Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 22.09.2004, Az.: 2 A 469/03
Betrug; Ermessen; Rückforderung; Sozialhilfe; Vertrauensschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 22.09.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 469/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50771
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 45 SGB 10
Tatbestand:
Der Kläger beantragte am 17. Juli 2001 beim Sozialamt der Stadt C. die Gewährung einer einmaligen Beihilfe für seinen Umzug von der E. Straße in die F. straße in G.. Nach Aufforderung durch das Sozialamt legte er drei Kostenvoranschläge von Umzugsunternehmen vor. Das Sozialamt vereinbarte daraufhin mit einem dieser Unternehmer - Herrn H. I. - einen Preis von 1.000,00 DM (511,29 €) für die Durchführung des für Ende Juli 2001 geplanten Umzugs. Am 25. Juli 2001 legte Herr I. beim Sozialamt eine vom Kläger verfasste und unterschriebene Rechnung über den Betrag von 1.000,00 DM vor. Daraufhin wurde dem Kläger mit Bescheid vom gleichen Tag eine Umzugsbeihilfe in entsprechender Höhe bewilligt. Der Betrag sollte direkt auf das Konto des Herrn I. überwiesen werden. Der Kläger hatte auf der eingereichten Rechnung jedoch nicht das Konto des Herrn I., sondern die Bankverbindung seines Stiefvaters, des Herrn J. K., angegeben, auf die die Zahlung dann auch überwiesen wurde.
Am 2. August 2001 stellte ein Mitarbeiter des Sozialen Dienstes der Stadt G. fest, dass der Umzug noch nicht durchgeführt war und der Kläger sich mit seinen Kindern im Urlaub auf Mallorca befand, woraufhin die Stadt G. gegen ihn und Herrn I. Strafanzeige wegen des Verdachts des Betruges erstattete.
Der Umzug; zu dessen Durchführung der Kläger für 200,00 DM einen LKW angemietet hatte und bei dem er von Familienangehörigen unterstützt wurde, während Herr I. nur einen untergeordneten Beitrag leistete, erfolgte erst Ende August 2001.
Bei einer Anhörung vor dem Sozialamt G. am 29. August 2001 im Hinblick auf eine mögliche Rückforderung der Umzugskostenbeihilfe äußerte der Kläger, Herr I. hätte über kein eigenes Konto verfügt, weshalb er seinen Stiefvater gebeten habe, sein Konto anzugeben und Herrn I. den Betrag schon auszuzahlen. Sein Stiefbruder L. K. habe daraufhin am 24. Juli 2001 den Betrag von 1.000,00 DM vom Konto des Stiefvaters abgehoben und Herrn I. persönlich in Bar übergegeben.
Im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung bei der Polizeiinspektion G. am 6. September 2001 erklärte der Kläger, er habe Herrn I. am 23. Juli 2001 einen Betrag von 850,00 DM übergegeben. Die restlichen 150,00 DM habe Herr I. am 25. Juli 2001 von Herrn L. K. erhalten. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens führte der Kläger zudem in einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft M. vom 15. Februar 2003 aus, zunächst habe er die 150,00 DM zurückhalten und diesen Betrag erst nach Erledigung des Umzugs an Herrn I. auszahlen wollen. Hiervon habe er dann jedoch Abstand genommen, um nicht in Versuchung zu geraten, das Geld im Urlaub anzutasten.
