Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 02.09.2004, Az.: 4 A 4046/02

Familienhaushalt; Mittelpunkt der Lebensbeziehungen; Student; vorübergehende Abwesenheit; Wohngeld

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
02.09.2004
Aktenzeichen
4 A 4046/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50737
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Wohngeldleistungen.

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Am 31.01.2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Wohngeld in Form eines Mietzuschusses. Dabei gab sie an, sie sei am 01.10.2000 in ein durch das Studentenwerk D. vermietetes Doppelappartement eingezogen. Sie studiere seit dem Wintersemester 1994/95 und damit im 13. Fachsemester Medizin an der Universität D.. Bis Oktober 1994 habe sie in der Wohnung ihrer Eltern in J. ein Zimmer bewohnt, das ihr nach ihrem Auszug für Besuche weiterhin zur Verfügung stehe. Nach Ablauf der BAföG-Höchstdauer erhalte sie geringfügige Unterhaltsleistungen von ihren Eltern und beziehe im Übrigen Einkommen aus Sitzwachen im Klinikum der Universität D. in einem Umfang von etwa 4.600,00 DM jährlich.

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Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin durch Bescheid vom 06.04.2001 (zugestellt am 11.04.2001) ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei nur vorübergehend vom Familienhaushalt abwesend, da dieser weiterhin den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen darstelle. Die elterliche Wohnung verfüge über eine ausreichende Größe. Der Klägerin stehe dort noch ein Zimmer zur Verfügung. Ihr Lebensunterhalt sei nicht unabhängig von Leistungen Dritter gewährleistet. Bei den Sitzwachen im Klinikum handele es sich um einen studententypischen Job. Es sei nicht objektiv erkennbar, dass die Klägerin sich in einer Weise vom Familienhaushalt gelöst habe, die eine Rückkehr unwahrscheinlich erscheinen lasse. Sie habe den Familienhaushalt wie jeder andere Student aus Anlass des Studiums verlassen und keine weitergehende Entscheidung getroffen, die die Vermutung, sie gehöre diesem Familienhaushalt noch an, entkräften könne.

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Am 08.05.2001 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Sie machte geltend, die Wohnung ihrer Eltern sei schon seit mehr als fünf Jahren nicht mehr ihr Lebensmittelpunkt. In diesen Jahren sei sie innerhalb D. mehrfach umgezogen. Ihr Freundeskreis und ihr soziales Umfeld befinde sich in D.. Sie werde von ihrem Lebenspartner, mit dem sie in einer mehrjährigen Beziehung stehe, und von ihren Eltern in geringfügigem Maße unterstützt. Die Unterstützung der Eltern erschöpfe sich in kleineren Sachleistungen und dem Fahrgeld für Besuche. Sie habe ihren Unterhalt bis Ende 2000 durch BAföG-Leistungen finanziert. Die Eltern bezögen Renten und seien zu einer ausreichenden Unterstützung nicht in der Lage. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass angehende Ärzte nach Abschluss des Studiums nicht wieder in den Familienhaushalt zurückkehrten. Ein Zimmer stehe ihr im Haus ihrer Eltern nur deshalb noch zur Verfügung, weil mehrere ihrer fünf Geschwister ausgezogen und daher mehrere Räume unbenutzt seien.

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Die Bezirksregierung Braunschweig wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 30.01.2002 (zugestellt am 01.02.2002) zurück.

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Am 01.03.2002 hat die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe begehrt und einen Klageentwurf eingereicht. Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Gerichts vom 13.12.2002 hat die Klägerin sodann am 24.12.2002 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihren bisherigen Vortrag. Seit dem 01.08.2002 bewohnen die Klägerin und ihr Lebensgefährte eine gemeinsame Wohnung.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 06.04.2001 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 30.01.2002 zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 01.01.2001 bis zum 31.07.2002 Wohngeldleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren

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sowie

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die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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hilfsweise,

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die Berufung zuzulassen.

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Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihren bisherigen Vortrag.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Bezirksregierung Braunschweig Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig. Der Klägerin wird gemäß § 60 VwGO bzgl. der Klagefrist des § 74 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Sie hat innerhalb der Klagefrist zunächst einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt und innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO am 24.12.2002 Klage erhoben, nachdem das Gericht ihr durch Beschluss vom 13.12.2002 die begehrte Prozesskostenhilfe bewilligt hatte.

