Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.03.2018, Az.: 6 A 6714/16
Dolmetscher; Irak; Jaish al-Mahdi; JAM; Jaysh al-Mahdi; Künstler; Militärangehörige; soziale Gruppe
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 21.03.2018
- Aktenzeichen
- 6 A 6714/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74367
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3b Abs 1 Nr 4 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
(Ehemalige) Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte, insbesondere Dolmetscher, bilden im Irak eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger, arabischer Volks- sowie schiitischer Religionszugehörigkeit, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Er reiste am 14. September 2015 auf dem Landweg kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. August 2016 bei der zuständigen Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag, den er in seiner persönlichen Anhörung am 19. August 2016 auf den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkte.
In seiner Anhörung führte der Kläger aus, er habe den Irak verlassen, da ihn eine schiitische Miliz wegen seiner früheren beruflichen Tätigkeit auf einem Stützpunkt der US-Streitkräfte mit dem Tode bedroht habe.
Zu seinen familiären Verhältnissen führte der Kläger aus, seine Vater und seine Mutter wohnten beide noch im Irak in Nadschaf. Seine Schwester und die weiteren Angehörigen seiner Großfamilie wohnten ebenfalls im Irak.
Zu seinem Werdegang erklärte er, er habe die Schule bis zu neunten Klasse besucht, aber nicht abgeschlossen. Einen Beruf habe er nicht erlernt. In der Saddam-Zeit habe er Wehrdienst geleistet und als Unteroffizier die normalen Soldaten ausgebildet. Im Jahr 2004 habe er ca. sechs Monate als KfZ-Mechaniker gearbeitet, von ca. Februar 2005 bis August 2008 sei er dann Soldat gewesen, seitdem arbeitslos.
In Bezug auf seine Tätigkeit als Berufssoldat der irakischen Armee erklärte er, seine Einheit sei für die Sicherung des amerikanischen Stützpunktes Camp Taji zuständig gewesen. Ihm habe die Befehlsgewalt über sechs Soldaten zugestanden, mit denen er Personen und Autos am Eingang zur amerikanischen Basis kontrolliert habe. Einen besonderen Rang habe er nicht gehabt, seine Einheit habe jedoch insgesamt einen höheren Rang besessen, sei also so etwas wie die Militärpolizei gewesen. Im August 2008 sei er desertiert. Am 23. November 2009 habe er das gerichtliche Urteil erhalten, er könne es sich aussuchen, weiter zur Armee zu gehen oder zu kündigen. Daraufhin habe er gekündigt.
Auf sein konkretes Verfolgungsschicksal angesprochen, erklärte der Kläger, entfernte Verwandtschaft von ihm, welche von seiner Tätigkeit für die US-Armee gewusst hätten, seien Mitglieder der al-Sadr-Gruppierung gewesen und hätten die Stationierung amerikanischer Truppen im Irak abgelehnt. Im Juli 2008 hätten sie ihn aufgefordert, aus dem amerikanischen Stützpunkt Waffen und Raketen zu besorgen. Dieses habe er nicht tun wollen, habe jedoch Angst gehabt, ihnen dies zu sagen. Zum Schein habe er sich infolgedessen auf das Ansinnen eingelassen. Im August sei er dann desertiert. In der Folgezeit habe er sich sowohl vor den Mitgliedern der Gruppierung des al-Sadr als auch vor dem Militär versteckt.
Im Dezember 2008 habe die Miliz dann seinen Schwager entführt, der ihn als Fahrer immer mit dem Dienstwagen in den amerikanischen Stützpunkt gefahren habe. Weder der Schwager noch sein Auto seien jemals wieder aufgetaucht. In diesem Zusammenhang reichte der Kläger eine Kopie der Vermisstenanzeige zur Akte.
Die Mutter und Schwester des Klägers seien dann im Jahr 2008 beide aus dem Haus ausgezogen, weil sie Angst vor den Mitgliedern der Sadr-Gruppierung gehabt hätten. Er selbst habe sich ein Jahr bei der Familie seiner Frau versteckt und habe keinerlei Außenkontakte gehabt. Als es im Jahr 2009 dann eine Amnestiemöglichkeit für Deserteure gegeben habe, sei er heimlich nach Bagdad gegangen und habe eine Amnestie erwirkt.
Im Jahr 2012 sei seine Mutter dann zurück in ihr bis dato leerstehendes Haus gegangen. Hieraufhin hätten Mitglieder der Sadr-Gruppierung, die zwischenzeitlich in die Regierung des Irak gelangt seien, seine Mutter geschlagen und das Haus niedergebrannt. Aus Angst habe sie in der Anzeige bei der Polizei lediglich angegeben, dass sie gestürzt sei und das Haus infolge eines Kurzschlusses Feuer gefangen habe.
Im Jahr 2013 habe seine Mutter einen Anruf von der Polizei erhalten, dass jemand seine zum damaligen Zeitpunkt schwangere Schwester auf der Straße zwischen Nadschaf und Karbala umgefahren und getötet habe.
Im Jahr 2014 sei er dann an einer Nierenentzündung erkrankt, habe aber aus Angst vor der Sadr-Gruppierung kein Krankenhaus aufsuchen können. Er habe sich sodann zweimal in der Türkei behandeln lassen. Dort habe man ihm gesagt, dass er die nötigen Medikamente nur im Krankenhaus bekommen könne. Im Irak habe er jedoch nicht ins Krankenhaus gehen können, und das Krankenhaus in der Türkei sei zu teuer gewesen. Beim zweiten Mal habe man ihm im Krankenhaus in der Türkei gesagt, dass die Nierenentzündung erfolgreich behandelt worden sei. Die Schmerzen seien jetzt psychisch bedingt. Ebenfalls im Jahr 2014 habe die Frau des Klägers dann ein Kind bekommen. Sie habe aus Angst vor der Gruppierung nicht ins Krankenhaus gehen können, deshalb habe sie das Kind zuhause zur Welt gebracht. Schließlich seien er und seine Geschwister an Checkpoints stets besonders intensiv kontrolliert worden, weil sie christliche Namen trügen. Sein Vorname bedeute „Saturn“. Seine Frau habe auch nicht arbeiten gehen können, weil sie Angst wegen der Gruppierung gehabt hätte.
Im Falle einer Rückkehr in den Irak befürchte er, in eine völlig ausweglose Lage zu geraten, da er nirgendwo vor der Gruppierung sicher sei. Er habe auch psychische Probleme, da er die vorangegangenen sieben Jahre mit Angst verbracht habe.
