Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.11.2010, Az.: 12 B 3883/10
Ausnahme; Drittschutz; Giebeldreieck; Grenzabstand; Schmalseitenprivileg; Teilbaugenehmigung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.11.2010
- Aktenzeichen
- 12 B 3883/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 41077
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:1105.12B3883.10.0A
Rechtsgrundlagen
- 13 NBauO
- 7 NBauO
- 76 NBauO
- 7a NBauO
- 7b NBauO
Fundstelle
- BauR 2011, 303
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 76 NBauO vermittelt keinen Drittschutz.
- 2.
Ein gemeinsames Giebeldreieck eines Doppelhauses zählt als ein Giebeldreieck im Sinne von § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO.
- 3.
Das Schmalseitenprivileg gemäß § 7a NBauO und Ausnahmen von den erforderlichen Grenzabständen gemäß § 13 NBauO können kumulativ angewendet werden, sodass der erforderliche Grenzabstand gegenüber mehr als zwei Grenzen unterschritten werden kann (Abweichung von OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.08.2004 - 9 ME 206/04, juris).
- 4.
Der Nachbar, dessen Grenze gegenüber das Schmalseitenprivileg gemäß § 7a NBauO zur Anwendung gelangt, kann sich nicht darauf berufen, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß § 13 NBauO gegenüber einer anderen Grenze nicht vorliegen.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragssteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird bis zum Zeitpunkt der Verbindung der Verfahren 12 B 3883/10 , 12 B 3884/10 und 12 B 5111/10 auf jeweils 7.500,- EUR und ab diesem Zeitpunkt auf einheitlich 7.500,- EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen der Beigeladenen erteilte Baugenehmigungen für ein Wohn- und Geschäftshaus.
Die Antragsteller sind Wohnungseigentümer einer in der Altstadt von D. gelegenen Doppelhaushälfte. Ihre Haushälfte liegt gemeinsam mit einer weiteren Haushälfte auf dem Grundstück G. straße 4/4a (Flurstück 168, Flur 22, Gemarkung D.) und trägt die Hausnummer 4a. Das anderthalbgeschossige Doppelhaus wurde im Jahr 1994 errichtet. Beide Haushälften verfügen über einen gemeinsamen Doppelgiebel. Das Gebäude ist Teil einer Häuserzeile, die sich von der H. Straße bis hin zur I. straße erstreckt. Von den angrenzenden Gebäuden wird es durch zwei weniger als einen Meter breite Traufgassen getrennt. Die Nordostseite des Gebäudes ist zur G. straße, die Südwestseite zu der Grünanlage entlang der E. hin ausgerichtet. Zur G. straße hin liegen in der Haushälfte der Antragsteller im Erdgeschoss die Küche, der Flur sowie die Toilette. Im Obergeschoss ist ein Wohnraum zur Straße orientiert. Die Doppelhaushälfte liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 84, Teil II, "Südliche H. Straße / J. straße" vom 09.01.1991. Dieser setzt für das Grundstück ein Mischgebiet und eine Geschossflächenzahl von 1,5 fest. Die Breite der G. straße setzt der Plan auf 8,00 m fest. Ein entsprechender Straßenausbau ist tatsächlich nicht erfolgt; die Straßenbreite betrug und beträgt rund 6,50 m.
Gegenüber dem Grundstück der Antragsteller nordöstlich der G. straße liegt ein größeres bislang als Parkplatz genutztes Grundstück, das sich im Osten bis zur J. straße erstreckt. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 121 "K.", dessen ursprüngliche Fassung am 21.04.2004 in Kraft getreten ist. Der Plan setzt das Grundstück als Kerngebiet fest. Im südlichen Bereich der G. straße ermöglichte der ursprüngliche Plan eine eingeschossige Bauweise bei einer Geschossflächenzahl von 1,0, im nördlichen Teil gegenüber dem Grundstück der Antragsteller eine zweigeschossige Bauweise bei einer Geschossflächenzahl von 2,0. Die Antragsgegnerin strebt eine höhere Verdichtung der Bebauung an. Nachdem eine am 16.10.2007 beschlossene erste Änderung des Bebauungsplans vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 20.04.2009 (1 KN 339/07) für unwirksam erklärt worden war, ist seit dem 16.03.2010 eine erneute Änderung in Kraft. Diese Änderung setzt gegenüber dem Grundstück der Antragsteller zwingend eine zweigeschossige Bauweise bei einer Geschossflächenzahl von 3,0 fest. Der Änderungsplan ist Gegenstand eines laufenden Normenkontrollverfahrens (1 KN 144/10).
Die Beigeladene beabsichtigt, auf dem Parkplatzgrundstück ein Wohn- und Geschäftsgebäude zu errichten. In dem Gebäude sollen sechs Wohneinheiten sowie eine Praxis für Kiefer- und Gesichtschirurgie Platz finden. Der Bau soll im Süden unmittelbar an das traufenständige zweieinhalbgeschossige Gebäude J. straße 14 anschließen. Seine Fronten sollen entlang der J. straße, dem L. sowie dem nördlichen Bereich der G. straße gegenüber den Hausnummern 4, 4a und 6 verlaufen. Gemeinsam mit dem vorhandenen Gebäude J. straße 14 entsteht so ein U-förmiger Gebäudekomplex mit einem Innenhof, der sich zur G. straße hin öffnet. Das mit Flachdächern neu zu errichtende Gebäude ist entlang der J. straße sowie dem L. dreigeschossig mit einem weiteren aufgesetzten Staffelgeschoss. Zur G. straße hin wird das Gebäude zweigeschossig. Gegenüber dem Grundstück der Antragsteller beträgt die Höhe rund 6,80 m. Dort ist auf dem Flachdach eine Dachterrasse vorgesehen, die zu einer Arztpraxis gehört. Eine weitere nach Südwesten ausgerichtete Dachterrasse soll zurückgesetzt auf dem Dach des dritten Geschosses errichtet werden. Die Breite der G. straße beträgt gegenwärtig in Übereinstimmung mit den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 121 in diesem Bereich rund 6,50 m. Zur Straßenmitte hält das geplante Gebäude einen Abstand von rund 3,40 m.
Unter dem 07.04.2010 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Teilbaugenehmigung zur Ausführung von Erdarbeiten, nämlich der archäologischen Untersuchungen sowie des Aushubs der Baugrube, der Fundamentgräben und der Gräben für die Entwässerungsanlagen. Die Antragsteller legten mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 30.04.2010 Widerspruch ein. Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16.07.2010 zurück.
Unter dem 21.07.2010 erteilte die Antragsgegnerin eine zweite Teilbaugenehmigung für das Einbringen der Fundamente und der Kellersohle sowie das Herstellen des Kellergeschosses mit Decke. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 23.07.2010 wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 02.08.2010 zurück.
Die Antragsteller haben am 03.08.2010 Klage gegen die erste Teilbaugenehmigung (Aktenzeichen 12 A 3403/109) und am 26.08.2010 Klage gegen die zweite Teilbaugenehmigung (altes Aktenzeichen 12 A 3695/10) erhoben. Nachdem die Antragsgegnerin unter dem 27.07.2010 bzw. dem 18.08.2010 Anträge auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, haben die Antragsteller unter dem 10.09.2010 um einstweiligen Rechtsschutz gegen beide Teilbaugenehmigungen nachgesucht (Aktenzeichen 12 B 3883/10 und altes Aktenzeichen 12 B 3884/10).
