Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.09.2004, Az.: 2 A 42/04
Abschiebung; Abschiebungshindernis; Asyl; Asylanerkennung; Asylanerkennungswiderruf; Beendigungsklausel; Blutrache; Flüchtling; Flüchtlingsstatus; Irak; Iraker; Islamist; KDP; Kurden; Nordirak; Regierungsrat; Verfolgung; Verfolgungssituation; Verfolgungssituationsänderung; Widerruf; Übergangsregierung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.09.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 42/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 51006
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 10.12.2004 - AZ: 9 LA 313/04
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992
- § 53 Abs 6 AuslG 1990
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Voraussetzungen für den Widerruf einer Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG liegen betreffend den Irak vor auch wenn und soweit sich die Verhältnisse im Nordirak nicht verändert haben (entgegen VG Stade, Urteil vom 24.06.2004 - 6 A 804/04 -).
Tatbestand:
Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger und stammt aus N. im Nordirak. Am ... reiste er auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab er am ... zur Begründung dieses Antrags an, er sei seit 1983 Mitglied der PUK. Er sei in deren vierter Abteilung für die Weitergabe von Kunst und Literatur zuständig gewesen. Nachdem er zunächst angegeben hatte, wegen zahlreicher Fernsehauftritte sehr bekannt zu sein, räumte er später ein, nur im technischen Bereich des Fernsehsenders gearbeitet zu haben. Er sei 1986 verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt, im Rahmen einer allgemeinen Amnestie aber bereits im Jahre 1986 wieder freigekommen. Er sei im Nordirak von Islamisten bedroht gewesen. Sein Bruder, der in der PUK für Militärangelegenheiten zuständig gewesen sei, sei 1993 von Islamisten ermordet worden. Auch er, der Kläger, habe ständig Drohbriefe erhalten. Auch drohe ihm Blutrache. Sein Bruder O. habe eine Frau entführt, um sie zu heiraten. Diese Frau habe zum islamistischen Stamm der P. gehört, der auch in der KDP vertreten gewesen sei. Deswegen sei auch er in Gefahr gewesen. Er sei gemeinsam mit seinem Bruder, dieser Frau und weiteren Familienangehörigen am ... in die Türkei geflüchtet.
Mit Bescheid vom 25. April 1995 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung gab das Amt an, der Kläger müsse aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts und der dort vorliegenden Erkenntnisse im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland mit asylrechtlich relevanten Maßnahmen rechnen.
Im April 2002 leitete die Beklagte zunächst ein Rücknahmeverfahren ein, das nach dem Sturz von Saddam Hussein als Widerrufsverfahren fortgeführt wurde. Der Kläger berief sich im Rahmen seiner Anhörung darauf, dass eine Veränderung der tatsächlichen Verfolgungssituation im Irak nicht stattgefunden habe. Zudem wiederholte er die Befürchtung, ihm drohe Blutrache. Sein Vater sei von Mitgliedern der P. -Sippe am 23. Februar 2002 erschlagen worden. Sein Bruder Q. C. habe zwei Männer und eine Frau dieser Sippe getötet und sei von Angehörigen dieser Familie im Frühjahr 2003 getötet worden. Diese Familie habe geschworen, insgesamt vier männliche Mitglieder seiner Familie zu töten.
Mit Bescheid vom 14. Januar 2004 widerrief die Beklagte die Asylanerkennung des Klägers und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in seinem Fall vorliegen und stellte zugleich fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung gab die Beklagte an, es sei nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein eine entscheidende Änderung der Sachlage eingetreten, die den Widerruf rechtfertige. Blutrache drohe dem Kläger nicht konkret und nicht landesweit. Die zugrundeliegenden Ereignisse seien zehn Jahre her.
Hiergegen hat der Kläger am 29. Januar 2004 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf sein Vorbringen im Rahmen der Anhörung beruft.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2004 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten stellt keinen Antrag und äußert sich nicht zur Sache.
Der Kläger ist in mündlicher Verhandlung zu seinen Klagegründen informatorisch angehört worden. Wegen der Einzelheiten seiner Einlassungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses und des Verfahrens 2 A 343/03 sowie die jeweils beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist mit Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2004 ist rechtmäßig, so dass der Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für einen Widerruf der Rechtsstellung des Klägers, wie sie mit Bescheid der Beklagten vom 25. April 1995 begründet worden ist, sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist diese Rechtsposition unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist hier der Fall.
Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich, denn sowohl das Asylgrundrecht als auch die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft verleihen anders als die Menschenrechte, die dem Individuum Zeit seines Lebens zustehen, seinem Träger keinen unveränderbaren Status. Vielmehr ist der Bestand dieser Rechtspositionen von der Fortdauer der das Asylrecht bzw. die Flüchtlingseigenschaft begründenden Umstände abhängig. Zu ihnen zählt vor allem die Verfolgungsgefahr (BVerwG, Urteil vom 24.11.1992 – 9 C 3.92 –, Buchholz 402.25, § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1, Seite 2).
Der Gesetzgeber hatte ausweislich des Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD und FDP bei Schaffung des § 16 Abs. 1 AsylVfG 1982, der insoweit im wesentlichen gleich lautenden Vorgängervorschrift des heutigen § 73 Abs. 1 AsylVfG, vor allem den Fall als Widerrufsgrund vor Augen, dass "in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, so dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist" (BT-Ds. 9/875, Seite 18). Deshalb wird in der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Voraussetzung des Widerrufs gemacht, dass sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheides bzw. nach Erlass des das Bundesamt entsprechend verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils erheblich geändert haben und die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG deswegen nunmehr ausgeschlossen ist (BVerwG, Urteil vom 19.9.2000 – 9 C 12.00 –, BVerwGE 112, 80, 84; Urteil vom 8.5.2003 – 1 C 15.02 –, NVwZ 2004, 113, 114). Der Widerrufstatbestand ist erfüllt, wenn eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen wegen zwischenzeitlicher Veränderung im Verfolgerstaat mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (BVerwG, Urteil vom 24.11.1992, a.a.O., Seite 3).
Der so bestimmte Regelungsgehalt des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stimmt mit dem Inhalt der sog. "Beendigungsklausel" des Art. 1 C Ziffer 5 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl 1953 II Seite 560 – Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) überein. Diese Bestimmung der GFK besagt, dass ein Flüchtling im Sinne des Abkommens nicht mehr unter dieses Abkommen fällt, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die GFK schreibt damit weder vor, wie die Flüchtlingseigenschaft festzustellen ist, noch trifft sie Regelungen über den Widerruf des förmlich zuerkannten Flüchtlingsstatus (OVG Münster, Beschluss vom 4.12.2003 – 8 A 3766/03.A –, EZAR 214 Nr. 16). Die "Beendigungsklausel" in Art 1 C Ziffer 5 GFK beruht ebenso wie § 73 Abs. 1 AsylVfG auf der Überlegung, dass in Anbetracht von Veränderungen in dem Land, im Verhältnis zu dem die Furcht vor Verfolgung bestanden hatte, ein internationaler Schutz nicht mehr gerechtfertigt ist, da die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen (vgl. zum Ganzen mit Nachweisen, VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.3.2004 – A 6 S 219/04 –, AuAS 2004, 142). Art 1 C Ziffer 5 GFK stellt auch keine weitergehenden Anforderungen an den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft als § 73 Abs. 1 AsylVfG. Dies zum einen schon deshalb nicht, weil die GFK keine Regelungen über den Widerruf des Flüchtlingsstatus trifft. Selbst wenn man andererseits aus dieser Vorschrift ableiten wollte, dass für den Wegfall der Rechtsposition als Flüchtling Voraussetzung ist, dass sich die "Umstände" auf grundlegende, nicht nur vorübergehende, d.h. stabile Veränderungen im Verfolgerstaat beziehen müssen, besteht zu der vom Bundesverwaltungsgericht gefundenen und von der Kammer geteilten Rechtsauffassung kein inhaltlicher Unterschied zu § 73 Abs. 1 AsylVfG. Denn nach der zitierten Rechtsprechung setzt der Widerruf im Sinne von § 73 Abs. 1 AsylVfG voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Verfolgerstaat so einschneidend und dauerhaft geändert haben, dass der Betroffene ohne Verfolgungsfurcht heimkehren kann.
Eine derart grundlegende Veränderung der Verfolgungssituation ist im Irak eingetreten.