Auf Nachfrage des Entscheiders, wie er sich sieben Jahre vor der al-Sadr-Gruppe habe verstecken können, erklärte der Kläger, er habe die gesamte Zeit bei der Familie seiner Frau in Nadschaf gelebt, erst im Stadtteil Alsalan, dann im Stadtteil Alkadisya. In diesen sieben Jahren sei er nur manchmal rausgegangen, und wenn, dann nur mit dem Auto und in Begleitung. Alles, war er benötigt habe, habe er von der Familie bekommen; zudem habe ihn seine eigene Familie ebenfalls finanziell unterstützt. Die Mitglieder der Miliz hätten die Familie seiner Frau nicht gekannt und auch nicht gewusst, dass er dort gewesen sei. Außerdem sei die Familie umgezogen. Zuletzt sei er von der Gruppierung im Jahr 2008 bedroht worden, danach habe er diese Leute nicht mehr gesehen. Die al-Sadr-Armee habe jedoch ein Gesetz, dem zufolge jeder, der die Unterstützung verweigere, getötet werden müsse. Entsprechendes gelte für Leute, die mit ausländischen Armeen zusammengearbeitet hätten. All dies seien nach Auffassung der Miliz Ungläubige, die den Tod verdient hätten.
Mit Bescheid vom 8. November 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) noch den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 2) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 3). Zudem drohte es die Abschiebung des Klägers in den Irak an (Nr. 4) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 5).
Zur Begründung führte es u.a. aus, der Kläger sei kein Flüchtling, weil er eine aktuelle, persönliche Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG nicht vorgetragen habe. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Nach Erkenntnissen des Bundesamts bestehe in der Provinz Nadschaf keine erhöhte Gefahr willkürlicher Gewalt im Rahmen bewaffneter Konflikte im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 16. November 2016 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seinen Vortrag aus dem Anhörungsverfahren. Die Beklagte setze sich im angefochtenen Bescheid nicht mit dem Verfolgungsschicksal des Klägers auseinander. Er habe das amerikanische Militär unterstützt und sei u.a. als Dolmetscher tätig gewesen, da er Englisch sprechen könne. Nachdem er der Aufforderung der Sadr-Miliz nicht nachgekommen sei, habe diese ihn als Verräter angesehen.
Er habe zudem in der Anhörung versäumt, ein wichtiges Detail vorzutragen. Nach seiner Entführung habe sich der Schwager telefonisch bei seiner Ehefrau gemeldet. Er habe mitgeteilt, wegen des Klägers entführt worden zu sein und dass der Kläger sich melden müsse. Die Familien des Klägers und des Schwagers seien jedoch dagegen gewesen, dass der Kläger der Aufforderung nachkomme, da sie fürchteten, dass dann beide umgebracht würden. Nach diesem Ereignis sei der Kläger dann erst für eine gewisse Zeit nach Bagdad geflohen und bei seiner Schwester untergekommen. Auch hier habe er sich versteckt gehalten und das Haus nicht verlassen.
Als die Miliz im Jahr 2012 das Haus seiner Familie in Nadschaf zerstört habe, sei ihm endgültig klargeworden, dass die Gruppierung weiter nach ihm suchen werde. Es habe dabei nämlich geheißen, der Grund des Angriffs liege darin, dass der Sohn der Familie nicht das getan habe, was man von ihm verlangt habe.
Der Kläger habe sich lange versteckt halten müssen, weil es sehr schwierig gewesen sei, eine Flucht aus dem Land zu organisieren, zumal der Kläger auch krank gewesen sei. Erst im Jahr 2015 sei die Familie bereit und in der Lage gewesen, die Kosten für eine Ausreise zur Verfügung zu stellen. Ihm drohe auch heute noch Verfolgung, weil die Miliz Personen, die von ihr als Verräter eingestuft würden, unerbittlich verfolge.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30. Januar 2018 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen, dieser hat dem Kläger mit Beschluss vom 15. März 2018 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 8. November 2016 zu verpflichten,
1. dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG vorliegen,
2. das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf null zu befristen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.
Mit Schriftsatz vom 13. März 2018 erklärte der Kläger zudem, dass er im Irak auch als Künstler tätig gewesen sei und, unter Vorlage eines Zeitungsberichts der Neuen Presse vom 27. Dezember 2017, dass er auch in Deutschland seine künstlerische Tätigkeit fortsetze. Er sei wegen seiner künstlerischen Tätigkeit im Irak relativ bekannt, was zu einer zusätzlichen Gefährdung führe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 AsylG anstelle der Kammer als Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 8. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
Der Einzelrichter ist dabei nicht daran gehindert, auf Basis der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2018 über die Klage zu entscheiden, obgleich kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. Das Gericht hat die Beteiligten nämlich mit der Ladung darauf hingewiesen, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG in der Fassung des Gesetzes vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 394) wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind in der Person der Kläger erfüllt.
Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Zu bewerten ist letztlich, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).
Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist zu unterscheiden zwischen der Frage, ob dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungshandlung gemäß den §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG droht, und der Frage einer ebenfalls beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 30).
Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie), nicht (mehr) durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22, Rnr. 21 f.; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 31).
Hinsichtlich der Anforderungen an den Klägervortrag muss unterschieden werden zwischen den in die eigene Sphäre des Asylsuchenden (bzw. hier: des um Flüchtlingsschutz Nachsuchenden) fallenden Ereignissen, insbesondere seiner persönlichen Erlebnisse, und den in den allgemeinen Verhältnissen seines Herkunftslandes liegenden Umständen, die seine Furcht vor Verfolgung rechtfertigen sollen. Lediglich in Bezug auf erstere muss er eine Schilderung geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen, wobei dem persönlichen Vorbringen des materiell beweisbelasteten Klägers und dessen Würdigung nach § 108 VwGO im Hinblick auf die regelmäßig bestehende Not an anderen Beweismitteln gesteigerte Bedeutung zukommt. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne „glaubhaft“ sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 33). Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse im Herkunftsland reicht es hingegen wegen seiner zumeist auf einen engeren Lebenskreis beschränkten Erfahrungen und Kenntnisse aus, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben (BVerwG, Urteil vom 04.11.1981 - 9 C 251/81 -, juris; Urteil vom 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, juris). Hier ist es Aufgabe der Beklagten und der Gerichte, unter vollständiger Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen, die Gegebenheiten im Herkunftsstaat aufzuklären und darauf aufbauend eine in besonderem Maße von Rationalität und Plausibilität getragene Prognose zu treffen (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 34 f.).
Führt dies für sich genommen zu keinem für den Schutzsuchenden günstigen Ergebnis, verbleibt es bei allgemeinen Beweislastregeln. Allgemein gilt, dass die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts weder eine Umkehr der objektiven Beweislast noch eine Folgenabwägung im Sinne eines „better safe than sorry“ gebietet (vgl. hierzu Ellerbrok/Hartmann, NVwZ 2017, S. 522 (523)). Das gilt erst recht, wenn es allein um die genaue Ausprägung des Schutzstatus, nicht aber um das Ob der Schutzgewährung geht (Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 36).
Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs haben im vorliegenden Fall die gegen die Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände bei einer zusammenfassenden Bewertung der Umstände größeres Gewicht als die dafür sprechenden Umstände. Das Gericht kommt aufgrund des aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks nicht zu der Überzeugung, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr in den Irak aus individuellen, an die Person des Klägers zu 1. anknüpfenden Gründen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Verfolgung droht.
a.
Dem Kläger kommt bei der Beurteilung der Frage, ob ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren im Irak drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12) die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie nicht zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Irak aufgrund der Zugehörigkeit zur besonderen sozialen Gruppe der irakischen ehemaligen Mitarbeiter der US-Streitkräfte (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 5 AsylG) von Verfolgungsmaßnahmen bedroht war, die nach § 3 Abs. 1, § 3a AsylG geeignet sind, Flüchtlingsschutz zu begründen.
(1)
Dabei steht zunächst noch zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger als Soldat der irakischen Armee im Eingangsbereich des amerikanischen Stützpunktes Camp Taji zur Bewachung des Einganges D. sowie als Dolmetscher tätig war. Zunächst hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zwei Fotos vorgelegt, die ihn in Tarnuniform sowie mit einem Gewehr zeigen, wobei sich neben dem Kläger jeweils ein amerikanischer Soldat befindet. Eines der Fotos ist datiert auf den E., das andere trägt kein Datum. Des Weiteren konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Gespräch mit dem Einzelrichter darlegen, dass er ausreichend flüssiges Englisch spricht und somit grundsätzlich in der Lage war, als Dolmetscher im Eingangsbereich eines amerikanischen Stützpunktes tätig zu sein.
Schließlich weist die Erörterung des Klägers in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit im Irak im hinreichenden Maße Realitätskennzeichen auf, welche nach den Grundsätzen der psychologischen Aussageanalyse für die Wiedergabe eines real erlebten Ereignisses sprechen. Er schilderte das Geschehen in Ansehung seiner generellen Tätigkeit als Soldat insbesondere logisch konsistent, mit einem erheblichen quantitativen Detailreichtum, im Zuge einer unstrukturierten Erzählweise nebst spontaner Ergänzungen bzw. Verbesserungen sowie unter Angabe räumlich-zeitlicher Verknüpfungen, außergewöhnlicher Details, nicht verstandener Handlungselemente und unter Schilderung der Interaktionen sowie der Motivations- und Gefühlslage der Beteiligten.
Diesbezüglich führte der Kläger aus, er sei an dem o.g. Stützpunkt bei der Militärpolizei beschäftig gewesen. Seine Zuständigkeit habe darin gelegen, die Fahrzeuge beim Betreten und Verlassen der Basis zu untersuchen. Hierbei habe er sechs irakische Soldaten unter seinem Kommando gehabt; zusätzlich habe er mit zwei amerikanischen Soldaten zusammengearbeitet. Wegen seines Dienstgrades und weil er Englisch spreche, habe er auch den Kontakt zu den beiden amerikanischen Soldaten geführt. Die amerikanischen Soldaten hätten zudem einen Hund besessen, der ebenfalls bei den Durchsuchungen eingesetzt worden sei und die Bezeichnung K-9 getragen habe. Es habe sich vermutlich um einen Schäferhund gehandelt; jedenfalls sei es ein schwarz-gelber Hund gewesen. Die Kontrolle der einfahrenden Fahrzeuge sei dergestalt verlaufen, dass der Fahrer zunächst den Motor und alle Lichter habe einschalten müssen. Daraufhin habe der Kläger die Elektrik des Fahrzeuges untersucht, um z. B. versteckte Minen oder Sprengstoff aufzufinden. Diesbezüglich habe er ein bestimmtes Training der amerikanischen Soldaten erhalten. Anschließend habe der Hund einen Rundgang um das Auto gemacht und sei auch ins Auto gegangen. Dafür habe der Kläger alle Türen sowie die Motorhaube des Fahrzeuges geöffnet. Schließlich habe man das Fahrzeug noch gescannt.
In Bezug auf die stationierten Einheiten ergänzte der Kläger auf Nachfrage, auf dem Stützpunkt habe sich beispielsweise eine Ingenieurseinheit befunden, ferner amerikanische Militärpolizei. Zudem habe der Stützpunkt eine Jeteinheit beherbergt, da in der Nähe auch ein Flughaben gewesen sei. Eine Einheit habe auch ein Abzeichen gehabt, auf dem ein Pferd abgebildet gewesen sei. Das Pferd habe in etwa so ausgesehen, wie das im Gerichtssaal befindliche Niedersachsenpferd, allerdings sei nur der Kopf abgebildet gewesen. Die Iraker hätten diese Einheit mit dem Namen Al-Forsan bezeichnet. Das Emblem der Jeteinheit habe dergestalt ausgesehen, dass sich zwei Linien gekreuzt hätten; zusätzlich hätten sich auf dem Abzeichen Sterne befunden. Ferner hätten sich auf dem Stützpunkt auch private Sicherheitsunternehmen angesiedelt, d. h. beispielsweise das Unternehmen Blackwater. Zusätzlich habe es noch ein anders privates Sicherheitsunternehmen gegeben, dessen Namen sich der Kläger aber nicht mehr genau vergegenwärtigen könne. Allerdings habe es sich nur bei Blackwater um ein amerikanisches Sicherheitsunternehmen gehandelt; die anderen Sicherheitsunternehmen seien aus Osteuropa oder Südafrika gewesen. Bei den Mitarbeitern aus Südafrika habe es sich um Weiße gehandelt.
Hinsichtlich seiner Dolmetschertätigkeit ergänzte der Kläger diesen Vortrag u.a. um die Erläuterung, die Amerikaner hätten ursprünglich Dolmetscher aus Bagdad eingesetzt. Dann hätten sie allerdings kein Vertrauen mehr zu den privaten Dolmetschern entwickelt und hätten in sensiblen Bereichen auf Dolmetscher zurückgegriffen, die außerhalb von Bagdad stammten, bereits mit dem Militär zusammengearbeitet hätten und nicht so leicht unter den Einfluss von Dritten geraten konnten. Dies habe auf den Kläger zugetroffen, da er nicht aus Bagdad stamme und militärische Vorerfahrung habe. Die normalen Dolmetscher, die mit den Amerikanern aus dem Camp gefahren seien, seien maskiert gewesen, um ihre Identität zu schützen. Bei den irakischen Soldaten, die selbst bei der Eingangssicherung eingesetzt gewesen sein, sei dies jedoch nicht der Fall gewesen.
Des Weiteren erwies sich die vorstehende klägerische Schilderung im entscheidungsrelevanten Kernbereich als konstant mit der vorangegangenen Aussage gegenüber dem Bundesamt. Soweit der Kläger die auf dem Stützpunkt stationierten Einheiten beschrieb, etwa eine Kavallerieeinheit, so deckt sich dieses zudem mit den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen, denen zufolge etwa die 1st Cavalry Division u.a. in der Zeit von November 2006 bis Dezember 2007 den Stützpunkt Camp Taji befehligte (vgl. Wikipedia: Camp Taji, Artikel zuletzt bearbeitet am 19. September 2017, S. 4 f. der Druckversion).