Zwischenzeitlich hat die Antragsgegnerin der Beigeladenen unter dem 11.08.2010 die Baugenehmigung für das Vorhaben erteilt. Den Widerspruch sowie einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 23.09.2010 zurück. Dagegen haben die Antragsteller unter dem 25.10.2010 Klage erhoben (altes Aktenzeichen 12 A 5048/10) und unter dem 01.11.2010 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (altes Aktenzeichen 12 B 5111/10).
Zur Begründung tragen die Antragsteller vor: Der Antrag sei auch im Hinblick auf die Teilbaugenehmigungen weiterhin zulässig, weil diese eine Bindung hinsichtlich der Baugenehmigung für das Gesamtvorhaben bewirkten. Die Teilbaugenehmigungen seien ermessensfehlerhaft erteilt worden, weil die Erteilung der Baugenehmigung kurz bevor gestanden habe und es dem Vorhaben an der Eilbedürftigkeit mangele.
Das geplante Bauvorhaben halte die erforderlichen Grenzabstände nicht ein. Zu den Gebäuden entlang der J. straße sowie der G. straße betrage der Abstand lediglich 1/2 H. Gegenüber den Gebäuden entlang der J. straße habe die Antragsgegnerin zu Unrecht eine Ausnahme nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 NBauO erteilt. Das Gebäude solle sich gerade nicht in die vorhandene Bebauung einfügen, sondern ausweislich der Bauleitplanung als Solitär an den L. angrenzen und dort als städtebauliche Dominante eine Sonderrolle spielen. Die geplante Bebauung füge sich in die sonstige Bebauung der J. straße nicht ein. Die vorhandenen Gebäude seien Klinkerbauten mit Satteldach. Diesen Bauten werde ein kubistischer Zweckbau in Flachdachbauweise gegenüber gestellt. Überdies könne eine nach dem Bebauungsplan zulässige zwei- statt dreigeschossige Bebauung entlang der J. straße die im Bebauungsplan festgesetzte Baulinie und zugleich die Regelabstände einhalten. Auch das Schmalseitenprivileg könne die Abstandsunterschreitung nicht rechtfertigen. Aufgrund des fehlenden Grenzabstands gegenüber dem Gebäude J. straße 14 stehe dieses nur noch ein Mal zur Verfügung und könne nicht die Unterschreitung des erforderlichen Grenzabstands zugleich ihnen und den Gebäuden entlang der J. straße gegenüber rechtfertigen. Da eine Ausnahme nicht in Betracht komme, sei das Schmalseitenprivileg entlang der J. straße verbraucht. Das freie Wahlrecht der Beigeladenen hinsichtlich des Schmalseitenprivilegs sei insofern ohne Bedeutung, weil der Grenzabstand unzulässigerweise an zwei Grenzen unterschritten werde, obwohl das Schmalseitenprivileg nur einmal anwendbar sei. Ihnen gegenüber sei daher ein Abstand von 1 H einzuhalten. Die relevante Höhe des Gebäudes der Beigeladenen betrage einschließlich der Balkonbrüstung 7,68 m; die Balkonbrüstung sei einzurechnen, weil eine durchsichtige Beschaffenheit nicht festgesetzt sei. Der Abstand zur Mitte der G. straße liege erheblich darunter.
Sie, die Antragsteller, könnten dies auch rügen. Ihr Gebäude unterschreite den erforderlichen Grenzabstand nicht. Der Doppelgiebel des Doppelhauses G. straße 4/4a könne nicht als einheitlicher Giebel betrachtet werden. Vielmehr könne jeder Eigentümer das Privileg des § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO für seinen jeweiligen Giebel in Anspruch nehmen. Selbst wenn ihr Gebäude aber den erforderlichen Grenzabstand unterschreite, wirke sich die Unterschreitung durch das geplante Gebäude sehr viel gravierender aus. Das ergebe sich schon aus den Dachterrassen auf dem Gebäude der Beigeladenen.
Das Vorhaben verstoße überdies gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil die Dachterrassen, die in Richtung ihres Hauses ausgerichtet seien, den erforderlichen Sozialabstand nicht einhielten. Die Terrassen ermöglichten umfangreiche Einsichtsmöglichkeiten in ihre Wohnräume. Gemäß § 11 NBauO müssten bereits die Fenster ein- und desselben Gebäudes 6,00 m Abstand halten, wenn diese in einem Winkel von weniger als 120 Grad zueinander stünden. Für eine Terrasse eines benachbarten Gebäudes sei demnach ein wesentlich größerer Abstand erforderlich. Die Zahl der Stellplätze sei nicht ausreichend. Das geplante Gebäude sei schließlich planungsrechtlich unzulässig; die Änderung des Bebauungsplans Nr. 121 sei rechtsfehlerhaft erfolgt.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Teilbaugenehmigungen vom 07.04.2010 und vom 21.07.2010 sowie gegen die Baugenehmigung vom 11.08.2010 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen
Sie erwidert: Die Teilbaugenehmigungen seien zu Recht erteilt worden, weil der Verlust des Hauptinvestors gedroht habe und deshalb Eile geboten gewesen sei. Die Grenzabstände würden zumindest von der Teilbaugenehmigung für die Erdarbeiten nicht geregelt und seien überdies eingehalten. Der Bebauungsplan sehe für den südlichen Anschluss an das Gebäude J. straße 14 die geschlossene Bauweise vor, sodass hier kein Grenzabstand einzuhalten sei. Gegenüber dem Grundstück der Antragsteller komme das Schmalseitenprivileg zur Anwendung. Das zu errichtende Gebäude halte unter Einbeziehung der halben Straßenbreite den erforderlichen Grenzabstand von 1/2 H ein. Für die Ostseite des Gebäudes zur J. straße hin könne § 13 Abs. 1 Nr. 3 NBauO herangezogen werden. Der Bebauungsplan sehe entlang der J. straße eine Baulinie vor, die die ursprünglich dort vorhandene Straßenflucht wieder aufnehme. Als Solitär grenze das Gebäude lediglich an den L.; dort weiche es von der H. Straße zurück, um eine Platzfläche zu schaffen. In den von der Abstandsunterschreitung betroffenen Gebäuden J. straße 7 und M. Straße 2 seien keine Wohnräume, sondern lediglich Nebenräume zur Straße hin orientiert. Den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sei insofern - wenn auch mit gewissen Abstrichen - genügt. Soweit das Bauvorhaben gegenüber dem Rathaus den erforderlichen Grenzabstand unterschreite, sei die Unterschreitung durch Baulast gesichert. Die unmittelbar dem Gebäude der Antragsteller zugewandten Dachterrassen gehörten zu der Praxis für Kiefer- und Gesichtschirurgie; sie würden nur zu den Öffnungszeiten der Praxis genutzt. Der erforderliche Sozialabstand sei aufgrund der Wahrung der gesetzlich vorgesehen Grenzabstände eingehalten. Besondere Umstände des Einzelfalls seien nicht ersichtlich.
