Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 06.03.2018, Az.: 3 A 398/15

begründen; gewöhnlicher Aufenthalt; Jugendhilfe; Kosten; Kostenerstattung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.03.2018
Aktenzeichen
3 A 398/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfasst § 86 Abs. 5 Satz 2, Alt. 2 SGB VIII (a. F.) nicht die Fälle, in denen die Eltern bereits bei oder vor Beginn der Hilfe verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besessen haben (ständige Rechtsprechung der Kammer).

Rückerstattungen nach § 112 SGB X als Kosten im Sinne des § 89 a Abs. 1 Satz 1SGB VIII.

maßgeblicher Zeitpunkt für den Ausschluss beziehungsweise die Verjährung von Kostenerstattungsansprüchen nach §§ 111, 113 SGB X.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Jugendhilfeleistungen, die er für S. (im Folgenden: Kind) erbracht hat.

Das Kind wurde am ... 1988 in C. geboren. Das Sorgerecht stand nach der Geburt alleine der Kindesmutter zu, die zum März 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten begründete. Der Kindesvater hat(te) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in C..

Auf den Antrag der Mutter vom 9. Oktober 1990 bewilligte ihr die Beklagte ab diesem Datum Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege und brachte das Kind zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie in ihrem Gemeindegebiet unter. Mit Beschluss vom 13. November 1990 entzog das Amtsgericht Hannover der Mutter das Sorgerecht und bestellte zunächst das Jugendamt der Beklagten zum Vormund. Zum 8. Mai 1993 wechselte das Kind von der Bereitschaftspflegestelle in eine Sonderpflegestelle. Die Pflegefamilie „J.“ wohnte zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls auf dem Gemeindegebiet der Beklagten, zog aber am 3. Juli 1995 in das Gebiet des Klägers um. Auf den Antrag der Beklagten vom 30. Juni 1995 übernahm dieser den Hilfefall mit Wirkung vom 1. Oktober 1995. Ab diesem Zeitpunkt erkannte die Beklagte mit Erklärung vom 6. Oktober 1995 ihre Kostenerstattungspflicht an. Das Kind erhielt im Anschluss an die Hilfe zur Erziehung Hilfe für junge Volljährige. Im Juli 2007 verließ es den Haushalt der Pflegeeltern. Zum 31. Dezember 2007 wurde die Hilfe eingestellt.

Zum 1. Januar 1996 verzog die Kindesmutter nach Baden-Württemberg und hielt sich – mit Unterbrechungen – in der Stadt Q. auf. Seit dem 26. August 2002 hatte sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt ununterbrochen in Q..

Der Kläger bat die Stadt Q. mit Schreiben vom 14. Juli 2003 um ein Kostenanerkenntnis nach § 89a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Die Stadt Q. erkannte daraufhin mit Schreiben vom 5. Februar 2004 ihre Kostenerstattungspflicht ab dem 27. August 2002 an. Für den Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum Ende der Hilfe am 31. Dezember 2007 erstattete sie dem Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 26.830,13 Euro.

Unter dem 30. November 2011 sowie mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 wandte sich die Stadt Q. an den Kläger mit der Bitte, ihr die im Wege der Kostenerstattung geleisteten Aufwendungen nach § 112 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzuerstatten. Die Kostenerstattung sei zu Unrecht erfolgt, denn unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 9. Dezember 2010 – 5 C 17.09 –, sei davon auszugehen, dass die Beklagte trotz des Umzugs der Kindesmutter nach Q. für die Gewährung von Jugendhilfe ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig geblieben wäre.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 „vorsorglich“ die Anerkennung ihrer Kostenerstattungspflicht nach § 89a SGB VIII für den Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2007. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 16. Januar 2012 unter Verweis auf die Ausschlussfrist nach § 111 SGB X ab. Gegenüber der Stadt Q. lehnte der Kläger eine Rückerstattung ab.

Am 29. Dezember 2011 erhob die Stadt Q. vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen den Kläger. Dieser machte mit Schreiben vom 27. April 2012 gegenüber der Beklagten eine Kostenerstattung in Höhe von 26.830,13 Euro zuzüglich Zinsen geltend und forderte eine Zahlung des Betrages an die Stadt Q.. Das Verwaltungsgericht Lüneburg lud die Beklagte in dem dortigen Verfahren bei. Mit Urteil vom 11. Juni 2013 – 4 A 277/11 – verpflichtete es den Kläger, Jugendhilfeleistungen in Höhe von 26.830,13 EUR nebst Prozesszinsen an die Stadt Q. zurückzuerstatten. Zur Begründung bezog sich das Gericht im Wesentlichen auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2010. Dagegen beantragte der Kläger unter dem 20. Juni 2013 die Zulassung der Berufung und forderte parallel die Beklagte unter dem 13. August 2013 erneut zur Kostenerstattung auf. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht lud die Beklagte ebenfalls bei und lehnte nachfolgend den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 24. September 2014 – 4 LA 156/13 – ab. Im Hinblick auf die Einzelheiten der gerichtlichen Entscheidungsgründe wird auf die in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Abschriften verwiesen.

Unter Bezugnahme auf das nunmehr rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg forderte der Kläger die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. September 2014 abermals auf, ihm die von ihm an die Stadt Q. zu entrichtende Rückerstattung zuzüglich der Prozesszinsen zu erstatten. Hierzu führte er aus, das Oberverwaltungsgericht habe in seinem Beschluss vom 24. September 2014 festgestellt, dass die Beklagte der örtlich zuständige Jugendhilfeträger gewesen sei. Hieran sei sie aufgrund ihrer Beiladung in dem damaligen Verfahren gebunden. In ihrem Antwortschreiben vom 1. Oktober 2014 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung weiterhin ab. Sie trug vor, aus der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts gehe ihre Kostenerstattungspflicht nicht hervor. Dort sei nur dargelegt, dass sie ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII örtlich zuständig gewesen wäre. Darüber hinaus verwies sie auf die Ausschluss- und Verjährungsfristen nach den §§ 111 und 113 SGB X. Mit Schreiben vom 5. November 2014 forderte der Kläger die Beklagte letztmalig zur Kostenerstattung auf. Am 6. November 2014 zahlte er an die Stadt Q. einen Betrag in Höhe von insgesamt 30.377,60 Euro. Die Beklagte lehnte gegenüber dem Kläger unter dem 18. November 2014 eine Kostenerstattung abermals ab.

