Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.12.2022, Az.: 4 B 3652/22

6-Meter-Regel; Giebel; Grenzabstand; Zwerchhaus

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.12.2022
Aktenzeichen
4 B 3652/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zwerchhäuser unterfallen als andere Giebelformen der Abstandsprivilegierung in § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO

Die Abstandsprivilegierung von Giebeldreiecken und anderen entsprechenden Giebelformen in § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO ist bei mehreren nebeneinander errichteten Giebeldreiecken und anderen entsprechenden Giebelformen mehrfach anwendbar.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung von drei Mehrfamilienhäusern mit Gewerbeeinheit, Tiefgaragen und Stellplätzen.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks mit der postalischen Anschrift F.. Das Grundstück ist mit einem zweigeschossigen Gebäude bebaut, in deren Erdgeschoss die Geschäftsräume eines Unternehmens liegen, deren Prokuristin die Antragstellerin ist. Im Obergeschoss befinden sich zwei vermiete Wohnungen, deren Wohn- und Schlafräume ebenso wie die zum Gewerbe gehörende Terrasse im Erdgeschoss nach Osten in Richtung des Gartens ausgerichtet sind. Im Süden und Westen ist das Grundstück vollständig versiegelt. Hier befinden sich mindestens zehn Stellplätze, für die teils Carports und Garagen angelegt sind.

Die Beigeladene ist Eigentümerin des nach Abriss der Bestandsgebäude unbebauten östlich angrenzenden Grundstücks G..

Die beiden Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. In der Umgebung befinden sich insbesondere in östlicher, südlicher und nördlicher Richtung reine Wohngebäude, gemischt genutzte Wohn- und Geschäftshäuser sowie rein gewerblich oder zu sozialen Zwecken genutzte Gebäude. Westlich der H. überwiegt die gewerbliche Nutzung gegenüber der Wohnnutzung. In seiner Sitzung vom 28.03.2016 beschloss der Rat der Gemeinde I. den Vorentwurf eines Bebauungsplans, welcher für die Grundstücke ein Mischgebiet mit zweigeschossiger, offener Bauweise, einer maximalen Traufhöhe von 6,5 m und einer maximalen Firsthöhe von 11 m festsetzt. Zudem legte die Gemeinde I. für den Bereich beider Grundstücke mit Satzung vom 17.03.2016 ein Sanierungsgebiet fest.

Mit Bescheid vom 19.01.2022 erteilte der Antragsgegner die Baugenehmigung zur Errichtung von drei Mehrfamilienhäusern mit einer Gewerbeeinheit, Tiefgaragen sowie weiteren Stellplätzen. Im Westen des Grundstücks soll dem grün gestempelten Lageplan zufolge in einer Entfernung von 5,43 m zum Grundstück der Antragstellerin einer der Baukörper, das Haus 2, entstehen. Im Souterrain ist eine auskragende Tiefgarage genehmigt, die zum Grundstück der Antragstellerin einen Abstand von 3,00 m einhält. Die dem Grundstück der Antragstellerin zugewandte Traufe befindet sich auf einer Höhe von 7,37 m, das Dach weist eine Neigung von 55° auf und die Firsthöhe wird mit 11,56 m angegeben. Als Referenz für sämtliche Höhenangaben wird die Geländeoberfläche unmittelbar westlich des Gebäudes herangezogen. Die Breite des Gebäudes beträgt 20,99 m.

Zudem soll über eine Breite von 8,49 m ein um 0,25 m aus der Außenwand in Richtung des Grundstücks der Antragstellerin hervortretender Gebäudeteil errichtet werden, der etwa ab der Traufhöhe zu zwei dreiecksgiebelförmigen Zwerchhäusern ausläuft. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Darstellungen in den genehmigten Bauvorlagen.

Von den insgesamt 49 Stellplätzen werden sechs im südwestlichen Bereich des Grundstückes in einer Entfernung von 0,97 m zum Grundstück der Antragstellerin errichtet. Ein weiterer Stellplatz wird nördlich von Haus 2 in einer Entfernung von 3,00 m zum Grundstück der Antragstellerin angelegt.

