechten der Beteiligten - untrennbar mit dem Verwaltungsverfahren selbst verbunden, innerhalb dessen es geltend gemacht wird. Das IFG begründet hingegen unabhängig von einem konkreten Verwaltungsverfahren ein allgemeines Informationszugangsrecht für jedermann. Es handelt sich um verschiedene Streitgegenstände mit der Folge, dass auch eine Rechtswegkonzentration nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht eintritt (vgl. BGH, Beschluss vom 27.11.2013, a. a. O.). In diesem Sinne führt auch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Beschluss vom 15.10.2012, a. a. O.) aus, dass die Gewährung von Einsicht in Steuerakten und die Auskunft über steuerliche Daten dann eine Abgabenangelegenheit im Sinne von § 33 FGO - mit der insoweit begründeten Sonderzuweisung an die Finanzgerichte - wäre, wenn die betreffenden Begehren im Steuerrechtsverhältnis wurzelten und insoweit mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang stünden, also ein Bezug auf das Steuerrechtsverhältnis gegeben sei. Der geltend gemachte Anspruch nach dem HmbIFG wurzele jedoch nicht im Abgabenverhältnis, sondern stehe eigenständig neben verwaltungsverfahrensrechtlichen Akteneinsichtsansprüchen.

Aus diesem Grund sind auch die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Münster (Urteil vom 02.10.2009 - 1 K 2144/08 -, juris), des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 17.05.2011 - 13 K 3505/09 -, juris) sowie des Verwaltungsgerichts Potsdam (Urteil vom 13.09.2013 - 9 K 2144/11 -, juris; Urteil vom 20.09.2013 - 9 K 2158/12 -, juris) auf das vorliegende Verfahren nicht übertragbar. Die genannten Urteile beschäftigen sich allesamt mit einem Anspruch nach dem IFG bzw. dem AIG, nicht jedoch mit dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG als Annex zu den Hauptrechten der Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens.

Das gefundene Ergebnis steht schließlich im Einklang mit der Rechtsprechung und Dogmatik des Bundessozialgerichts zu der Frage des Rechtswegs bei der Erteilung eines Hausverbots durch den Grundsicherungsträger (vgl. Beschluss vom 21.07.2014 - B 14 SF 1/14 R -, juris; Beschluss vom 01.04.2009 - B 14 SF 1/08 R -, juris). Wenn das Hausverbot im Rahmen oder aus Anlass eines zwischen den Beteiligten geführten Verwaltungsverfahrens ausgesprochen wird, ist ein die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte begründender Sachzusammenhang zu bejahen. Danach ist jedenfalls in den Fällen, in denen ein Rechtsverhältnis zwischen der Behörde, die das Hausverbot ausspricht, und dem Adressaten des Hausverbots besteht, auf dieses Rechtsverhältnis für die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit abzustellen. Auch insoweit handelt es sich um einen Annex zu einem bestehenden Rechtsverhältnis.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) lediglich eine Festgebühr anfällt.

Die weitere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wird gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG zugelassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.