Am 23. Januar 2015 hat der Kläger Klage erhoben. Er führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Ihm stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu. Dieser Anspruch sei nachträglich dadurch entstanden, dass die Stadt Q. ihre bisherigen Kostenerstattungen für die Vollzeitpflege des Kindes gemäß § 112 SGB X zurückgefordert habe. Dass die Beklagte für die Jugendhilfeleistungen nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII (in der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung; im Folgenden: a. F.) örtlich (grund-)zuständig gewesen sei, sei durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Juni 2013 sowie durch den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2014 rechtskräftig festgestellt. Die Beklagte sei hieran gebunden, da sie in beiden Verfahren als Beigeladene beteiligt gewesen sei. Sein Anspruch sei nicht nach § 111 SGB X ausgeschlossen. Die Beklagte verkenne insoweit, dass es diesbezüglich nicht auf das Ende der Jugendhilfemaßnahme, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung der Jugendhilfekosten am 6. November 2014 ankomme. Dass die tatsächliche Zahlung hier durch die Rückforderung der Stadt Q. nach § 112 SGB X ausgelöst worden sei, sei nicht erheblich. Weil er aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg Jugendhilfeaufwendungen für das Kind tatsächlich getätigt habe, handele es sich um Aufwendungen im Sinne des § 89a Abs. 1 SGB VIII. Diese Rechtslage ergebe sich aus dem in § 89a SGB VIII verwendeten allgemeinen Begriff der „Aufwendungen“. Erst mit der Rechtskraft des ihm gegenüber festgestellten Rückzahlungsanspruches der Stadt Q. aus § 112 SGB X habe er erstmals Geldleistungen für die Pflegestelle des Kindes „aufgewendet“ im Sinne des § 89a SGB VIII. Der Begriff der Aufwendung setze nach den vorhandenen Legaldefinitionen in § 6 Abs. 2 des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes (NVwKostG) und § 256 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die tatsächliche Bezahlung durch den Aufwendenden voraus. Anderenfalls wären die Aufwendungen in Höhe von 2.780,90 Euro für das Jahr 2007, zu denen er erst nach einem Gerichtsverfahren mit dem Kind durch Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 27. Januar 2009 verpflichtet worden sei, nie ersatzfähig. Nach der einheitlichen Rechtslage – zum Beispiel § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB – beginne die Ausschlussfrist der Verjährung zeitlich erst nach der Entstehung eines Anspruches zu laufen. Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X müsse aber, da sie einen identischen Zweck verfolge, auf den gleichen Grundsätzen beruhen, wie die anderen Verjährungsvorschriften. Eine solche Auslegung gebiete auch der mit der Kostenerstattungsregelung verbundene Schutz der Pflegestellenorte. Diese sollten auf keinen Fall die von anderen Jugendämtern veranlassten Kosten zu tragen haben. Der besondere Schutz von Pflegestellenorten schränke über § 37 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die Anwendung des § 111 SGB X im Hinblick auf Kostenerstattungsansprüche nach § 89a SGB VIII ein. § 111 SGB X erfasse keine Kosten, die erst nach dem Ende der geleisteten Hilfe entstanden seien. Die Ausschluss- und Verjährungsfrist beginne danach erst in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem ihm die Aufwendungen mit der Zahlung an die Stadt Q. entstanden seien. Zu solchen künftigen Kosten im Sinne des § 89a SGB VIII des nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen Jugendamtes zählten auch Kosten, die erst im Nachhinein durch eine Rückzahlung gegenüber einer dritten Behörde nach § 112 SGB X entstanden seien. Die aufgrund des Schutzes der Pflegestellenorte gebotene einschränkende – teleologische – Auslegung des § 111 SGB X habe das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen bereits vorgenommen. Der Wortlaut der §§ 111, 113 SGB X gelte dagegen nur für den Normalfall.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 30.377,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an ihn zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 5. April 2007 – 5 C 25.05 –, seien mit den Kosten der Jugendhilfe im Sinne des § 89a SGB VIII, die aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII entstünden, nur Kosten der Leistungen der Jugendhilfe im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VIII gemeint. Dies ergebe sich aus § 89f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wonach Kosten nur zu erstatten seien, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entspreche. Nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift wären dies materielle und formelle Regelungen des SGB VIII nicht aber des SGB X.

Die Kosten der Jugendhilfe seien dem Kläger unstrittig im Zeitraum vom 1. Oktober 1995 bis zum 31. Dezember 2007 selbst entstanden. Er habe die Leistungen als örtlich zuständiger Träger auch selbst erbracht. Die von dem Kläger geltend gemachten Kosten seien von ihm jedoch im Rahmen einer Rückabwicklung zu Unrecht erhaltener Kostenerstattung gemäß § 112 SGB X an einen anderen Jugendhilfeträger zu erstatten gewesen. Es handele sich daher nicht um Kosten, die aufgrund der Rechtsnorm des § 86 Abs. 6 SGB VIII entstanden seien. Kosten nach § 112 SGB X könnten nicht im Rahmen einer Kostenerstattungspflicht nach §§ 89 ff. SGB VIII geltend gemacht werden. § 112 SGB X regele abschließend den Ausgleich zwischen den Beteiligten eines zu Unrecht erfolgten Erstattungsvorganges, nicht jedoch Kostenerstattungsansprüche eines nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen Jugendhilfeträgers gegen den nach § 89a SGB VIII erstattungspflichtigen Träger. Diese Tatsache schließe die von dem Kläger geltend gemachte Kostenerstattung aus. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg habe in seinem Urteil vom 24. November 2005 – 7 S 577/05 – ausgeführt, dass der Schuldner einer Rückerstattung dem gegen ihn gerichteten Anspruch aus § 112 SGB X nicht entgegenhalten könne, dass er selbst wegen Versäumung der Frist des § 111 SGB X von dem nach der materiellen Rechtslage in Wahrheit zur Erstattung Verpflichteten keine Zahlung mehr verlangen könne. Kostenerstattungsansprüche nach den §§ 89 ff. SGB VIII unterlägen in analoger Anwendung der §§ 111 und 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden seien, der Verjährung. Der Kläger habe die Erstattungsansprüche für die von ihm für den Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2007 erbrachte Jugendhilfeleistung jedoch erst mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 – zugegangen am 23. Dezember 2011 – geltend gemacht. Da die Leistungsgewährung der Jugendhilfe zum 31. Dezember 2007 geendet habe, sei die für die Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs maßgebliche Ausschlussfrist des § 111 SGB X am 31. Juli 2008 abgelaufen. Die Forderungen des Klägers seien zudem nach § 113 SGB X verjährt. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht habe zwar zutreffend festgestellt, dass ohne die Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII sie, die Beklagte, der örtlich zuständige Jugendhilfeträger gewesen sei. Sie sei jedoch in dem vorgenannten Verfahren nicht zur Erstattung der Kosten gemäß § 89a SGB VIII verpflichtet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsvorgänge haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht der gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung im Ergebnis nicht zu.

1. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII – für den Zeitraum der Hilfe für junge Volljährige in Verbindung mit § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII –. Danach sind Kosten, die ein örtlicher Träger auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Diese Voraussetzungen sind im Rechtsverhältnis der Beteiligten zueinander nicht vollständig erfüllt.

a) Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei den von dem Kläger an die Stadt Q. gezahlten Rückerstattungsbeträgen allerdings – zumindest weitestgehend – um Kosten, die er im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat.

aa) Der Ansicht der Beklagten, dass im Rahmen des § 89a SGB VIII nur eine Erstattung direkter Kosten der Jugendhilfe möglich ist, steht – schon generell – die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen. Danach macht § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII den Anspruch auf Erstattung nicht davon abhängig, dass der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige Jugendhilfeträger selbst oder mit Hilfe Dritter Jugendhilfeleistungen erbracht hat. Die Norm setzt lediglich voraus, dass der Kostenerstattung begehrende Jugendhilfeträger aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII "Kosten aufgewendet hat". Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, aber auch dann der Fall, wenn der Jugendhilfeträger zwar die Jugendhilfeleistung weder unmittelbar selbst noch mittelbar durch einen Dritten erbracht hat, er aber gerade wegen seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII einem anderen Sozialleistungsträger Kosten für die von diesem erbrachten Jugendhilfeleistungen erstatten musste. Denn wenn Grund der Verpflichtung zur Erstattung gerade die Leistungszuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII ist, wendet der Jugendhilfeträger auch mit der Erstattung der vom anderen Jugendhilfeträger aufgewendeten Kosten selbst Kosten auf, und zwar gerade aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII (BVerwG, Urt. v. 05.04.2007 – 5 C 25/05 –, juris, Rn. 11).

bb) Diese Bewertung ist auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar, in der der Kläger nicht die Erstattung von Erstattungskosten, sondern die Erstattung von Rückerstattungskosten verlangt. Dafür, dass ein nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständiger Jugendhilfeträger auch die für eine von ihm zu leistende Rückerstattung gemäß § 112 SGB X aufgewendeten Kosten gemäß § 89a SGB VIII erstattet verlangen kann, sprechen der Wortlaut und der Sinn und Zweck der Vorschrift.

(1) Der Wortlaut des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verlangt lediglich, dass Kosten auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet worden sind. Er ist also eher weit gefasst. Eine Einschränkung dahingehend, dass Kosten ausgenommen sind, die gemäß § 112 SGB X im Wege der Rückabwicklung einer fehlgeschlagenen Erstattung nach § 89a SGB VIII angefallen sind, enthält er nicht. Dem reinen Wortlaut nach ist lediglich (irgend-)eine kausale Verbindung zwischen der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII und den aufgewendeten Kosten erforderlich aber auch ausreichend.

Diese Vorgabe ist im Falle der von dem Kläger geltend gemachten Forderung – zumindest weitestgehend – erfüllt. Der Kläger war in dem streitgegenständlichen Zeitraum weitestgehend, nämlich (nur) bis zum Auszug des leistungsempfangenden jungen Menschen aus dem Haushalt der Pflegeeltern im Juli 2007 (vgl. § 86 Abs. 6 Satz 3 SGB VIII) nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig. Er hatte aufgrund dieser Zuständigkeit Jugendhilfeleistungen erbracht und dafür zunächst Kosten aufgewendet. Nach dem zum damaligen Zeitpunkt allgemein konsentierten Verständnis der Rechtslage hatte er für seine Aufwendungen nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Kostenerstattung bei der Stadt Q. geltend gemacht und erhalten. Nach der ab dem Jahr 2009 geänderten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 86 Abs. 5 SGB VIII a. F. bestand dann für die Stadt Q. – vermeintlich – (doch) keine Kostenerstattungspflicht gegenüber dem Kläger. Grund hierfür war, dass nach dem neuen Rechtsverständnis des Bundesverwaltungsgerichts ohne die Zuständigkeit des Klägers nach § 86 Abs. 6 SGB VIII nicht die Stadt Q., sondern die Beklagte örtlich zuständig gewesen wäre. Die Stadt Q. forderte deshalb die dem Kläger zunächst nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstatteten Kosten unter Verweis auf die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts über § 112 SGB X zurück und klagte sie schließlich erfolgreich ein.

Ohne seine Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII hätte der Kläger aber überhaupt keine Jugendhilfe geleistet. Er hätte für die dafür getätigten Aufwendungen keine Erstattung gegenüber der Stadt Q. verlangt und es wäre in der Folge auch nicht zu der gerichtlich ausgeurteilten Rückabwicklung dieser Erstattung gekommen.

(2) Auch der Sinn und Zweck des § 89a SGB VIII gebieten diese Auslegung. Die Norm dient dem Schutz des Pflegestellenortes. Die dem § 86 SGB VIII grundsätzlich innewohnende Systematik der Zuständigkeit des „Heimat“- beziehungsweise des „Herkunftsjugendamtes“ wird von § 86 Abs. 6 SGB VIII – wonach der Pflegestellenort zuständig wird – durchbrochen. § 89a SGB VIII schafft hierfür einen Ausgleich, um die ursprüngliche Systematik auf der Kostenebene wiederherzustellen (Loos in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl., § 89a Rn. 1). Würde aber ein Jugendhilfeträger, der nur aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII geleistet hat, schon deshalb die Jugendhilfekosten letztlich selbst tragen müssen, weil die erste Erstattung rückabgewickelt werden muss, würde der vom Gesetzgeber beabsichtigte Zweck, den Pflegestellenort vor einer Kostenbelastung zu schützen, übermäßig relativiert. Dies erschiene gerade mit Blick auf den vorliegenden Fall deshalb unbillig, weil die von der Stadt Q. an den Kläger geleistete Erstattung allein aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung rückabgewickelt worden ist. Den Kläger trifft hieran weder ein Verschulden, noch bestand für ihn die Möglichkeit, diese Situation in irgendeiner Form zu vermeiden. Ausgehend hiervon ist es nicht sachgerecht, einem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständigen Träger das Risiko aufzubürden, dass stets die erste Erstattungsforderung erfolgreich sein muss, und ihn ansonsten, entgegen der gesetzlichen Intention, die Jugendhilfekosten selbst tragen zu lassen. Dagegen spricht nicht zuletzt auch, dass der Kläger sich aufgrund der Rückzahlung an die Stadt Q. (wieder) in einer Situation befindet, die mit der Ausgangslage, in der er aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII Jugendhilfekosten zunächst selbst aufgewendet hatte, vergleichbar ist.

b) Der Anspruch des Klägers ist auch nicht gemäß § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht.

aa) Die Kammer geht im vorliegenden Fall von einer lediglich analogen Anwendbarkeit der Vorschrift aus. Der Tatbestand der Norm setzt nämlich ihrem Wortlaut nach einen aus einer Sozialleistung resultierenden Erstattungsanspruch voraus. Der Kläger macht aber den Erstattungsanspruch nicht (direkt) geltend, weil er Jugendhilfe geleistet hat. Er stützt den Anspruch vielmehr darauf, dass er der Stadt Q. die zunächst von ihr erstatteten Aufwendungen nach § 112 SGB X zurückerstatten musste.