Im Übrigen könnten sich die Antragsteller auf eine Unterschreitung des Grenzabstands durch die Beigeladene ohnehin nicht berufen. Das Haus G. straße 4a halte bei einer maßgeblichen Höhe von rund 6,15 m unter Berücksichtigung der Straße einen Grenzabstand von rund 4,00 m ein. Das Schmalseitenprivileg sei aufgrund der geschlossenen Bauweise zu den Häusern G. straße 2a und 6 verbraucht; die vorhandenen Traufgassen führten zu keiner Unterbrechung. Da das gemeinsame Giebeldreieck des Doppelhauses in der Höhe von 6,15 m die Breite von 6,00 m unterschreite, sei diese Höhe gemäß § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO maßgeblich. Bei einer wertenden Betrachtung der jeweiligen Grenzabstandsunterschreitungen seien diese zumindest gleichwertig. Die Dachterrassen des geplanten Gebäudes erhielten Geländer in einer leichten, durchsichtigen Ausführung; sie blieben bei der Höhenbestimmung außer Betracht. Die erste Änderung des Bebauungsplans Nr. 121 vom 16.03.2010 sei rechtsgültig.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die mit den Teilbaugenehmigungen genehmigten Arbeiten sind vollständig beendet; der Rohbau wurde am 05.11.2010 fertig gestellt. Die Kammer hat die Verfahren mit Beschlüssen vom 18.10.2010 und 05.11.2010 verbunden.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der statthafte Antrag gemäß § 80a Abs. 3 VwGO i.V. mit § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg.
Die Kammer lässt offen, ob der Antrag - soweit sich die Antragsteller gegen die Teilbaugenehmigungen vom 07.04.2010 und vom 21.07.2010 wenden - zulässig ist oder ob den Antragstellern das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil der vollziehbare Regelungsgehalt der Teilbaugenehmigungen nach Abschluss der genehmigten Baumaßnahmen und nach Erteilung der endgültigen Baugenehmigung ausgeschöpft ist. Die Kammer lässt weiter offen, ob die Teilbaugenehmigungen, die allein Arbeiten bis zur Oberkante des Kellergeschosses gestatten, überhaupt Rechte der Antragsteller verletzen können und insbesondere die hier maßgeblich interessierende Frage einer Verletzung von Abstandsvorschriften überhaupt regeln (verneinend OVG Koblenz, Beschl. v. 07.12.1990 - 1 B 12509/90, juris; Decker, in: Simon/Busse, BayBauO, Art. 70, Rn. 58 <Stand der Bearbeitung: April 2009>; für Erdarbeiten offen gelassen von OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.11.2006 - 1 ME 194/06, juris). Die Kammer lässt schließlich offen, ob die Vollendung des Rohbaus am 05.11.2010 zur Unzulässigkeit des Eilantrags insgesamt führt (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.10.2008 - 1 ME 134/08, juris). Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
Das Interesse der Beigeladenen, gemäß § 212a Abs. 1 BauGB trotz der von den Antragstellern eingelegten Rechtsmittel von ihren Baugenehmigungen Gebrauch machen zu können, überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Die Baugenehmigungen verletzen bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich keine Rechtsvorschriften, die dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind. Auf eine Verletzung von § 76 NBauO können sich die Antragsteller ebenso wenig berufen (dazu unter 1.) wie auf eine Verletzung von Grenzabstandsvorschriften (dazu unter 2.); jedenfalls aber sind Grenzabstandsvorschriften nicht zu Lasten der Antragsteller verletzt (dazu unter 3.). Die Baugenehmigungen verstoßen nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (dazu unter 4). Eine Rechtsverletzung der Antragsteller läge schließlich auch dann nicht vor, wenn die erste Änderung des Bebauungsplans Nr. 121 vom 16.03.2010 nichtig wäre (dazu unter 5.).
1. Soweit die Antragsteller rügen, die Teilbaugenehmigungen gemäß § 76 NBauO seien ermessensfehlerhaft erteilt worden, weil die Erteilung der endgültigen Baugenehmigung unmittelbar bevorgestanden habe und es an der Eilbedürftigkeit des Vorhabens fehle, berufen sie sich auf eine Rechtsvorschrift, die nicht ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist. Die Möglichkeit der Erteilung einer Teilbaugenehmigung dient dem Interesse des Bauherrn an einem frühzeitigen Baubeginn vor der Entscheidungsreife des gesamten Bauantrags; dieses Interesse ist ebenso ermessensleitend zu berücksichtigen wie der unter Umständen erhebliche Aufwand, der der Bauaufsichtsbehörde bei einer vorzeitigen Genehmigung von einzelnen Arbeiten entsteht (vgl. Schmaltz, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 76, Rn. 5). Die Möglichkeit, die Erteilung einer Teilbaugenehmigung nach Ermessen zu versagen, dient hingegen nicht dem Schutz des Nachbarn. § 76 NBauO vermittelt ihm insofern keine verfahrensrechtliche Position, die die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen müsste.
2. Soweit die Antragsteller die Verletzung des gemäß § 7 Abs. 1 NBauO erforderlichen Grenzabstands einwenden, sind die Antragsteller bereits gehindert, eine mögliche Verletzung geltend zu machen. Denn ein Abwehranspruch wegen einer Verletzung von Abstandsvorschriften besteht dann und insoweit nicht, als der sich wehrende Nachbar den Bauwich seinerseits in vergleichbarer Weise in Anspruch nimmt und damit Grenzabstandsvorschriften verletzt. Der Nachbar kann nach Treu und Glauben grundsätzlich nicht die Beachtung einer Vorschrift einfordern, die er selbst nicht einhält. Dabei ist es unerheblich, ob und inwieweit das Gebäude des Nachbarn über eine Baugenehmigung verfügt. Maßgeblich ist vielmehr die faktische Nichteinhaltung der gesetzlich geforderten Grenzabstände (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 12.02.2010 - 7 B 1840/09, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 12.09.1984, 6 A 49/83, BRS 42, Nr. 196).
Die Inanspruchnahme des Bauwichs durch den Nachbar führt allerdings nicht dazu, dass jedwede Abwehransprüche wegen Bauwichverletzungen des Bauherrn ausgeschlossen sind. Nur soweit das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis gestört wird, d.h. die Verletzungen der Grenzabstandsvorschriften bei wertender Betrachtung einander entsprechen, ist ein Abwehranspruch ausgeschlossen. In einer Gesamtbetrachtung ist das Gewicht der abstandsrechtlich relevanten Beeinträchtigungen gegenüberzustellen und zu ermitteln, ob der Saldo einander in etwa entspricht oder die Beeinträchtigungen des einen schwerer wiegt als die des anderen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.09.2004 - 1 ME 194/04, juris). Das Gewicht eines Abstandflächenverstoßes bestimmt sich dabei in erster Linie - aber nicht ausschließlich - nach dem Ausmaß, in dem die jeweils erforderliche Abstandfläche zu Lasten des Nachbarn nicht eingehalten wird (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 12.02.2010 - 7 B 1840/09, juris). Weiter kommt es auf die konkreten Auswirkungen auf diejenigen Belange an, die die Schutzgüter der Grenzabstandsvorschriften darstellen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.12.2006 - 1 ME 207/06, juris). Das sind insbesondere die Belange des Brandschutzes, die Belichtung, Belüftung und Besonnung des Nachbargrundstücks sowie die Wahrung eines ausreichenden Sozialabstands, und zwar jeweils unter Berücksichtigung der konkreten Grundstücksnutzung (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 12.02.2010 - 7 B 1840/09, juris). Von Bedeutung ist schließlich das Maß der jeweils gezogenen Vorteile (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 12.09.1984 - 6 A 49/83, BRS 42, Nr. 196).
