Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 07.09.2004, Az.: 4 A 4184/01
Bezug von Arbeitslosenhilfe; Bezug von Sozialhilfe; Einbürgerung; Gebühr; Mehrstaatigkeit ; Unzumutbarkeit; Vertretenmüssen
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 07.09.2004
- Aktenzeichen
- 4 A 4184/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50735
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 85 Abs 1 AuslG
- § 87 Abs 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein "Vertretenmüssen" der Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe setzt schuldhaftes Verhalten nicht voraus; das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind.
2. Der in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht zur Frage unzumutbar hoher Gebühren für die Enlassung aus der Staatsangehörigkeit gewählte Maßstab erscheint angemessen.
Tatbestand:
Der am . .1967 geborene Kläger zu 1. und die am . .1974 geborene Klägerin zu 2. stammen aus dem ehemaligen L. und sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige. Sie sind miteinander verheiratet und haben vier zwischen 1998 und 2003 geborene Kinder. Die am . .2000 bzw. am . .2003 geborenen Töchter sind deutsche Staatsangehörige.
Der Kläger zu 1. reiste am . .1992 in das Bundesgebiet ein. Durch Bescheid vom 19.09.1994 erkannte ihn das M. als Asylberechtigten an. Am 11.10.1994 erteilte ihm die Beklagte eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Die Klägerin zu 2. reiste am . .1992 in das Bundesgebiet ein. Durch Bescheid vom 14.12.1993 erkannte das M. sie als Asylberechtigte an. Am 12.11.1993 erteilte ihr die Beklagte eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Mit Bescheiden vom 18.10.2001 widerrief das M. die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte. Die gegen diese Bescheide gerichteten Klagen wies das Verwaltungsgericht Göttingen durch rechtskräftige Urteile vom 26.03.2002 (3 A 3047/02, betreffend den Kläger zu 1.) bzw. vom 29.09.2003 (3 A 3201/01, betreffend die Klägerin zu 2.) ab.
Bereits am 19.02.2001 hatten die Kläger bei der Beklagten ihre Einbürgerung beantragt. Die Beklagte entschied über diesen Antrag nicht, da sie die Auffassung vertrat, der Fortbestand der den Klägern erteilten Aufenthaltserlaubnisse könne erst nach bestandskräftiger Entscheidung im Asyl-Widerrufsverfahren geprüft werden.
Am 27.09.2001 haben die Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Sie halten es insbesondere im Hinblick darauf, dass sie zwei Kinder deutscher Staatsangehörigkeit haben, für fragwürdig, ob die Beklagte die ihnen erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis ermessensfehlerfrei widerrufen könne. Jedenfalls hätten sie einen Anspruch auf befristete Aufenthaltserlaubnisse, was zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzungen ausreiche. Es sei ihnen unzumutbar, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, da der Staat Serbien-Montenegro für die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit erhebliche Gebühren fordere. Der Kläger zu 1. betreibe einen Gebrauchtwagenhandel und die Familie nehme Sozialhilfe nicht in Anspruch.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, sie einzubürgern.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Kläger hätten keinen Anspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, weil sie seit ihrer Einreise Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen hätten. Eine befristete Aufenthaltserlaubnis reiche für eine Einbürgerung nicht aus, da sichergestellt sein müsse, dass die Kläger auf unabsehbare Zeit im Bundesgebiet verbleiben dürften. Nicht hinreichend geklärt sei auch, ob die Kläger über ausreichende Deutschkenntnisse verfügten und ob sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben würden. Letzteres sei ihnen zumutbar, da die vom Staat Serbien-Montenegro erhobene Gebühr unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze liege.
Der Kläger zu 1. hat zwischen April 2001 und März 2002 innerhalb einer Maßnahme nach § 19 des Bundessozialhilfegesetzes gearbeitet. Seinen Gebrauchtwagenhandel hat er im Februar 2004 wieder aufgegeben. Derzeit erhält er Arbeitslosenhilfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Akten in den Asyl-Widerrufsverfahren und der Ausländer- und Einbürgerungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Einbürgerung.