Für eine analoge Anwendung spricht allerdings die dem § 111 SGB X zugrundeliegende Wertung. Die Norm dient dem Zweck, den erstattungsverpflichteten Träger vor zeitlich lange zurückliegenden Forderungen zu schützen, damit dieser schon zeitnah weiß, welche Ansprüche auf ihn zukommen und er gegebenenfalls entsprechende Rückstellungen machen kann (Roller in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. § 111 Rn. 2). Der beabsichtigte Schutz des erstattungsverpflichteten Trägers besteht aber unabhängig davon, ob, wie bei der direkten Anwendung der Norm, Kosten einer Sozialleistung – etwa Jugendhilfekosten –, oder, wie in dem vom Gesetzeswortlaut nicht vorgesehenen Fall, Aufwendungsersatz für eine Rückerstattung verlangt wird.

bb) Die Frist nach § 111 Satz 1 SGB X analog hat der Kläger jedoch eingehalten. Für den Fristbeginn ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf den Ablauf des letzten Tages, für den die ursprüngliche Jugendhilfeleistung erbracht wurde, sondern auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der erstattungsberechtigte Kläger wusste, dass und in welcher Höhe ihm Aufwendungen gegenüber der Stadt Q. entstanden sind bzw. entstehen. Dies wäre frühestens der Zeitpunkt, in dem das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg durch den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2014 rechtskräftig geworden ist. Im Rahmen der analogen Anwendung spricht für diesen Zeitpunkt, dass in der direkten Anwendung der Norm die Frist (auch) erst in dem Moment zu laufen beginnt, in dem die Sozialleistung abgeschlossen ist. Denn erst dann weiß der erstattungsberechtigte Träger, dass und in welcher Höhe ihm für diese Leistung Aufwendungen entstanden sind. Überdies macht der Kläger im vorliegenden Verfahren auch gerade nicht eine Erstattung für seine ursprünglichen Aufwendungen im streitbefangenen Zeitraum geltend. Diese Aufwendungen waren mit der von der Stadt Q. zunächst geleisteten Erstattung endgültig abgegolten und auch haushaltsrechtlich ausgeglichen. Der Kläger begehrt vielmehr explizit die Erstattung derjenigen Aufwendungen, die ihm infolge seiner Inanspruchnahme aus § 112 SGB X erst im Jahr 2014 entstanden sind. Wollte man gleichwohl annehmen, dass für sein Erstattungsverlangen aus § 89a SGB VIII nicht auf diese Aufwendungen, sondern mit Blick auf § 111 SGB X auf seine ursprünglichen, zwischenzeitlich aber bereits ausgeglichenen originären Jugendhilfeaufwendungen abzustellen ist, würde sich im System der Erstattungsregelungen wegen der unterschiedlichen Fristen in § 111 SGB X einerseits und § 112 SGB X andererseits eine sachlich nicht gerechtfertigte Verschiebung des Realisierungsrisikos für den im Gesetz an sich vorgesehenen Kostenausgleich zwischen den beteiligten Sozialleistungsträgern zu Lasten des erstattungsberechtigten Trägers ergeben.

Soweit dem von der Beklagten angeführten Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 24. November 2005, – 7 S 577/05 –, zu entnehmen sein sollte, dass dieses Gericht für eine vergleichbare Fallkonstellation angenommen hat, im Verhältnis zwischen dem nach § 89a SGB VIII erstattungsberechtigten Jugendhilfeträger und dem danach letztlich grundsätzlich erstattungsverpflichteten Jugendhilfeträger sei für die Anwendung des § 111 SGB X auf das Ende der ursprünglichen – originären – Jugendhilfeleistung abzustellen, folgt die Kammer dem aus den oben angeführten Erwägungen nicht, zumal der VGH diese Auffassung in der angeführten Entscheidung auch nicht begründet hat.

Der Kläger hat die Erstattung bereits vorsorglich mit Schreiben vom 22. Dezember 2011 und vom 27. April 2012 sowie nochmals unmittelbar nach dem Eintritt der Rechtskraft des von dem Verwaltungsgericht Lüneburg gefällten Urteils mit seinen Schreiben vom 29. September 2014 und vom 5. November 2014 gegenüber der Beklagten geltend gemacht.

c) Der Anspruch ist darüber hinaus nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X verjährt. Die Vorschrift bestimmt, dass Erstattungsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähren, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat.

Zu beachten ist hierbei, dass mit „Leistungspflicht“ die Sozialleistungspflicht gegenüber dem Leistungsempfänger gemeint ist. § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfasst den vorliegenden Fall also wiederum nicht direkt. § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X scheidet ebenfalls aus, da der Kläger keine Rückerstattung verlangt, sondern die Erstattung eines an die Stadt Q. rückerstatteten Betrages.

Nach überwiegender Auffassung ist in den Fällen, in denen eine Entscheidung des erstattungspflichtigen Trägers über die Leistungspflicht nicht vorliegt und auch nicht in Betracht kommt, § 111 Satz 1 SGB X analog anzuwenden; der die Verjährungsfrist auslösende Umstand wird in der Entstehung des Erstattungsanspruches gesehen (OVG Saarlouis Urt. v. 23.05.2012, EuG 2012, 423; LSG BW Urt. v. 28.09.2011 – L 5 KR 2152/10 –; VGH München Urt. v. 03.12.2009 – 12 BV 08. 2147 –; OVG Bautzen Urt. v. 10.12.2007 – 4 B 160/04 –; LSG BW Urt. v. 22.11.2007 – L 7 SO 5078/06 –; OVG Lüneburg Urt. v. 23.01.2003, FEVS 54, 564 und v. 10.4.2002, FEVS 54,64).

Für Erstattungsansprüche zwischen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe wird demgegenüber angesichts vergleichbarer Interessenlagen vielfach § 111 SGB XII analog angewandt, der die Verjährung der Erstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern für die Zeit ab 1. Januar 2005 regelt; maßgebender Umstand für den Beginn der Frist ist auch danach die Entstehung des Erstattungsanspruches (zum Ganzen Kater in: Kasseler Kommentar, § 113 SGB X Rn. 5 f.).

Der Erstattungsanspruch des Klägers ist nach beiden dargestellten Ansätzen wiederum in dem Zeitpunkt entstanden, in dem die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg eingetreten ist. Die Frist von vier Jahren hat danach mit Ablauf des Jahres 2014 begonnen. Der Kläger hat seine Klage am 23. Januar 2015 und damit fristgerecht erhoben.

d) Es bedarf keiner Entscheidung dazu, ob der vom Kläger infolge seiner rechtskräftigen Verurteilung im Vorprozess an die Stadt Q. gezahlte Betrag in vollem Umfang von ihm als aufgrund seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendete Kosten geltend gemacht werden kann. Denn der Anspruch des Klägers scheitert letztlich insgesamt deshalb, weil die Beklagte nicht im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz SGB VIII für den streitbefangenen Zeitraum jugendhilferechtlich örtlich zuständig war oder gewesen wäre.

aa) Von einer derartigen örtlichen (Grund-)Zuständigkeit der Beklagten ist nicht bereits deshalb auszugehen, weil sie in dem durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 11. Juni 2013 sowie durch den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2014 rechtskräftig entschiedenen Vorprozess beigeladen war.

