Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 19.03.2018, Az.: 4 A 9902/17

Bewilligungszeitraum; Einkommensberechnung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
19.03.2018
Aktenzeichen
4 A 9902/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74128
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wohngeldrechtliche Einkommenprognose

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 25. September 2017 wird, soweit er mehr als 111 € von der Klägerin fordert, aufgehoben. Der Wohngeldbescheid Nr. 2 vom 27. September 2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte und die Klägerin tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rückforderung ihr bewilligter Wohngeldzahlungen und deren Neuberechnung.

Die Klägerin beantragte am 22. November 2016 die Bewilligung von Wohngeld bei dem Beklagten. Ihr Haushalt bestand laut Antrag aus ihrem Ehemann und vier Kindern, u. a. dem 2001 geborenen Sohn. In dem Antrag gab die Klägerin keine Einkünfte ihres Sohnes an. Auch die zum 7. Januar 2017 abgegebene Erklärung der Klägerin zu den Haushaltseinkünften enthält keine Einkünfte des Sohnes der Klägerin.

Mit dem Wohngeldbescheid Nr. 1 vom 16. Februar 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum November 2016 bis Januar 2017 unter Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin und ihres Ehemanns Wohngeld in Höhe von 390 €. Mit Wohngeldbescheid Nr. 2 vom 16. Februar 2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin Wohngeld für den Zeitraum von Februar 2017 bis Juli 2017 unter Berücksichtigung von Einkommen des Ehemanns der Klägerin 2832 €.

Anlässlich ihres Antrags auf Weiterbewilligung von Wohngeld vom 22. Juli 2017 gab die Klägerin auch monatliche Einkünfte ihres Sohnes in Höhe von 60 bis 70 € aus Zeitungsträgertätigkeit an.

Auf die Bitte des Beklagten, eine Verdienstbescheinigung für den Sohn der Klägerin vorzulegen, legte die Klägerin eine Bescheinigung vor, wonach ihr Sohn zwischen Juni 2016 und Juni 2017 monatlich zwischen 17,28 € und 237,12 € erhalten hatte.

Auf die Anhörung des Beklagten zu seiner Absicht, wegen der Nichtangabe der Verdienste des Sohnes seit November 2016 die Bescheide Nr. 1 und 2 zurückzunehmen, entgegnete die Klägerin, sie sei davon ausgegangen, nur das ihr zur Verfügung stehende Geld angeben zu müssen. Ihr Sohn habe sich sein Taschengeld verdient. Der Durchschnitt liege bei 83 € im Monat.

Mit Bescheid vom 25. September 2017 nahm der Beklagte die Wohngeldbescheide Nr. 1 und Nr. 2 zurück, bewilligte mit (neuen) Wohngeldbescheiden vom 27. September 2017 für die bisherigen Zeiträume 279 € (Nr. 1) und 2 658 € (Nr. 2). Hierbei prognostizierte der Beklagte für beide Zeiträume den Jahresverdienst des Sohnes durch die Bildung des Durchschnitts der ihm zwischen Juli und Oktober 2016 gewährten Zahlungen, hochgerechnet auf einen Jahresverdienst von 2331,29 € abzüglich eines Freibetrages von 1200 €. Der Bescheid vom 25. September 2017 verlangt das überzahlte Wohngeld in Höhe von 111 € (Zeitraum des Wohngeldbescheides Nr. 1) und 174 € (Zeitraum des Wohngeldbescheids Nr. 2), also insgesamt 285 €, von der Klägerin zurück.

Die Klägerin hat am 25. Oktober 2017 Klage erhoben. Bei der Beantragung von Wohngeld sei sie davon ausgegangen, dass ihr Sohn keinen Verdienst haben würde. Die Firma habe ihm gekündigt und erst nach 3 Wochen wieder eine zweite Chance gegeben. Dabei habe er allerdings nur noch ein Drittel der Zeitungen zum Austragen bekommen. Ein Werbeblatt führe aus, dass ein Freibetrag in Höhe der eigenen Einnahmen eines Kindes bestehe, sofern es weniger als 100 € im Monat verdiene. Dies sei der Fall.

Die Klägerin beantragt

die Bescheide über die Rücknahme und Neubewilligung von Wohngeld vom 25. September 2017 und 27. September 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, die Prognose über das Einkommen habe sich an dem Gesamteinkommen und damit auch dem Verdienst des Sohnes der Klägerin vor der Antragstellung orientieren müssen. Danach eingetretenen Minderverdienst hätte sie nur in ihre Entscheidung einstellen müssen, wenn dieser zu einer Absenkung des Haushaltseinkommens um 15 % geführt hätte. Dies sei nicht der Fall. Im Übrigen müsse sie sich nicht darauf verweisen lassen, für zwei getrennte Bewilligungszeiträume die Prognose vorzunehmen. Die Klägerin sei so zu stellen wie bei der Antragstellung am 22. November 2016 und zu diesem Zeitpunkt sei die Entscheidung über zwei Bewilligungszeiträume nicht absehbar gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter, weil die Kammer ihm den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.

