Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.03.2018, Az.: 15 B 970/18
Ermahnung; Fahreignungsbewertungssystem; Fahrerlaubnis; Entziehung; Löschung; Punkte; Punktestand; Tilgung; Verwarnung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.03.2018
- Aktenzeichen
- 15 B 970/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74138
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs 5 StVG
- § 4 Abs 6 StVG
- § 44a VwGO
- § 35 VwVfG
- § 43 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Mit § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG stellt der Gesetzgeber für die Maßnahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG, Ermahnung und Verwarnung, hinsichtlich der Höhe des Punktestandes allein auf den Zeitpunkt der behördlichen Tätigkeit ab. Eine vergleichbare Regelung für die Maßnahme des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, Entziehung der Fahrerlaubnis, besteht nicht. Der Gesetzgeber unterscheidet eindeutig nach dem Charakter der vorgesehenen Maßnahme. Ermahnung und Verwarnung sind schlichte Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO, während die Entziehung der Fahrerlaubnis als Verwaltungsakt gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 35 VwVfG zu qualifizieren ist. Gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Rechtliche Existenz erlangt der Verwaltungsakt somit erst durch die Bekanntgabe an den Betroffenen. Demnach ist für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG hinsichtlich der Höhe des Punktestandes allein auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe abzustellen.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage – 15 A 969/18 – gegen den Bescheid vom 02.01.2018 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 3.750,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit der hier angegriffenen Verfügung vom 02.01.2018 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mit der Begründung, dieser sei nach Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts mit Verkehrszuwiderhandlungen im Fahreignungsregister eingetragen, die acht Punkte ergeben hätten.
Der Antragsteller ist in der Vergangenheit wiederholt wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten aufgefallen. Unter dem 13.02.2015 wurde er schriftlich verwarnt, nachdem er mehr als vier Punkte (neu) im Fahreignungsregister erreicht hatte. Nachdem sich für ihn mehr als sechs Punkte (neu) im Fahreignungsregister ergeben hatten, verwarnte ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 31.01.2017. Sie legte dabei folgende Entwicklung des Punktekontos zugrunde:
Tatdatum | Datum Rechtskraft | Art der Zuwiderhandlung | Punkte |
---|---|---|---|
02.08.2011 | 10.08.2012 | Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort | 7 |
04.01.2013 | 16.01.2014 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 36 km/h; insgesamt 106 km/h | 3 |
01.05.2014 | Punktestand nach dem Fahreignungsregister 8 Punkte (alt) = 4 Punkte (neu) | Punkte (neu) | |
05.05.2014 | 03.07.2014 | Missachtung Überholverbot (Zeichen: 276/277) | 1 |
05.05.2014 | 03.07.2014 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 28 km/h; insgesamt 128 km/h | 1 |
18.02.2014 | 16.01.2015 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 26 km/h; insgesamt 146 km/h | 1 |
13.02.2015 | Ermahnung | -2 | |
01.03.2016 | 01.09.2016 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 29 km/h; insgesamt 99 km/h | 1 |
13.10.2016 | 12.01.2017 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 38 km/h; insgesamt 88 km/h | 2 |
31.01.2017 | Verwarnung | -1 |
Unter dem 17.10.2017 teilte das Kraftfahrtbundesamt der Antragsgegnerin folgenden Verstoß des Antragstellers mit:
Tatdatum | Datum Rechtskraft | Art der Zuwiderhandlung | Punkte |
---|---|---|---|
24.11.2016 | 14.08.2017 | Verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs | 1 |
Mit Schreiben vom 02.11.2017 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Zur Begründung stellte sie den oben bereits ausgeführten Sachverhalt dar und führte aus, der Antragsteller sei gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, da für ihn acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen seien.
Die Antragsgegnerin entzog dem Antragsteller mit Bescheid vom 02.01.2018, zugestellt am 04.01.2018, die Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A, C, BE, CE1, CE, L, T und aller darin enthaltenen Klassen (Nr. 1). Sie forderte ihn auf, seinen Führerschein sofort, spätestens jedoch innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung der Verfügung abzugeben oder zu übersenden (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung unter Nr. 2 wurde die Einziehung des Führerscheins durch die Polizei angedroht (Nr. 3). Der Antragsteller habe die Kosten des Verwaltungsverfahren zu tragen (Nr. 4). Die Kosten für diesen Bescheid wurden auf 184,80 € festgesetzt (Nr. 5). Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen ihren Vortrag aus dem Anhörungsschreiben.
