Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.09.2004, Az.: 4 B 116/04

Auswahlkriterium; Betreuungsplatz; Gerichtskosten; Gleichbehandlung; Kindertagesstätte; nicht studierende Eltern; Punktesystem; Studentenwerk; Zugang

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
30.09.2004
Aktenzeichen
4 B 116/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50776
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren die Zuweisung eines Platzes in einer durch den Antragsgegner betriebenen Kinderkrippe.

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Der Antragsgegner unterhält in F. eine sog. Kinderkrippe für Kinder im Alter von 6 Monaten bis zu 3 Jahren. In der Einrichtung bestehen derzeit 60 Plätze für Kinder in fünf Altersgruppen. Nach den derzeit geltenden Richtlinien für die Kindertagesstätten des Antragsgegners werden dort Kinder aufgenommen, deren Eltern Studierende der Universität oder einer der Fachhochschulen in F. sind. Ein Drittel der Plätze werden an Kinder nicht-studentischer Eltern vergeben. Entsprechend der Belegungsordnung für die Kindertagesstätten des Antragsgegners werden die angemeldeten Kinder in einer Aufnahmeliste registriert. Antragsteller, die keinen Zuschlag bei der Platzvergabe erhalten, werden in einer Warteliste geführt, die nach Angaben des Antragsgegners derzeit 127 Antragsteller umfasst. Sofern mehr Anmeldungen vorliegen als Plätze in der Einrichtung vorhanden sind, werden die Anträge nach sozialen Kriterien bewertet und es wird eine Rangfolge gebildet. Danach erfolgt eine Vorauswahl unter Hinzuziehung zu berücksichtigender pädagogischer Gesichtspunkte. Sofern Anträge nach dieser Vorauswahl den gleichen Rang einnehmen, erhält die Bewerbung mit dem früheren Anmeldedatum den Vorrang. Ein frei werdender Krippenplatz wird nach denselben Grundsätzen aus der Warteliste heraus besetzt.

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Am 03.03.2003 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Zuweisung eines Platzes in der Kinderkrippe des Antragsgegners an ihre am . .2002 geborene Tochter I.. Der Antragsgegner entsprach diesem Aufnahmeantrag bisher nicht.

4

Am 25.08.2004 haben die Antragsteller um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie tragen vor, sie hätten von der Leiterin der Kinderkrippe des Antragsgegners die Auskunft erhalten, zum 01.10.2004 sei ein Krippenplatz nachzubesetzen. Sie beabsichtige jedoch, diesen Platz mit einem Jungen zu besetzen. Dies sei zu beanstanden, da das Ziel einer ausgewogenen Zusammensetzung der Gruppen der Kinderkrippe nicht um jeden Preis durchgesetzt werden dürfe. Vielmehr seien die für die Antragsteller sprechenden dringenden sozialen Gründe in die Entscheidung über die Besetzung einzustellen. Die Antragstellerin zu 2. werde in Kürze eine Vollzeitbeschäftigung in Kassel aufnehmen und könne sich sodann infolge der Arbeits- und Wegezeiten nicht mehr wie bisher um die Betreuung der gemeinsamen Tochter kümmern. Der Antragsteller zu 1. sei Student und bereite sich auf das Examen vor, so dass er die Kinderbetreuung ebenfalls nicht sicherstellen könne. Verwandte, die die Betreuung übernehmen könnten, seien in F. nicht vorhanden. Unter diesen Umständen sei es unzulässig, das Geschlecht des Kindes als Ausschlusskriterium heranzuziehen. Hinzu komme, dass die Auswahlkriterien des Antragsgegners alleinerziehende Mütter in unzulässiger Weise bevorzugten. Zu beanstanden sei des Weiteren, dass ein erheblicher Teil der vorhandenen Krippenplätze Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes zur Verfügung gestellt würden. Eine solche Praxis widerspreche dem Stiftungszweck des Antragsgegners. Insgesamt sei daher die Handhabung der Vergabe von Krippenplätzen durch den Antragsgegner rechtswidrig.

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Die Antragsteller beantragen,

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1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihrer am . .2002 geborenen Tochter I. im Rahmen der Kapazitäten den nächsten freien Platz in seiner Kinderkrippe J. in F. bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens jedoch bis zum Abschluss des Kinderkrippenjahres 2004/2005 vorläufig zuzuweisen und einstweilen jede Platzvergabe zugunsten Dritter zu unterlassen,

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2. dem Antragsgegner den Vollzug einer etwa zwischenzeitlich erfolgten Zuweisung des zum 01.10.2004 freiwerdenden Platzes sowie bis auf Weiteres jede Zuweisung zugunsten Dritter zu untersagen,

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3. hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, ihrer Tochter jedenfalls den nächsten nach dem 01.10.2004 frei werdenden Platz zuzuweisen sowie

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4. ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er tritt den Ausführungen der Antragsteller entgegen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die vom Antragsgegner übersandten Unterlagen Bezug genommen, die den Antragstellern übersandt worden sind.