Die Kammer schließt sich in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Urteil vom 14. Juli 2004 – 2 A 77/04 –) der überzeugenden Auffassung des zuständigen Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts an, der in seinem Beschluss vom 30.03.2004 – 9 LB 5/03 – (AuAS 04, 153) ausgeführt hat:
"Dem Kläger droht bei seiner Rückkehr in den Irak weder derzeit noch in absehbarer Zeit eine im Rahmen von Art. 16 a GG bzw. des § 51 Abs. 1 AuslG beachtliche politische Verfolgung. Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2003 ist mit großer, ja mit völliger Eindeutigkeit zu entnehmen, dass sich die politische Lage im Irak durch die am 20. März 2003 begonnene und am 1. Mai 2003 durch die Erklärung des US-Präsidenten Bush als beendet erklärte Militäraktion grundlegend verändert hat. Die Baath-Regierung unter der Führung Saddam Husseins hat, namentlich nach der Festnahme von Saddam Hussein im Dezember 2003, ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak vollständig verloren. Der Irak steht nunmehr unter Besatzungsrecht und wird derzeit von einer "Zivilverwaltung" der Koalition ("Coalition Provisional Authority" – CPA) unter dem Sondergesandten des US-Präsidenten, Paul Bremer, sowie einem provisorischen Regierungsrat ("Governing Council") und einem Interims-Kabinett regiert. Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein ist nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar, und zwar trotz der nach wie vor problematischen Sicherheitslage im Irak, insbesondere im Hinblick auf terroristische Anschläge. Eine Rückkehr der Baath-Regierung kann nach den derzeit gegebenen Machtverhältnissen und der Offenkundigkeit der veränderten politischen Gegebenheiten als ausgeschlossen bewertet werden.
Mit den veränderten politischen Gegebenheiten hat sich die Verfolgungssituation des Klägers von Grund auf geändert. Der – in der Vergangenheit in der überwiegenden Anzahl der asylrechtlichen Schicksale vorgenommenen – Anknüpfung an die Asylantragstellung und den langjährigen Auslandsaufenthalt ist mit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein der Boden entzogen. Die – frühere – Verfolgungssituation gerade durch diese asylbegründenden Umstände ist vielmehr in ihr Gegenteil verkehrt worden. Die bei der Anhörung des Klägers zum Ausdruck gebrachte Gegnerschaft zum Regime Saddam Hussein würde den Kläger nunmehr eher gegenteilig sogar gerade zum Träger bzw. zum Freund der jetzigen und das aktuelle Tagesgeschehen bestimmenden politischen Kräfte machen. Die zuvor eine politische Verfolgung begründenden Umstände haben ihre asylrelevante Bedeutung verloren, weil sie ihre Grundlage allein im Unrechtsregime von Saddam Hussein hatten. Dieser Einsicht ist – soweit ersichtlich – auch die inzwischen die veränderten politischen Gegebenheiten im Irak aufnehmende und bewertende obergerichtliche Rechtsprechung gefolgt (in jüngster Zeit insbesondere BVerwG, Urt. v. 11.2.2004 – 1 C 23.02 – zum Urt. d. Sen. v. 21.6.2002 – 9 LB 155/02 – und Urt. v. 24.2.2004 – 1 C 24.02 – zum Urt. d. Sen. v. 21.6.2002 – 9 LB 3662/01 –; ferner BayVGH, Urt. v. 13.11.2003 – 15 B 02.31751 und 15 B 01.30114 –; SächsOVG, Beschl. v. 28.8.2003 – A 4 B 573/02 – AuAS 2003, 250; Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschl. v. 30.10.2003 – 1 LB 39/03 – und vom 28.10.2003 – 1 LB 41/03 –; OVG Münster, Urt. v. 14.8.2003 – 20 A 430/02.A – Asylmagazin 1-2/2004, 17; weiterhin VG Aachen, Urt. v. 11.9.2003 – 4 K 2360/01.A –)."
Neuere Erkenntnisse bestätigen die Annahme, dass eine Rückkehr zu den alten Machtverhältnissen ausgeschlossen ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. Mai 2004, Stand: April 2004; Deutsches Orientinstitut, Stellungnahme an das VG Regensburg vom 27. Oktober 2003; Beschluss des OVG Greifswald vom 02.04.2004 – 2 L 269/02 –; Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 26.04.2004 – A 2 S 172/02 –). Die aktuelle politische Entwicklung im Irak hält sich im Rahmen der o.a. politischen Zielvorgaben, beschleunigt den Übergang zu einem souveränen irakischen Staat gar, der nichts mehr mit dem Vorgängerregime gemein hat.