Legt man dies zugrunde, ist davon auszugehen, dass die Antragsteller den Grenzabstand in vergleichbarer Weise wie die Beigeladene unterschreiten. Der Grenzabstand, den die Antragsteller zur G. straße halten müssen, bestimmt sich nach § 7 Abs. 3 NBauO und beträgt 1 H. Auf das Schmalseitenprivileg des § 7a Abs. 1 NBauO, das zu einer Verringerung des Grenzabstands auf 1/2 H führen würde, können sich die Antragsteller nicht berufen. Denn ihre Doppelhaushälfte, die mit der anderen Haushälfte auf einem Grundstück errichtet worden ist und die deshalb gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 NBauO mit dieser gemeinsam als ein Gebäude gilt, ist in geschlossener Bauweise und damit ohne Grenzabstand zu den angrenzenden Häusern der G. straße errichtet worden. Das Schmalseitenprivileg steht deshalb gemäß § 7a Abs. 2 Satz 2 NBauO nicht mehr zur Verfügung. An der geschlossenen Bauweise ändern auch die weniger als einen Meter breiten Traufgassen, die das Doppelhaus G. straße 4/4a von den Nachbargebäuden trennen, nichts. Denn eine grenznahe Bebauung, die - wie im Fall der hier vorliegenden Traufgassenbauweise - auch bei Einhaltung des Grenzabstandes auf dem Nachbargrundstück noch nicht zu einem ausreichenden Gebäudeabstand führt, stellt eine geschlossene Bauweise dar (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.08.1999 - 1 L 1515/99, juris; Urt. v. 25.01.1978 - I A 103/76, juris; ebenso Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 8, Rn. 5.1).
Der erforderliche Grenzabstand von 1 H beträgt im Fall der Antragsteller 6,10 m; dies entspricht der gemäß § 7 Abs. 1 NBauO i.V. mit § 7b Abs. 2 Satz 2 und 3 NBauO maßgeblichen Höhe ihres Gebäudes. Denn in einer Höhe von rund 6,15 m unterschreitet das Giebeldreieck des Doppelhauses G. straße 4/4a die Breite von 6,00 m.
Soweit die Antragsteller einwenden, maßgeblich für die Anwendung des § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO sei nicht das Giebeldreieck des gesamten Doppelhauses, sondern das Giebeldreieck ihrer Doppelhaushälfte mit der Folge, dass der gesamte Giebel der nur rund 5,20 m breiten Haushälfte außer Betracht bleiben würde, überzeugt das die Kammer nicht. Zwar ist es richtig, dass § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO auf mehrere Giebeldreiecke ein- und desselben Gebäudes jeweils selbstständig Anwendung findet (vgl. Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 3. Aufl. 2008, § 7b, Rn. 29). Das lässt aber nicht den Schluss zu, § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO müsse trotz eines gemeinsamen Doppelhausgiebels auf jede Doppelhaushälfte einzeln Anwendung finden. Denn seinem Wortlaut zufolge findet § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO auf das Giebeldreieck als solches Anwendung. Ein Giebeldreieck ist bei einem Doppelhaus mit einheitlichem Giebel aber nur einmal vorhanden. Eine Aufspaltung in zwei rechtlich selbstständige Giebeldreiecke steht mit dem natürlichen Wortsinn nicht in Einklang (vgl. Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 7b, Rn. 34).
Hinzu kommt, dass § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO Giebelhäuser abstandsrechtlich begünstigt, weil sich ein auf eine Breite von unter 6,00 m verjüngender Giebel auf die Belichtung und Belüftung des Nachbargrundstücks typischerweise weniger nachteilig auswirkt als eine Hauswand ohne oder mit einem breiteren Giebel. Dem Nachbarn wird es deshalb zugemutet, einen geringeren Grenzabstand hinzunehmen (vgl. Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 7b, Rn. 31). Diese Überlegung gilt indes nicht bei einer rechtlichen Aufspaltung eines einheitlichen Giebeldreiecks in zwei Dreiecke, die abstandsrechtlich jeweils bis zur Breite von 6,00 m, also insgesamt bis zu einer Breite von 12,00 m, außer Betracht bleiben könnten. Denn für den Nachbarn, dessen Schutz die Abstandsvorschriften maßgeblich dienen, ist es unerheblich, auf wie viele Gebäude sich ein einheitlicher Giebel verteilt. Maßgeblich für ihn und die Situation seines Grundstücks ist das äußere Erscheinungsbild als ein einheitlicher oder zwei selbstständige Giebel.
Eine selbstständige Betrachtung des Giebelbereichs der Antragsteller kommt auch vor dem Hintergrund der besonderen Ausführung des Giebels nicht in Betracht. § 7b Abs. 2 Satz 3 NBauO stellt derartige besondere Bauformen den klassischen Giebeldreiecken gemäß § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO gleich. Soweit daher der gemeinsame Giebel des Doppelhauses im oberen Bereich für jede Haushälfte einen eigenen Giebel andeutet, sind diese angedeuteten Giebel Teil des gemeinsam zu betrachtenden Gesamtgiebels.
Ist demnach von einer maßgeblichen Höhe des Doppelhauses von rund 6,15 m auszugehen, unterschreitet dieses den erforderlichen Grenzabstand um rund 2,90 m, also nahezu um die Hälfte. Das Doppelhaus grenzt unmittelbar an die G. straße mit einer tatsächlichen Straßenbreite von 6,50 m. Diese Breite darf gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO zur Hälfte, also im Umfang von 3,25 m als Grenzabstand berücksichtigt werden. Eine weitergehende Berücksichtigung der in dem Bebauungsplan Nr. 84, Teil II, aus dem Jahr 1991 vorgesehenen Straßenbreite von 8,00 m zu Gunsten der Antragsteller ist nicht möglich. Denn tatsächlich hat ein Straßenausbau auf diese Breite nicht stattgefunden; nur die tatsächliche Straßenbreite ist indes berücksichtigungsfähig. Zu Gunsten der Antragsteller kann auch nicht die auf dem Grundstück der Beigeladenen bislang vorhandene Parkfläche in die Betrachtung einbezogen werden. Denn eine Widmung der Parkfläche als öffentlicher Parkplatz war - soweit ersichtlich - niemals vorhanden (vgl. dazu Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 9, Rn. 7).