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Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Wohngeldleistungen für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis zum 31.07.2002 in Form eines Mietzuschusses nach § 1 Abs. 1 des Wohngeldgesetzes (WoGG).

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Zwar wird Wohngeld in der Regel nur für einen Bewilligungszeitraum von 12 Monaten bewilligt (§ 27 Abs. 1 S. 1 WoGG) und hat die Klägerin für die Zeit ab dem 01.01.2002 keinen neuen Antrag (vgl. § 3 Abs. 1 WoGG) auf Bewilligung von Wohngeld gestellt. Dies führt jedoch nicht zum Scheitern eines Anspruchs auf Wohngeld für den Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.07.2002. Die Klägerin hat den ursprünglich gestellten Antrag vom 31.01.2001 uneingeschränkt gestellt und auch der ablehnende Bescheid vom 06.04.2001 bezieht sich nicht auf einen bestimmten Bewilligungszeitraum. Unter diesen Umständen ist es der Klägerin nicht anzulasten, dass sie während des noch laufenden Widerspruchsverfahrens für die Zeit nach dem 31.12.2001 keinen neuen Wohngeldantrag gestellt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.01.1990 - 8 C 58.89 -, BVerwGE 84, 278 und Urt. v. 02.05.1984 - 8 C 94.82 -, BVerwGE 69, 198).

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Die Beklagte hat die Gewährung von Wohngeld durch Bescheid vom 06.04.2001 ausschließlich mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin sei noch dem Haushalt ihrer Eltern zuzurechnen, da sie von diesem nur vorübergehend abwesend sei. Diese Auffassung teilt das Gericht nicht.

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Gemäß § 18 Nr. 3 WoGG besteht ein Anspruch auf Wohngeld nicht für Wohnraum, der von Personen während der Zeit benutzt wird, in der sie vom Familienhaushalt vorübergehend abwesend sind (§ 4 Abs. 3 WoGG). Vorübergehend abwesend sind Familienmitglieder, wenn der Familienhaushalt auch während der Abwesenheit Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen bleibt (§ 4 Abs. 3 S. 2 WoGG). Gemäß § 4 Abs. 3 S. 3 WoGG spricht hierfür eine Vermutung, solange die Familienmitglieder noch für ihre Lebenshaltung überwiegend von anderen zum Haushalt rechnenden Familienmitgliedern unterstützt werden. Nach dem Vortrag der Klägerin und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung war die Klägerin im streitigen Zeitraum vom 01.01.2001 bis zum 31.07.2002 bereits auf Dauer vom Familienhaushalt ihrer Eltern abwesend.

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Der Versagungsgrund der „vorübergehenden Abwesenheit“ stellt seiner gesetzlichen Konzeption nach auf einen Interessengegensatz zwischen dem Familienhaushalt einerseits und dem abwesenden Familienmitglied andererseits ab. Das sich von der Familie trennende Familienmitglied kann solange keinen eigenen Wohngeldanspruch erwerben, wie es im (Wohngeld-)Interesse der (Rest-)Familie deren Haushalt zuzurechnen ist. Das ist der Fall, solange vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, die Rückkehr des Abwesenden in den Familienhaushalt sei nicht unwahrscheinlich und es obliege daher der (Rest-)Familie, für den Abwesenden weiterhin Wohnraum vorzuhalten. Abgrenzungserheblich sind in diesem Zusammenhang vornehmlich Umstände, die objektiv erkennen lassen, dass sich das abwesende Familienmitglied derart vom Familienhaushalt gelöst hat, dass seine Rückkehr unwahrscheinlich geworden ist und daher die verbleibende Familie bei einem (gedachten) Wohngeldantrag nicht mehr erwarten kann, der Abwesende sei zu ihren Gunsten wohngelderhöhend zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.05.1984 - 8 C 175.81 -, BVerwGE 69, 202). Das Gericht erkennt hier derartige objektive Umstände.