So hat sich der "irakische Regierungsrat" Anfang Juni 2004 nach Ernennung einer Übergangsregierung, die die Macht ab 30. Juni 2004 übernehmen sollte, selbst aufgelöst. Inzwischen hat der US-Verwalter im Irak, Paul Bremer, die staatliche Macht am 28. Juni 2004 an diese irakische Übergangsregierung übergeben.
Präsident mit eher repräsentativen Funktionen ist der Stammesführer Ghasi el Jawar, Ministerpräsident der als säkular eingeschätzte Schiit Ijad Allawi. Als Vizepräsident wurden der Chef der proiranischen Dawa-Partei, Ibrahim Al Dschaafari und als Vizeministerpräsident der Kurde Barham Saleh ernannt.
Den Kurden wurden daneben die Schlüsselressorts für Äußeres und Verteidigung zuteil (vgl. Die Welt vom 2.6.2004, "Übergangsrat nominiert neue Regierung"). Formal ist damit auch der gestürzte Präsident Saddam Hussein der Autorität der irakischen Justiz unterstellt. Allerdings spricht die irakische Seite angesichts der andauernden Präsenz ausländischer Truppen in einer Stärke von etwa 150.000 Mann von einer Teilsouveränität (NZZ vom 25.6.2004, "Blutiger Anlauf zur Machtübergabe im Irak"). Dies ändert indes nichts an der Annahme, dass eine Rückkehr zu alten, möglicherweise asylbegründenden Machtstrukturen ausgeschlossen ist.
Ohne rechtlichen Belang ist, dass die ursprüngliche Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG möglicherweise rechtswidrig war. Nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es für die Anwendung des § 73 Abs. 1 AsylVfG unerheblich, ob die Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgt ist, so dass auch rechtswidrige Anerkennungen zu widerrufen sind (Beschluss vom 27.6.1997 – 9 B 280.97 –, NVwZ-RR 1997, 741; Urteil vom 19.9.2000 – 9 C 12.00 –, BVerwGE 112, 80, 85).
Bedeutung erlangt die Begründung des Bescheides vom 25. April 1995 aber insoweit, als sich aus ihr ableiten lässt, auf welcher Tatsachengrundlage der Kläger als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Dies hat seinerseits möglicherweise wieder Bedeutung für die Frage, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse insoweit im Sinne von § 73 Abs. 1 AsylVfG geändert haben. Die nichtssagende Begründung des Bescheides, die sich auf die Angaben des Klägers stützt, ist hier wenig hilfreich.
Diese Begründung zugrundelegend, ist denkbar, dass das Bundesamt eine im Nordirak grundsätzlich vorhandene inländische Fluchtalternative verneint hat, weil der Kläger wegen der von ihm vorgetragenen Verfolgungsgefahr durch KDP-Angehörige oder Islamisten dort keine Sicherheit hätte erlangen können. Dann wäre der Bescheid in Einklang mit der seinerzeit ständigen Rechtsprechung ergangen, der zufolge eine inländische Fluchtalternative im Nordirak verneint worden ist, wenn konkrete Anhaltspunkte für drohende Übergriffe auf die körperliche Integrität des Asylbewerbers vorlagen. In diesem Fall wäre nunmehr eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von § 73 Abs. 1 AsylVfG eingetreten. Es ist, wie dargelegt, keine Verfolgung durch das frühere staatliche Regime mehr zu befürchten und eine Verfolgung von PUK-Anhängern findet im Nordirak weder durch KDP-Angehörige noch durch Islamisten mehr statt (vgl. Stellungnahme des Deutsches Orientinstitut an das VG Regensburg vom 27. Oktober 2003).