Demgegenüber steht nicht zu Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger tatsächlich von Angehörigen der schiitischen Miliz „Mahdi-Armee“ aufgefordert wurde, Raketen aus dem Stützpunkt zu schmuggeln; ebenso wenig, dass er und weitere Familienmitglieder nach seiner Weigerung in den darauffolgenden Jahren von Angehörigen der Mahdi-Armee verfolgt und bedroht wurden. Der Rückschluss darauf, dass der Kläger in diesem Punkt ein real von ihm selbst erlebtes Geschehen wiedergab, ließ sich nicht ziehen, weil die diesbezügliche Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht im erforderlichen Maße Realkennzeichen aufwies. Hier besteht vielmehr die Vermutung, ohne dass dies (noch) entscheidungserheblich wäre, dass der Kläger insoweit einen Vorfall vom Hörensagen schilderte, also ein Geschehen, das nicht er selbst, sondern eine dritte Person erlebte, welche ihm anschließend hiervon berichtete.
So schilderte der Kläger den entscheidenden Vorfall, bei dem ihn Angehörige der Mahdi-Miliz bedroht haben sollen, zunächst äußerst vage bzw. pauschal oberflächlich, d.h. ohne quantitativen Detailreichtum. In der Schilderung des verfolgungsrelevanten Kerngeschehens liegt eine deutliche Abweichung zu dem Detailreichtum, mit dem der Kläger zuvor bereitwillig seinen Arbeitsalltag flüssig und anschaulich beschrieben hatte. Er erklärte zunächst lediglich, ihn hätten ihn Aufständische angesprochen und aufgefordert, Waffen aus dem Stützpunkt zu schmuggeln. Er habe daraufhin gesagt: „Ja ich werde euch helfen“, weil er Angst „vor diesen Menschen“ gehabt habe. Daraufhin sei er zum Stützpunkt gegangen und habe mitgeteilt, dass er bedroht worden sei. Man habe ihm daraufhin erklärt, dass seine Kündigung nicht angenommen werde, weil es gerade eine personelle Notsituation auf dem Stützpunkt gebe. Zudem habe das Gesetz nicht zugelassen, dass der Kläger seine Kündigung habe einreichen können, weil gerade ein Notzustand geherrscht habe. Er habe sich dann ein Jahr versteckt und sei dann nach Bagdad zum Militärgericht gegangen, welches ihn auf seinen Antrag hin entlassen habe.
Es bedurfte zahlreicher Nachfragen des Einzelrichters sowie der Prozessbevollmächtigten des Klägers, um auch nur im Ansatz einen bildhaften Überblick über das entscheidungsrelevante Kerngeschehen gewinnen zu können. Im weiteren Verlauf der Anhörung verfestigte sich beim Einzelrichter, insbesondere in Anbetracht der Abweichungen zur vorherigen detaillierten Schilderung des Klägers, der Eindruck, dass der Kläger seine Aussage nur auf Nachfrage vorsichtig und Stück für Stück um weitere Detailelemente ergänzte, indem er zum Beispiel nur auf mehrfache Nachfragen hin schließlich angab, was er gerade tat, als die Milizen ihn zuhause aufsuchten. Ebenso erläuterte der Kläger nicht von sich aus, welche Personen an ihn herangetreten sein sollen oder an wen er sich beim Stützpunkt hilfesuchend gewandt haben wollte, sondern gab das Geschehen nur abstrakt bzw. nicht personenbezogen wieder (z.B. auf Nachfrage: „sieben Personen mit gewachsenen Bärten“).
Ebenso wenig erscheint der Vortrag des Klägers plausibel, die Anhänger der Mahdi-Miliz hätten schlichtweg nach „Raketen“ verlangt, ohne zumindest die Anzahl oder das konkrete Fabrikat bzw. Kaliber zu spezifizieren. Es erscheint zudem nicht lebensnah, dass die Anhänger der Miliz sich schlichtweg darauf beschränkt haben wollen, den Kläger bei seinem nächsten Urlaub aufzusuchen, da sie, so die Angabe des Klägers, mangels einer ausreichenden Anzahl von Handys zur damaligen Zeit nicht anders mit ihm hätten in Kontakt treten können.
Selbst wenn man genügende Realitätskennzeichen in der Aussage des Klägers unterstellen würde, so erwies sich die Aussage im Übrigen jedenfalls in sich als nicht logisch konsistent. Sie wich zudem von seiner vorherigen Aussage gegenüber dem Bundesamt sowie seinen vorherigen Angaben gegenüber seiner Prozessbevollmächtigten ab, welche diese zur Grundlage der Klagebegründung machte.
Sprach der Kläger zunächst davon, die Anhänger der Milizen hätten ihn zuhause aufgesucht und seien sogleich „höflich eingetreten“, wobei er die Zugehörigkeit der Gruppenmitglieder zur Mahdi-Miliz unmittelbar an den von ihnen verwendeten Fahrzeugtypen erkannt habe, so korrigierte er sich auf Nachfrage des Gerichts dahingehend, der Vorfall habe sich nicht in, sondern vor seinem Haus zugetragen. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass der Kläger seinen Vortrag korrigierte, nachdem er erkannt hatte, dass er die Gruppe nicht unmittelbar anhand der von ihnen verwendeten Fahrzeuge hätten erkennen können, wären diese – so seine ursprüngliche Schilderung – nach dem Öffnen der Tür geradewegs in seine Wohnung eingetreten.
Überdies hatte der Kläger in der Anhörung gegenüber dem Bundesamt berichtet, Mitglieder seiner entfernten Verwandtschaft, welche von seiner Tätigkeit für die US-Armee gewusst hätten, seien Mitglieder der Al Sadr Gruppierung gewesen und hätten ihn im Juli 2008 aufgefordert, aus dem amerikanischen Stützpunkt Waffen und Raketen zu besorgen. In der mündlichen Verhandlung sprach er demgegenüber von ihm unbekannten Personen, die ihn aufgesucht hätten und erklärte, er wisse nicht, wie die Gruppierung auf ihn aufmerksam geworden sei. Diesen Widerspruch vermochte er auf Nachfrage des Einzelrichters nicht zu erläutern.
(2)
Der Kläger kann sich im Übrigen auch dann nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie berufen, sofern man zu seinen Gunsten unterstellt, dass sich zumindest der Vorfall mit den Angehörigen der Mahdi-Armee im Juli 2008 so zugetragen hat, wie der Kläger in seiner Anhörung berichtete. Nach der Norm ist nämlich die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, nur dann ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Letzteres ist hier indessen der Fall.