Die Klage ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Rückforderungsbescheid vom 25. September 2017 ist insoweit rechtswidrig, als er auch mit Wohngeldbescheid Nr. 2 vom 16. Februar 2017 gewährte Zahlungen zurückfordert. Da dieser Bescheid rechtmäßig war, ist der dem entgegenstehende Wohngeldbescheid Nr. 2 vom 27. September 2017 aufzuheben. Nur insoweit verletzen die Bescheide die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Beklagte konnte den Bewilligungsbescheid von Wohngeld Nr. 1 zu Recht auf der Grundlage des § 45 SGB X zurücknehmen. Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Absatz 2 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte u.a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X).

Diese Voraussetzung liegt hinsichtlich des Wohngeldbescheides Nr. 1 dem Grunde nach vor, da der Beklagte bei seinem Einlass das Erwerbseinkommen des Sohnes der Klägerin nicht berücksichtigt und in der Folge einen zu hohen Wohngeldanspruch der Klägerin ermittelt hat. Auch kann sich die Klägerin insoweit nicht mit Erfolg auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Wohngeldbescheide berufen, weil diese auf Angaben beruhen, die die Klägerin jedenfalls grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gemacht hat. Denn die Klägerin hat in dem zugrundeliegenden Wohngeldantrag das Einkommen ihres Sohnes nicht angegeben, obwohl das Antragsformular unter Ziffer 9 ausdrücklich die Angabe aller Einkünfte auch der sonstigen Haushaltsmitglieder verlangt.

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass sie bei Antragstellung davon ausgegangen sei, dass ihr Sohn die Zeitungsaustragetätigkeit aufgegeben habe und er im Zeitraum der Bewilligung von Wohngeld keinen Verdienst erzielen würde, ist der Vortrag unglaubhaft. Zum einen hat die Klägerin sich erst auf diesen Einwand berufen, nachdem sie Klage erhoben hat, während sie sich im Anhörungsverfahren noch anders einließ. Dem Beweisangebot der Klägerin zu der Frage muss die Kammer schon deshalb nicht nachgehen, weil die Klägerin noch im Januar 2017, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sie wusste, dass ihr Sohn weiterhin Zeitungen austrug, dessen Einkommen nicht erklärte.

Auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten.

Dem Beklagten war auch bewusst, dass es sich hierbei um Ermessensentscheidungen handelt. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Wurde der Verwaltungsakt durch unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt, so ist das Ermessen regelmäßig dahin intendiert, dass der Verwaltungsakt zurückzunehmen ist.

Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen (§ 50 Abs. 3 SGB X) und kann mit anderen Sozialleistungen - hier: mit dem der Klägerin bewilligten Wohngeld - verrechnet werden.

Hinsichtlich der Höhe der Rückforderung des aufgrund des Wohngeldbescheids Nr. 1 vom 16. Februar 2017 überzahlten Wohngeldbetrag von 111 € bestehen keine Zweifel. Der Beklagte hat zu Recht das Jahreseinkommen des Sohnes der Klägerin für den Bewilligungszeitraum November 2016 bis Januar 2017 anhand seines Verdienstes zwischen Juli und Oktober 2016 prognostiziert.

Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 WoGG sind der Entscheidung über die Wohngeldbewilligung die Verhältnisse im Bewilligungszeitraum, die im Zeitpunkt der Antragstellung zu erwarten sind, zu Grunde zu legen (s. a. BVerwG, Urteil vom 23.1.1990 - 8 C 58/89 -, BVerwGE 84, 278). Der Beklagte hat nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 WoGG einen auf drei Monate verkürzten Bewilligungszeitraum (November 2016 bis Januar 2017) gebildet, weil zu erwarten war, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse vor Ablauf von zwölf Monaten, dem Regel-Bewilligungszeitraum (§ 25 Abs. 1 WoGG) erheblich ändern würden. Entscheidend sind damit die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung (nur) in diesem Bewilligungszeitraum. Entsprechend konnte der Beklagte aufgrund der Zahlungen an den Sohn der Klägerin in den Monaten Juli bis Oktober die Prognose treffen, dass er bei einem Durchschnittsverdienst in diesen Monaten im Jahr 2331,29 € verdienen würde. Die Tatsache, dass der Sohn der Klägerin ab November 2016 tatsächlich erheblich weniger verdiente, musste der Beklagte nicht berücksichtigen.