Entfernt denkbar wäre weiter, dass das Bundesamt den Kläger deshalb als Asylberechtigten anerkannt hat, weil es rechtsirrig von einer staatlichen Verfolgung ausgegangen ist, die von den – erkennbar nichtstaatlichen – Organisationen der KDP und/oder der Islamisten gegen den Kläger ausgeübt worden ist. Dann wäre der Bescheid vom 25. April 1995 rechtswidrig gewesen, weil von diesen Organisationen – ohne dass dies näherer Begründung bedürfte – nie eine staatliche Macht ausgegangen ist; die der Asylzuerkennung zugrundeliegenden Verhältnisse hätten sich jedoch, wie eben dargelegt, im Sinne von § 73 Abs. 1 AsylVfG geändert, weil dem Kläger eine Verfolgung durch die genannten Gruppen nicht mehr droht. Schließlich mag es sein, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge eine staatliche Verfolgung durch das Hussein-Regime bejaht und das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative für den Kläger im Nordirak einfach übersehen hat. Auch dann wäre die Zuerkennung der nunmehr widerrufenen Rechtsposition rechtswidrig gewesen, weil nach der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts seit 1991 im Nordirak, von wo der Kläger stammt, keine Staatsgewalt ausgeübt worden ist, von der eine politische Verfolgung hätte ausgehen können. Eine solche ist weder von den lokalen Ordnungskräften der PUK und der KDP noch von der irakischen Zentralregierung ausgegangen (Nds. OVG, Urteil vom 8.9.1998 – 9 L 2142/98 –). Insoweit kann festgestellt werden, dass sich die Verfolgungssituation im Nordirak derzeit nicht von derjenigen unterscheidet, die zum Zeitpunkt der Asylanerkennung des Klägers bestand. Allerdings vermag das Gericht hieraus nicht den Schluss zu ziehen, dass die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht erfüllt sind.
Die Kammer folgt ausdrücklich nicht der vom VG Stade geäußerten Rechtsansicht, aus dem Umstand, dass sich die tatsächliche Situation im Nordirak nach dem Sturz von Saddam Hussein nicht von derjenigen zu Zeiten seiner Herrschaft unterscheidet und dass nach wie vor eine politische Verfolgung durch die irakische Zentralregierung nicht zu befürchten sei, sei zu folgern, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen (vgl. Urteile vom 24.6.2004 – 6 A 541 und 804/04, zitiert nach der Internetentscheidungssammlung des Nds. Oberverwaltungsgerichts). Die Kammer schließt sich vielmehr der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem bereits zitierten Urteil vom 19.9.2000 an, das nach Ansicht der Kammer vom VG Stade fehlinterpretiert wird.
In dieser Entscheidung heißt es (abgedruckt auf S. 85 f.):
"Der Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Asylanerkennung oder Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG im Nachhinein scheinbar nicht entfallen sein können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen. Diese Sicht verstellt den Blick für den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der Widerrufsbestimmung. So besteht der vermeintliche Widerspruch beispielsweise nicht, wenn bei einer allgemein vorhandenen Verfolgungsgefahr eine Anerkennung ausgesprochen wurde, obwohl einzelne Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorlagen, im Nachhinein die allgemeine Verfolgungsgefahr aber insgesamt entfallen ist. Wurde etwa eine Anerkennung rechtswidrig gewährt, weil eine tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative nicht beachtet oder eine Gruppenverfolgung rechtlich unzutreffend angenommen wurde, lässt aber ein späterer politischer Systemwechsel die zugrunde gelegte Verfolgungsgefahr nunmehr eindeutig landesweit entfallen, so ist kein Grund erkennbar, weshalb § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf solche Fälle nachträglicher Sachlagenänderungen nicht anzuwenden sein sollte. Insbesondere eröffnet dies die Möglichkeit eines Widerrufs bereits dann, wenn jedenfalls unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse feststeht, ohne dass es noch der unter Umständen schwierigeren Prüfung und Entscheidung bedürfte, ob die ursprüngliche Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig war (so schon Beschlüsse des Senats vom 20. Juni 1996 und 27. Juni 1997 jew. a.a.O.).