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Die Klägerin ist bereits zum Wintersemester 1994/1995 aus der Wohnung ihrer Eltern in J. bei K. ausgezogen. Sie hat in D. im Verlauf des Studiums verschiedene Wohnungen bewohnt und ist nur sporadisch besuchsweise in die Wohnung ihrer Eltern zurückgekehrt. Auch in den Semesterferien hat sie sich mit kurzfristigen Ausnahmen nicht länger dort aufgehalten, sondern gearbeitet, um ihr Studium zu finanzieren, und Famulaturen absolviert. Der Umstand, dass das früher von der Klägerin im Haus ihrer Eltern bewohnte Zimmer noch nicht umgestaltet worden ist, spricht nicht entscheiden dagegen, dass sich die Klägerin bereits seit längerer Zeit auf Dauer von ihrem Elternhaus gelöst hat. Die Klägerin hat hierzu schlüssig vorgetragen, den Eltern stehe nach dem Auszug mehrerer ihrer fünf Geschwister ungenutzter Wohnraum in größerem Umfang zur Verfügung und allein hierauf sei es zurückzuführen, dass das ehemalige Kinder- bzw. Jugendzimmer nicht anderweitig genutzt werde.

24

Die Klägerin ist auch seit mehreren Jahren und war im streitbefangenen Zeitraum von ihren Eltern finanziell unabhängig. Sie bezog zu Beginn ihres Studiums Leistungen der Ausbildungsförderung und finanzierte ihr Studium nach Ablauf des BAföG-Bewilligungszeitraums aus einer gelegentlichen Tätigkeit an der Universitätsklinik D., wo sie Sitzwachen leistete. Später wurde sie zusätzlich durch ihren derzeitigen Lebenspartner unterstützt. Dagegen leisteten ihre Eltern, die nur über geringe Rentenansprüche verfügen, keine regelmäßigen Unterstützungszahlungen und übernahmen auch ansonsten keine nennenswerten Hilfeleistungen für die Klägerin.

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Auch der Umstand, dass sich - bezogen auf den streitigen Zeitraum - der Freundeskreis der Klägerin in D. befand und sie ihre Freizeitaktivitäten in dieser Stadt gestaltete, spricht dafür, dass sich ihr Lebensmittelpunkt hier befand und sie sich aus ihrem Elternhaus endgültig gelöst hatte. Bereits seinerzeit plante sie, mit ihrem Lebenspartner zusammen zu ziehen, und erwarb gemeinsam mit diesem bereits Einrichtungsgegenstände. Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass sich die Klägerin bereits am 01.01.2001 endgültig vom Haushalt ihrer Eltern gelöst hatte und daher von diesem Haushalt nicht nur vorübergehend abwesend war.

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Hiergegen spricht auch nicht, dass die Klägerin ihre D. Wohnung im streitbefangenen Zeitraum weiterhin als Zweitwohnsitz angemeldet hatte. Die Aufrechterhaltung dieses Status´ dürfte kaum den tatsächlichen melderechtlichen Gegebenheiten entsprochen haben und gibt daher bereits deshalb für die Beurteilung der wohngeldrechtlichen Frage nichts her.

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Der Wohngeldanspruch der Klägerin scheitert auch nicht an § 41 Abs. 3 WoGG, wonach dieses Gesetz nicht auf Haushalte anwendbar ist, zu denen ausschließlich Familienmitglieder rechnen, denen Leistungen zur Förderung der Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach zustehen (vgl. hierzu Nr. 41.31 Abs. 1 Lit. f der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Wohngeldgesetz), denn die Förderungshöchstdauer nach dem BAföG war nach dem 01.01.2001 bereits überschritten und es ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für weitere Förderleistungen in der Person der Klägerin vorlagen.

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Gründe, entsprechend dem Antrag der Beklagten gemäß § 124 Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sieht das Gericht nicht. Insbesondere hat die Sache entgegen der Auffassung der Beklagten keine grundsätzliche Bedeutung, denn sie betrifft den Anwendungsbereich des § 18 Nr. 3 WoGG in einem Einzelfall.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO notwendig, da die Klägerin der rechtskundigen Unterstützung bedurfte, um ihre Rechte und Ansichten gegenüber der Beklagten ausreichend zu vertreten.