Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.09.2004, Az.: 2 A 66/04

Alleinerziehung; Mehrbedarf; Zuschlag

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
09.09.2004
Aktenzeichen
2 A 66/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50773
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages wegen Alleinerziehung an die Klägerin.

2

Die Klägerin und ihr Ehemann, die gemeinsam sieben Kinder haben, beendeten die eheliche Lebensgemeinschaft im August 2003. Sie leben seitdem getrennt voneinander im zuvor gemeinsam bewohnten Einfamilienhaus in D.. Der Ehemann der Klägerin bewohnt das Erdgeschoss, die Klägerin bewohnt mit den Kindern das Obergeschoss. Die Räumlichkeiten sind durch Wohnungsabschlusstüren voneinander getrennt, es existieren zwei voneinander unabhängige Mietverträge. Mit Bescheid vom 16.09.2003 wurde der Klägerin und ihren Kindern Hilfe zum Lebensunterhalt ab dem 01.09.2003 gewährt. Am 02.09.2003 teilte der Ehemann der Klägerin telefonisch dem Sozialamt der Samtgemeinde D. die Trennung von seiner Ehefrau mit. Ungeachtet dessen wurde ein Mehrbedarf für Alleinerzeihende nicht gewährt, wogegen die Klägerin Widerspruch einlegte. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2004 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass es vielfältige Hinweise dafür gebe, dass die Klägerin nicht hauptsächlich allein für die Erziehung der gemeinsamen Kinder zuständig sei, was Anspruchsvoraussetzung sei. Ihr Ehemann befinde sich nach wie vor im Hause. Gerade der Umstand, dass er sich nicht von den Kindern trennen könne, lasse auf eine enge Bindung zu den Kindern schließen. Hinzu komme, dass aufgrund der nicht völlig getrennten Räumlichkeiten die Kinder ihren Aufenthalt bei beiden Elternteilen hätten. Der angegebene Turnus bezüglich des Besuchrechts beim Vater sei unglaubhaft und lebensfremd. Da also ein wechselseitiger Aufenthalt der Kinder bei ihren Eltern vorliege, seien die Anspruchsvoraussetzungen für einen Mehrbedarfszuschlag nicht gegeben.

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Die Klägerin hat am 25.02.2004 Klage erhoben. Sie tritt den Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid entgegen und hebt hervor, dass sich die Betreuung der Kinder durch deren Vater auf die angegebenen Besuchszeiten beschränke. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der Vater der Kinder in unmittelbarer räumlicher Nähe von ihnen lebe.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Samtgemeinde D. vom 15.09.2003 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 26.01.2004 insoweit aufzuheben, als der Beklagte verpflichtet wird, der Klägerin einen Mehrbedarfszuschlag gemäß § 23 Abs. 2 BSHG in Höhe von 60 % des Regelbetrages gemäß § 23 Abs. 2 BSHG zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und tritt der Klage entgegen. Zwar werde die räumliche Trennung der Klägerin von ihrem Ehemann nicht in Frage gestellt, doch lägen die Lebensbereiche der Klägerin und ihres Ehemannes so nah zusammen, dass es im Tagesablauf und Alltagsgeschehen nicht möglich sei, die Betreuung und Erziehung allein von der Klägerin durchzuführen.

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Das Gericht hat über Art und Maß der Beteiligung des Kindesvaters an der Pflege und Erziehung Herrn K. B. sowie Frau L. M., die Mitarbeiterin im Sozialamt der Samtgemeinde D. ist, als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.09.2004 Bezug genommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Die Klägerin hat seit Bekanntwerden der Trennung von ihrem Ehemann im Sozialamt der Samtgemeinde D., was nach Aktenlage am 02.09.2003 der Fall war, bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides (auf diesen Zeitraum ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die verwaltungsgerichtliche Kontrolle im Klageverfahren begrenzt) gegen den Beklagten ein Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfszuschlages gemäß § 23 Abs. 2 BSHG bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt. Denn die Klägerin hat im streitbefangenen Zeitraum (und tut dies auch heute noch) ihre Kinder im Wesentlichen allein betreut und versorgt, was die Gewährung des Mehrbedarfszuschlages rechtfertigt.

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Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs ist die alleinige Pflege und Erziehung der Kinder. Der Hilfesuchende sorgt allein für Pflege und Erziehung, wenn ein anderer dabei nicht mitwirkt. Dabei ist auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Es kommt also darauf an, wer sich tatsächlich um die Kinder kümmert und an ihrer Erziehung beteiligt ist (Hofmann in LPK - BSHG, Rn. 23 zu § 23). Keinerlei Auswirkungen auf den Anspruch hat es hingegen, wenn ein getrennt lebender Elternteil (lediglich) ein ihm eingeräumtes Besuchsrecht hinsichtlich der gemeinsamen Kinder wahrnimmt. In der Rechtssprechung hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass ein Elternteil dann alleinerziehend ist, wenn die Kinder zeitlich mehr als die Hälfte bei ihm verbringt und von ihm betreut wird (Hofmann, a.a.O., Rn. 25 mit weiteren Nachweisen). Entscheidendes Kriterium für die Gewährung des Mehrbedarfszuschlages ist also der Umfang der persönlichen Betreuung und Versorgung, den das Kind beim anderen Elternteil findet, und die damit einhergehende Entlastung bei der Pflege und Erziehung eines Kindes. Denn der Mehrbedarfszuschlag wird gewährt, um eine notwendige Entlastung für den alleinerziehenden Elternteil finanzierbar zu machen. In Zweifelsfällen ist zu Gunsten der mehrbedarfsberechtigten Person, also des alleinstehenden Elternteils zu entscheiden, weil ihr die erzieherische Verantwortung obliegt und zunächst einmal die tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass sie diese auch alleine erfüllt (Hofmann, a.a.O., Rn. 24).

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In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin in Bezug auf ihre Kinder alleinerziehend war (und ist). Die Beweisaufnahme hat dies eindeutig ergeben. Der Zeuge B. hat den Vortrag der Klägerin im vollen Umfange bestätigt, dass er sich um die gemeinsamen Kinder im Wesentlichen nur zu den festgelegten Besuchszeiten kümmert und darüber hinaus nur in ausgesuchten Einzelfällen Betreuungsleistungen übernimmt. Rechnet man die Besuchszeiten und das eine Wochenende im Monat, an dem er die Klägerin bei der Erziehung der gemeinsamen Kinder entlastet, zusammen, ist bei weitem nicht ein Betreuungsumfang erreicht, der auch nur annähernd den Umfang der Betreuung erreicht, den die Klägerin für die Kinder erbringt. Die Vernehmung der Zeugin M., die Sachbearbeiterin dieses Sozialhilfefalles ist, führte zu keinem anderen Ergebnis. Die Zeugin M. hat klipp und klar erklärt, dass sie allein aufgrund der Wohnsituation den abstrakten Schluss gezogen habe, dass hier die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlages nicht vorlägen, nicht jedoch habe sie irgendwelche konkreten Fragen an den Zeugen B. oder die Klägerin nach dem Umfang der Betreuung gestellt.

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Das Gericht glaubt beiden Zeugenaussagen im vollen Umfange. Sie waren widerspruchsfrei und in sich schlüssig. Gegen die Richtigkeit der Aussage des Zeugen B. spricht auch nicht die persönliche Nähe zur Klägerin. Denn er lebt nicht nur mit dieser in Scheidung, sondern hätte von einem Obsiegen der Klägerin im Prozess auch keinerlei rechtliche oder finanzielle Vorteile.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Ihre vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.