Der Antragsteller hat am 01.02.2018 Klage erhoben (15 A 969/18) und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor, die Entziehung sei rechtswidrig. Der Punktestand sei nicht zutreffend ermittelt worden, weil die Taten, die bereits vor dem 01.05.2014 im Verkehrszentralregister eingetragen worden waren, zu Unrecht berücksichtigt worden seien. Unabhängig davon sei die Verwarnung jedoch nicht vor der Begehung der letzten Ordnungswidrigkeit am 24.11.2016, die für die Entziehung der Fahrerlaubnis ursächlich gewesen sei, erfolgt. Bereits deshalb sei der streitgegenständliche Bescheid aufzuheben.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage – 15 A 969/18 – anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin verteidigt den streitgegenständlichen Bescheid, hinsichtlich der Begründung wiederholt sie im Wesentlichen den Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Höhe des Punktestandes im Fahreignungsregister sei ihre Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis – 02.01.2018 – und nicht der Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung – 04.01.2018 –.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
Die Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG hat kraft Gesetzes nach § 4 Abs. 9 StVG i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Die ebenfalls verfügte Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins ist ebenfalls sofort vollziehbar (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV).
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid nach der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze war dem Antrag stattzugeben, weil sich die Entziehung der Fahrerlaubnis im Bescheid vom 02.01.2018 nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig darstellt und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt, sodass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller zu Unrecht dessen Fahrerlaubnis entzogen.
Die Antragsgegnerin durfte dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nicht auf Grundlage des §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG entziehen. Danach gilt derjenige als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn sich für ihn acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Für den Antragsteller waren zum Zeitpunkt der Bekanntgabe und damit der Wirksamkeit der Entziehungsverfügung vom 02.01.2018 am 04.01.2018 jedoch nicht acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister eingetragen.
Es folgt eine Übersicht der – zum Zeitpunkt der Entscheidung der Antragsgegnerin am 02.01.2018 – im Fahreignungsregister eingetragenen Punkte:
Tatdatum | Datum Rechtskraft/ Eintragung | Eigentliche Tilgung/ | Art der Zuwiderhandlung | Punkte |
---|---|---|---|---|
02.08.2011 | 10.08.2012/ | 10.08.2017 | Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort | 7 |
04.01.2013 | 16.01.2014/ | 16.01.2016/ | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit Außerorts um 36 km/h; insgesamt 106 km/h | 3 |
Tatdatum | Datum Rechtskraft/ Eintragung | Tilgung | Art der Zuwiderhandlung | Punkte |
01.05.2014 | Punktestand nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem 8 Punkte (alt) = 4 Punkte (neu) | Punkte (neu) | ||
05.05.2014 | 03.07.2014/ | 03.01.2017 | Missachtung Überholverbot (Zeichen: 276/277) | 1 |
05.05.2014 | 03.07.2014/ | 03.01.2017 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 28 km/h; insgesamt 128 km/h | 1 |
18.02.2014 | 16.01.2015/ | 16.07.2017 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 26 km/h; insgesamt 146 km/h | 1 |
13.02.2015 | Ermahnung | -2 | ||
01.03.2016 | 01.09.2016/ | 01.03.2019 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 29 km/h; insgesamt 99 km/h | 1 |
13.10.2016 | 12.01.2017/ | 12.01.2022 | Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 38 km/h; insgesamt 88 km/h | 2 |
31.01.2017 | Verwarnung | -1 | ||
24.11.2016 | 14.08.2017/ | 14.02.2020 | Verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs | 1 |
Entgegen der Ansicht des Antragstellers durften die Eintragungen der Entscheidungen wegen der Ordnungswidrigkeiten, die vor dem 01.05.2014 im Verkehrszentralregister gespeichert waren, mit insgesamt 4 Punkten (neu) noch im Rahmen der Entziehungsverfügung vom 02.01.2018 berücksichtigt werden.