Mit Schreiben vom 29.03.2022 bemängelte die Antragstellerin, dass ihr die Baugenehmigung nicht bekanntgegeben worden sei. Nach den ihr bisher vorliegenden Unterlagen komme insbesondere eine Verletzung der Grenzabstandsvorschriften in Betracht

Nach Zustellung der Baugenehmigung an die Antragstellerin am 04.07.2022 legte sie unter dem 05.07.2022 Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein, über den noch nicht entschieden ist. Sie beantragte zugleich, die Vollziehung der Genehmigung auszusetzen, was der Antragsgegner mit Schreiben vom 26.08.2022 ablehnte.

Währenddessen stellte die Beigeladene mit Antrag vom 04.07.2022 einen Nachtrag zur Genehmigung. Mit Bescheid vom 17.11.2022 erteilte der Antragsgegner die Nachtragsgenehmigung und gab diese der Antragstellerin bekannt. Der Nachtrag umfasst unter anderem einen überarbeiteten Lageplan, der für das Gebäude 2 einen neuen Abstand von 5,51 m zur Grundstücksgrenze vorsieht.

Am 30.08.2022 hat die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Schreiben vom 30.11.2022 hat sie ihren Widerspruch auf die Nachtragsgenehmigung erstreckt und diese mit Schriftsatz vom gleichen Tage in das hiesige Verfahren einbezogen.

Sie rügt eine Verletzung der Grenzabstandsvorschriften. Der Antragsgegner habe mit 10,39 m über NN eine unzutreffende Bezugshöhe gewählt, weil es sich hierbei nicht um die Höhe der gewachsenen Geländeoberfläche handele, sondern eine durch die Beigeladene vorgenommene Aufschüttung. Die gewachsene Geländeoberfläche liege bei einer Höhe von 9,01 m über NN, dies sei der tiefste Punkt auf dem Grundstück der Antragstellerin. Die Differenz sei bei der Grenzabstandsberechnung auf die Höhen zu addieren. Zudem sei die Aufschüttung selbst ebenfalls als bauliche Anlage zu bewerten, die den Grenzabstand einzuhalten habe. Die Zwerchhäuser seien bei der Grenzabstandsberechnung als hervortretendes Gebäudeteil zu berücksichtigen, da sie mehr als ein Drittel der Gebäudebreite einnähmen. Wende man die in § 5 Abs. 4 NBauO für Giebel vorgesehene Regel an, so müsse man die äußeren Ortgänge bis zur Höhe eines imaginären Firstes verlängern und die 6 m in dem so entstehenden Dreieck ermitteln. Die Linie liege nach ihren Berechnungen auf einer Höhe von 10,99 m und unterschreite mit dem Abstand von 5,26 m den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstand von 5,40 m.

Das Dach könne bei einer Neigung von 55° nicht außer Betracht bleiben, sondern sei bei der Abstandsberechnung mit 1/3 H zu berücksichtigen. Das Vorhaben entspreche zudem nicht den Festsetzungen im Entwurf des Bebauungsplans. Sowohl die maximal zulässige Firsthöhe von 11,00 m werde überschritten als auch die Festsetzung der Zweigeschossigkeit.

Die Anordnung der Stellplätze im rückwärtigen Grundstücksbereich, unmittelbar an der Grenze zum Garten- und Ruhebereich der Antragstellerin, verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Der drohende Verkehrslärm beeinträchtige die von der Straße abgewandten Schlaf- und Aufenthaltsräume in den Wohnungen im Obergeschoss unzumutbar. Die Anordnung der Stellplätze sei in der Umgebung ohne Vorbild, auf allen anderen Grundstücken werde in der Nähe der öffentlichen Verkehrsflächen geparkt. Auch die Stellplätze auf dem Grundstück der Antragstellerin seien zum südlichen Grundstücksnachbarn hin orientiert und nicht zum Garten- und Ruhebereich des Quartiers.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 19.01.2022 in Gestalt der Nachtragsgenehmigung vom 17.11.2022 anzuordnen.

Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigen die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und tragen vor, dass nach den Festsetzungen des Vorentwurfes des Bebauungsplans der jeweilige Bezugspunkt für alle festgesetzten höhenbaulichen Anlagen die Oberfläche der Fahrbahnmitte des dem Baugrundstück nächstgelegenen Abschnittes der öffentlichen Verkehrsfläche sei. Hier sei die bei 10,39 m über NN liegende Oberfläche der Fahrbahnmitte der J. für das Grundstück der Beigeladenen entscheidend. Selbst bei einer Bezugshöhe von 9,01 m über NN wären die Grenzabstandsvorschriften jedoch nicht verletzt. Der einzuhaltende Grenzabstand ergebe sich aus der Traufhöhe von 7,37 m. Auch wenn man zu dieser die vermeintliche Höhe einer Aufschüttung von 1,38 m addiere, wäre mit 5,51 m der erforderliche Grenzabstand von 4,30 m eingehalten. Die beiden traufseitigen Giebeldreiecke seien nach § 5 Abs. 4 S. 1 NBauO zu behandeln und blieben außer Betracht, soweit sie waagerecht gemessen nicht mehr als 6 m breit seien. Selbst mit der Berechnungsmethode der Antragstellerin läge die 6-Meter-Linie in einem imaginären, durch die Verlängerung der Ortgänge gebildeten Dreieck auf einer Höhe von knapp 9 m und wäre bei Addition von weiteren 1,38 m für die Aufschüttung grenzabstandskonform. Bei einer Dachneigung von 55° könne das Dach für die Abstandsflächenberechnung außer Betracht bleiben. Rechnerisch könne sich bei einer solchen Dachneigung auch bei Berücksichtigung des Firstes kein für die Antragstellerin günstigerer Grenzabstand ergeben. Die Aufschüttung selbst sei nach § 5 Abs. 8 S. 1 Nr. 1 b) NBauO privilegiert.

Auf die Festsetzungen des – noch nicht in Kraft getretenen – Bebauungsplans könne sich die Antragstellerin nicht berufen. Auch die im Rahmen des Einfügens zu prüfenden Kriterien der Höhe und der Anzahl der Vollgeschosse seien nicht drittschützend; lediglich über das Gebot der Rücksichtnahme könnten diese geltend gemacht werden. Dieses sei hier jedoch ersichtlich nicht durch die Kubatur des Gebäudes berührt.

Auch die Anordnung der Stellplätze sei nicht rücksichtslos erfolgt. Einen schutzwürdigen rückwärtigen Garten- und Ruhebereich gebe es in der maßgeblichen Umgebung nicht. Auch der Vorentwurf des Bebauungsplans sehe nach seiner textlichen Festsetzung vor, dass Stellplätze und Garagen in einem Abstand von 5 m zu öffentlichen Verkehrsflächen errichtet werden dürften. Auf zahlreichen Grundstücken in der Umgebung seien die Stellplätze im rückwärtigen Bereich angeordnet. Auch auf dem Grundstück der Antragstellerin befänden sich die Stellplätze nahe des vermeintlichen Ruhebereichs. Zudem werde zumindest das Erdgeschoss des Gebäudes der Antragstellerin gewerblich genutzt und sei daher nicht störungsanfällig. Die beanstandeten Stellflächen südlich des Hauses 2 seien der Gewerbeeinheit in Haus 1 zugewiesen, sodass keine Fahrzeugbewegungen zu empfindlichen Zeiten zu erwarten seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung ist nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da der Widerspruch nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB keine aufschiebende Wirkung entfaltet.

Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Die Antragstellerin hat sich insbesondere zuvor erfolglos mit einem Aussetzungsantrag an den Antragsgegner gewandt und damit dem Erfordernis in §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 6 VwGO entsprochen. Die Einbeziehung des Nachtrages ist zulässig und notwendig, da dieser durch einen veränderten Grenzabstand den Streitgegenstand unmittelbar berührt.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller ganz oder teilweise anordnen, wenn ihr Interesse, von der Vollziehung der angegriffenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, das Interesse des Bauherrn an ihrer Ausnutzung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Risiko der Nachbarn, die Folgen der Verwirklichung der angegriffenen Maßnahme trotz möglichen späteren Erfolges in der Hauptsache dulden zu müssen, mit dem Risiko des Bauherrn abzuwägen, die Verwirklichung des Vorhabens trotz möglicher späterer Klageabweisung aufschieben zu müssen. Bei der zwischen beiden Folgeabschätzungen vorzunehmenden Abwägung spielt die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs in der Regel eine entscheidende Rolle.