In der Abwägung ist die Unterschreitung des Grenzabstands durch die Antragsteller jedenfalls nicht von geringerem Gewicht als die von ihnen behauptete Grenzabstandsverletzung der Beigeladenen. Dabei unterstellt die Kammer zu Gunsten der Antragsteller, dass die Beigeladene einen Grenzabstand von 1 H gemäß § 7 Abs. 3 NBauO einhalten muss. Der erforderliche Grenzabstand betrüge dann entsprechend der Höhe des Gebäudes der Beigeladenen rund 6,80 m. Zu Unrecht meint der Antragsteller, die maßgebliche Höhe betrage 7,68 m. Denn das 0,90 m hohe Geländer der dem Haus der Antragsteller zugewandten Dachterrasse bleibt bei der Höhenbestimmung gemäß § 7b Abs. 2 Satz 1 NBauO außer Betracht. Die lichtdurchlässige Ausführung aus Aluminiumblechen, wie sie die Baubeschreibung sowie die Ansichten vorsehen, rechtfertigt die Einstufung als untergeordnetes Bauteil. Bei der damit maßgeblichen Höhe von rund 6,80 m hält das Gebäude der Beigeladenen einen Grenzabstand von rund 3,40 m - also 1/2 H - ein.
Stellt man die Unterschreitung der Grenzabstände zunächst rechnerisch gegenüber, unterschreiten beide Gebäude den erforderlichen Grenzabstand um rund die Hälfte. Betrachtet man die konkreten Auswirkungen, ist die Beigeladene von der Unterschreitung der Grenzabstände jedenfalls nicht weniger betroffen als die Antragsteller. Aus Sicht der Antragsteller liegt das Gebäude der Beigeladenen im Nordosten, sodass Sonneneinfall und Belichtung in den Morgenstunden eingeschränkt werden. Betroffen davon sind die Küche, der Flur, die Toilette im Erdgeschoss sowie ein Wohnraum im Obergeschoss. Die wesentlichen Wohnräume sind hingegen nach Südwesten zur E. und der dortigen Grünanlage hin ausgerichtet, sodass die tatsächliche Beeinträchtigung eher gering ist. Umkehrt riegelt das Gebäude der Antragsteller den Bau der Beigeladenen nach Südwesten ab, sodass dieser von der Nachmittags- und Abendsonne nicht mehr ungehindert erreicht wird. Davon betroffen ist im ersten Obergeschoss ein Büroraum, der allerdings über weitere Fenster nach Norden und Süden ausreichend mit Licht versorgt wird. Der im Erdgeschoss angeordnete Büroraum weist demgegenüber lediglich ein weiteres Fenster nach Norden auf, sodass seine Belichtung aufgrund der Grenzabstandsverletzung der Antragsteller deutlich eingeschränkt ist. Die wechselseitigen Beeinträchtigungen halten sich insoweit die Waage.
Bezieht man den Gesichtspunkt des Sozialabstands in die Betrachtung ein, ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Büroräume in dem Gebäude der Beigeladenen nur zu den Geschäftszeiten genutzt werden. Das mindert die Beeinträchtigung der Antragsteller, die umgekehrt zu Lasten der Beigeladenen jederzeit einen freien Einblick in die Büroräume haben. Aus der Sicht der Antragsteller erschwerend wirkt die Dachterrasse auf dem ersten Obergeschoss, die tatsächlich einen Einblick in die nach Nordosten angeordneten Räume der Antragsteller ermöglichen dürfte. Dieser Gesichtspunkt allein führt jedoch nicht zu einem Überwiegen der Belastung der Antragsteller. Soweit ihre Räume aufgrund ihrer Nutzung nicht ohnehin (relativ) unempfindlich sind, können die Antragsteller die Belastung zu den auf das Jahr bezogen eher seltenen Gelegenheiten, zu denen die Dachterrasse genutzt wird, durch das Anbringen eines Sichtschutzes mit zumutbarem Aufwand entscheidend verringern.
3. Selbst wenn man aber zugunsten der Antragsteller davon ausgeht, dass sie eine Verletzung des Grenzabstands durch die Beigeladene rügen können, verhilft das dem Antrag nicht zum Erfolg. Gegenüber dem Grundstück der Antragsteller muss das Bauvorhaben der Beigeladenen nämlich einen Grenzabstand von nur 1/2 H halten; dieser Abstand ist gewahrt.
Abweichend von § 7 Abs. 3 NBauO kommt zugunsten der Beigeladenen das Schmalseitenprivileg des § 7a NBauO zur Anwendung. Da der geplante Bau ohne Grenzabstand an das Gebäude J. straße 14 anschließt, steht das Schmalseitenprivileg gemäß § 7a Abs. 2 Satz 1 NBauO nur noch einmal zur Verfügung. Gegenüber einer weiteren Grenze genügt auf einer Länge von 17 Metern demzufolge ein Grenzabstand von 1/2 H, mindestens von 3,00 m (§ 7a Abs. 2 Satz 1 NBauO i.V. mit § 7a Abs. 1 Satz 1 NBauO). Die Voraussetzungen einer Anwendung des Schmalseitenprivilegs, die der betroffene Nachbar zur gerichtlichen Prüfung stellen kann (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.07.1980 - 6 B 60/80, Nds.Rpfl. 1980, 289 <291>), liegen vor.
Die Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs scheitert nicht daran, dass das geplante Gebäude an mehr als zwei Seiten den gemäß § 7 Abs. 3 NBauO grundsätzlich erforderlichen Grenzabstand von 1 H nicht einhält. Das Gebäude unterschreitet diesen Grenzabstand nicht nur gegenüber der westlichen Grenze zur G. straße, sondern auch gegenüber der südlichen Grenze zum Gebäude J. straße 14, zur östlichen Grenze hin zur J. straße sowie zur nordöstlichen Grenze gegenüber dem Rathaus. Gegenüber der südlichen Grenze gelangt allerdings § 7 NBauO aufgrund der sowohl nach dem Bebauungsplan Nr. 121 - mit und ohne die im Normenkontrollverfahren befindliche Änderung vom 16.03.2010 - als auch gemäß § 34 Abs. 1 BauGB zwingenden geschlossenen Bauweise von vornherein nicht zur Anwendung (§ 8 Abs. 1 NBauO). Gegenüber dem ausweislich des Bebauungsplans Nr. 84, Teil II, auf einer "Fläche für den Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung Öffentliche Verwaltung" liegenden Rathaus wird der gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 NBauO (vgl. zu dessen Anwendbarkeit Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 3. Aufl. 2008, § 7, Rn. 29) erforderliche Grenzabstand von 1/2 H unter Inanspruchnahme der Straßenverkehrsfläche gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 NBauO gewahrt. Soweit der Abstandsschatten von 1/2 H über die Mittellinie der Verkehrsfläche hinausgeht, ist dies durch Baulast gemäß § 9 Abs. 2 NBauO gesichert. Grundsätzlich einzuhalten ist ein Grenzabstand von 1 H gegenüber der Bebauung östlich der J. straße; hier hat die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine Befreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 NBauO erteilt. Das Erfordernis einer Ausnahme an einer anderen Grundstücksgrenze schließt indes die Anwendung des Schmalseitenprivilegs gegenüber den Antragstellern nicht aus.