Ein Ausländer, der - wie die Kläger - seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) vorliegen. Erforderlich ist u. a., dass er eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzt (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AuslG), den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AuslG) und seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AuslG). Von der in Satz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung wird gemäß § 85 Abs. 1 S. 2 AuslG abgesehen, wenn der Ausländer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bestreiten kann.
Es kann offen bleiben, ob sich die Absicht der Beklagten, die den Klägern erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse zu widerrufen, auf die Frage einer Einbürgerung der Kläger auswirkt, denn eine solche Einbürgerung kommt unabhängig davon aus den im Folgenden dargelegten Gründen nicht in Betracht.
Die Kläger sind nicht in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe zu bestreiten (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AuslG). Sie leben derzeit von der dem Kläger zu 1. gewährten Arbeitslosenhilfe sowie von Kindergeld, Erziehungsgeld und Wohngeld. Der Umstand, dass sie auf den Bezug von Arbeitslosenhilfe angewiesen sind, steht ihrer Einbürgerung entgegen.
Die Kläger können sich nicht darauf berufen, sie hätten die Inanspruchnahme von Arbeitslosenhilfe nicht zu vertreten. Der Begriff des Vertretenmüssens beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB); erforderlich aber auch hinreichend ist vielmehr, dass der Ausländer durch ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den - fortdauernden - Leistungsbezug gesetzt hat. Der Begriff des zu vertretenden Grundes ist im öffentlichen Recht wertneutral auszulegen und setzt kein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten voraus. Das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind (OVG Münster, Urt. v. 01.07.1997 - 25 A 3613/95 -, InfAuslR 1998, 34 m. w. N.). Vorliegend liegt der Grund für das Angewiesensein auf den Bezug von Arbeitslosenhilfe im Verantwortungsbereich der Kläger.
Der Kläger zu 1. ist nach seinen Angaben zwischen 1982 und 1985 von seinem Vater zum Schlosser ausgebildet worden. Er befindet sich seit mehr als zwölf Jahren im Bundesgebiet und war nur während eines Bruchteils dieser Zeit von öffentlichen Leistungen unabhängig. Es ist ihm von Anfang an nicht gelungen, eine unselbständige Arbeit zu finden. Erst nach etwa 10 Jahren hat er für ein Jahr innerhalb einer Maßnahme nach § 19 des Bundessozialhilfegesetzes gearbeitet. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass er auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar wurde. Auch der Versuch, eine selbständige Tätigkeit auszuüben, ist gescheitert. Der Kläger zu 1. musste einen im Juni 2002 begonnenen gewerblichen Gebrauchtwagenhandel im Februar 2004 wieder aufgeben, weil er keine Erträge mehr abwarf. Seitdem ist der Kläger zu 1., der nach seinem eigenen Vortrag keine Erfahrung mit betrieblicher Arbeit hat, wiederum arbeitslos.
Die langfristige Arbeitslosigkeit des erst 37-jährigen Klägers zu 1., dem durch die Arbeitsverwaltung ohne Erfolg Vermittlungsvorschläge unterbreitet worden sind, hat ihren Grund nicht in objektiven, z. B. konjunkturellen Gegebenheiten, sondern liegt in der Person des Klägers selbst begründet. Dieser hat nach den Erkenntnissen des Gerichts seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nichts dazu getan, seine berufliche Qualifikation und somit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es ist nicht ersichtlich, dass er zu irgendeiner Zeit an Maßnahmen der beruflichen Bildung teilgenommen hat und auch seine Kenntnisse der deutschen Sprache sind nach wie vor verbesserungsbedürftig (wobei - wie auch bzgl. der Klägerin zu 2. - offen gelassen wird, ob die Sprachkenntnisse im Sinne von § 86 Nr. 1 AuslG ausreichend sind). Unter diesen Umständen ist er selbst dafür verantwortlich, dass die von Anfang an bestehende Schwierigkeit, Arbeit zu finden, sich infolge der langfristigen Arbeitsentwöhnung verstärkt hat. Er ist nicht wirtschaftlich integriert und seine Einbürgerung würde dem Gesetzeszweck widersprechen, wonach die (erleichterte) Einbürgerung am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen soll (vgl. BT-Drucks. 11/6321, 47 f.).