Einen Anspruch auf die Aufhebung einer Baugenehmigung hat ein Nachbar dabei nur, wenn die Genehmigung gegen eine im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfende Vorschrift verstößt und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 VwGO). Dieser Maßstab gilt auch im Drittwiderspruchsverfahren (Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 68 Rn. 41). Nachbarn können eine Baugenehmigung deshalb nur mit Erfolg angreifen, wenn sie durch diese in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht zumindest auch teilweise dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Hinzu muss kommen, dass die Baugenehmigung gerade deshalb rechtswidrig ist, weil Rechte, die dem individuellen Schutz Dritter, d.h. gerade dem Schutz des widerspruchsführenden Nachbarn dienen, verletzt sind. Stellen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unter diesem Gesichtspunkt als offen dar, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (VGH München, Beschl. v. 27.02.2017 - 15 CS 16.2253 -, Rn. 13, juris).

Nach dieser Maßgabe kann die Antragstellerin voraussichtlich die Aufhebung der angefochtenen Baugenehmigung nicht verlangen, weil diese nicht gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften verstößt. Nach summarischer Prüfung wird dem Widerspruch der Antragstellerin weder im Hinblick auf den geltend gemachten Grenzabstandsverstoß (1.) noch auf die genehmigte Höhe und Anzahl der Vollgeschosse (2.) noch auf die Anordnung der Stellplätze (3.) abzuhelfen sein.

1. Die Antragstellerin verweist ohne Erfolg auf einen Verstoß gegen die einzuhaltenden Grenzabstände nach § 5 Abs. 1 NBauO. Zwar dienen die Grenzabstandsbestimmungen grundsätzlich auch dem Schutze der Nachbarn und räumen diesen ein subjektives-öffentliches Abwehrrecht ein, wenn eine Baugenehmigung entgegen der erforderlichen Grenzabstände erteilt wird. Das genehmigte Bauvorhaben verstößt jedoch nicht gegen § 5 Abs. 1 NBauO.

Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 NBauO müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten. Der Grenzabstand beträgt gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 NBauO 0,5 H, mindestens jedoch 3 m. § 5 Abs. 1 S. 4 NBauO legt fest, dass sich der Wert H nach der Höhe des jeweiligen Punktes über der Geländeoberfläche richtet. Das Bauvorhaben hält diese Vorgabe ein. Der Antragsgegner hat zutreffend auf die Traufhöhe, also den Schnittpunkt der Schnittlinien der Außenkante der Außenwand und der Oberfläche der Dachhaut abgestellt (vgl. Breyer, in: Große-Suchsdorf, 10. Aufl. 2020, NBauO § 5 Rn. 46). Die sich daraus ergebende Traufhöhe liegt bei 7,37 m. Unter Berücksichtigung der Abrundungsregel in § 5 Abs. 1 S. 5 NBauO liegt der einzuhaltende Abstand demnach bei 3,60 m und wird nicht verletzt, weil der Baukörper einen Abstand von 5,51 m zur maßgeblichen Grundstücksgrenze einhält. Auch der um 0,25 m zur Grundstücksgrenze vorspringende Gebäudeteil ändert hieran nichts.

Ohne Erfolg beanstandet die Antragstellerin, dass das Dach des Gebäudes bei der Abstandsflächenberechnung unberücksichtigt geblieben ist. Die Antragstellerin verkennt, dass bei der hier gewählten Dachform mit einer Dachneigung von maximal 55° sich aus der Anwendung der niedersächsischen Bauordnung nichts für die Abstandsflächenberechnung ergeben kann. Das Dach wird so flach ausgeführt, dass für jeden in der Höhe gewonnenen Zentimeter sich der für die Grenzabstandsberechnung maßgebliche Punkt der Außenfläche um (ein Vielfaches) mehr als einen halben Zentimeter von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt. Das bedeutet bei einem Dachüberstand von weniger als 0,5 m, dass jeder denkbare Punkt auf dem Dach den Grenzabstand erst recht einhält, solange der Schnittpunkt der Schnittlinien der Außenfläche der Außenwand mit der Oberfläche der Dachhaut den notwendigen Abstand einhält. Nur bei Dächern mit einer Dachneigung von über 63° kann anstelle der Traufhöhe die Firsthöhe abstandsrelevant werden (vgl. auch Breyer, in: Große-Suchsdorf, 10. Aufl. 2020, NBauO § 5 Rn. 46). Die von der Antragstellerin angemahnte Berücksichtigung des Daches mit einem Wert von 1/3 H entspricht nicht der niedersächsischen Gesetzeslage. In der niedersächsischen Bauordnung fehlt es an einer diese Berechnungsweise stützenden Vorschrift wie sie etwa in Art. 6 Abs. 4 S. 3 BayBO oder § 6 Abs. 4 S. 7 Nr. 2 BauO NRW aufgenommen wurde.

Eine Grenzabstandsverletzung ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht aus der Orientierung an einer unzutreffenden Referenzhöhe. Gerügt wird insbesondere, dass die Baugenehmigung entgegen der Vorschrift in § 5 Abs. 9 S. 1 NBauO eine Geländehöhe von 10,39 m über NN als Bezugshöhe für die Berechnung der Traufhöhe und somit der einzuhaltenden Grenzabstände gewählt habe und nicht die gewachsene Geländeoberfläche, die ihrer Auffassung nach bei 9,01 m über NN liege. Diese Frage kann dahingestellt bleiben, denn auch wenn man die Richtigkeit der Aussage unterstellt, folgt hieraus kein anderes Ergebnis. Die Folge wäre, dass zu der Traufhöhe von 7,37 m die Höhe der behaupteten Aufschüttung von 1,38 m zu addieren wäre, woraus sich eine abstandsflächenrelevante Traufhöhe von 8,75 m ergäbe. Der resultierende einzuhaltende Grenzabstand von 4,30 m wird bei einem Abstand von 5,51 m nicht unterschritten.

Schließlich rechtfertigen auch die um 0,25 m hervorspringenden Zwerchhäuser kein anderes Ergebnis, denn auch sie halten aufgrund der Privilegierung in § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO den erforderlichen Grenzabstand ein. Nach dieser Regelung bleiben Giebeldreiecke und entsprechende andere Giebelformen bei der Bemessung des erforderlichen Abstands außer Betracht, soweit sie waagerecht gemessen nicht mehr als 6 m breit sind. Als Giebeldreieck im Sinne des § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO ist die dreieckige Fläche der Abschlusswand an der Stirnseite eines Daches anzusehen, die begrenzt wird von den Schmalseiten des Daches (Ortgang) und einer gedachten waagerechten Verbindungslinie zwischen den Schmalseiten, die nach der gesetzlichen Regelung nicht breiter als 6 m sein darf (Breyer, in: Große-Suchsdorf, 10. Aufl. 2020, NBauO § 5 Rn. 126 Abb. 19). Ein solches Giebeldreieck können auch Zwerchhäuser aufweisen. Dabei handelt es sich um eigenständige Baukörper, die quer (althochdeutsch: zwerch) zum Hauptgiebel des Gebäudes bzw. zum Dachfirst des Hauptdachs liegen, aus der Fassade der Traufwand aufsteigen, die Außenwand eines Gebäudes also senkrecht über die Traufe hinaus bis in die Höhe des Daches hinein fortsetzen, und in aller Regel in der Flucht der Außenwand liegen (OVG Lüneburg, Urt. v. 19.06.2012 - 1 LB 169/11 -, Rn. 48, juris, VGH Kassel, Beschl. v. 10.07.2007 - 3 ZU 433/07 -, Rn. 5, 9, juris). Zwerchhäuser sind gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 2 NBauO nur hinsichtlich ihrer Giebel privilegiert und auch nur, soweit diese die Gesamtbreite von 6 m nicht überschreiten. Besitzt die Giebelwand insgesamt eine geringere Breite als 6 m, ist nur der Bereich privilegiert, der in dem Dreieck liegt; für die unter dem Dreieck liegende viereckige Wandfläche gilt die Regelung in § 5 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 nicht (OVG Lüneburg, Beschl. v. 31.05.1995 - 1 M 1920/95 -, juris; VG Braunschweig, Beschl. v. 20.01.2021 - 2 B 250/20 -, Rn. 29, juris).