Die Kammer folgt in diesem Zusammenhang nicht der Rechtsprechung des 9. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.08.2004 - 9 ME 206/04, juris). Der Senat hat unter Bezugnahme auf die Kommentierung von Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 7a, Rn. 13, Folgendes ausgeführt:
"Eine Kombination des Schmalseitenprivilegs mit einer Ausnahme (§ 13) oder Befreiung (§ 86), die dazu führt, dass der volle Abstand an mehr als zwei Grenzen unterschritten wird, widerspricht der Grundkonzeption des Schmalseitenprivilegs (vgl. Rdn. 1). Diese beruht u. a. darauf, dass die Nachteile durch zweimalige Abstandshalbierung an den "schmalen" Seiten zumindest teilweise wieder kompensiert werden durch (mindestens) vollen Abstand an den übrigen Seiten. Dieser Ausgleich würde bei weiteren Abstandsreduzierungen zu Lasten des Nachbarn nicht erreicht werden (Krit. Boeddinghaus, BauR 2001, 735)."
Dieser Auffassung ist auch unter Würdigung des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) weiterhin zu folgen. Ergänzend ist lediglich auf die umfänglichen Ausführungen des Bayerischen VGH, Beschl. des Großen Senats vom 17.4.2000 - GrS 1/1999 - BRS 62 Nr. 138 = BauR 2000, 1728, [VGH Bayern 17.04.2000 - GrS 1/99] zu der insoweit vergleichbaren landesrechtlichen Vorschrift des Art. 6 Abs. 5 BayBO zu verweisen: Danach setzt das Verhältnis der allgemeinen Abstandsvorschrift von 1 H zum Schmalseitenprivileg stets voraus, dass es an zwei Grundstücksgrenzen bei 1 H verbleibt. Soll bei mehr als zwei Grundstücksgrenzen der erforderliche Grenzabstand nicht eingehalten werden, ist die Vorschrift über das Schmalseitenprivileg nicht anwendbar, m. a. W., das Schmalseitenprivileg ist mit anderen Ausnahmetatbeständen über einen geringeren Grenzabstand als dem Regelabstand von 1 H nicht kombinierbar. Abstandsausnahmeregelungen greifen nur, wenn zumindest an zwei Grundstücksgrenzen der Regelabstand von 1 H eingehalten wird. ...
Aus Sicht der Kammer geht diese Rechtsprechung von der unzutreffenden Prämisse aus, das Schmalseitenprivileg regele die Unterschreitung von Grenzabständen in seinem Anwendungsbereich abschließend. Ein Anhaltspunkt dafür lässt sich indes weder dem Wortlaut des § 7a NBauO noch der Systematik des Abstandsrechts entnehmen. § 7a Abs. 1 NBauO regelt lediglich, dass nach dieser Vorschrift gegenüber zwei Grenzen ein Abstand von 1/2 H ausreichend ist. Ob darüber hinaus nach anderen Vorschriften gegenüber weiteren Grenzen oder über das Maß des § 7a Abs. 1 NBauO hinaus ein geringerer Abstand als 1/2 H in Betracht kommt, lässt die Vorschrift ihrem Wortlaut zufolge offen. Das zeigt auch § 7a Abs. 2 NBauO. Dort ist in allen Sätzen ausdrücklich von einer Verringerung der Grenzabstände "nach Absatz 1" die Rede. Das impliziert die Möglichkeit einer weiteren Verringerung von Grenzabständen nach anderen Vorschriften. Nichts anderes ergibt sich aus der Systematik des Abstandsflächenrechts. Einschränkungen des Schmalseitenprivilegs für bestimmte Fallgruppen regelt § 7a Abs. 2 NBauO. Es liegt die Annahme nahe, dass diese Einschränkungen abschließend sind. Ein darüber hinaus gehendes implizites Verbot, das Schmalseitenprivileg neben Ausnahmen gemäß § 13 NBauO zur Anwendung zu bringen, lässt sich dem gesamten Abstandsrecht nicht entnehmen (ebenso Wiechert, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 13, Rn. 3; Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 3. Aufl. 2008, § 7a, Rn. 19; Schmaltz, Nds.VBl. 2005, 166). Ein Bedürfnis dafür ist ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere ist es im Interesse des Nachbarn nicht erforderlich, die kumulative Anwendung von Schmalseitenprivileg und Ausnahmen zu verhindern. Denn für den Nachbarn, dem gegenüber das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen wird, wird es häufig völlig unerheblich sein, welche Abstände zu den weiteren Grenzen gelten. Für ihn bedeutet es entgegen der Auffassung des 9. Senats keine Kompensation, wenn gegenüber seiner Grenze ein Abstand von 1/2 H ausreicht, gegenüber weiteren Grenzen aber der Abstand von 1 H eingehalten wird. Den Interessen des Nachbarn wird bei Ausnahmen vielmehr durch § 13 Abs. 2 NBauO Rechnung getragen. Die Vorschrift erlaubt ein weitaus präziseres Eingehen auf den spezifischen Schutzbedarf des Nachbarn. Schließlich erlaubt die Rechtsprechung auch in anderen Fällen die Kumulation verschiedener Einschränkungen des Regelabstands (vgl. beispielsweise OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.09.2003 -1 ME 193/03, juris: § 7 Abs. 4 NBauO und § 13 NBauO), ohne dass dies in Frage zu stellen wäre.
Steht das Schmalseitenprivileg somit grundsätzlich zur Verfügung, hat sich die insofern wahlberechtigte Beigeladene - wie die widerspruchslose Hinnahme der Ausführungen der Antragsgegnerin zeigt - dafür entschieden, dieses gegenüber den Antragstellern zur Anwendung zu bringen. Diese Entscheidung als solche müssen die Antragsteller hinnehmen (vgl. Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 7a, Rn. 11; Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 3. Aufl. 2008, § 7a, Rn. 6; beide unter Berufung auf OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.04.1980 - 6 B 40/80, Nds.Rpfl. 80, 288).
Die Rechtmäßigkeit der Anwendung des Schmalseitenprivilegs gegenüber den Antragstellern ist nach Auffassung der Kammer auch nicht davon abhängig, dass das Gebäude der Beigeladenen gegenüber den anderen Grundstücksgrenzen Grenzabstandsvorschriften nicht verletzt. Insbesondere können die Antragsteller nicht einwenden, die Voraussetzungen einer Ausnahme von dem erforderlichen Grenzabstand gegenüber der östlichen Bebauung der J. straße lägen nicht vor. Denn nachbarschützenden Charakter haben die Abstandsvorschriften nur für den von der konkreten Abstandsunterschreitung betroffenen Nachbarn. Mit anderen Worten kann ein Nachbar die Verletzung von Abstandsvorschriften nur gegenüber seiner Grenze, nicht aber gegenüber den Grenzen Dritter rügen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.07.1980 - 6 B 60/80, Nds.Rpfl. 1980, 289 <291>; ebenso VGH München, Beschl. v. 17.04.2000 - GrS 1/1999, 14 B 97.2901, juris). Der gegenteiligen Auffassung, im Fall der kumulierten Anwendung von Schmalseitenprivileg und Ausnahmen könne ein Nachbar, dem gegenüber das Schmalseitenprivileg geltend gemacht werde, auch die Rechtmäßigkeit der gegenüber anderen Grenzen erteilten Ausnahmen zur Prüfung stellen (vgl. Schmaltz, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 13, Rn. 3; ebenso ders., Nds.VBl. 2005, 166; ebenso für das bayerische Landesrecht Dhom/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse, BayBauO, Art. 6, Rn. 377-378 <Stand der Bearbeitung: Januar 2009>), folgt die Kammer nicht.