Voraussetzung für das Eingreifen der Beweiserleichterung ist, dass ein innerer Zusam-menhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 – 10 C 4/09 –, juris Rn 31). Die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht nämlich wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung – bei gleichbleibender Ausgangssituation – aus tatsächlichen Gründen naheliegt. Auf dieser rechtlichen Basis ist im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU erstreckt (vgl. BVerwG, a.a.O.).
Diesen rechtlichen Maßstab vorangeschickt, fehlt es selbst bei Unterstellung der Vorfälle im Juli 2008 an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen dem Verfolgungsvorbringen hinsichtlich einer früheren Bedrohung durch schiitische Milizen und dem befürchteten künftigen Schaden. Die Verfolgungs- oder Schadenswiederholung liegt nicht nahe, da sich die Ausgangssituation im Irak allgemein – nach dem Abzug der US-Armee und angesichts neuer politischer (Macht-) Verhältnisse – ebenso geändert hat wie die persönliche Situation des Klägers (vgl. zu diesem Gesichtspunkt generell: OVG NRW, Beschluss vom 29.10.2010 – 9 A 3642/06.A –, juris).
Dabei geht das Gericht davon aus, dass es sich bei irakischen (ehemaligen) Mitarbeitern der US-Streitkräfte, insbesondere Dolmetschern, um eine besondere soziale Gruppe im Sinne der vorgenannten Norm handelt. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund haben, der nicht verändert werden kann (lit. a) und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit. b). Diese Voraussetzungen sind unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel gegeben, da ein ehemaliges bzw. bereits bestehendes Arbeitsverhältnis zu den US-Streitkräften einen nicht mehr veränderbaren Hintergrund darstellt und die irakische Gesellschaft (ehemalige) Mitarbeiter der US-Streitkräfte als gesellschaftlichen Fremdkörper ansieht oder gar als Kollaborateure betrachtet.
Ob irakische Staatsangehörige infolge einer früheren Tätigkeit für die Streitkräfte der US-Koalition, etwa als Dolmetscher, auch nach Abzug der Koalitionstruppen einer fortwährenden Gefährdung durch islamistische Milizen ausgesetzt sind, seien es sunnitische Organisationen wie der „Islamische Staat“ (IS), seien es schiitische Milizen wie die Mahdi-Armee, lässt sich indessen ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel nicht pauschal beantworten, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Eine Auskunft des britischen Innenministeriums aus Januar 2018 betreffend die Lage mutmaßlicher Kollaborateure der Koalitionsstreitkräfte im Irak (UK Home Office, Country Policy and Information Note. Iraq: Perceived collaborators, Version 1.0, Januar 2018, S. 5, Rn. 2.2.5) nimmt zunächst Bezug auf die Feststellungen des Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in der (kraft gerichtlicher Anordnung anonymisierten) Entscheidung „BA(Returns to Baghdad) Iraq CG [2017] UKUT 18 (IAC)“, welche spezifisch das Rückkehrrisiko von Personen betraf, die zuvor im Irak in nicht-militärischen Zusammenhängen für westliche bzw. internationale Unternehmen tätig waren. Anlässlich dieser Feststellungen hob das Upper Tribunal hervor, es habe nicht im Detail die Rückkehrrisiken von Personen untersucht, die für Koalitionsstreitkräfte oder im Sicherheitsgewerbe gearbeitet hätten, insbesondere das Risiko ehemaliger Dolmetscher, Opfer von Übergriffen zu werden. Die allgemeinen Feststellungen des Tribunals ließen jedoch den Rückschluss zu, dass diese Personen höchstwahrscheinlich in den vom „Islamischen Staat“ (IS) kontrollierten Gebieten außerhalb Bagdads einem Risiko ausgesetzt wären, Opfer gewaltsamer Übergriffe zu werden. Innerhalb Bagdads sei das Risiko, Opfer von Übergriffen des IS zu werden, geringer, für Personen mit einem militärischen Hintergrund jedoch voraussichtlich nochmals leicht erhöht.
Des Weiteren führt das britische Innenministerium im vorgenannten Bericht aus, soweit es Hinweise auf die Verfolgung ehemaliger irakischer Mitarbeiter der Koalitionsstreitkräfte im militärischen Sektor gebe, bezögen sich diese insgesamt auf Ereignisse in dem Zeitraum zwischen 2003 und 2011. Die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Informationen erlaubten hingegen den Schluss, dass es außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiet für diese Personengruppe zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest kein generelles Risiko gebe (Home Office, a.a.O., S. 6, Rn. 2.2.6).
Das britische Innenministerium gibt im vorgenannten Bericht überdies eine Stellungnahme des Norwegian Country of Origin Information Centre (Landinfo) aus dem Jahr 2016 in Übersetzung wieder. Hiernach lässt sich nicht generell sagen, dass schiitische Milizen gewaltsam gegen ehemalige Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte oder Organisationen vorgehen. Dieser Gesichtspunkt sei vor dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 relevant gewesen, insbesondere in der besonders gewaltsamen Periode zwischen 2005 und 2008. Auch im Jahr 2012 sei es noch zu entsprechenden Attacken gekommen. Hintergrund der damaligen Attacken sei gewesen, dass die schiitischen Milizen den Irak von feindlichen Besatzungskräften hätten befreien wollen. Dieses Ziel sei indessen im Dezember 2011 erreicht worden. In der gegenwärtigen Situation seien diese Milizen darauf konzentriert, ungeachtet interner Fehden und Machtkämpfe den IS zu bekämpfen. Was diese Gruppen ggf. wieder dazu bringen könnte, ausländische Mächte und ihre lokalen Partner zu attackieren, wäre die Rückkehr ausländischer Bodenstreitkräfte in den Irak. Dieses sei bisher jedoch nicht der Fall, da sich ausländische Staaten, darunter die USA, im Kampf gegen den IS auf den limitierten Einsatz von Streitkräften im Irak beschränkt hätten, d.h. auf die Beratung und das Training irakischer Einheiten sowie den Einsatz der Luftwaffe gegen IS-Ziele. Es sei schwierig, vorherzusagen, wie sich die Situation bei einer verstärkten Militärpräsenz der US-Streitkräfte entwickeln werde. In Anbetracht des gemeinsamen Gegners in der Gestalt des IS gebe es jedoch keine Hinweise darauf, dass dieselbe Situation wie in den Jahren 2005 bis 2008 eintreten werde (UK Home Office, a.a.O., S. 10 f., Rn. 4.2.2 f.).