Zwar haben sowohl das Verwaltungsgericht Lüneburg als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in ihrer jeweiligen Entscheidung ausgeführt, dass die dort beigeladene hiesige Beklagte vor der auf § 86 Abs. 6 SGB VIII begründeten Zuständigkeit des Klägers jugendhilferechtlich örtlich zuständig gewesen sei und diese (Grund-)Zuständigkeit während der gesamten Dauer der Jugendhilfegewährung beibehalten habe, weshalb sie und nicht die Stadt Q. kostenerstattungspflichtig gewesen sei. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat dazu in dem oben benannten Urteil auf den Seiten 8 und 9 im Rahmen der Entscheidungsgründe ausgeführt:

„Tatsächlich war unter Beachtung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung stets die Beigeladene und nicht die Klägerin nach § 89 a SGB VIII dem Beklagten gegenüber erstattungspflichtig.“

[…]

„Unter Beachtung dieser nunmehr gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 5. Mai 2011 – 5 C 4/10 – juris) begründete der Umzug von Frau Münch in das Stadtgebiet der Klägerin nicht deren Zuständigkeit nach § 86 Abs. 3 SGB VIII, da ihr zu diesem Zeitpunkt bereits die Personensorge für S. entzogen war und zu keinem Zeitpunkt wieder übertragen wurde. Auch begründeten die Elternteile zu keinem Zeitpunkt einen gewöhnlichen gemeinsamen Aufenthalt. Somit blieb nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII die bisherige Zuständigkeit der Beigeladenen dauerhaft bestehen und die von der Klägerin vorgenommenen Erstattungen erfolgten zu Unrecht.“

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in den Gründen seines oben benannten Beschlusses auf Seite 4 ausgeführt:

„Örtlich zuständiger Träger wäre ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII vielmehr die Beigeladene gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gewesen.“

[…]

„Da die Eltern von S. nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besessen haben und den Eltern die Personensorge aufgrund des Entzugs des (alleinigen) Sorgerechts der Kindesmutter durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 13. November 1990 nicht zugestanden hat, wäre die bis dahin für die Leistungsgewährung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII gegebene Zuständigkeit der Beigeladenen gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII bestehen geblieben, wenn nicht der Beklagte gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII für die Leistung zuständig geworden wäre.“

bb) Die Entscheidungen des VG und des OVG Lüneburg entfalten jedoch in Bezug auf die zitierten Passagen keine Bindungswirkung für die hier zu entscheidende Rechtsfrage. Gemäß § 121 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die Frage einer die Kostenerstattungspflicht nach § 89a SGB VIII auslösenden örtlichen (Grund-)Zuständigkeit der Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum nicht erfüllt.

(1) In sachlicher Hinsicht umfasst die materielle Rechtskraft die Entscheidung des Gerichts über den Streitgegenstand. Danach erwachsen nicht alle Urteilselemente in Rechtskraft, sondern grundsätzlich zunächst nur der Entscheidungssatz. Dieser ist das Ergebnis der Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter den gesetzlich normierten Tatbestand einer Rechtsnorm, welche die begehrte Rechtsfolge, also die Entscheidung über den erhobenen Anspruch, anordnet. Die Rechtskraftwirkung des § 121 VwGO erstreckt sich dagegen nicht auf Begründungselemente oder Vorfragen. Sie erfasst insbesondere nicht die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellungen einzelner Tatbestandsmerkmale, die der Entscheidung zugrundeliegenden vorgreiflichen Rechtsfragen, sonstige Vorfragen sowie Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind. Die Entscheidungsgründe erwachsen nicht in Rechtskraft, soweit sie den Subsumtionsschluss lediglich vorbereiten. Nur soweit die Urteilsformel Anlass zu Zweifeln gibt, sind zur Auslegung der Urteilsformel der Tatbestand und die Entscheidungsgründe heranzuziehen. Ausführungen in einem Urteil, auf die das Urteil nicht gestützt ist – sogenannte obiter dicta –, sind für die Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Rechtskraft immer ohne Bedeutung (zum Ganzen: Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 121 Rn. 60 f., 63; W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 121 Rn. 18).

(2) Ausgehend von diesen Maßstäben erstreckt sich die Rechtskraft der zitierten gerichtlichen Entscheidungen auf den diesen Verfahren zugrundeliegenden Streitgegenstand, welcher in der Urteils- bzw. Beschlussformel zum Ausdruck gekommen ist. Danach steht durch die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Lüneburg bindend fest, dass die dortige Klägerin, die Stadt Q., gegenüber dem dortigen Beklagten, dem Kläger des hiesigen Verfahrens, einen Anspruch auf Zahlung in Höhe 26.830,13 Euro nebst Prozesszinsen hat. Sofern sich aus dem Umstand, dass die Urteilsformel lediglich eine Zahl nennt, überhaupt Zweifel über die Reichweite ihres Inhalts ergeben sollten, wären die Entscheidungsgründe nach den oben dargestellten Grundsätzen allenfalls insoweit zur Auslegung ergänzend heranzuziehen, als sich erst aus ihnen der Rechtsgrund für den festgestellten Zahlungsanspruch ergibt. Dies zugrunde gelegt, stünde über den reinen Wortlaut des Urteilstenors hinaus rechtskräftig fest, dass die Stadt Q. gegenüber dem Kläger des hiesigen Verfahrens einen Anspruch aus § 112 SGB X auf Zahlung von 26.830,13 Euro – nebst Prozesszinsen – hatte.

(3) Teil des Streitgegenstandes des Vorprozesses im Sinne des § 121 Nr. 1 VwGO war hingegen nicht, ob die dort beigeladene hiesige Beklagte zeitlich vor dem Kläger jugendhilferechtlich örtlich zuständig gewesen war und diese örtliche (Grund-)Zuständigkeit bei Außerachtlassung des § 86 Abs. 6 SGB VIII während der gesamten Jugendhilfegewährung beibehalten hatte. Denn der als Bezugsrahmen des Subsumtionsschlusses dienende Streitgegenstand erschöpfte sich in der Beantwortung der Frage, ob der von der Stadt Q. gegenüber dem Kläger geltend gemachte Anspruch bestanden hat. Ausgehend hiervon sind die Ausführungen in den zitierten gerichtlichen Entscheidungen im Hinblick auf eine durchgängig verbliebenen (Grund-)Zuständigkeit der Beklagten als für die Rechtskraft unbedeutende sogenannte „obiter dicta“ einzustufen.

Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte, ausgehend von dem geltend gemachten Anspruch, zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 112 SGB X in dem damals vorliegenden Prozessrechtsverhältnis gegeben waren. Streitgegenständlich war also – nur – die Frage, ob und inwieweit eine Erstattung der Stadt Q. an den Kläger zu Unrecht erfolgt war. Hierfür musste das Verwaltungsgericht Lüneburg zwar abschließend prüfen, ob die Stadt Q. ohne eine Zuständigkeit des Klägers aus § 86 Abs. 6 SGB VIII im streitbefangenen Zeitraum örtlich zuständig gewesen wäre. Denn nur, weil es diese Frage verneinte, konnte es folgerichtig den Rückerstattungsanspruch aus § 112 SGB X bejahen. Dieser Prüfungsschritt wäre aber für eine erschöpfende Behandlung des Streitgegenstandes schon ausreichend gewesen. Nicht zwingend für den getroffenen Subsumtionsschluss war es hingegen, zudem positiv festzustellen, wer ohne die Zuständigkeit des Klägers nach § 86 Abs. 6 SGB VIII tatsächlich oder vermeintlich für die Gewährung von Jugendhilfeleistungen zuständig gewesen wäre. Vielmehr hätte das Verwaltungsgericht Lüneburg auch ohne Feststellung der aus seiner Sicht bestehenden (Grund-)Zuständigkeit der Beklagten zu dem Ergebnis gelangen können, dass der Tatbestand des § 112 SGB X erfüllt ist, gerade und allein weil jedenfalls eine Zuständigkeit der Stadt Q. nicht bestanden hat.

