Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.09.2004, Az.: 1 A 70/04
Abschiebestopp; Abschiebungsandrohung; Abschiebungsankündigung; Duldung; Kosovo; maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.09.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 70/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50774
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 56 Abs 6 S 2 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Abschiebungsankündigung auf Vorrat liegt nicht vor, wenn aus Sicht der Ausländerbehörde die Abschiebung nicht unmöglich erscheint. Für diese Beurteilung ist der Zeitpunkt der Ankündigung maßgeblich.
Tatbestand:
Die Kläger halten die von der Beklagten mit Schreiben vom 6. April 2004 ausgesprochene Abschiebungsankündigung für gegenstandslos und begehren eine entsprechende gerichtliche Feststellung.
Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus Podujevo im Kosovo mit Roma-Volkszugehörigkeit. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. sind die Eltern der Kläger zu 3. bis 6.. Nach eigenen Angaben reisten die Kläger zu 1. und 2. im Oktober 1999 mit dem 1993 geborenen Kläger zu 3., dem 1995 geborenen Kläger zu 4. und dem 1996 geborenen Kläger zu 5. in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Klägerin zu 6. wurde im November 2000 in Göttingen geboren.
Am 27. Oktober 1999 zeigten die Kläger zu 1. bis 5. ihren Aufenthalt bei der Beklagten an und beantragten u. a. unter Hinweis auf ihre Volkszugehörigkeit Duldungen. Daraufhin erteilte die Beklagte nach Prüfung Duldungen, die fortlaufend verlängert worden sind. Unter dem 15. März 2004 erfolgte die Verlängerung bis zum 20. Juni 2004. Mittlerweile wurden die Duldungen weiterhin, zunächst bis zum 20. September 2004 und zuletzt bis zum 20. Dezember 2004, erteilt.
Bereits mit Bescheid vom 26. September 2002 hatte die Beklagte die Kläger nach Anhörung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet bis zum 15. November 2002 aufgefordert und für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien angedroht. Der Widerspruch dagegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 26. Mai 2003). Außerdem hatte die Beklagte die Kläger mit Bescheid vom 5. März 2003 aufgefordert, sich bis zum 10. April 2003 zu ihrer Auslandsvertretung zu begeben und sich dort um die Ausstellung von Nationalpässen oder Passersatzpapieren zu bemühen. Daraufhin hatte das Generalkonsulat Serbien und Montenegro unter dem 3. April 2003 von den Klägern unter anderem eine Bescheinigung über die serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit verlangt. Pässe oder Passersatzpapiere haben die Kläger bis heute nicht vorgelegt.
Mit Schreiben vom 6. April 2004 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass die Duldungen nicht mehr über den 20. Juni 2004 hinaus verlängert würden und erläuterte diese „Ankündigung der Abschiebung gem. § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG“ dahin, dass es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt handele. Vielmehr solle der betroffene Ausländer erneut auf seine Ausreisepflicht aufmerksam gemacht werden.
Gegen diese Mitteilung wandten sich die Kläger unter Hinweis darauf, dass eine Abschiebungsankündigung die reale Möglichkeit der Abschiebung voraussetze. Es sei aber auf unabsehbare Zeit davon auszugehen, dass diese Möglichkeit für Angehörige ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo nicht bestehe. Außerdem baten sie um kurzfristige Bestätigung, dass das Schreiben vom 6. April 2004 als gegenstandslos angesehen werden könne. Unter dem 21. April 2004 wiederholte die Beklagte den Inhalt des angegriffenen Schreibens und verwies darauf, dass es sich bei der Ankündigung um eine Anweisung der Bezirksregierung Braunschweig handele.
Am 26. April 2004 haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor:
Es gehe ihnen um die Klärung der Frage, ob zu einem Zeitpunkt, zu dem ersichtlich eine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sei, bereits eine Abschiebungsankündigung gemäß § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG zulässig sei, mithin um die Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses. Wegen des Zwecks der Abschiebungsankündigung, dem betreffenden Ausländer nach einem längeren, geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet Gelegenheit zu geben, etwaige persönliche oder wirtschaftliche Bindungen zu lösen oder abzuwickeln, ergebe sich aus § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG ein subjektives öffentliches Recht. Eine Abschiebungsankündigung quasi auf Vorrat verfehle den Zweck der genannten gesetzlichen Regelung. Dem Betroffenen werde der Schutz einer zuverlässigen Ankündigung und damit sein subjektives Recht genommen. Maßgeblich sei hier, dass die Voraussetzungen für eine Rückführung ethnischer Minderheiten in den Kosovo auf absehbare Zeit nicht gegeben seien, wie sich aus der UNHCR-Position zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnisch motivierten Auseinandersetzungen vom 30. März 2004, veröffentlicht am 9. April 2004, ergebe. Demgegenüber könne die Beklagte keine Anhaltspunkte dafür anführen, dass eine Rückführung von Angehörigen ethnischer Minderheiten ab dem 20. Juni 2004 wieder möglich gewesen wäre.