Ausgangspunkt der gegenteiligen Auffassung ist die - von der Kammer geteilte - Annahme, der von der Anwendung des Schmalseitenprivilegs betroffene Nachbar könne das Vorliegen von dessen Voraussetzungen gerichtlich überprüfen lassen. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs gegenüber dem einen Nachbarn - so die gegenteilige Auffassung weiter - gehöre es, dass gegenüber weiteren Nachbarn erteilte Ausnahmen rechtmäßig seien (vgl. Schmaltz, Nds.VBl. 2005, 166). Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Wie oben erläutert, enthält § 7a NBauO eine selbstständige Regelung, die sich allein auf diejenigen Grenze bezieht, der gegenüber das Schmalseitenprivileg in Anspruch genommen wird. Ob darüber hinaus gegenüber anderen Grenzen Ausnahmen erteilt werden, ist aus Sicht des § 7a NBauO ohne Bedeutung, weil die Vorschrift bezüglich der übrigen Grenzen keine Regelung trifft. Deshalb trifft auch die Ansicht, in den Fällen, in denen neben dem Schmalseitenprivileg Ausnahmen nach § 13 NBauO zum Tragen kämen, werde zugleich eine Ausnahme von der Beschränkung des § 7a NBauO auf zwei Grenzen erforderlich (vgl. Schmaltz, in: Große-Suchsdorf/Schmaltz/Lindorf/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 13, Rn. 3), nicht zu. Nicht das Schmalseitenprivileg wird im Wege der Ausnahme auf weitere Grenzen erstreckt, sondern es wird für weitere Grenzen jeweils selbstständig eine Ausnahme gemäß § 13 NBauO ermöglicht.
Der Fall unterscheidet sich in dieser Hinsicht auch von Fällen, in denen der Bauherr gegenüber drei Grenzen die erforderlichen Grenzabstände unterschreitet und deshalb das Schmalseitenprivileg zu mehr als zwei Seiten benötigt. In derartigen Fällen wird den betroffenen Nachbarn die Befugnis eingeräumt, ausnahmsweise die Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs gegenüber allen Grenzen zur Überprüfung zu stellen, um zu verhindern, dass die in der dreifachen Anwendung des Schmalseitenprivilegs liegende Rechtsverletzung im Ergebnis von keinem der betroffenen Nachbarn geltend gemacht werden kann (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.06.2010 - 12 ME 240/09, juris). Sofern einer solchen dreifachen Anwendung nicht ohnehin das Erfordernis einer verbindlichen Wahl des Bauherrn entgegensteht, liegt eine solche Situation hier nicht vor. Das Schmalseitenprivileg gelangt nur einfach zur Anwendung. Die Rechtswidrigkeit der darüber hinaus erteilten Ausnahme kann von den konkret betroffenen Nachbarn entlang der J. straße gerichtlich geltend gemacht werden. Ein Zusammenhang mit der Anwendung des Schmalseitenprivilegs besteht nicht, sodass es keine Veranlassung gibt, hier den Antragstellern die Geltendmachung der Rechte Dritter, nämlich der Anwohner der J. straße, zu ermöglichen.
Die gegenteilige Auffassung lässt sich auch nicht mit den Antragstellern damit begründen, dass im Fall einer gegenüber einer dritten Grenze rechtswidrig genehmigten Ausnahme das Schmalseitenprivileg gegenüber dieser Grenze verbraucht sei und gegenüber den Antragstellern deshalb nicht mehr in Anspruch genommen werden könne. Die Antragsteller übersehen dabei, dass es Sache des Bauherrn ist, die Grenze auszuwählen, an der das Schmalseitenprivileg zur Anwendung gelangen soll. Ist die Wahl einmal getroffen, ist dies für die Bauaufsichtsbehörde ebenso wie für den Bauherrn verbindlich. Das Schmalseitenprivileg ist an der gewählten Grenze verbraucht. Im vorliegenden Fall hat sich die Beigeladene dafür entschieden, das Schmalseitenprivileg gegenüber den Antragstellern und gerade nicht gegenüber den Gebäuden östlich der J. straße zur Anwendung zu bringen. Es bleibt deshalb dabei, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der hier erteilten Ausnahme allein von den dort betroffenen Nachbarn geltend gemacht werden kann.
Die Auffassung der Kammer mag - wie die Antragsteller vorbringen - in Einzelfällen dazu führen, dass der Bauherr durch die Wahl der Grenze, an der das Schmalseitenprivileg zur Anwendung gelangt, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Nachbarn bestimmen kann. Der Nachbar, dem gegenüber das Schmalseitenprivileg zur Anwendung gebracht wird, ist rechtlich relativ schutzlos, während derjenige Nachbar, dem gegenüber eine Ausnahme gestattet wird, von den strengeren Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 und 2 NBauO profitiert (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.04.2000 - GrS 1/1999, 14 B 97.2901, juris). Diese Folge ist jedoch hinzunehmen. Denn die Betroffenheit des Nachbarn verändert sich nicht grundlegend dadurch, dass neben dem Schmalseitenprivileg gegenüber seiner Grenze an weiteren Grenzen Ausnahmen von den Abstandsvorschriften ermöglicht werden. Deshalb rechtfertigt dies auch nicht den Vorwurf, bei einer Kombination von Schmalseitenprivileg und Ausnahme fehle es aufgrund der unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten der jeweils betroffenen Nachbarn an einer hinreichenden Bestimmung der Grenzen der konkurrierenden Nutzungs- und Schutzinteressen im Wege der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (so aber VGH München, Beschl. v. 17.04.2000 - GrS 1/1999, 14 B 97.2901, juris). Inhalt und Schranken des Grundeigentums bestimmen § 7a NBauO und § 13 NBauO, sodass das Grundeigentum zugleich durch die Möglichkeit, dass ein Nachbar das Schmalseitenprivileg zur Anwendung bringt, als auch durch die Möglichkeit von Ausnahmen von den Grenzabstandsvorschriften geprägt wird. Mehr ist aus grundrechtlicher Sicht nicht zu verlangen. Die aus Sicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu kritisierenden unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten sind demgegenüber eine unmittelbare Folge des - verfassungsrechtlich (wohl) auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nicht zu beanstandenden - Wahlrechts des Bauherrn hinsichtlich der Anwendung des Schmalseitenprivilegs, das auch nach bayerischem Landesrecht besteht (vgl. Dhom/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse, BayBauO, Art. 6, Rn. 365 <Stand der Bearbeitung: Januar 2009>). Nicht die Kombination von Schmalseitenprivileg und Ausnahme, sondern das Schmalseitenprivileg als solches ist deshalb für den Nachbarn belastend, dessen Grenze gegenüber die Wahl erfolgt. Gerade der vorliegende Fall zeigt dies beispielhaft. Für die Situation der Antragsteller ist es unerheblich, welche Höhe das Gebäude der Beigeladenen entlang der J. straße aufweist.