Selbst wenn man aber annähme, die für die Prüfung des Anspruchs aus § 112 SGB X tatbestandlich relevante Frage, ob die Stadt Q. im streitbefangenen Zeitraum jugendhilferechtlich örtlich (grund-)zuständig gewesen war, ließe sich erst und nur dann beantworten, wenn man zuvor positiv festgestellt hat, wer stattdessen örtlich (grund-)zuständig gewesen war, führt das zu keinem anderen rechtlichen Ergebnis. Ausgehend von dieser Annahme wäre die Prüfung, ob die Beklagte (grund-)zuständig gewesen war, zwar eine für den Subsumtionsschluss zwingend zu beantwortende rechtliche Vorfrage. Als solche würde sie aber nach den benannten Kriterien trotz ihrer für den Entscheidungssatz tragenden Funktion ebenfalls nicht in Rechtskraft erwachsen.

cc) Die Frage, ob die Beklagte in dem streitbefangenen Zeitraum im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB VIII örtlich (grund-)zuständig und damit kostenerstattungspflichtig war, ist danach von dem erkennenden Gericht selbstständig – neu – zu prüfen. Sie ist zur Überzeugung der Kammer zu verneinen.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich sowohl das Verwaltungsgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 11. Juni 2013 als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 24. September 2014 berufen haben, wäre allerdings die Beklagte gemäß § 86 Abs. 5 SGB VIII a. F. örtlich (grund-)zuständig gewesen.

Nach Satz 1 dieser Vorschrift wird, wenn die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründen, der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; dies gilt auch dann, wenn ihm einzelne Angelegenheiten der Personensorge entzogen sind. § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII a. F. bestimmte, dass die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibt, solange die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht.

In seinem Urteil vom 30. September 2009 – 5 C 18/08 –, juris Rn. 22f., hat das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen unter Berufung auf den gesetzlichen Regelungszweck einer effektiven Aufgabenwahrnehmung und der deshalb regelmäßig beabsichtigten räumlichen Nähe zum Erziehungsverantwortlichen erstmals ausgeführt, die Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 5 SGB VIII erfasse alle Fallgestaltungen, in denen die Eltern nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte „besitzen“. In seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2010 – 5 C 17/09 –, juris Rn. 21 f., hat es diesen Gedanken aufrechterhalten und weiter vertieft. Es hat in diesem Zusammenhang dargelegt, die zeitliche Abfolge der zuständigkeitsrelevanten Kriterien ("Begründung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte" oder "gemeinsame oder fehlende Personensorge beider Elternteile") habe auf die Bestimmung der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII keinen Einfluss. Der Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 SGB VIII sei nicht auf die in jener Entscheidung ausdrücklich erwähnten Fallgestaltungen beschränkt, in denen die Eltern erstmals nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründeten und gegebenenfalls im Anschluss daran ihren Aufenthalt unter Aufrechterhaltung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte erneut veränderten. Vielmehr greife die Vorschrift entsprechend ihrem Charakter als umfassende Regelung für verschiedene gewöhnliche Aufenthalte der Eltern nach Leistungsbeginn auch ein, wenn die Eltern bereits vor beziehungsweise bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte hätten und solche während des Leistungsbezugs beibehielten. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht in der Folgezeit durch zwei weitere Entscheidungen gefestigt (BVerwG, Urt. v. 12.05.2011 – 5 C 4/10 –, juris Rn. 17; Urt. v. 19.10.2011 – 5 C 25/10 –, juris Rn. 35).

In seinem Urteil vom 14. November 2013 – 5 C 34/12 –, juris, schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsansichten zu § 86 Abs. 5 SGB VIII a. F. teilweise, nicht aber für die hier zu entscheidende Fallkonstellation wieder zurückgenommen. Es hat in Abkehr zu den vorangegangenen Entscheidungen im Hinblick auf § 86 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII a. F. zwar ausgeführt, die Vorschrift beziehe sich doch nur auf solche Fallgestaltungen, in denen (die sorgeberechtigten) Eltern nach Leistungsbeginn erstmals verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründeten und in der Folge beibehielten (a. a. O., Rn. 18). Demgegenüber werde die Fallgestaltung, dass beide Eltern bereits bei Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte im Zuständigkeitsbereich verschiedener Träger der öffentlichen Jugendhilfe hätten und diese in der Folge entweder beibehielten oder in die Bezirke anderer Jugendhilfeträger verlagerten, grundsätzlich von § 86 Abs. 2 und 3 SGB VIII erfasst. § 86 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII a. F. finde in diesen letztgenannten Fällen keine Anwendung, da verschiedene gewöhnliche Aufenthalte nicht erstmals "begründet" würden (a. a. O., Rn. 20). In Bezug auf die hier zu entscheidende Frage hat es jedoch ausgeführt, § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F., der die Fälle des fehlenden Sorgerechts beider Elternteile nach Leistungsbeginn regele, finde, anders als § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 SGB VIII a. F., gleichwohl auch dann Anwendung, wenn die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besäßen. Dies folge daraus, dass § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F. sich allein auf das Merkmal "nach Beginn der Leistung" und nicht auf das Wort "Begründen" im Sinne des § 86 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII a. F. beziehe (a. a. O., Rn. 22 f.). Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen wiederum die dem § 86 SGB VIII zugrundeliegende Konzeption an. Diese basiere auf dem Umstand, dass die individuellen Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII, die Eltern in Anerkennung ihrer in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) beruhenden Verantwortung gewährt würden, darauf ausgerichtet seien, die Erziehungsfähigkeit der Elternteile zu stärken und ihre erzieherische Kompetenz zu fördern, um auf diese Weise eine eigenständige Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsverantwortung zu ermöglichen. Dieser Situation Rechnung tragend verfolgten die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit das Ziel, durch eine grundsätzliche Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Erziehungsverantwortlichen eine effektive Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen. Die regelmäßig erforderliche enge und kontinuierliche Zusammenarbeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe mit den Eltern werde gerade durch dessen räumliche Nähe zu ihrem Aufenthaltsort ermöglicht und begünstigt. Hingegen bedürfe es eben dieser räumlichen Nähe in den Fällen des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F., bei denen kein Elternteil (mehr) das Sorgerecht habe, regelmäßig nicht (BVerwG, Urt. v. 14.11.2013, a. a. O., Rn. 25). Demgegenüber nehme die Regelung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 SGB VIII a. F., die an das gemeinsame Sorgerecht der Eltern anknüpfe, die Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 1 Halbsatz 1 umfänglich in Bezug. In den Fällen des gemeinsamen Sorgerechts gebiete es der oben näher dargelegte Zweck der Vorschrift, möglichst ein Näheverhältnis des Jugendamtes zu einem sorgeberechtigten Elternteil beizubehalten und zu bewirken, dass im Falle des Umzugs dieses Elternteils, bei dem das Kind regelmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben werde, auch die örtliche Zuständigkeit mit diesem "mitwandere" (a. a. O., Rn. 26, 28).

Geht man von diesem Normverständnis aus, wäre die Beklagte, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, auch für den streitbefangenen Zeitraum für die Gewährung von Jugendhilfeleistungen zugunsten des Kindes (grund-)zuständig geblieben. Der erst nach Beginn der Jugendhilfe und dem – späteren – Entzug ihres Sorgerechts erfolgte Umzug der Kindesmutter nach Q. wäre danach zuständigkeitsrechtlich irrelevant gewesen, weil die Beklagte vor dem Eintritt der örtlichen Zuständigkeit des Klägers nach § 86 Abs. 6 SGB VIII für den Jugendhilfefall örtlich zuständig war und diese Zuständigkeit bei Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII a. F. dauerhaft erhalten geblieben wäre.

