Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 18.11.2010, Az.: 18 B 5173/10
Vorläufige Dienstenthebung bei einer im Wortlaut missglückten Verteidigung vor Gericht gegen eine Disziplinarmaßnahme
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 18.11.2010
- Aktenzeichen
- 18 B 5173/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 32467
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2010:1118.18B5173.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 34 BeamtStG
- § 4 NDiszG
- § 38 Abs. 1 NDiszG
- § 38 Abs. 2 NDiszG
- § 58 Abs. 1 S. 1 NDiszG
- § 58 Abs. 2 NDiszG
- § 40 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Keine vorläufige Dienstenthebung, wenn sich ein Beamter in der Verteidgung gegen eine Disziplinarmaßnahme vor Gericht in der Wortwahl vergriffen hat
Aus dem Entscheidungstext
Die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers durch den Bescheid vom 08.10.2010 wird ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen seine vorläufige Dienstenthebung.
Er ist im Rang eines Polizeikommissars bei der Antragsgegnerin tätig.
Gegen den Antragsteller wurden bereits mehrere disziplinarische Maßnahmen ergriffen. Zuletzt - vor der hier streitigen vorläufigen Suspendierung - sprach die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 04.11.2009 eine Kürzung der Dienstbezüge aus. Dem Antragsteller wurde darin vorgeworfen, einen Unfall auf der BAB A 2, an dem er mit seinem Funkenstreifenwagen zufällig vorbeigekommen war, nicht ordnungsgemäß aufgenommen zu haben. Der Antragsteller erhob Klage gegen diese Verfügung und verteidigte sich damit, aus seiner Sicht habe bei dem streitigen Vorfall gar kein Unfall vorgelegen. Es kam zu einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 05.10.2010, bei der auch Vertreter der örtlichen Presse anwesend waren. Die Klage des Antragstellers wurde abgewiesen; das entsprechende Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig. Unstreitig sprach der Antragsteller nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch mit den anwesenden Journalisten.
Nach einem Vermerk vom 05.10.2010 der Antragsgegnerin, hat der Antragsteller im Verlauf der mündlichen Verhandlung u.a. folgende Äußerungen gegenüber dem Gericht getätigt:
"... Vorwurf von Leuten gemacht, die von Verkehrsunfallaufnahme keine Ahnung haben..."
"...wenn die Herrschaften Verfahren in die Welt setzen, die von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben, haben sie auch die Folgen zu tragen ..."
"...selbst Schuld, wenn die nicht hören wollen..."
"Dieses Verfahren ist doch initiiert und ich weis auch von wem!"
"Ich muss mich von der Behörde trennen ..."
Das Fehlverhalten der Beamten, die vor Ort eingesetzt waren, wurde nicht bewertet ..."
"Dieses Verfahren ist eine Frechheit hoch 3."
Sowohl in der "Bild Hannover" als auch in der "Neuen Presse" wurde am 06.10.2010 über diesen Fall berichtet. In der Bild-Zeitung hieß es u.a. ,... "Es war kein Unfall, nur ein Reifenplatzer beim BMW", verteidigte sich der Polizist. Das sah der Richter anders...'. In der Neuen Presse stand u.a.: ,... "Das war kein Unfall", betonte der Beamte gestern. Es sei kein Drittschaden entstanden. Anders würden das "nur Leute sehen, die von Unfallaufnahme keine Ahnung haben." ... Für ihn sei klar gewesen, dass der Betrunkene nicht gefahren war. Andere hätten daraus Ermittlungen gemacht, "die alle eingestellt wurden". ... W. erklärte, er habe einen Antrag auf Versetzung nach Celle gestellt, wo er auch wohne. Hier seien ihm Vorgesetzte nicht wohlgesonnen.' Soweit der Antragsteller direkt oder indirekt in den Presseberichten zitiert wurde, hat er diese Äußerungen in der mündlichen Verhandlung zur Begründung seiner Klage auch so getätigt. In der Bild-Zeitung war auch ein - im Gesicht unkenntlich gemachtes - Foto des Antragstellers abgedruckt, das offensichtlich vor dem Verwaltungsgericht aufgenommen worden war.
Unter dem 08.10.2010 leitete daraufhin die Antragsgegnerin ein neues Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein. Gleichzeitig sprach die Antragsgegnerin die vorläufige Dienstenthebung gegenüber dem Antragsteller aus. Er habe gegen seine Pflichten zur Verschwiegenheit, Loyalität und Wahrheit verstoßen. Der Antragsteller habe unautorisiert gegenüber der Presse Angaben aus dienstlichen Verfahren - hier das zugrundeliegende Verkehrsunfallverfahren - gemacht. Er habe weiterhin der Polizeibehörde öffentlichkeitswirksam vorgeworfen, von Unfallaufnahmen keine Ahnung zu haben, es zu tolerieren, dass von vornherein abwegige Ermittlungsverfahren geführt werden und es stattdessen mitzutragen, wenn gegen ihn, den Antragsteller, Verfahren initiiert werden. Mit diesen Vorwürfen habe er die Grenzen seiner dienstlichen Loyalitätspflicht überschritten. Außerdem habe er nicht alle wesentlichen Informationen zum Umfallgeschehen der Presse mitgeteilt. Seine verkürzte Darstellung sei geeignet, das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit in einem erheblichen Maße zu schädigen. Das letzte in ihm, den Antragsteller, gesetzte Vertrauen sei damit zerstört worden.
Der Antragsteller hat 04.11.2010 die Aussetzung seiner vorläufigen Dienstenthebung beantragt.
Er trägt vor, ihm werde vorgeworfen, dass er sich in einer mündlichen Verhandlung im Rahmen einer anderen Disziplinarsache verteidigt habe. Gegenüber Pressevertretern habe er keine weitergehenden Informationen gegeben als die, die ohnehin in der öffentlichen Verhandlung schon den Journalisten bekanntgeworden waren.
Der Antragsteller beantragt,
die vorläufige Dienstenthebung auszusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie erwidert, das Gespräch mit den Pressevertretern habe der Antragsteller eingeräumt. Ihm werde auch nicht vorgeworfen, dass er sich vor Gericht verteidigt habe. Ihm werde aber die Wortwahl vorgeworfen. Das in den Antragsteller gesetzte Vertrauen sei vollständig zerstört.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 18.11.2010 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch den Einzelrichter.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 NDiszG kann der Beamte die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung beim Verwaltungsgericht beantragen. Die vorläufige Dienstenthebung ist auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.
Derartige Zweifel liegen hier vor.
Die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung richtet sich nach § 38 NDiszG.
Nach § 38 Abs. 1 Ziffn. 1 und 2 NDiszG kann die Klagebehörde (§ 34 Abs. 2 NDiszG) einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn,
im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird oder
durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.
Bei der nach § 38 Abs. 1 Ziff. 1 NDiszG zu treffenden Prognoseentscheidung hat die Klagebehörde die erheblichen belastenden und entlastenden Umstände für die Entscheidung über die voraussichtliche Entfernung vom Dienst zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.
Die Entscheidungen nach § 38 Abs. 1 und 2 NDiszG stehen im pflichtgemäßen Ermessen der Klagebehörde. Sie hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 4 NDiszG i.V.m. § 40 VwVfG).
Ausgehend von diesen Prüfungsmaßstäben hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zu Unrecht gemäß § 38 Abs. 1 Ziff. 1 NDiszG vorläufig des Dienstes enthoben. Im Disziplinarverfahren gegen den Beamten wird voraussichtlich nicht auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden können.
Der Antragsteller räumt ein, nach der Verhandlung mit Journalisten gesprochen zu haben. Die Pressevertreter hatten jedoch bereits zuvor der öffentlichen mündlichen Verhandlung beigewohnt und waren über das Verfahren und den diesen zugrunde liegenden Unfall auf der A 2 informiert. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit der Antragsteller überhaupt eine "Flucht in die Öffentlichkeit" angetreten hat. Wenn nach der Verhandlung die anwesenden Journalisten ihn noch befragen und er nicht mehr sagt, als er ohnehin im Laufe der öffentlichen mündlichen Verhandlung gesagt hat, vermag das Gericht in dem Journalistengespräch kein vorwerfbares Dienstvergehen zu sehen. Die direkten und indirekten in den beiden Zeitungsveröffentlichungen wiedergegeben Zitate des Antragstellers wurden so von ihm jedenfalls ausweislich des von der Antragsgegnerin erstellten Vermerks vom 05.10.2010 schon in der mündlichen Verhandlungen getätigt. Auch dass sich der Antragsteller von einem Fotografen der Bild fotografieren lies, stellt keine Verletzung der Pflichten zur Verschwiegenheit, Loyalität und Wahrheit dar.
Im Rahmen eines Disziplinarverfahrens muss sich der angeschuldigte Beamte nicht zur Sache äußern, wenn er es aber tut, dann muss er sich wahrheitsgemäß äußern. Im vorliegenden Fall hat nach den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin der Beamte wohl keine falschen Angaben zum Sachverhalt selbst gemacht. Er hat lediglich auf seiner rechtlichen Einschätzung bestanden, dass der in Rede stehende Unfall gar kein Unfall gewesen sei, weil es zu keinem Sachschaden gekommen sei. Diese Einschätzung ist falsch, zumal es durchaus Sachschäden gegeben hat. Sowohl die Beschädigung der Betonleitplanke der Autobahn stellt einen Sachschaden dar als auch die Beschädigung eines anderen Fahrzeuges durch umherfliegende Teile, selbst wenn sich die beiden Kfz-Halter außergerichtlich einigen wollten. Dass trotz entsprechender Belehrung durch den Vorsitzenden Richter der Antragsteller gleichwohl auf seiner Meinung beharrte, es lägen weder Sachschäden noch ein Unfall vor, zeigt zwar seine mangelnde Einsichtsfähigkeit in dieser Sache auf, stellt aber keinen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht dar.
Da die Antragsgegnerin den Vorfall auf der A 2 zum Gegenstand einer Disziplinarverfügung gemacht hat, war es das gute Recht der Antragstellers, in der mündlichen Verhandlung zu seiner Klage auch auf diesen Vorfall einzugehen und sich gegen die Disziplinarmaßnahme zu verteidigen. Da nach dem NDisG die mündliche Verhandlung in Disziplinarsachen nunmehr öffentlich ist, ist es hinzunehmen, dass ggf. auch Journalisten mithören. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller den Rahmen seiner Verteidigung gegen die Disziplinarmaßnahme überschritten hat, indem er etwa unnötigerweise vertrauliche oder gar geheime, bislang nicht bekannte polizeiinterne Umstände an die Öffentlichkeit gezerrt hat.
Allerdings spricht nach dem in Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung vieles dafür, dass der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung sich in der Wortwahl vergriffen hat - etwa bei den Formulierungen "von Verkehrsunfallaufnahme keine Ahnung", "wenn die Herrschaften Verfahren in die Welt setzen, die von vornherein keine Aussicht auf Erfolg haben", "selbst schuld, wenn die nicht hören wollen", "dieses Verfahren ist doch initiiert ...." und "dieses Verfahren ist eine Frechheit hoch 3" -, die von dem Antragsteller auch nicht bestritten werden. Insoweit dürfte der Antragsteller seiner Pflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG, wonach sein Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, dass sein Beruf erfordert, verletzt haben. Denn von einem Polizeibeamten des gehobenen Dienstes ist ein anderer Umgang mit seiner Dienststelle und vorgesetzten Behörde in der Öffentlichkeit zu erwarten. Diese Dienstpflichtverletzung dürfte auch ein Dienstvergehen darstellen.
Obwohl der Antragsteller disziplinarisch kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, reicht jedoch nicht jedes neue Dienstvergehen aus, um nunmehr sogleich eine Entfernung aus dem Dienst auszusprechen zu können. Dienstvergehen von nur geringem Gewicht - zumal hier zu Gunsten des Beamten davon auszugehen ist, dass er angesichts der mündlichen Verhandlung erregt war - können selbst bei einer beträchtlichen Anzahl von vorangegangen Disziplinarmaßnahmen in aller Regel nicht den Ausspruch der Höchstmaßnahme rechtfertigen.
Eine Suspendierung des Antragstellers rechtfertigt sich ebenfalls nicht nach § 38 Abs. 1 Nr. 2 NDiszG. Es sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen des Voraussetzungen nach dieser Vorschrift erkennbar. Auch die Antragsgegnerin hat sich nicht darauf berufen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 69b Abs. 1 NDiszG, 154 Abs. 1 VwGO.