Verletzt es daher jedenfalls nicht Rechte der Antragsteller, wenn die Ausnahme gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 NBauO von dem erforderlichen Grenzabstand gegenüber den Gebäuden östlich der J. straße rechtswidrig sein sollte, kann die Kammer offen lassen, ob die von Seiten der Antragsteller dagegen erhobenen rechtlichen Bedenken in der Sache zutreffen.
4. Soweit die Antragsteller rügen, das Vorhaben verstoße ihnen gegenüber gegen das - hier aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO herzuleitende - Gebot der Rücksichtnahme, weil die ihnen zugewandten Dachterrassen nicht den gebotenen Sozialabstand einhielten, liegt ein solcher Verstoß nicht vor. Ein Verstoß gegen das bundesrechtliche Rücksichtnahmegebot ist zwar nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die landesrechtlichen Abstandsregeln eingehalten sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.01.1999 - 4 B 128/98, juris). Tatsächlich indiziert aber die - hier gegenüber den Antragstellern gegebene - Einhaltung der Abstandsregeln, dass ein Vorhaben nicht rücksichtslos ist, soweit nicht besondere Umstände des Einzelfalls für das Gegenteil sprechen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.01.2007 - 1 ME 80/07, juris). Derartige Umstände liegen nicht vor.
Zur Rücksichtslosigkeit des Vorhabens der Beigeladenen führt insbesondere nicht die in der Sache unbestreitbar vorhandene Möglichkeit, dass die zukünftigen Nutzer insbesondere von der auf dem ersten Obergeschoss zu errichtenden Terrasse aus Einblick in die nach Nordosten ausgerichteten Räume der Antragsteller erlangen können. Denn betroffen sind - wie bereits dargestellt - lediglich das Kinderzimmer sowie die Küche, die Toilette und der Flur, während die sonstigen Wohnräume nach Südwesten ausgerichtet sind. Es ist den Antragstellern zuzumuten, insofern Selbsthilfe zu üben, indem zu den Nutzungszeiten insbesondere der zu der Arztpraxis gehörenden Dachterrasse auf dem ersten Obergeschoss erforderlichenfalls Jalousien oder Vorhänge verwendet werden. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass sich das Gebäude der Antragsteller in der dicht bebauten Altstadt von D. befindet. In einer Altstadtlage besteht ein Anspruch auf Einhaltung der Abstandsvorschriften, nicht aber eine berechtigte Erwartung, ein künftiger Bauherr werde einen weitergehenden Sozialabstand einhalten. Denn für eine Altstadtlage ist es gerade typisch, dass Gebäude eng aneinander gebaut und demnach wechselseitige Einblicke möglich sind. Entsprechend ist das Eigentum der Antragsteller vorgeprägt.
Zu Unrecht berufen sich die Antragsteller insofern auf § 11 NBauO. Die Vorschrift betrifft - wie auch die Antragsteller erkennen - unmittelbar lediglich den Abstand von Fenstern in ein und demselben Gebäude. Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift hier analoge Anwendung finden könnte, sieht die Kammer nicht. Selbst wenn das aber der Fall wäre, könnten die Antragsteller daraus keinen Vorteil ziehen. Denn ein Abstand von sechs Metern ist zwischen dem Rand der Dachterrasse und dem nächstgelegenen Fenster in dem Haus der Antragsteller vorhanden.
Das Gebot der Rücksichtnahme wird auch nicht deshalb verletzt, weil das Vorhaben - wie die Antragsteller in einem frühen Verfahrensstadium geltend gemacht haben - nicht über ausreichende Stellplätze verfügt. Denn unanhängig davon, ob dies der Sache nach zutrifft, dient die Vorschrift des § 47 Abs. 2 NBauO jedenfalls nicht dem Schutz der Antragsteller. Die fehlende Bewältigung des von einem Bauvorhaben ausgelösten ruhenden Verkehrs kann allerdings im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO von Bedeutung sein, wenn dadurch Störungen in die Umgebung hineingetragen werden und diese jedenfalls im Rahmen einer Gesamtschau der vom Objekt ausgehenden Belastungen unzumutbar sind (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.03.1997 - 1 M 6589/96, juris). Konkrete Anhaltspunkte dafür tragen die Antragsteller jedoch selbst nicht vor; im Gegenteil dürfte sich die Situation für die Antragsteller aufgrund des Entfallens des ihrem Gebäude bislang gegenüberliegenden Parkplatzes insoweit eher verbessern. Ersatzweise entsteht dort ein Fußgängerbereich, von dem deutlich geringere Belästigungen ausgehen dürften.
5. Schließlich verhilft die Rüge der Antragsteller, die erste Änderung des Bebauungsplans Nr. 121 vom 16.03.2010 sei nichtig und das Vorhaben der Beigeladenen daher planungsrechtlich unzulässig, dem Antrag nicht zum Erfolg. Dabei lässt die Kammer offen, ob die erste Änderung des Bebauungsplans tatsächlich rechtlichen Bedenken begegnet. Selbst wenn der Änderungsbebauungsplan nichtig sein sollte, verstößt das Vorhaben nicht gegen Bestimmungen, die dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind.
Die Planänderung führt bezüglich der Antragsteller im Wesentlichen dazu, dass im Unterschied zu dem bislang geltenden Bebauungsplan Nr. 121 vom 21.04.2004 eine zweigeschossige Bebauung entlang des nördlichen Teils der G. straße vorgeschrieben wird, während der alte Plan hier eine zweigeschossige Bebauung zwar erlaubte, nicht aber vorschrieb. Hinzu kommt eine Erhöhung der Geschossflächenzahl von 2,0 auf 3,0 in dem gegenüber dem Haus der Antragsteller gelegenen Bereich. Die entsprechenden Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 121 vom 21.04.2004 dienen nicht dem Schutz der Antragsteller.
Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung sind nur dann drittschützend, wenn dies dem Willen des Planungsträgers entspricht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.10.1995 - 4 B 215/95, juris; OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.09.2004 - 1 ME 194/04, juris). Ein solcher Wille kommt in dem Bebauungsplan nicht zum Ausdruck. In der Begründung des Bebauungsplans Nr. 121 vom 21.04.2004 heißt es, die Zahl der Vollgeschosse werde zur G. straße hin von zwei auf eins zurückgenommen, um der vorhandenen Bebauung in der G. straße eine bezüglich der Bauhöhe adäquate Bebauung gegenüberzustellen und zugleich eine zu stark ausgeprägte optische Dominanz der Neubebauung gegenüber den vorhandenen Wohnhäusern zu vermeiden. Deutlich wird daran, dass allein städtebauliche Gesichtspunkte für die Festsetzung maßgeblich waren. Die Interessen der Anwohner der G. straße spielten keine Rolle.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 53 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 8a) der Streitwertannahmen der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nach dem 01.01.2002 (Nds.VBl. 2002, 192). Dabei bemisst die Kammer das Interesse der Antragsteller mit einem Wert von 15.000,- EUR und halbiert diesen aufgrund der in diesem Verfahren angestrebten vorläufigen Entscheidung entsprechend Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327).