(2) Die Kammer vermag aber der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auslegung des § 86 Abs. 5 Satz 2, Alt. 2 SGB VIII a. F. auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die weitere Rechtsprechung sich ihr – soweit ersichtlich – nach der Entscheidung vom 14. November 2013 zumindest „aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit“ (vgl. VG Aachen, Urt. v. 20.11.2014 – 1 K 2893/12 – juris, Rn. 41; Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2015 – 4 LA 223/14 –, juris, Rn. 3; weitergehend in der Sache auch: VG Koblenz, Urt. v. 23.02.2015 – 3 K 1243/13.KO –, juris, Rn. 28 ff) angeschlossen hat, nicht zu folgen. Sie ist weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit der Gesetzessystematik oder dem Sinn und Zweck der Regelung vereinbar.

Hierzu ist im jurisPK-SGB VIII (Stand September 2017, § 86 Rn. 103 ff.) ausgeführt:

„Das vom Senat gefundene Ergebnis ist unter Beachtung des allgemeinen Sprachverständnisses und grammatikalischer Grundregeln schon mit dem Gesetzeswortlaut eigentlich unvereinbar. Denn die Konjunktion „oder“ zwischen den beiden Tatbestandsvarianten des Satzes 2 gibt diesen Varianten innerhalb des Sinngefüges des Satzes einen gleichrangigen Stellenwert. Zudem erscheint es grammatikalisch vom Aussagegehalt des Satzes 1 her auch nicht nachvollziehbar, in der Formulierung „Begründen … nach Beginn der Leistung …“ überhaupt zwei getrennt voneinander zu betrachtende Tatbestandsmerkmale zu erblicken. Denn die Formulierung „nach Beginn der Leistung“, bei der es sich um eine adverbiale zeitliche Bestimmung handelt, ergäbe ohne das dazu gehörende Verb „Begründen“ aus sich selbst heraus keinen eine Normanwendung ermöglichenden Sinn. Vielmehr sind diese Satzbauteile grammatikalisch zwingend aufeinander bezogen. Es handelt sich also dabei in Wirklichkeit nur um ein einziges Tatbestandsmerkmal. Gleichwohl zu behaupten, dem Wortlaut des Absatzes 5 Satz 2 sei „bei gesonderter Betrachtung nicht zu entnehmen, welche Merkmale des Satzes 1 der Vorschrift in Bezug genommen werden“, und darauf aufbauend für die beiden Tatbestandsvarianten eine unterschiedlich weit reichende Bezugnahme anzunehmen, ist angesichts dessen schon rein grammatikalisch betrachtet eine äußerst kühne, besser gesagt unzulässige These. Dass die Formulierung „nach Beginn der Leistung“ in der Tat eines Verbes bedarf, um überhaupt in einen schlüssigen Sinnzusammenhang gebracht werden zu können, räumt auch der Senat ein, indem er in den Text der Regelung das Wort „besitzen“ hineininterpretiert, das dort aber nicht steht.

Weiterhin verstößt die Interpretation des Senats gegen die Regeln der systematischen und der teleologischen Auslegung, weil sie nicht zu erklären imstande ist, welcher Regelungsgehalt danach dem Absatz 3 der Norm noch zukommen soll und wieso sie – wenn sie denn für die dem § 86 SGB VIII vom Senat zugeschriebene Grundkonzeption eine solch grundlegende Bedeutung hat – an derart „versteckter“ Stelle der Vorschrift und nicht im Regelungskontext des Absatzes 3 platziert ist. … Das teleologische Argument des Senats ließe sich überdies genauso auf diejenigen Fälle anwenden, in denen bei gemeinsamer Sorge der Elternteile beide einen neuen, verschiedenen gewöhnlichen Aufenthalt begründen (vgl. Rn. 97), gibt also für eine teleologische Auslegung der Norm im Sinne einer Differenzierung der beiden Tatbestandsvarianten eigentlich nichts Substanzielles her sondern spräche eher dagegen. Außerdem stimmt auch die These von einer – durchgängigen bzw. einheitlichen – Regelungskonzeption des § 86 SGB VIII bzgl. einer Anknüpfung der „wandernden“ Zuständigkeit an die Personensorge nicht, wie insbesondere Absatz 1 zeigt, der eine solche Dynamik gerade unabhängig von der Zuordnung der Personensorge anordnet.

Und schließlich ignoriert der Senat auch die Entstehungsgeschichte und dabei insbesondere den Umstand, dass der Gesetzgeber seiner vorherigen Rechtsprechung mit der Einfügung der Worte „in diesen Fällen“ in den Satz 2 ausdrücklich „klarstellend“ entgegentreten wollte. Aus der Gesetzesbegründung wird nämlich deutlich, dass nach der Auffassung des Gesetzgebers § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII schon bisher, entsprechend seiner systematischen Stellung, nur auf die Fallkonstellation des Satzes 1 Bezug nahm. Daraus erklärt sich auch, warum das Gesetz keine Klausel zur Einbeziehung von Altfällen enthält. Einer solchen bedurfte es nicht, denn die Gesetzesergänzung stellt gar keine Änderung, sondern nur eine Klarstellung der – materiell unveränderten – Rechtslage dar.“

Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer weiterhin an (so auch schon im Urt. v. 01.12.2015 – 3 A 5492/11 –, juris Rn. 39 f.).

Für ein solches Auslegungsverständnis sprechen in systematischer Hinsicht zudem weitere Gesichtspunkte. So lässt sich die vom Bundesverwaltungsgericht praktizierte Anwendung des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F. mit der grundlegenden Normstruktur des § 86 SGB VIII nicht vereinbaren. Der Gesetzgeber hat sich in seinem Bemühen, die unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen in einer Grundnorm zu regeln, ersichtlich bestimmter systematischer Vorgaben beziehungsweise Leitlinien bedient. Dabei orientiert sich die systematische Struktur der Norm daran, ob der gewöhnliche Aufenthaltsort der Kindeseltern als primärer Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit ab dem Beginn der Leistung gleichbleibend ist oder sich nach diesem Zeitpunkt verändert. Dementsprechend bezieht sich der Regelungsbereich der Absätze 1 bis 4 ausschließlich auf Sachverhalte, bei denen der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern, sei es ein gemeinsamer oder seien es getrennte, nach dem Beginn der Jugendhilfeleistung entweder feststeht – Absätze 1 bis 3 –, oder nicht feststellbar ist, beziehungsweise kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland besteht – Absatz 4 –. Der gesetzgeberische Wille geht also erkennbar dahin, zunächst für diese Fallkonstellationen alle denkbaren Variationsmöglichkeiten hinsichtlich der nachgeordneten Anknüpfungspunkte für die örtliche Zuständigkeit – Entzug und/oder Wechsel des Sorgerechts, Aufenthaltsort des Kindes – regelungstechnisch abschließend zu erfassen. In einer systematisch konsequenten Weise folgen erst im Anschluss daran in § 86 Abs. 5 SGB VIII diejenigen Konstellationen, in denen der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern als primäre Anknüpfungstatsache erstmals nach Beginn der Leistung auseinanderfällt. Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts würde aber dazu führen, dass, entgegen der erkennbaren systematischen Struktur der Vorschrift, § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a. F. auch in Fällen, in denen – wie hier – die Eltern schon vor Beginn der Leistung unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte hatten und diese beibehalten, Anwendung findet.