Dasselbe gilt für die Klägerin zu 2.. Diese hat vorgetragen, sie habe in ihrem Heimatland eine zweijährige Ausbildung zur Schneiderin absolviert. Ungeachtet dessen, dass sie derzeit wegen der Erziehung ihrer Kinder an der Erzielung von Erwerbseinkommen gehindert sein dürfte, erscheint offensichtlich, dass es ihr aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation nicht möglich wäre, den Lebensunterhalt für sich und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen ohne die Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe zu bestreiten. Auch sie hätte bis zur Geburt ihres ersten Kindes Gelegenheit gehabt, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es ist nicht ersichtlich, dass sie insoweit wie auch immer geartete Anstrengungen unternommen hat.
Die Kläger haben es zudem in der Vergangenheit und bis zur mündlichen Verhandlung abgelehnt, ihre serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit aufzugeben (§ 85 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AuslG). Dieser Umstand steht einer Verpflichtung der Beklagten zu ihrer Einbürgerung gleichfalls entgegen. Ein Einbürgerungsbewerber kann eine Einbürgerung so lange nicht verlangen, wie er nicht die andere Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung verliert oder sie zuvor aufgibt. Von dem Verlust der Mehrstaatigkeit als der entscheidenden Voraussetzung für die Einbürgerung kann nur dann vorübergehend abgesehen werden, wenn der ausländische Staat das Ausscheiden aus der Staatsangehörigkeit erst nach dem Vollzug der Einbürgerung in Deutschland zulässt (Nr. 8.1.2.6.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht - StAR-VwV - vom 13.12.2000, BAnz. Nr. 21a vom 31.01.2001 = GMBl. S. 122; Hess. VGH, Beschl. v. 03.12.2001 - 12 TG 2128/01 -, EzAR 605 Nr. 3). Dass dies im Fall des Staates Serbien und Montenegro der Fall ist, ist nicht ersichtlich. Die Kläger sind daher im für eine Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung als mehrstaatig anzusehen, ohne dass es auf die in dieser Verhandlung ausgesprochene Absichtserklärung, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, ankommt.
Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, ihre Ablehnung, die serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit aufzugeben, sei darauf zurückzuführen gewesen, dass ihnen die Aufgabe der Staatsangehörigkeit im Sinne von § 87 Abs. 1 S. 1 AuslG wegen der Höhe der zu zahlenden Gebühren unzumutbar gewesen sei. Entgegen ihrer Auffassung macht der Staat Serbien-Montenegro die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit nicht im Sinne von § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AuslG von unzumutbaren Bedingungen abhängig. Gemäß Nr. 87.1.2.3.2.1 StAR-VwV liegt eine unzumutbare Bedingung im Sinne der genannten Vorschrift insbesondere vor, wenn die bei der Entlassung zu entrichtenden Gebühren (einschließlich Nebenkosten wie z. B. Beglaubigungskosten) ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen des Einbürgerungsbewerbers übersteigen und mindestens 2.500 DM betragen (dies entspricht 1.278,23 Euro für jeden Einbürgerungsbewerber). Das Gericht hält diesen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gewählten Maßstab, den die Verwaltungspraxis in Einbürgerungsverfahren allgemein zugrunde legt, angesichts der Bedeutung des Entlassungsverfahrens für den Einbürgerungsbewerber für angemessen. Nach Auskunft des Generalkonsulats Hamburg des Staates Serbien und Montenegro vom 04.08.2004 betragen die Gebühren für Ehepartner, die auf einer gemeinsamen Entlassungsurkunde aufgeführt sind, insgesamt 1.262,00 Euro und liegen damit weit unter den noch als angemessen anzusehenden Kosten. Es hätte den Klägern offen gestanden, sich über diese Frage frühzeitig zu informieren und Anträge auf Entlassung aus ihrer serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit zu stellen.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus §§ 154, 159 S. 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, entsprechend dem Antrag der Kläger gemäß § 124 Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sieht das Gericht nicht. Insbesondere weist die Sache keine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit auf und ist auch nicht von grundsätzlicher Bedeutung, denn sie betrifft die Anwendung der Einbürgerungs-Regelungen in einem Einzelfall.