Mit Urteil des Amtsgerichts G. vom 26. Mai 2003 wurden der Kläger wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen a 20,00 € und Herr I. wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen a 20,00 € verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Mit Bescheid vom 7. Juli 2003 hob die Stadt G. daraufhin - nach vorheriger Anhörung des Klägers - ihren Bewilligungsbescheid vom 25. Juli 2001 teilweise in Höhe von 409,03 € (800,00 DM) auf. Zugleich setzte sie die vom Kläger zu erstattende Leistung auf 409,03 € fest und kündigte an, den zu erstattenden Betrag ab 1. August 2003 in monatlichen Raten von 74,00 € mit den laufenden Sozialhilfeleistungen an den Kläger aufzurechnen. Zur Begründung führte die Stadt G. aus, der Umzug sei entgegen den Angaben des Klägers nicht durch ein Umzugsunternehmen, sondern vom Kläger selbst durchgeführt worden. Tatsächlich seien dabei nur Kosten für die Anmietung eines Fahrzeugs i.H. von 102,26 € (200,00 DM) entstanden. Die Beihilfebewilligung vom 25. Juli 2001 in Höhe von 1.000,00 DM sei daher in dieser Höhe nicht gerechtfertigt gewesen. Auf schutzwürdiges Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, da er die höhere Beihilfe durch unwahre Angaben sowie eine falsche Bestätigung über die Umzugsdurchführung auf der Rechnung erlangt habe. Es seien auch keine gewichtigen Gründe dafür erkennbar, von einer Rückforderung ausnahmsweise abzusehen.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 10. Juli 2003 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2003 zurückwies.
Der Kläger hat am 22. Dezember 2003 Klage erhoben. Er trägt vor, keinen Einfluss auf die Wahl des Umzugsunternehmens gehabt zu haben. Hierüber habe allein das Sozialamt entschieden. Er selbst habe erst ca. 18 Stunden vor dem ursprünglich geplanten Umzugsbeginn von der Beauftragung des Herrn I. erfahren. Der Termin habe dann aber verschoben werden müssen, weil der Lkw des Herrn I. defekt gewesen sei. In der Zwischenzeit sei er dann mit seinen Söhnen in den Urlaub nach Mallorca geflogen. Diese Reise sei nicht von den Leistungen der Sozialhilfe, sondern durch seinen Stiefvater finanziert worden. Der Betrag von 1.000,00 DM sei an Herrn I. ausgezahlt worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Stadt C. vom 7. Juli 2003 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2003 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf seinen Widerspruchsbescheid und auf die strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen.
Mit Beschluss der Kammer vom 26. August 2004 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anhängen, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die ebenfalls beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft M. (Beiakten A bis C) Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der Bescheid der Stadt C. vom 7. Juli 2003 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2003 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Aufhebung sozialhilferechtlicher Verwaltungsakte ist in den §§ 44-49 SGB X geregelt.
Es wird danach unterschieden, ob es sich um belastende oder begünstigende, rechtmäßige oder rechtswidrige Verwaltungsakte handelt. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 7. Juli 2003 war auf § 45 SGB X gestützt.
Hiernach darf ein begünstigender Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Dabei liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 letzter Halbsatz SGB X).
Nur wenn eine der in den vorgenannten Nr. 1-3 genannten Voraussetzungen erfüllt ist, darf der Verwaltungsakt gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Für den Beginn der Frist ist der Tag maßgebend, an dem die Behörde die positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen erlangt, die eine Rücknahme zulassen. Erforderlich ist sichere Kenntnis. Solange berechtigte Zweifel bestehen, beginnt die Handlungsfrist nicht zu laufen. Die Tatsachen, die zur Aufhebung eines Bescheides berechtigen , müssen in der Weise aktenkundig sein, dass der Rücknahmetatbestand quasi „auf der Hand gelegen hat“ (vgl. Hauck/ Haines, SGB X, 45 Anm. 329).
In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze ist zunächst festzuhalten, dass der Bewilligungsbescheid der Stadt G. vom 25. Juli 2001 teilrechtswidrig gewesen ist.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 BSHG erhält Hilfe zum Lebensunterhalt auch in Form von einmaligen Beihilfen (vgl. § 21 Abs. 1 BSHG) nur derjenige, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten kann. Wer sich selbst helfen kann oder Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält, hat gemäß § 2 Abs. 1 BSHG keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Umzug nicht von dem beauftragten Umzugsunternehmen des Herrn I. durchgeführt wurde. Vielmehr wurde der Umzug schon nach den eigenen Angaben des Klägers ganz überwiegend von diesem selbst und seinen Familienangehörigen bewältigt. Herr I. leistete hierzu nur einen untergeordneten Beitrag. Tatsächlich benötigte der Kläger lediglich einen Betrag von 200,00 DM (102, 26 €) für die Anmietung eines Umzugsfahrzeugs. Eine Gewährung weiterer Leistungen über diesen Betrag hinaus war sozialhilferechtlich nicht gerechtfertigt.