In Bezug auf die Frage der fortdauernden Stationierung von US-Truppen im Irak teilt die Zeitschrift Business Insider Deutschland in einem Artikel aus Februar 2018 mit, zwei irakische Offizielle hätten gegenüber der Nachrichtenagentur The Associated Press unter der Zusage der Gewährleistung ihrer Anonymität bestätigt, dass die US-Militärkoalition und die irakische Regierung eine Übereinkunft bezüglich eines Truppenabzugs erzielt hätten. Nach einem Bericht des Pentagon aus November 2017, so Business Insider Deutschland, seien Ende September 2017 insgesamt 8.892 Angehörige der US-Streitkräfte im Irak stationiert gewesen. Ein hochrangiger irakischer Offizieller aus dem Umfeld des Premierministers Haider al-Abadi habe The Associated Press mitgeteilt, der jüngsten Übereinkunft zufolge sollen 60 Prozent der gegenwärtig im Irak stationierten amerikanischen Truppen abgezogen werden, womit noch ca. 4.000 Truppenangehörige zurückblieben, um die irakischen Truppen auszubilden (The Business Insider Deutschland, Artikel vom 15. Februar 2018, „With ISIS in Iraq defeated, the US military is beginning to draw down from Baghdad, S. 1 f. der Druckversion).
Ein ebenfalls vom britischen Innenministerium zitierter Bericht der McClatchy Newspapers vom 14. März 2013 betrifft die Inanspruchnahme eines Einwanderungsvisums-Programms, welches der US-Kongress im Jahr 2008 für (ehemalige) irakische Mitarbeiter des US-Militär etabliert hatte, weil zur damaligen Zeit viele von ihnen Opfer systematischer Übergriffe religiöser Milizen wurden. Diesem Bericht zufolge erhalten Iraker, die mit dem amerikanischen Militär zusammengearbeitet haben und sich infolgedessen um ein Einwanderungsvisum in die USA bewerben, weiterhin Todesdrohungen von sunnitischen wie schiitischen Extremisten, obgleich das US-Militär seine Truppen bereits vor 15 Monaten aus dem Land abgezogen habe. Der Bericht zitiert zudem die Aussage eines namentlich benannten Irakers und ehemaligen Mitarbeiters der US-Regierung mit den Worten: „Die Leute vergessen nicht, was Du getan hast. Niemals.“ (McClatchy Newspapers, Artikel vom 14. März 2013, aktualisiert am 17. Juni 2015, „U.S. pledge to help Iraqis who aided occupation largely unfulfilled“, S. 2 der Druckversion).
Das Nachrichtenmagazin The Daily Caller referiert in einem Artikel vom 20. April 2016 zudem den Fall eines Irakers, der eigenen Angaben zufolge für fünf Jahre bis zum Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 als Dolmetscher für die Koalitionsstreitkräfte tätig war. Dieser Dolmetscher habe geschildert, religiöse Milizen und der IS hassten ehemalige Mitarbeiter der US-Armee und betrachteten sie als Spione. Viele Mitglieder schiitischer Milizen, die nun unter dem staatlich anerkannten Dachverband der Popular Mobilisation Front (PMF, Volksbefreiungseinheiten) vereinigt seien, hätten selbst gegen die US-Truppen gekämpft und verachteten jeden, der mit diesen zusammengearbeitet habe. Er selbst habe anonyme Todesdrohungen per Brief erhalten und kenne zudem viele ehemalige Übersetzer, die verfolgt oder sogar getötet worden seien. Zudem sei es nicht möglich, sich im Falle einer Bedrohung hilfesuchend an die Polizei zu wenden, da die meisten ihrer Angehörigen für die Milizen arbeiten würden (The Daily Caller, Artikel vom 20. April 2016, „Left Behind: Iraqi Interpreter Faces Death Threats For Helping US Troops, S. 2 der Druckversion).
Die Zeitschrift Foreign Policy berichtet zudem in einem Artikel aus Februar 2017 über den Fall eines ehemaligen irakischen Dolmetschers des US-Militärs, der angab, er sei nach Beendigung seiner Dolmetschertätigkeit mit seiner Familie innerhalb Bagdads bereits viermal aus Sicherheitsgründen umgezogen (Foreign Policy, Artikel vom 6. Februar 2017, „For Iraqi Military Interpreters, trump Travel Ban Chaos Is ‘Life and Death‘“, S. 3 der Druckversion).
Die Zeitschrift Global Post erwähnt in einem Artikel aus Januar 2017 darüber hinaus den Fall eines Irakers, der angab, er habe wegen seiner vorherigen Tätigkeit als Dolmetscher für das US-Militär und für ein privates amerikanisches Sicherheitsunternehmen seit Jahren in Angst gelebt, zahlreiche Drohungen erhalten und sei erst wenige Wochen vor seiner schlussendlich bewilligten Ausreise in die USA Opfer eines Einbruchs in seine Wohnung geworden (Global Post, Artikel vom 31. Januar 2017, „Iraqi Translators who served the US military are desperate for an exemption to Trump’s travel ban“, S. 4 der Druckversion).
Auf Basis dieser Erkenntnismittellage besteht zum gegenwärtig Zeitpunkt kein generelles Risiko für irakische (ehemalige) Mitarbeiter der US-Streitkräfte, landesweit Opfer von Übergriffen des IS oder schiitischer Milizen wie der Mahdi-Armee zu werden. Indessen kann sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls weiterhin eine Bedrohungslage für einen Betroffenen wegen einer (zurückliegenden) Berufstätigkeit für die Koalitionsstreitkräfte ergeben, sei es wegen des Wohnsitzes innerhalb eines vom IS kontrollierten Gebiets, sei es infolge des Umstandes, dass eine schiitische Miliz ein besonderes Interesse an einer einzelnen Person gefasst hat. Letzteres ist beim Kläger jedoch zu verneinen.
Aufgrund des aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks geht der Einzelrichter davon aus, dass dem Kläger selbst bei Wahrunterstellung des Vorfalls im Juli 2008 im Falle seiner Rückkehr kein ernsthafter Schaden droht. Der vom Kläger behauptete Vorfall liegt mittlerweile nahezu zehn Jahre zurück, ohne dass zur Überzeugung des Gerichts Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Mahdi-Miliz noch ein ernsthaftes Interesse an der Person des Klägers haben könnte. Zum einen hat der Kläger die Gruppe selbst bei Wahrunterstellung seines Vortrages nicht aktiv bekämpft, sondern sich schlicht dem Militärdienst entzogen und damit seine mutmaßliche Zusage gegenüber der Gruppe nicht eingehalten. Zum anderen gelangt der Einzelrichter nicht zu der Überzeugung, dass der Kläger in der Zeit nach Juli 2008 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 noch zielgerichteten Verfolgungsmaßnahmen im Irak unterlag. Die Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, welche Verfolgungsmaßnahmen er seit seiner Desertation im August 2008 erlitten haben will, wiesen zum einen nicht im hinreichenden Ausmaß Realitätskennzeichen auf, zum anderen wichen sie in wesentlichen Punkten des Kerngeschehens von seiner vorherigen Antrags- bzw. Klagebegründung ab.
