Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.03.2018, Az.: 11 B 1569/18
Asylantragstellung; aufenthaltsbeendende Maßnahmen; offensichtlich unbegründet
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 08.03.2018
- Aktenzeichen
- 11 B 1569/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74444
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 30 Abs 3 Nr 4 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das Offensichtlichkeitsurteil nach § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG setzt u.a. voraus, dass die zuständige Ausländerbehörde konkret beabsichtigt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen. Ein Asylbewerber hat keinen Anlass zur Asylantragstellung, solange er einen gesicherten ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus besitzt.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 15. Februar 2018 (Az.: 11 A 1566/18) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Januar 2018 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin, einer am 15. Juli 1994 geborenen nepalesischen Staatsangehörigen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage 15. Februar 2018 (Az.: 11 A 1566/18) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Januar 2018 anzuordnen,
hat Erfolg.
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist begründet. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus.
Im Fall der durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) verfügten Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 30 AsylG ordnet das Gericht gemäß § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß §§ 36 Abs. 3, 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylbewerbers, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Die Aussetzung der Abschiebung darf gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist der Fall, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme, hier die der sofortigen Aufenthaltsbeendigung zugrunde liegende Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet, einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
Hier bestehen unter Zugrundelegung der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf § 30 AsylG gestützten Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag der Antragstellerin als offensichtlich unbegründet abzulehnen.
Das Bundesamt stützt sich für seine Entscheidung, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, zu Unrecht auf § 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Antrag gestellt wurde, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl vorher ausreichend Gelegenheit bestand, einen Asylantrag zu stellen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Denn es drohte keine Aufenthaltsbeendigung und es bestand keine ausreichende Gelegenheit zur Asylantragstellung.
Eine Aufenthaltsbeendigung droht (vgl. zum Folgenden: GK-AsylVfG, Rn 109 ff. zu § 30 AsylG), wenn – erstens - die Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht besteht und – zweitens - die zuständige Behörde die Absicht konkretisiert hat, aufenthaltsbeendende Maßnahmen in naher Zukunft zu ergreifen. Es muss ein enger zeitlicher Zusammenhang der Asylantragstellung mit der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bestehen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich. Zwar kann im Einzelfall eine Abschiebung auch drohen, wenn der Ausländer nur noch formal einen Aufenthaltstitel besitzt und ihm auf entsprechende Reaktionen der Ausländerbehörde durch entsprechende Hinweise oder Anhörungen klar ist, dass eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen ist. Auch dafür ergibt sich aus dem Verwaltungsvorgang nichts.
Darüber hinaus bestand nicht ausreichend Gelegenheit zur Asylantragstellung. In Hinblick auf die gebotene restriktive Auslegung der Vorschrift, ist von einer fehlenden Gelegenheit zur Stellung eines Asylantrages insbesondere in Fällen auszugehen, in denen der Asylbewerber im Hinblick auf einen gesicherten ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus keinen Anlass hatte, einen Asylantrag zu stellen (GK-AsylVfG, Rn 116 zu § 30 AsylG mwN). Die Vorschrift ist deshalb in dem Sinne auszulegen, dass sie nur dann eingreift, wenn der betroffene Asylbewerber einen berechtigten Anlass für eine Asylantragstellung hatte. Durfte er mit Rücksicht auf das ausländerrechtliche Bleiberecht berechtigterweise davon ausgehen, dass er vor einer Rückführung in seinen Heimatstaat sicher war, liegt ein wichtiger Grund vor, der das Unterlassen der Asylantragstellung als berechtigt erscheinen lässt. Bis zum 18. Oktober 2017 hatte die Antragstellerin einen berechtigten Anlass, von der Asylantragstellung abzusehen. Sie reiste im April 2015 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein, um hier als Au-Pair-Mädchen zu arbeiten. Später leistete sie ein freiwilliges soziales Jahr ab, wofür sie einen bis zum 14. Oktober 2017 gültigen Aufenthaltstitel besaß. Erst mit dem Wegfall der Wirkungen des Aufenthaltstitels am 14. Oktober 2017 bestand ein Anlass, den Asylantrag zu stellen. Angesichts dessen, dass zwischen dem 14. Oktober 2017 und der Asylantragstellung am 18. Oktober 2017 noch ein Wochenende lag, ist hier von einer unverzüglichen Asylantragstellung auszugehen.
Anhaltspunkte dafür, dass sich die offensichtliche Unbegründetheit aus einer anderen Alternative des § 30 AsylG ergeben könnte, liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).