Nach der Übergangsbestimmung des § 65 Abs. 3 Satz 1 StVG werden die Regelungen über das Verkehrszentralregister und das Punktsystem in die Regelungen über das Fahreignungsregister und das Fahreignungs-Bewertungssystem u.a. wie folgt überführt: Die im Verkehrszentralregister vor Ablauf des 30.04.2014 gespeicherten Eintragungen werden gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG nach der in § 29 Abs. 1 Satz 2 StVG a.F. näher bestimmten Frist getilgt. Die Dauer der Tilgungsfrist richtet sich nach § 29 Abs. 1 StVG a.F.; bei Entscheidungen über Ordnungswidrigkeiten beträgt die Tilgungsfrist nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVG a. F. zwei Jahre, welche mit dem Tag der Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung beginnt (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG a.F.). Bei Entscheidungen wegen Straftaten beträgt die regelmäßige Tilgungsfrist fünf Jahre, es sei denn es handelt sich um Entscheidungen wegen Straftaten nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, den §§ 316 und 323a StGB und Entscheidungen, in denen die Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 69 und 69b StGB oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet worden ist (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a StVG a.F.). Sind im Register mehrere Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 StVG a.F. für eine Person eingetragen, ist die Tilgung einer Eintragung nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG a.F. aber erst zulässig, wenn für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Eintragung einer Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit – mit Ausnahme von Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG – wird wiederum spätestens nach Ablauf von fünf Jahren getilgt, § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG a.F. Wird eine Eintragung getilgt, so sind auch die Eintragungen zu tilgen, deren Tilgung nur durch die betreffende Eintragung gehemmt war (§ 29 Abs. 6 Satz 6 StVG a.F.).
Dies bedeutet, dass die Eintragung der Entscheidungen wegen der Ordnungswidrigkeit vom 02.08.2011 und vom 04.01.2013 noch bis zum 10.08.2017 nicht zu tilgen waren. Die Tat vom 02.08.2011 hemmte die Tat vom 04.01.2013, bis deren Tilgungsfrist von fünf Jahren – ab Rechtskraft: 10.08.2012 – am 10.08.2017 ablief und somit für alle betreffenden Eintragungen die Voraussetzung der Tilgung vorlag. Diese Eintragungen durften noch berücksichtigt werden, weil sie sich noch in der einjährigen Überliegefrist des § 29 Abs. 6 StVG befanden. Während dieses Jahres darf der Inhalt der Eintragung noch für die Ergreifung von Maßnahmen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem berücksichtigt werden, § 29 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG.
Auch die weiteren in der Tabelle aufgeführten Eintragungen durften noch berücksichtigt werden. Zu den vier Punkten (Stand: 01.05.2014) waren noch die Eintragungen der Entscheidungen wegen der Ordnungswidrigkeiten vom 05.05.2014 und wegen der Ordnungswidrigkeit vom 18.02.2014 mit insgesamt drei Punkten zu addieren. Der Punktestand von sieben war wegen der nicht erfolgten Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 StVG am 13.02.2015 gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 Nr. 1 StVG auf fünf Punkte zu reduzieren. Zu diesen Punkten kamen drei Punkte aufgrund der Eintragungen der Entscheidungen wegen der Verkehrsverstöße vom 01.03.2016 und 13.10.2016 dazu. Dieser Punktestand von acht war wiederum wegen der nicht erfolgten Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Nr. 2 StVG gemäß § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 Nr. 2 StVG am 31.01.2017 um einen auf sieben Punkte zu reduzieren. Alle Eintragungen über Ordnungswidrigkeiten, die nach dem 01.05.2014 in das Fahreignungsregister eingetragen worden sind, durften am 02.01.2018 noch berücksichtigt werden. Nach 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 StVG betragen die Tilgungsfristen u.a. für Ordnungswidrigkeiten, die mit einem Punkt bewertet sind, zwei Jahre und sechs Monate und für Ordnungswidrigkeiten, die mit zwei Punkten bewertet sind, fünf Jahre. Die Eintragungen der Entscheidungen wegen der Ordnungswidrigkeiten waren entweder noch nicht tilgungsreif (Ordnungswidrigkeiten vom 01.03.2016, vom 13.10.2016 und vom 24.11.2016) oder befanden sich noch in der einjährigen Überliegefrist des § 29 Abs. 6 Satz 2 und 3 Nr. 2 StVG (Ordnungswidrigkeiten vom 05.05.2014 und vom 18.02.2014), vgl. die obenstehende Tabelle mit den Tilgungsdaten.