So hatte der Kläger in seiner Anhörung beim Bundesamt ursprünglich geschildert, er habe sich nach dem Vorfall mit der Miliz im Juli 2008 bzw. nach seiner Desertation vom Militär im August 2008 sieben Jahre vor der Al-Sadr-Gruppe versteckt und habe die gesamte Zeit bei der Familie seiner Frau in Nadschaf gelebt, erst im Stadtteil Alsalan, dann im Stadtteil Alkadisya. Demgegenüber schilderte er in der mündlichen Verhandlung, er sei im Anschluss an den Vorfall zu seiner Schwester nach Bagdad gegangen und habe die nächsten zwei Jahre dort gelebt. Diesen Widerspruch konnte der Kläger nach Vorhalt nicht erklären, sondern gab lediglich an, er habe sich lediglich gegen Ende in Nadschaf aufgehalten, habe zuvor jedoch in Bagdad gelebt. Zudem enthielt die anschließende Aussage einen weiteren Widerspruch gegenüber vorherigen Schilderung des Klägers in seiner Anhörung beim Bundesamt. Nunmehr erklärte er in der mündlichen Verhandlung, er habe nicht direkt in Nadschaf gelebt, sondern außerhalb der Stadt, gewissermaßen in der Wüste, d.h. in einem Gebiet, dass sich in der Nähe eines großen Sees befunden habe. Dort habe es normale Dörfer gegeben und er habe in einem Haus gelebt. Auf Vorhalt seiner Prozessbevollmächtigten, dies weiche von seiner vorherigen Aussage ab, erklärt der Kläger nunmehr, er habe u.a. auch bei seinen Schwiegereltern im Stadtteil Alkadisya gelebt, da er sich nicht nur an einem Ort gelebt, sondern regelmäßig seinen Wohnort gewechselt habe. Auch dies wich von der vorherigen Schilderung beim Bundesamt ab, er habe sich die gesamte Zeit bei der Familie seiner Frau in Nadschaf versteckt.
Soweit der Kläger vortrug, sein Schwager sei im Dezember 2008 entführt worden, um Druck auf den Kläger auszuüben, sich der Mahdi-Armee zu stellen, so belegen die vom Kläger vorgelegten Vermisstenanzeigen lediglich das Verschwinden des Schwagers. Dass dieser jedoch von Angehörigen der Mahdi-Miliz zur Ausübung von Druck gegen den Kläger entführt wurde, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger diesen Umstand nur auf Nachfrage oberflächlich vor, zudem wich seine Schilderung in wesentlichen Punkten des Kerngeschehens von seiner vorherigen Klagebegründung ab. So erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf die Entführung seines Schwagers, dieser habe ihn zweimal als Fahrer zum Stützpunkt gebracht, wohingegen er beim Bundesamt angegeben hatte, sein Schwager habe ihn „immer“ gefahren. Auf Vorhalt seiner Prozessbevollmächtigten ergänzte der Kläger dies lediglich um die Bemerkung, seiner Schwager habe ihn „häufiger“ gefahren, ohne den Widerspruch zu erläutern.
Zudem erwähnte der Kläger lediglich auf Nachfrage seiner Prozessbevollmächtigten den an sich entscheidungserheblichen Umstand, dass sich sein Schwager nach seiner Entführung noch einmal telefonisch gemeldet haben soll. Hier gab der Kläger jedoch an, die Ehefrau des Schwagers habe ihm erzählt, dieser habe angerufen habe und gefragt: „Wo ist ?“, wobei es ihm merkwürdig vorgekommen sei, dass der Schwager sich ausgerechnet nach ihm erkundigt habe. In der schriftlichen Klagebegründung hatte der Kläger demgegenüber ausführen lassen, nach seiner Entführung habe sich der Schwager telefonisch bei seiner Ehefrau gemeldet, mitgeteilt, wegen des Klägers entführt worden zu sein und dass der Kläger sich melden müsse. Die Familien des Klägers und des Schwagers seien jedoch dagegen gewesen, dass der Kläger der Aufforderung nachkomme, da sie fürchteten, dass dann beide umgebracht würden.
Des Weiteren hatte der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt angegeben, im Jahr 2012 sei seine Mutter zurück in ihr bis dato leerstehendes Haus gegangen. Hieraufhin hätten Mitglieder der Sadr-Gruppierung, die zwischenzeitlich in die Regierung des Irak gelangt seien, seine Mutter geschlagen und das Haus niedergebrannt. Aus Angst habe sie in der Anzeige bei der Polizei lediglich angegeben, dass sie gestürzt sei und das Haus infolge eines Kurzschlusses Feuer gefangen habe. Demgegenüber erzählte der Kläger in der mündlichen Verhandlung lediglich, der Brand im Jahr 2012 habe sich zu einem Zeitpunkt zugetragen, als das Haus nicht bewohnt gewesen sei. Auf Vorhalt des Einzelrichters ergänzte er sodann ohne weitere Erläuterung, der Vorfall mit seiner Mutter habe sich ca. eine Woche vor dem Brand zugetragen; genaueres wisse er jedoch nicht. Den vorgeblichen Übergriff auf seine Mutter schilderte der Kläger überdies emotionslos sowie abstrakt-oberflächlich.
Zufriedenstellende Erklärungen für diese Vielzahl von Widersprüchen zu seinen vorherigen Aussagen gegenüber dem Bundesamt und seiner Prozessbevollmächtigten hat der Kläger nicht abgegeben.
Soweit der Kläger darüber hinaus vorgetragen hat, seine Schwester sei im Jahr 2013 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, so bieten sich auch bei Unterstellung einer gezielten Tat keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Anhänger der Mahdi-Armee für den Vorfall verantwortlich sein könnten.
b.
Das Gericht geht des Weiteren aufgrund der aus den Erkenntnisquellen sowie dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers zu den Folgen seiner beruflichen Tätigkeit für die US-Streitkräfte sowie seines künstlerischen Engagements, nicht davon aus, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Var. 5 AsylG bedroht ist.
Zum einen ist es, wie dargestellt, nicht wahrscheinlich, dass der Kläger wegen seiner ehemaligen Zugehörigkeit zu den US-Streitkräften (fortdauernd) verfolgt werden wird.
Zum anderen kann dahinstehen, ob auch irakische Künstler eine besondere soziale Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Var. 5 AsylG darstellen, weil jedenfalls die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Gründe diejenigen überwiegen, die für eine Verfolgung sprechen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bestehen keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung von Künstlern im Irak, welche – abgesehen von dem hier ebenfalls nicht einschlägigen Fall eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraussetzen würde (vgl. generell zu diesem Gesichtspunkt: VGH München, Beschluss v. 03.06.2016 – 9 ZB 12.30404 -, juris m.w.N.). Jedoch können Künstler aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls einem beachtlichen Risiko unterliegen, Opfer von Übergriffen religiöser Extremisten zu werden. Dieses ist im Falle des Klägers indessen zu verneinen.