Sollte der Bescheid vom 25. April 1995 wie dargestellt zu verstehen sein, so ist, wie oben ausgeführt, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, eine erhebliche Veränderung der Verfolgungssituation im Irak eingetreten, die den Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG rechtfertigt. Das VG Stade gelangt zu seiner abweichenden Rechtsansicht durch eine unzulässige Verengung des Blicks auf die Verhältnisse im Nordirak. Es mag sein, dass sich die Verhältnisse dort nicht verändert haben. Bei der Frage, ob staatliche Verfolgung in asylerheblicher Weise – noch – droht, muss der Blick jedoch auf das Verfolgungssubjekt, den Staat Irak, gerichtet werden, denn nur eine landesweite staatliche Verfolgung rechtfertigt die Asylzuerkennung. Die Frage, ob es eine verfolgungssichere Region in diesem Gesamtstaat, hier im Nordirak, gibt, ist eine – nachrangige – Einzelfrage im Sinne eines Ausschlussgrundes. Folgerichtig beschäftigte sich die Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts auch vorrangig mit der Frage, ob der irakische Staat im Nordirak Staatsgewalt ausgeübt hat, was verneint wird, und geht nachrangig der Frage nach, ob sich die Machtgrundlagen der PUK und KDP derartig verfestigt haben, dass von staatsähnlicher Macht gesprochen werden kann, was ebenfalls verneint wird. In späteren Entscheidungen behandelt das Nds. Oberverwaltungsgerichts, und ihm folgend die Rechtsprechung aller niedersächsischen Verwaltungsgerichte, den Nordirak als inländische Fluchtalternative (vgl. nur Beschluss vom 4.8.1999 – 9 L 1719/99 –, BA Seite 18 f.; Urteil der 4. Kammer des erkennenden Gerichts vom 9.3.1999 – 4 A 4239 –, an denen jeweils der Prozessbevollmächtigte der Kläger auch beteiligt war). Damit stellt sich die Situation im Nordirak nur als einzelne notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Gewährung von Asyl oder Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, namentlich als tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar.
Der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Widerrufsbescheides steht schließlich § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dabei ist zu beachten, dass sich diese Gründe mit Gründen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG überschneiden können, dass sich die Tatbestandvoraussetzungen der Vorschriften jedoch so wesentlich voneinander unterscheiden, dass sich eine gesonderte Prüfung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG auch dann nicht erübrigt, wenn ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht vorliegt (VGH Kassel, Beschluss vom 28.5.2003 – 12 ZU 2805/02.A, InfAuslR 2003, 400, 401). Inhaltlich führt nicht jede auftretende Beeinträchtigung zum Absehen vom Widerruf. Derartige Gründe müssen vielmehr von einer gewissen Schwere und Tragweite sein, so dass ein Widerruf immer dann zu unterbleiben hat, wenn schwere physische oder psychische Schäden vorliegen, die infolge der bereits erlittenen politischen Verfolgung entstanden sind und die sich bei einer Rückkehr in das Heimatland wesentlich verschlechtern. Darüber hinaus können Gesichtspunkte der Erwerbstätigkeit, einer wirtschaftlichen und sozialen Ausgrenzung, das Lebensalter und der Zeitraum zwischen Verfolgung und Flucht einerseits und Rückkehr andererseits zu berücksichtigen sein (vgl. VGH Kassel, a.a.O.; Renner, AuslR, 7. Aufl. § 73 AsylVfG Rdnr. 12f.).
Derartige Gründe hat der Kläger weder vorgetragen, noch sind sie sonst für die Kammer ersichtlich.
Schließlich hat der Kläger den geltend gemachten Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung, dass in seinem Fall ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegt, nicht. Deshalb ist die Klage auch mit dem Hilfsantrag unbegründet.
Im Einzelfall vermag sich aus einer durch Blutrache drohenden Verfolgungssituation ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.3.1990 – 1 B 31.90 –, Buchholz 40224 § 10 AuslG Nr. 123; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6.3.2000 – 9 L 3275/99 –, NVwZ-Beilage 2001, 19; Urteil vom 12.9.2001 – 2 L 1082/00 –, InfAuslR 2002, 154). Für den Kläger besteht eine derartige Gefahr indes nicht.