Die Gewährung von Vertrauensschutz zu Gunsten des Klägers kommt nicht in Betracht. Der Bewilligungsbescheid vom 25. Juli 2001 beruhte nämlich auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich bzw. jedenfalls grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hatte. Der Kläger hatte zugunsten Herrn I. nämlich bereits vor der eigentlichen Durchführung des Umzugs eine Rechnung über die Umzugskosten ausgestellt. Für den Kläger musste dabei auf der Hand liegen, dass die Stadt G. bei Vorlage der Rechnung durch Herrn I. am 25. Juli 2001 davon ausgehen musste, dass dieser den Umzug ordnungsgemäß durchgeführt hätte.
Soweit der Kläger vorträgt, er habe den gesamten Betrag i.H. von 1.000,00 DM an Herrn I. für dessen Leistungen ausgezahlt, so vermag das Gericht dem aus mehreren Gründen nicht zu folgen:
Zum einen hat der Kläger widersprüchliche Angaben dazu gemacht, auf welche Weise das Geld an Herrn I. ausgezahlt wurde: Bei seiner Anhörung vor dem Sozialamt G. am 29. August 2001 erklärte er, sein Stiefbruder L. K. habe Herrn I. am 24. Juli 2001 den Betrag von 1.000,00 DM gegeben. Dagegen trug er im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vor, er selbst habe Herrn I. am 23. Juli 2001 einen Teilbetrag in Höhe von 850,00 DM gegeben, das restliche Geld habe Herr I. dann am 25. Juli 2001 von Herrn L. K. erhalten.
Weiterhin erscheint es dem Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger zunächst den Betrag von 150,00 DM bis zur Durchführung des Umzugs habe zurückhalten wollen, dann aber hiervon doch Abstand genommen und Herrn I. den gesamten Lohn noch vor Antritt seines Mallorca Urlaub - und damit auch vor dem Umzug, also vor jeglicher Leistung - ausgehändigt haben will. Eine solche Verfahrensweise erscheint auch deshalb als nicht glaubhaft, weil der geplante Umzug (nach dem Vorbringen des Klägers im Rahmen des Ermittlungsverfahrens) noch am 23. Juli 2001, also zwei Tage zuvor, wegen des „Fehlverhaltens“ des Herrn I. gescheitert gewesen sei.
Hinzu kommt, dass der Kläger selbst erklärt hat, Herr I. hätte beim Umzug, der Ende August 2001 stattfand, keine erhebliche Unterstützung geleistet und habe am Ende des Umzuges sogar aus der Wohnung geworfen werden müssen. Sollte dies der Fall gewesen sein, dann ist nicht erklärlich, weshalb der Kläger dieses Verhalten des Herrn I. nicht sogleich dem Sozialamt gemeldet und auch keinen Versuch unternommen hat, den ohne nennenswerte Gegenleistung gezahlten Lohn von Herrn I. zurückzuerlangen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger für die Durchführung des Umzugs einen LKW anmieten und hierfür weitere 200,00 DM bezahlen musste. Schließlich hat der Kläger auch keine Quittung vorgelegt, aus der sich irgendwelche Zahlungen an Herrn I. ergeben würden.
Da nichts dafür ersichtlich ist, dass die Stadt G. gehalten gewesen wäre, zu Gunsten des Klägers hier von einer Rückforderung abzusehen, wurde auch das Rückforderungsermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Stadt G. hätte bei dieser Sachlage nämlich gar nicht anders (rechtmäßig) handeln können.
Schließlich ist auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt. Denn sichere Kenntnis von der zweckwidrigen Verwendung der Umzugsbeihilfe hat die Stadt G. erst am 26. Mai 2003 im Rahmen des Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht G. erlangt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.