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass die mit Schriftsatz der Beklagten vom 6. April 2004 erfolgte Abschiebungsankündigung nach Maßgabe des § 56 Abs. 6 AuslG gegenstandslos ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hierzu erwidert sie, durch die Mitteilung vom 6. April 2004 werde ein Rechtsverhältnis der Kläger weder beeinträchtigt noch berührt. Die Kläger seien seit ihrer illegalen Einreise im Jahre 1999 gemäß § 42 AuslG zur Ausreise verpflichtet. Die Abschiebungsandrohung vom 26. September 2002 sei bestandskräftig. An diesem Rechtsverhältnis habe sich bisher nichts geändert. Die freiwillige Ausreise in ihr Heimatland sei den Klägern jederzeit möglich. An ihre Ausreisepflicht und die Möglichkeit der Abschiebung bei nicht freiwilliger Ausreise seien die Kläger durch das streitgegenständliche Schreiben erinnert worden. Zwar könnten zur Zeit wegen des Abschiebestopps für den Kosovo aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgesetzt werden. Dies bedeute aber nicht, dass eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts auf unabsehbare Zeit unmöglich sein sollte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Ausländerakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Dabei lässt die Kammer offen, ob die Kläger sich überhaupt mit einer Feststellungsklage gegen die Abschiebungsankündigung wenden können und ob im konkreten Fall das erforderliche Feststellungsinteresse für diese Klage besteht. Ebenso ist für die Entscheidung ohne Belang, ob eine Ausländerbehörde nach mehr als einjähriger Duldung - wie im Fall der Kläger - eine Abschiebungsankündigung aussprechen darf, wenn auch nach ihrer eigenen Erkenntnis im Zeitpunkt der Ankündigung absehbar eine Abschiebung tatsächlich und/oder rechtlich unmöglich ist, weil z. B. ein erlassener Abschiebestopp noch langfristig besteht oder gesundheitliche Gründe als Abschiebungshindernis anhaltend wirken. Denn dies ist hier nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für den Zeitpunkt der Ankündigung, auf den es insoweit für die Beurteilung ankommt, nicht der Fall.
Die Beklagte hatte die Kläger bereits mit dem (nach erfolglosem Widerspruchsverfahren) bestandskräftigen Bescheid vom 26. September 2002 zur Ausreise aufgefordert und ihnen die Abschiebung angedroht. Aus dem streitbefangenen Schreiben der Beklagten vom 6. April 2004 ergibt sich, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt die den Klägern seit ihrer Einreise im Oktober 1999 bzw. im Fall der Klägerin zu 6. nach deren Geburt im November 2000 fortwährend erneuerten, zuletzt bis zum 20. Juni 2004 erteilten Duldungen nicht mehr verlängern wollte. Dieser erklärten Absicht standen nämlich entgegen der Ansicht der Kläger damals keine für die Zeit nach dem 20. Juni 2004 definitiv erkennbaren Abschiebungshindernisse entgegen. Zwar hat auch die Beklagte mit Blick auf die Märzereignisse im Kosovo eine Abschiebung im April für nicht durchführbar gehalten, sie hat es aber als durchaus möglich angesehen, dass die internationalen und kosovarischen Sicherheitskräfte die Sicherheit der Bevölkerung jedenfalls bis zum 20. Juni 2004 dort allgemein wieder herstellen können würden und sich die Lage dadurch wieder entspannen würde. Mit Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 31.03.2004 (Az.: 45.22-12235/12-38-3) wurde lediglich darauf hingewiesen, dass „derzeit Abschiebungen ... von Minderheitenangehörigen ... in das Kosovo tatsächlich nicht möglich“ seien. Hiernach war aber nur „die für den 01.04.2004 geplante Rückführungsmaßnahme ... storniert“ und zu dem „für den 15.04.2004 geplante(n) Abschiebungsflug mit Minderheitenangehörigen“ mitgeteilt worden, dass er voraussichtlich nicht stattfinden könne. Für Anfang Juni war überdies nach Kenntnis der Beklagten eine aktuelle Einschätzung der Abschiebungslage durch übergeordnete Stellen vorgesehen.
An dieser nach damaliger Erkenntnislage für die Beklagte nicht abwegigen Einschätzung ändert auch der auf den weiteren Entwicklungen beruhende, zwischenzeitlich zu Gunsten ethnischer Minderheiten verlängerte Abschiebestopp für den Kosovo nichts.
Gemäß § 56 Abs. 6 Satz 1 AuslG wird ein Ausländer unverzüglich nach Erlöschen der Duldung ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben. Dies folgt daraus, dass gemäß § 56 Abs. 1 AuslG die Ausreisepflicht eines geduldeten Ausländers unberührt bleibt. § 56 Abs. 6 Satz 2 AuslG statuiert lediglich eine Ausnahme von der unverzüglichen Abschiebung und schreibt mit der mindestens einen Monat vorher erforderlichen Abschiebungsankündigung nur für den genannten Personenkreis eine zusätzliche vorbereitende Maßnahme vor. Nach dem 2. Halbsatz dieser Regelung ist die Abschiebungsankündigung zu wiederholen, wenn die Duldung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Daraus ergibt sich, dass eine Abschiebungsankündigung nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann Wirkungen entfaltet, wenn ihr bei nicht freiwilliger Ausreise die angekündigte Abschiebung nicht zeitnah folgt, sondern der betroffene Ausländer weiter geduldet wird. Das Gesetz sieht für diesen Fall gerade nicht vor, dass eine Abschiebungsankündigung bei erneuerter Duldung für gegenstandslos zu erklären ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.