Zum einen deshalb nicht, weil sein diesbezüglicher Vortrag wechselhaft und infolgedessen unglaubhaft ist. Bei seiner Anhörung im April 1995 gab der Kläger an, ihm drohe Blutrache durch die R. -Sippe, weil sein Bruder eine Frau dieser Sippe entführt und gegen den Willen der Familie geheiratet habe. Im Rahmen der Anhörung zum Widerruf und bei seiner informatorischen Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Kläger demgegenüber an, Blutrache deshalb gewärtigen zu müssen, weil ein anderer Bruder zwei Männer und eine Frau der R. -Sippe getötet habe, weshalb sein Bruder von Familienangehörigen dieser Sippe im Frühjahr 2003 getötet worden sei. Der in der mündlichen Verhandlung unternommene Versuch des Klägers, einen Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen herzustellen, muss als gescheitert angesehen werden. Denn wenn ein solcher überhaupt besteht, was der Kläger selbst in Abrede genommen hat, besteht er nur insoweit, als es – eher zufällig – um dieselbe, weit verzweigte Sippe geht, von der angeblich Blutrache droht. Deshalb handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um neuen, gesteigerten und widersprüchlichen Vortrag, dem kein Glauben zu schenken ist. Bestätigt wird diese Annahme durch den Umstand, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise im Oktober 1994 noch mehrere Jahre unbehelligt im Irak leben konnte, nachdem die, angeblich Blutrache auslösenden Ereignisse 1989/1990 bzw. 1992 stattgefunden haben sollen. Auch den Vortrag des Klägers, sein Vater sei am 23. Februar 2002 im Zuge der Blutrache totgeschlagen worden, glaubt das Gericht nicht. Denn demgegenüber berichtete der Kläger seinem Bewährungshelfer im Juli 2002 (Beiakte K im Verfahren 2 A 343/03) lediglich davon, dass sein Vater verstorben sei. Von Blutrache war in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Der Kläger vermochte auch keine plausible Begründung dafür zu geben, weshalb ein über achtzigjähriger Greis Opfer einer Blutracheaktion werden konnte, die angeblich von jungen Männern, den Brüdern des Klägers ausgelöst worden sein soll.
Selbst wenn man dem Kläger Glauben schenken würde, wäre er von Blutrache nicht konkret bedroht. Nach dem islamischen Gesetz der Blutrache ist im Fall der Tötung eines Familienmitglieds durch einen zurechnungsfähigen und erwachsenen Täter, die Tötung eines anderen "gleichwertigen" Familienmitglieds verwirkt. Dies schließt Blutrache wegen der Entführung eines weiblichen Familienmitglieds schon von vornherein aus. Es ist davon auszugehen, dass das Phänomen der Blutrache im Nordirak mehr oder weniger praktizierter Bestandteil der insbesondere ländlichen "Rechtskultur" ist (vgl. zum Ganzen OVG Lüneburg, Urteil vom 25.4.2001 – 9 L 2159/00 –; Hajo und Savelsberg, Stellungnahme an das VG Regensburg vom 20.7.2003; DOI, Stellungnahme vom 3.8.2001 an das VG Göttingen). Allerdings setzt eine solche Blutrache nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen voraus, dass der Kläger persönlich für den Tod irgendeines Menschen verantwortlich gemacht würde. Im Allgemeinen kommt dies nur in Betracht, wenn dem Kläger ganz persönlich diese Tötung angelastet würde. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Selbst wenn man davon ausginge, dass dem Kläger der Tod der zwei männlichen Mitglieder und des einen weiblichen Mitglieds der R. -Sippe persönlich angelastet werden würde, wäre er von Blutrache nicht konkret bedroht. Denn nach dem der Blutrache zugrunde liegenden Sittenkodex müssen Täter und Opfer der Blutrache einander gleichwertig sein nach Geschlecht, familiärer Stellung und Religion. Da nach dem klägerischen Vortrag sein Bruder und sein Vater bereits Opfer der Blutrache geworden sind, ist der der Blutrache zugrunde liegende Vergeltungsanspruch hinsichtlich der männlichen Familienmitglieder erfüllt, so dass der Kläger bei einer Rückkehr in seine Heimat nichts mehr zu befürchten hat. Im Übrigen würde dem Kläger eine solche Blutrache auch nicht landesweit drohen, was aber für die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG Voraussetzung wäre. Dem Kläger ist es unbenommen, in einer anderen Region des Irak als seiner Heimatregion Wohnsitz zu nehmen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er dort von Clanangehörigen der R. -Sippe entdeckt werden würde.
Ein Abschiebungshindernis ergibt sich schließlich auch nicht aus der schwierigen Sicherheits- und Versorgungslage im Irak. Auch insoweit folgt die Kammer der zitierten Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, das ausgeführt hat:
"Der Kläger kann auch keinen Abschiebungsschutz im Rahmen des § 53 Abs. 6 AuslG – nur die Frage stellt sich hier – beanspruchen. Diese Vorschrift setzt das Bestehen einer konkreten Gefahr voraus, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – BVerwGE 99, 324). Dabei reicht allerdings allein die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, nicht aus, um eine Gefahr in diesem Sinne zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 – aaO; BVerwG, Urt. v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265). Eine dem Kläger drohende konkrete Gefahr in diesem Sinne ist derzeit nicht ersichtlich.
Soweit nahezu im gesamten Irak noch eine mehr oder weniger instabile Sicherheitslage (S. 8 ff. d. Lageberichtes des Auswärtigen Amtes v. 6. November 2003) festzustellen ist, insbesondere mit der Gefahr terroristischer Anschläge zu rechnen ist, sind dadurch bedingte Gefahren nur allgemeiner Natur. Dies gilt nicht nur für den Bereich des früheren Zentralstaates, sondern gerade auch für Bagdad, dem Heimatort des Klägers. Zunächst ist zwar festzustellen, dass die innere Sicherheit im Irak durch Terroranschläge, Sabotageakte und Banditenüberfälle – mit Schwerpunkt im arabisch sunnitischen Kerngebiet nördlich und westlich von Bagdad – belastet ist. Weiter hat die Gewaltkriminalität in den Städten zugenommen, weil noch keine effektive Polizeigewalt aufgebaut werden konnte und die Soldaten der internationalen Militärkoalition sich aus Selbstschutzgründen dieser Aufgabe nur zurückhaltend annehmen. Andererseits ist ein landesweiter militärischer und insbesondere organisierter Widerstand gegen die internationale Militärkoalition oder die CPA bislang nicht erkennbar. Einzelne Gewalt- und Terroraktionen – soweit sie überhaupt "politisch" einzuordnen sind – beschränken sich eher auf lokale Bereiche bzw. sind als – wenn auch tragische – Einzeltaten zu bewerten. Gefährdet sind vor allem Polizei- und Sicherheitskräfte. Andererseits gelten Teilregionen im kurdisch bewohnten Norden sowie im mehrheitlich schiitischen Süden als eher befriedet. Unabhängig davon ist allgemein festzustellen, dass die aus Gewaltaktionen der genannten Art entstehenden Gefährdungen gleichsam "blind" jeden treffen können. Eine Situation dieser Art ist gemäß § 53 Abs. 6 AuslG nicht schutzbegründend.
Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen kann auch im Hinblick auf die Versorgungslage im Irak nicht von einer (extremen) existenziellen Gefährdung einzelner Rückkehrer ausgegangen werden. Nach der Wiederaufnahme des "Oil for Food"-Programms auf Grund der UN-Sicherheitsrats-Resolution Nr. 1.483 hat sich die Versorgungslage im Irak spürbar entspannt (S. 10 f des Lageberichts vom 6. November 2003). Hinzu kommt das World-Food-Programm der UN und ähnliche Programme von nicht staatlichen Hilfsorganisationen, der derzeit relativ freie Warenverkehr von und nach dem Irak sowie die Erträge der irakischen Landwirtschaft. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser kann zwar weiterhin örtlich problematisch sein, ohne dass es insoweit aber zu existenziellen Gefährdungen kommt. Allgemein ist festzustellen, dass im kurdischen Norden des Landes die Versorgung mit Wasser besser als im Süden funktioniert.
Angesichts dieser – zwar – nach wie vor angespannten, im Wesentlichen aber doch (landesweit) gesicherten Versorgungssituation im Irak ist mit Existenzgefährdungen Einzelner im Rückkehrfalle nicht zu rechnen. Dies gilt auch für den Kläger, der auch dann, wenn er allein in den Irak zurückkehren wird, dort wie andere gesunde Gleichaltrige leben und als Hochschullehrer beim Wiederaufbau seines Landes mitwirken kann."
Diese Rechtsprechung, die von der Kammer geteilt wird (vgl. das o.a. zitierte Urteil vom 14. Juli 2004), findet in den bisher bekannten obergerichtlichen Entscheidungen einhellig Zustimmung (OVG Schleswig, Beschluss vom 30.10.2003 – 1 LB 39/03 –; VGH München, Beschlüsse vom 4. und 13.11.2003 – 13a ZB 03.31110 – und 15 B 02.31751 –, AuAS 2004,43 sowie vom 25.3.2004 – 13a B 03.30956 –, betr. Yeziden und – 13a B 30957 –, betr. allg. Versorgungslage; OVG Koblenz, Beschluss vom 26.2.2004 – 8 A 10334/04.OVG –, AuAS 2004, 119; OVG Greifswald, a.a.O. und Beschluss vom 7.5.2004 – 2 L 336/02 –, betr. religiöse Minderheiten).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.