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II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die Antragsteller haben den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Denn nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand und der im vorliegenden Verfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung können die Antragsteller die Aufnahme ihrer Tochter in die Kinderkrippe des Antragsgegners zurzeit nicht beanspruchen.

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Der Antragsgegner betreibt die Kinderkrippe in der J. in F. auf der Rechtsgrundlage des § 68 Abs. 2 des Nds. Hochschulgesetzes (NHG). Danach fördern und beraten die Studentenwerke die Studierenden wirtschaftlich, gesundheitlich, sozial und kulturell. Zu ihren Aufgaben gehört insbesondere der Betrieb von Wohnheimen, Mensen, Cafeterien und Betreuungseinrichtungen für Kinder von Studierenden. Der Antragsgegner ist eine G. und betreibt seine Kinderkrippe als öffentliche Einrichtung. Er ist bei der Vergabe der Krippenplätze nicht frei, sondern hat sich an den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (GG) und insbesondere am Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu orientieren. Sofern die Anzahl derjenigen, die die Einrichtung nutzen wollen, über deren Kapazität hinausgeht, ist der Antragsgegner danach verpflichtet, der Entscheidung über die Besetzung der zur Verfügung stehenden Plätze tragfähige Kriterien zugrunde zu legen, die den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen. Dies hat der Antragsgegner durch die Belegungsordnung für seine Kindertagesstätten in bei summarischer Prüfung hinreichender Weise getan.

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Der Antragsgegner bewertet die in seine Entscheidung einzubeziehenden Anträge zunächst durch die Vergabe von Punkten für festgelegte soziale Kriterien und bildet daraus eine Rangfolge. Unter anderem vergibt er 20 Punkte, sofern ein Elternteil das Kind allein erzieht oder beide Eltern studieren, 10 Punkte, sofern ein Elternteil studiert oder beide Elternteile berufstätig sind, 8 Punkte bei Berufstätigkeit, Schulbesuch oder Lehre eines Elternteils, 5 Punkte, sofern sich ein Elternteil im Examen befindet, 3 Punkte, soweit ein Geschwisterkind die Kindertagesstätte besucht und einen Punkt für jedes weitere unter 14 Jahre alte Kind, das im Familienhaushalt lebt. Diese weitgehend differenzierte Bewertungsskala stellt nach Auffassung der Kammer (zumindest) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein brauchbares Instrument dar, um im Fall einer die Kapazität überschreitenden Anzahl von Anträgen eine sachgerechte Abstufung zu erzielen. Die Antragsteller haben die Bewertung auch nur dahingehend in Zweifel gezogen, dass die Vergabe von Punkten für alleinerziehende Elternteile dem Rechtsgedanken des Art. 6 Abs. 1 GG widerspreche, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Die Kammer teilt diese Auffassung jedoch nicht. Insbesondere lässt sich dem Grundrecht nicht entnehmen, dass es unzulässig ist, die besondere Situation einer aus einem alleinerziehenden Elternteil und seinem Kind bestehenden Familie bei der Vergabe von Plätzen in Kindertagesstätten angemessen zu berücksichtigen. Auch das Nds. Oberverwaltungsgericht (Beschl. v. 27.11.1996 - 4 M 4787/96 -, NdsVBl 1997, 60) hat es für zulässig gehalten, den Umstand, dass ein Elternteil alleinerziehend ist, als soziales Kriterium im Rahmen der Entscheidung über die Vergabe eines Kindergartenplatzes zu berücksichtigen. Schließlich wird dem genannten Umstand auch im Sozialhilferecht besonders Rechnung getragen (vgl. § 23 Abs. 2 BSHG).

18

Bewertet man die Lebensverhältnisse der Antragsteller zum Stichtag 01.10.2004 nach der genannten Punkteskala, so erhalten sie für das Studium des Antragstellers zu 1. 10 Punkte, für seine Examensvorbereitung 5 weitere Punkte und für die Berufstätigkeit der Antragstellerin zu 2. 8 Punkte, insgesamt daher 23 Punkte. Demgegenüber hat der Antragsgegner an das in der Rangfolge an erster Stelle stehende männliche Kind 30 Punkte und an die an erster und zweiter Stelle stehenden weiblichen Kinder 30 bzw. 25 Punkte vergeben. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Vergabe zu zweifeln, die von den Antragstellern auch nicht substanziiert angegriffen worden ist. Es stehen daher nach den sozialen Kriterien mehrere Kinder in der Rangliste vor der Tochter der Antragsteller, so dass sie derzeit keinen Anspruch auf Zuteilung des begehrten Krippenplatzes hat.