Treten nach dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Bekanntgabe des Wohngeldbescheides Änderungen der Verhältnisse im Bewilligungszeitraum ein, so sind sie gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 WoGG grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Ein Ausnahme gilt gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 WoGG für Änderungen i. S. v. § 27 Abs. 1 WoGG, wozu auch eine relevante Verringerung des zugrunde zu legenden Einkommens gehört (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WoGG; OVG Hamburg Urt. v. 26.11.2015 – 4 Bf 96/14 -, BeckRS 2016, 43534). Damit sind für die nach § 24 Abs. 2 Satz 1 und 2 WoGG zu treffende Einkommensprognoseentscheidung im Ergebnis nicht nur die bei der Antragstellung bekannten Daten, sondern auch diejenigen Erkenntnisse bzw. Prognosetatsachen zugrunde zu legen, die der Behörde innerhalb des sog. Prognoseermittlungszeitraums - d. h. zwischen dem Antrag auf Bewilligung von Wohngeld und dem Erlass des Bewilligungsbescheids - bekannt werden (vgl. hierzu VGH München, Beschl. v. 5.5.2014, 12 ZB 14.701, juris Rn. 14; OVG Berl.-Brandenb., Beschluss vom 5.3.2015 - OVG 6 M 6.15 -, juris). Maßgeblich für eine Berücksichtigung ist allerdings, dass die Änderung der Verhältnisse erheblich ist. Dies ist (erst) dann der Fall, wenn sie zu einer Verringerung oder Vergrößerung des Haushaltseinkommens gegenüber demjenigen bei der Antragstellung um 15 % führt (§ 24 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 WoGG i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WoGG; vgl. auch VG Ansbach, Urteil vom 15.1.2009 – AN 14 K 08.00978 –, Rn. 37, juris; VG Köln, Urteil vom 28.7.2014 – 16 K 6226/13 –, Rn. 31, juris).

Hinsichtlich des Wohngeldbescheids Nr. 2 vom 16. Februar 2017 liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme dagegen nicht vor. Zwar hat die Klägerin auch in diesem Fall Einkommen ihres Sohnes nicht angegeben, doch war dies nicht Folge einer Wohngeldüberzahlung, sondern vielmehr für den Wohngeldanspruch der Klägerin ohne Belang.

Der Wohngeldbescheid Nr. 2 vom 16. Februar 2016 muss Bestand haben. Entscheidend für die Berechnung des wohngeldrechtlichen Gesamteinkommens sind hierfür die Verhältnisse im Bewilligungszeitraum Februar bis Juli 2017. Im „Zeitpunkt der Antragstellung“ sind für diesen Bewilligungszeitraum die Verhältnisse im Januar 2017 maßgeblich, als die Klägerin das Gesamteinkommen der Familie ab Februar 2017 erklärte (und dabei Einkommen ihres Sohnes verschwieg). Die Prognose zu diesem Zeitpunkt hätte sich an dem vorher dem Sohn der Klägerin zugeflossenen Einkommen orientieren müssen. Hier hätte nicht mehr das zwischen Juli und Oktober 2016 Verdiente, sondern das dem Sohn danach Zugeflossene herangezogen müssen, da § 24 Abs. 2 Satz 1 WoGG auf die zu erwartenden Verhältnisse abstellt und sich offenkundig nach Oktober 2016 der Verdienst des Sohnes der Klägerin drastisch reduziert hatte. Tendenziell ging der Verdienst in den Monaten November 2016 November bis Januar 2017 von zunächst 123,95 € über 110,08 € auf 81,18 € zurück. Damit deutete sich im Januar 2017 eine Entwicklung an, die die Realität bestätigt, dass der Sohn der Klägerin im Bewilligungszeitraum Februar 2017 bis Juli 2017 im Durchschnitt nicht mehr ein Monatseinkommen von durchschnittlich 100 € erreicht. Selbst wenn die Klägerin auch dieses geminderte Einkommen ihres Sohnes hätte angeben müssen, wie der Beklagte meint, hat die Nichtangabe keinen Einfluss auf die Höhe des Wohngelds, weil dem Sohn der Klägerin ein Freibetrag von 1200 € im Jahr zusteht (§ 17 Nr. 4 WoGG) und damit Monatseinkommen unter 100 € anspruchsunschädlich sind. Der Sohn der Klägerin ist nicht 25 Jahre alt und zu berücksichtigendes Haushaltsmitglied.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.