Daneben steht entgegen der Ansicht des Antragstellers der Berücksichtigung der Eintragung wegen des Verkehrsverstoßes vom 24.11.2016 nicht entgegen, dass die Tat vor der Verwarnung am 31.01.2017 begangen worden ist. Nach § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG erhöhen Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung nach Satz 3 begangen worden sind und von denen die nach Landesrecht zuständige Behörde erst nach der Verringerung Kenntnis erhält, den sich nach Satz 3 – Verringerung der Punkte wegen der nicht erfolgten Maßnahme – ergebenden Punktestand. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Behörde hat erst am 16.10.2017 und somit nach der Reduzierung der Punkte nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG am 31.01.2017 von der Zuwiderhandlung vom 24.11.2016, die auch erst am 14.08.2017 rechtskräftig gemeldet worden war, Kenntnis erlangt.
Allerdings muss sich der Antragsteller die Eintragungen über die beiden Ordnungswidrigkeiten vom 05.05.2014, am 04.01.2018 als ihm die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 02.01.2018 zugestellt wurde, nach § 29 Abs. 7 Satz 1 nicht mehr entgegenhalten lassen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wird erst mit Bekanntgabe nach § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 43 Abs. 1 VwVfG wirksam. Darauf kommt es hier – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – an. Dafür, dass dieser Zeitpunkt maßgeblich ist, spricht bereits der Umkehrschluss aus § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG. Dort ist geregelt, dass sich der Punktestand mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung (Nr. 1) bzw. der Verwarnung (Nr. 2) verringert, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist. Mit dieser Vorschrift stellt der Gesetzgeber für die Maßnahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG, Ermahnung und Verwarnung, hinsichtlich der Höhe des Punktestandes allein auf den Zeitpunkt der behördlichen Tätigkeit ab. Eine vergleichbare Regelung für die Maßnahme des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, Entziehung der Fahrerlaubnis, besteht nicht. Der Gesetzgeber entscheidet eindeutig nach dem Charakter der vorgesehenen Maßnahme. Ermahnung und Verwarnung sind schlichte Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44a Satz 1 VwGO, während die Entziehung der Fahrerlaubnis als Verwaltungsakt gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 35 VwVfG zu qualifizieren ist. Gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Dies war hier der 04.01.2018. Rechtliche Existenz erlangt der Verwaltungsakt erst durch die Bekanntgabe an den Betroffenen. Vorher handelt es sich lediglich um ein Verwaltungsinternum, um einen Entwurf ohne rechtliche Bedeutung (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl., § 43 Rn. 4).
Am 04.01.2018 waren die Eintragungen der Entscheidungen wegen der beiden Ordnungswidrigkeiten vom 05.05.2014 bereits gelöscht und durften dem Antragsteller zum Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG u.a. für die Beurteilung dessen Eignung und Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1 Alt. 1) nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil gewertet werden. Ist eine Eintragung im Fahreignungsregister wegen Ablaufs der Überliegefrist gelöscht, so steht das der Verwertung zum Zwecke einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem auch dann entgegen, wenn die Löschung nur zum Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde gegeben war, nicht aber bereits zu dem in § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG bezeichneten Zeitpunkt, insoweit folgt die Kammer der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Nds. OVG, Beschl. v. 22.02.2017 – 12 ME 240/16 –; so auch: Bay. VGH, Beschl. v. 06.10.2017 – 11 CS 17.953 –; a.A.: Sächsisches OVG, Beschl. v. 29.11.2017 – 3 B 274/17 –, jeweils juris).
Gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG werden Eintragungen nach § 28 Absatz 3 Nr. 1 oder 3 Buchstabe a oder c StVG nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht. Die Eintragungen der Entscheidungen wegen der beiden Ordnungswidrigkeiten vom 05.05.2014 (Rechtskraft: 03.07.2014) waren am 03.01.2017 nach Ablauf der Tilgungsfrist von zwei Jahren und sechs Monaten tilgungsreif. Nach einem weiteren Jahr endete mithin am 03.01.2018 die Überliegefrist des § 29 Abs. 6 StVG, sodass diese Eintragungen mit Ablauf des 03.01.2018 zu löschen waren.
Aufgrund der Löschungsreife für die mit zusammen zwei Punkten bewerteten Eintragungen der Entscheidungen wegen der beiden Ordnungswidrigkeiten vom 05.05.2014 waren für den Antragsteller am 04.01.2018, als die Entziehung der Fahrerlaubnis wirksam geworden ist, somit nur noch sechs Punkte im Fahreignungsregister berücksichtigungsfähig, vgl. § 4 Abs. 6 Satz 5 StVG. Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis bei acht Punkten waren mithin nicht (mehr) erfüllt, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2,§ 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Anlehnung an Nr. 1.5 i.V.m. Nr. 46.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2/2013, 57).