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Der Vortrag der Antragsteller, der Antragsgegner dürfe das Geschlecht eines Kindes nicht in ausschlaggebender Weise berücksichtigen, ist danach im vorliegenden Verfahren nicht von Bedeutung. Dieses Kriterium könnte allenfalls eine Rolle spielen, wenn einem nach der Sozialpunkte-Skala „geringer bewerteten“ Kind wegen seines Geschlechts vor einem „höher bewerteten“ der Vorrang eingeräumt würde. Dies ist aber nach dem Vorgesagten gerade nicht der Fall, da sowohl männliche als auch weibliche Kinder nach der Bewertung der Sozialpunkte in der Rangfolge vor der Tochter der Antragsteller stehen.

20

Die Antragsteller können sich auch nicht dagegen wenden, dass der Antragsgegner einen Teil der Krippenplätze an Kinder nicht studierender Eltern vergibt. Sie haben bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die in der Rangfolge vor ihrer Tochter angesiedelten Kinder unter die genannte Gruppe fallen. Dies liegt auch nicht nahe, da der Antragsgegner in der dem Gericht übersandten Liste diese Kinder als Kinder studierender Eltern bezeichnet hat. Ein Anspruch der Antragsteller darauf, dass bei ausgeschöpfter Kapazität bestehende Verträge gekündigt und somit Plätze frei gemacht werden, ist gleichfalls nicht ersichtlich. Im Übrigen steht die Praxis der Vergabe eines Teiles der Krippenplätze an nicht studierende Eltern nicht im Widerspruch zu den Aufgaben des Studentenwerkes. Sie entspricht - wie auch die Antragsteller erkennen - vielmehr sogar einer im Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) enthaltenen Regelung, wonach Leistungen des Landes für Tageseinrichtungen, die sich in der Trägerschaft eines Studentenwerkes befinden, nur dann gewährt werden, wenn das Studentenwerk bereit ist, regelmäßig mindestens zu einem Drittel auch andere Kinder als solche von Studierenden aufzunehmen. Die Auffassung der Antragsteller, der Antragsgegner müsse unter diesen Umständen auf die Inanspruchnahme von Landesmitteln nach § 15 KiTaG verzichten, teilt das Gericht nicht.

21

Nach alledem können die Antragsteller weder die Zuweisung des zum 01.10.2004 frei werdenden noch des nächsten danach frei werdenden Krippenplatzes beanspruchen. Die Anträge, den Antragsgegner zu verpflichten, eine Platzvergabe zugunsten Dritter zu unterlassen, bzw. ihm den Vollzug einer solchen Zuweisung zu untersagen, haben somit ebenfalls keinen Erfolg.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 S. 2 VwGO. Das Verfahren ist nicht gemäß § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei, denn es handelt sich um einen Rechtsstreit aus dem Gebiet des Hochschulrechts, nicht jedoch um eine Jugendhilfeangelegenheit. Zwar zählt zu den Leistungen der Jugendhilfe gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) auch das Angebot zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Betrieb einer Kindertagesstätte in jedem Fall von einem Jugendhilfeträger geführt wird. Der Antragsgegner ist weder Träger öffentlicher Jugendhilfe (vgl. § 3 Abs. 2 S. 1, §§ 69 ff. SGB VIII) noch betreibt er die Kinderkrippe als Träger der freien Jugendhilfe (§ 3 Abs. 2 S. 1, §§ 73 ff. SGB VIII). Er nimmt die Aufgabe vielmehr in Ausführung des § 68 Abs. 2 S. 2 NHG und damit als Hochschulangelegenheit wahr. Eine entsprechende Anwendung des § 188 S. 2 VwGO im vorliegenden Fall kommt angesichts des Ausnahmecharakters dieser Regelung nicht in Betracht.

23

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Eine Verminderung des Wertes im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes kommt nicht in Betracht, da eine dem Antrag stattgebende Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen hätte.

24

Prozesskostenhilfe kann den Antragstellern nicht bewilligt werden, da ihre Rechtsverfolgung aus den o. g. Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Im Übrigen haben die Antragsteller die gemäß § 166 VwGO i. V. m. §§ 114, 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht innerhalb der ihnen gesetzten Frist vorgelegt (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO).