Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 01.09.2004, Az.: 2 A 395/03

Einkommen; Grundsicherung; Unterkunftskosten

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
01.09.2004
Aktenzeichen
2 A 395/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50801
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Berechnung von Einkommen und Unterkunftskosten im Grundsicherungsrecht

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen an ihn.

2

Der 1958 geborene Kläger ist schwerbehindert (GdB 50, Merkzeichen G) und bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von knapp über 800,- € pro Monat sowie Wohngeld. Seine Ehefrau F. B. erhält Lohn aus geringfügiger Beschäftigung. In dem gemeinsamen Haushalt wohnen noch die 1993 und 1998 geborenen Söhne G. und H., für die Kindergeld gewährt wird.

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Der Kläger, der zuvor von der namens und im Auftrage des Beklagten handelnden Stadt E. gemeinsam mit seinen Familienangehörigen ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von knapp 200,- € pro Monat erhielt, stellte am 02.12.2002 einen Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen. Die Stadt E. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10.01.2003 mit der Begründung ab, das anzurechnende Einkommen des Klägers (in Höhe von 867,82 €) übersteige seinen gesetzlichen Bedarf (518,55 €). Den Widerspruch des Klägers vom 12.02.2003 gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2003 als unbegründet zurück.

4

Der Kläger hat am 24.10.2003 Klage erhoben. Er macht geltend: Wenn bei der Bemessung seines Bedarfs nur ¼ der Unterkunftskosten berücksichtigt würden, dürfe auch nur ¼ seines Einkommens angerechnet werden; außerdem zahle er Unterhalt an eine Tochter aus erster Ehe in Höhe von monatlich 27,80 € und müsse die Kosten für medizinische Bäder und mehrere Medikamente selbst aufbringen, für die er früher Kassenrezepte erhalten habe; schließlich sei ein Verfahrensfehler geschehen, denn aus Gründen des Sozialdatenschutzes dürfe nicht ein Mitarbeiter Aufgaben nach dem Grundsicherungsgesetz und dem BSHG gleichzeitig wahrnehmen; gemäß der Intention des Grundsicherungsgesetzes solle den Berechtigten schließlich der Gang zum Sozialamt erspart werden.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Stadt E. vom 10.01.2003 und seines Widerspruchsbescheides vom 30.09.2003 zu verpflichten, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2004 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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hilfsweise, die Verhandlung analog § 94 Satz 1 VwGO auszusetzen bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 1 des Grundsicherungsgesetzes in dem Verfahren 2 BvR 2355/03,

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weiter hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und gemäß Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 Grundgesetz die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 1 des Grundsicherungsgesetzes einzuholen.

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Er trägt vor: die Berechnung in den angefochtenen Bescheiden sei zutreffend; antragsberechtigt sei nur der Erwerbsunfähige selbst, nicht auch seine Familienangehörigen; das habe zur Folge, dass zwar die gesamten Einkünfte des Antragsberechtigten berücksichtigt werden müssten, Kosten der Familienunterkunft jedoch nur in der Höhe, die anteilig auf ihn entfallen würden; medizinisch notwendige Leistungen würden von anderen Leistungsträgern übernommen werden; das Grundsicherungsgesetz sei eine symbolische Gesetzgebung: statt des Ganges zum Sozialamt (der vermieden werden solle) sei der Gang zum Grundsicherungsamt getreten; eine organisatorische Trennung zwischen Grundsicherungsamt und Sozialamt sei vorhanden, ein Sachbearbeiter könne aber ohne weiteres in zwei Ämtern eingesetzt werden; § 4 Abs. 1 des Grundsicherungsgesetzes, mit dem die Kreise und kreisfreien Städte als Träger der Grundsicherung bezeichnet würden, sei verfassungswidrig, denn die bundesgesetzliche Bestimmung kommunaler Aufgabenträger sei durch Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht gedeckt und führe dazu, dass die eigentliche Finanzierungsverantwortlichkeit von Bund und Ländern auf die Kommunen verschoben, andererseits aber Schutzvorschriften zugunsten der Kommunen in den Landesverfassungen, die an einer Aufgabenübertragung durch die nach dem Grundgesetz hierfür eigentlich zuständigen Länder anknüpften, ausgehebelt würden.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge der Stadt E. sowie des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der geltend gemachte Anspruch steht dem Kläger nicht zu.

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Nach § 1 Nr. 2 des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Art. 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 26.06.2001 - BGBl I Seite 1310, 1335 -) in der Fassung des Gesetzes zur Verlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz vom 27.04.2002 (BGBl I Seite 1462) -GSiG - können zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dauerhafter Erwerbsminderung Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 des 6. Buches Sozialgesetzbuch sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann, auf Antrag die Leistungen nach diesem Gesetz erhalten (Antragsberechtigte). Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes haben Anspruch auf Leistungen der beitragsunabhängigen, bedarfsorientierten Grundsicherung Antragsberechtigte, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können; Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten und des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die den Bedarf und die Grenzen des § 3 übersteigen, sind zu berücksichtigen. Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung

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den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz zuzüglich 15 von Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes nach dem Zweiten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes,

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die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung,

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die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entsprechend § 13 des Bundessozialhilfegesetzes,

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einen Mehrbedarf von 20 von Hundert des maßgebenden Regelsatzes nach Nr. 1 bei Besitz eines Ausweises nach § 4 Abs. 5 des Schwerbehindertengesetzes mit dem Merkzeichen G,

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die Dienstleistungen, die zur Erreichung der Zwecksetzung gemäß § 1 erforderlich sind.

20

Nach § 3 Abs. 2 gelten die §§ 76 bis 88 des Bundessozialhilfegesetzes und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen für den Einsatz von Einkommen und Vermögen entsprechend. Gemäß § 4 Abs. 1 ist zuständig für die Leistung der Kreis oder die kreisfreie Stadt (Träger der Grundsicherung), in dessen Bereich der Antragsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

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Der Beklagte hat den Bedarf des - zweifellos antragsberechtigten - Klägers in Anwendung des § 3 GSiG ohne Rechtsfehler festgestellt. Es ist nicht zu beanstanden, dass nur ¼ der für angemessen erachteten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung der Familie des Klägers angerechnet wurden. Wohnt der Antragsberechtigte mit (nicht antragsberechtigten) Personen in einer Wohnung, so sind die Unterkunftskosten nach Köpfen aufzuteilen (vgl. Münder, NJW 2002, Seite 3661; Schoch Info also 2002, Seite 157, 163; Renn/Schoch, Die neue Grundsicherung, Seite 39; Renn/Schoch, Lehr- und Praxiskommentar zum GSiG, § 3 Rn 49 f). Diese Aufteilung bedarf nur dann einer Korrektur, wenn ein Mitglied der Wohngemeinschaft einen (etwa aus der Behinderung folgenden) erhöhten Wohnbedarf hat; das ist hier jedoch ersichtlich nicht der Fall. Bezüglich der von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungen für Medikamente und Bäder und für Unterhalt an eine Tochter sind Sonderleistungen im Gesetz nicht vorgesehen. Anders als bei der Hilfe zum Lebensunterhalt erfolgen Grundsicherungsleistungen weitgehend nach festen Sätzen ohne Berücksichtigung des Einzelfalles. Bei nachgewiesenem höheren Bedarf ist die Gewährung ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt nicht ausgeschlossen. In solchen Fällen ist der „Gang zum Sozialamt“ kaum vermeidbar.

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Der Beklagte hat auch das anrechenbare Einkommen des Klägers zutreffend ermittelt. Anders als das BSHG kennt das GSiG den Begriff der Bedarfs- bzw. Einsatzgemeinschaft (vgl. § 11 BSHG) nicht. Antrags- (und Anspruchs-)berechtigte sind - neben Menschen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben - nur Erwerbsunfähige persönlich, nicht aber ihre Ehegatten und ihre Kinder. Das hat unter Umständen zur Folge, dass ein Ehepartner Grundsicherungsleistungen erhält, der andere und ggf. auch die gemeinsamen Kinder jedoch Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Dem Antragsberechtigten wird zunächst sein persönliches Einkommen (nach Maßgabe der §§ 76 bis 87 BSHG) angerechnet, und zwar in voller Höhe. Zusätzlich wird (nach § 2 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes) Einkommen des Ehegatten berücksichtigt, wenn es dessen - fiktiven - Bedarf im Sinne des GSiG übersteigt. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Hier kommt die gesamte Rente des Klägers sowie - entsprechend der Aufteilung der Unterkunftskosten - ¼ des der Familie gewährten Wohngeldes zum Tragen. Das ist fehlerfrei geschehen.

23

Die von dem Kläger ferner angesprochene organisatorische Trennung zwischen Sozialamt und Grundsicherungsamt ist für den Ausgang dieses Verfahrens ohne Bedeutung. Sie mag aus Gründen des Sozialdatenschutzes nötig sein (vgl. dazu etwa Renn/Schoch, a.a.O., § 4, Rn 14 f sowie Zeitler NDV 2002, Seite 421, 427). Ein Verstoß dagegen (der hier nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Beklagten nicht einmal vorliegt) kann aber keinesfalls zur Folge haben, dass Leistungen zu gewähren sind, die gesetzlich nicht vorgesehen sind.

24

Da die Klage sonach abzuweisen ist, ist die Verfassungsmäßigkeit von § 4 Abs. 1 GSiG nicht entscheidungserheblich. Mithin erübrigt es sich, auf die von dem Beklagten gestellten Hilfsanträge einzugehen.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.