Zu bedenken ist schließlich, dass die Notwendigkeit der Gewährung einer Jugendhilfeleistung sich nicht nur aus den in §§ 27 ff. SGB VIII erfassten Sachverhalten, sondern auch aus § 35a SGB VIII ergeben kann. Der daraus folgende Anspruch ist rechtlich unmittelbar dem Kind selbst zugeordnet und gründet auch nicht auf dem aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitenden Erziehungsrecht und der Erziehungsverantwortung der Eltern. Eine Leistung nach § 35a SGB VIII ist gerade nicht – vorrangig – darauf ausgerichtet, „die Erziehungsfähigkeit der Elternteile zu stärken und ihre erzieherische Kompetenz zu fördern, um auf diese Weise eine eigenständige Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsverantwortung zu ermöglichen“. Gleichwohl richtet sich auch die örtliche Zuständigkeit für diese Leistung nach §§ 86 ff. SGB VIII.

Angesichts dieser Umstände kann die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts die oben zitierten grammatikalischen und systematischen Gegenargumente nicht entscheidend entkräften (vgl. schon VG Hannover, Urt. v. 01.12.2015 – 3 A 5492/11 –, juris Rn. 42; a. A. offenbar VG Koblenz, Urt. vom 23.02.2015 – 3 K 1243/13.KO – juris, Rn. 36 ff). Nach Auffassung der Kammer setzt eine Anwendbarkeit des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII a. F. wegen seiner umfassenden Anknüpfung an Satz 1 der Vorschrift vielmehr in beiden Tatbestandsvarianten voraus, dass die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte „begründen“. Das bedingt eine Veränderung der Aufenthaltssituation der Elternteile nach Leistungsbeginn in dem Sinn, dass sie vor Leistungsbeginn beziehungsweise „vor der zuständigkeitsrelevanten Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts“ ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich desselben Jugendhilfeträgers hatten (VG Hannover, Urt. v. 01.12.2015 – 3 A 5492/11 –, juris Rn. 43; insoweit richtig: BVerwG, Urt. v. 14.11.2013 – 5 C 34/12 – juris, Rn. 19).

(3) Das dargelegte Normverständnis der Kammer schließt eine Anwendbarkeit des § 86 Abs. 5 Satz 2, 2. Alt. SGB VIII a. F. im vorliegenden Fall aus. Denn hier hatten die Kindesmutter und der Kindesvater schon vor Beginn der Leistung im Oktober 1990 verschiedene gewöhnliche Aufenthalte. Die Mutter lebte zu diesem Zeitpunkt in Hannover und der Vater in C.. Auch zu einem späteren Zeitpunkt hatten die Kindeseltern niemals einen gleichzeitigen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich eines einzigen Jugendhilfeträgers.

Dieser Befund führt dazu, dass auf den vorliegenden Fall ab dem Zeitpunkt, in dem der Kindesmutter die elterliche Sorge entzogen worden war, ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII der § 86 Abs. 3 SGB VIII anzuwenden gewesen wäre. Demgemäß richtete sich die örtliche (Grund-)Zuständigkeit in entsprechender Anwendung von § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII auch nach dem Sorgerechtsentzug weiterhin nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Kindesmutter, weshalb die Beklagte mit deren Wegzug aus ihrem Zuständigkeitsbereich ihre vormals bestehende (Grund-)Zuständigkeit für den Jugendhilfefall endgültig und damit auch für den vorliegend streitbefangenen Zeitraum verloren hatte.

(4) Diesem Ergebnis kann der Kläger nicht entgegenhalten, die Beklagte müsse sich an ihrem Vortrag im Vorprozess und im vorliegenden Verfahren, dass sie im streitbefangenen Zeitraum örtlich (grund-)zuständig gewesen sei, festhalten lassen.

Der dahingehende Vortrag der Beklagten ist nicht als prozessuales Zugeständnis im Sinne des § 288 ZPO zu werten. Denn ein solches kann sich unabhängig von der Frage, ob im Rahmen eines vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Vorschrift überhaupt anwendbar ist, nur auf Tatsachen und nicht auf Rechtsansichten beziehen.

Auch liegt in diesem Vortrag der Beklagten kein Anerkenntnis im Sinne des § 307 ZPO. Denn sowohl im Vorprozess als auch in diesem Verfahren hat die Beklagte die Erstattungsforderung des Klägers ausdrücklich – wenn auch mit einer anderen als der von der Kammer gefundenen rechtlichen Begründung – zurückgewiesen.

2. Der Kläger kann eine Erstattungspflicht der Beklagten auch nicht auf das von dieser unter dem 6. Oktober 1995 abgegebene Kostenanerkenntnis stützen. Sein Argument, die Beklagte habe dieses Kostenanerkenntnis niemals widerrufen, weshalb es nach wie vor rechtswirksam sei, ist falsch. Das im Oktober 1995 abgegebene Kostenanerkenntnis der Beklagten stand zur Überzeugung der Kammer vielmehr von vornherein unter dem immanenten Vorbehalt, dass die Beklagte für den Jugendhilfefall wegen des gewöhnlichen Aufenthalts der Kindesmutter in ihrem Zuständigkeitsbereich örtlich (grund-)zuständig bleibt. Dass auch der Kläger selbst die damalige Erklärung der Beklagten genau so verstanden hatte, lässt sich daraus erkennen, dass er, nachdem die Kindesmutter aus dem Zuständigkeitsbereich der Beklagten nach Q. verzogen war, nicht mehr die Beklagte, sondern die Stadt Q. um Kostenerstattung angegangen hatte. Das gründete auf der damaligen übereinstimmenden – und zutreffenden – Rechtsauffassung aller Beteiligten, dass infolge des Wegzugs der Kindesmutter aus Hannover die Beklagte ihre (Grund-)Zuständigkeit für den Jugendhilfefall verloren hatte.

Selbst wenn aber das ursprüngliche Kostenanerkenntnis der Beklagten mit dem Wegzug der Kindesmutter aus ihrem Zuständigkeitsbereich noch nicht allein deshalb unmittelbar seine Rechtsgültigkeit verloren gehabt haben sollte, ist es zumindest dadurch von der Beklagten konkludent widerrufen worden, dass diese dem Kläger gegenüber für den streitbefangenen Zeitraum eine Kostenerstattung infolge des Rückerstattungsverlangens der Stadt Q. ausdrücklich verweigert hat.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

4. Die Berufung ist gemäß § 124 Abs. 1, 2 Nr. 4 VwGO und die Sprungrevision ist gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Das Urteil weicht hinsichtlich der Auslegung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII a. F. von dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 2015 – 4 LA 223/14 – und von dem Urteil des BVerwG vom 14. November 2013 – 5 C 34/12 – ab und beruht auch auf dieser Abweichung.