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen führt in seinen Richtlinien vom 31. Mai 2012 zur Beurteilung des Bedürfnisses irakischer Asylsuchender nach internationalem Schutz aus, die langjährige Gewalt im Irak sowie der offenkundige Zusammenbruch von Recht und Ordnung hätten ein Klima geschaffen, welches den Aufstieg von religiösen Extremisten und Stammesbräuchen begünstige. Iraker beiderlei Geschlechts seien wegen ihrer „weltlichen Anschauungen“ oder wegen ihres Abweichens von islamischen oder gesellschaftlichen Normen zum Zielobjekt von Angriffen religiöser Extremisten geworden. Dieses betreffe etwa Frauen, Alkoholhändler, Angehörige religiöser oder sexueller Minderheiten, aber auch Künstler (United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), UNHCR Eligibility Guidelines For Assessing The International Protection Needs Of Asylum-Seekers From Iraq, 31. Mai 2012, S. 31). Seit dem Jahr 2003 hätten sunnitische wie schiitische Extremisten Künstler, Schauspieler und Sänger „un-islamischer Aktivitäten“ wie Schauspielerei, Theater oder Fernsehen bezichtigt und infolgedessen angegriffen. In den meisten Fällen seien die Angreifer nie zur Rechenschaft gezogen worden. Besonders schlimm sei diese Situation in der Hochphase der Gewalt zwischen 2006 und 2008 gewesen. Während dieser Zeit hätten Berichten zufolge zahlreiche Künstler, Sänger und Schauspieler das Land verlassen. Nach Angaben der Iraqi Artists‘ Association seien in der Phase zwischen 2003 und 2008 mindestens 115 Sänger, 65 Schauspieler und 60 Maler getötet worden. Im Jahr 2008 äußerte der irakische Minister für Kultur die Einschätzung, dass ca. 80 Prozent der Künstler aus dem Irak geflüchtet seien (UNHCR, a.a.O., S. 146, Fn. 766).
Gegenüber dieser Hochphase der Gewalt zeichnen die jüngeren Erkenntnisquellen ein abgemildertes Bild der Situation von Künstlern im Irak. Nach einem Bericht des Nachrichtenportals NPR aus März 2011 gibt es in Bagdad nur einen Bruchteil der Kunstgalerien aus der Zeit der Herrschaft Saddam Husseins. Der Iran-Irak-Krieg, die UN-Sanktionen, der erste Golfkrieg, die US-Invasion und der brutale Bürgerkrieg zwischen den Konfessionen hätten viele Künstler ins Exil geschickt. Viele derjenigen, die geblieben seien, würden sich dabei nach Auskunft einer örtlichen Quelle vorsorglich einer Selbstbeschränkung unterwerfen und davon absehen, die allgegenwärtige Gewalt in ihren Werken künstlerisch zu dokumentieren, um nicht in den Ruf zu geraten, der irakischen Regierung kritisch gegenüberzustehen. Sie fürchteten, belästigt oder sogar entführt zu werden. Sämtliche vor Ort befragten Künstler, so NPR, stimmten zudem darin überein, dass es außerhalb vom Bagdad einfacher sei, Kunstwerke zu erstellen, welche die alltägliche Gewalt oder Zerstörung thematisierten (NPR, Artikel vom 30. März 2011, „Many Iraqi Artists Struggle, Suffer in Silence, S. 1 f. der Druckversion).
Das Nachrichtenportal Reuters hebt in einem Bericht aus März 2012 hervor, obgleich die Situation irakischer Künstler besser sei als in den schlimmsten Tagen sektiererischer Gewalt, würden sich viele Künstler, Filmemacher und Musiker vom religiösen Konservativismus beengt fühlen und die frühere Unterstützung der Regierung vermissen, welche sich lediglich auf den Wiederaufbau des Landes und die Gewährleistung von Sicherheit im Alltag konzentriere. Nach dem Sturz Saddam Husseins hätten die ehemals unterdrückten schiitischen Parteien die Macht im Staat übernommen. Einflussreiche Kleriker sähen Malerei, Bildhauerei und Musik als Sünde an; ein Großteil der staatlichen Unterstützung der Kunst sei verebbt. Galerien, Kinos und Theater hätten zum Großteil ihren Betrieb eingestellt, Konzertsäle blieben leer (Reuters, Iraq’s artists lament decline in cultural life, S. 2 f. der Druckversion). Zudem zitiert der Artikel einen Studenten der Iraq’s Fine Art Academy mit der Aussage, ein Professor habe ihm dringend davon abgeraten, Kopien von unbekleideten griechischen Statuen zu erstellen, da er hiermit sein Leben gefährden würde (Reuters, a.a.O., S. 2 der Druckversion). Mehrere Studenten der Akademie hätten zudem mitgeteilt, den Irak verlassen zu wollen, weil Künstler nicht mit Respekt behandelt würden und zudem keine Unterstützung der Regierung erhielten. Ein Filmdirektor, der einen Dokumentarfilm über einen Sänger erstellte, welcher seinen Beruf wegen der Bedrohung durch militante Islamisten aufgeben musste, wird mit den Worten zitiert, im Irak liefen Künstler Gefahr, von jedweder politischen oder religiösen Partei unter einem beliebigen Gesichtspunkt gewaltsam zur Rechenschaft gezogen zu werden (Reuters, a.a.O., S. 6 der Druckversion).
Auch unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisquellen geht das Gericht nicht davon aus, dass es im Falle der Rückkehr des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gefährdung wegen seiner künstlerischen Aktivitäten kommen wird. Zwar ist aus den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bildern ersichtlich, dass er definitiv über eine künstlerische Begabung verfügt. Die von ihm erstellen Metallskulpturen stellen jedoch technische Objekte (Motorräder etc.) dar, welche auch aus Sicht religiöser Fanatiker „unverfänglich“ sind. Zudem lassen die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht den Rückschluss zu, dass ihm aufgrund einer besonderen Exponiertheit als Künstler Gefahr droht. So hat der Kläger lediglich angegeben, im Jahr 2000 in Bagdad eine Ausstellung gehabt zu haben und im Übrigen auf dem amerikanischen Stützpunkt Camp Taji tätig gewesen zu sein. In der Zeit nach August 2008 bis zu seiner Ausreise hat sich der Kläger überdies bereits nach seinen eigenen Angaben dauerhaft versteckt gehalten.
2.
Der angefochtene Bescheid erweist sich auch im Übrigen rechtmäßig, d.h. soweit die Beklagte den subsidiären Schutzstatus nicht zuerkannte (Nr. 2), feststellte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3), die Abschiebung des Klägers in den Irak androhte (Nr. 4) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung befristete (Nr. 5).
Diesbezüglich verweist das Gericht auf die zutreffenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid und macht sich diese zu eigen (§ 77 Abs. 2 Var. 1 AsylG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.