Nach dieser Maßgabe wird der erforderliche Grenzabstand auch von den beiden Zwerchhäusern nicht verletzt. Behandelt man sie wie zwei Giebel, so sind die beiden Giebeldreiecke jeweils weniger als 6 m breit und vollständig durch die Vorschrift in § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO privilegiert. Für die Abstandsflächen ist demnach nur die unter ihnen liegende Wandfläche relevant, die den grün gestempelten Ansichten zufolge aber nur ungefähr bis zur Traufe reicht und mit einer Entfernung von 5,26 m den notwendigen Abstand deutlich einhält.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergibt sich im vorliegenden Fall nichts Abweichendes dadurch, dass es sich um zwei unmittelbar aneinander gebaute Zwerchhäuser handelt. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Bauweise, welche durch die Mehrfachanwendung der 6-Meter-Regel den Zweck des § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO zu unterlaufen droht. Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass das Gewicht der möglichen Beeinträchtigung die abstandsrechtliche Behandlung eines Bauelementes bedingt. Die Begünstigung von Giebelhäusern beruht darauf, dass sich ein auf eine Breite von unter 6 m verjüngender Giebel auf die Belichtung und Belüftung des Nachbargrundstücks typischerweise weniger nachteilig auswirkt als eine Hauswand ohne oder mit einem breiteren Giebel. Dem Nachbarn wird deshalb zugemutet, insoweit einen geringeren Abstand hinzunehmen (VG Hannover, Beschl. v. 05.11.2010 - 12 B 3883/10 -, Rn. 31, juris). Für diese Erwägung ist die Anzahl der Giebeldreiecke jedoch ohne Belang. Eine Restriktion für die Errichtung mehrerer Giebel oder anderer Giebelformen ist in der Norm nicht angelegt und mit Blick auf den dargestellten Zweck auch nicht geboten (Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der niedersächsischen Bauordnung, 5. Aufl. 2021 § 5 Rn.108; i.E. wohl genauso VG Braunschweig, Beschl. v. 20.01.2021 - 2 B 250/20 -, Rn. 30, juris; Breyer, in: Große-Suchsdorf, 10. Aufl. 2020, NBauO § 5 Rn. 132 Abb. 22). Der Standpunkt der Antragstellerin würde insoweit auch zu inkonsistenten Ergebnissen führen. So ließe sich mit dem Ansatz der Antragstellerin beispielsweise nicht verhindern, dass die Giebel einer Reihenhauszeile weiterhin von der Mehrfachanwendung des § 5 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 NBauO profitieren, während mehrere Giebel oder Zwerchhäuser eines in der Kubatur identischen Mehrfamilienhauses restriktiver beurteilt werden würden, obwohl das Ausmaß der für das Nachbargrundstück drohenden Beeinträchtigung diese Differenzierung nicht rechtfertigt. Erst recht nicht überzeugend ist der Berechnungsansatz der Antragstellerin, mit welcher sie - unter Annahme der für sie günstigeren Geländehöhe - zu einer abstandsrelevanten Höhe von 10,99 m gelangt. Nach dem Verständnis des Gerichts vertritt sie die Auffassung, dass zur Berechnung des Grenzabstandes die äußeren Ortgänge der beiden Zwerchhäuser zu einem imaginären einzelnen (Giebel-)Dreieck verlängert werden müssen, auf welches die Privilegierung anzuwenden ist. Dieser Ansatz führt jedoch zu unbrauchbaren Ergebnissen, sobald zwei Giebel oder Zwerchhäuser nicht unmittelbar aneinander angebaut sind oder mehr als zwei Giebeldreiecke zu würdigen sind, wie beispielsweise bei einem Sheddach oder traufseitig errichteten Häuserzeilen. Den Grenzabstand anhand eines fiktiven Giebeldreiecks zu berechnen verfehlt zudem den Zweck, tatsächlichen Beeinträchtigungen zu begegnen, indem ein in dieser Form nicht existierender Gebäudeteil einer bauordnungsrechtlichen Prüfung unterzogen wird.

Auch die behauptete Aufschüttung auf dem Grundstück der Beigeladenen verletzt § 5 Abs. 1 NBauO nicht. Nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin beträgt die abstandsrelevante Höhe der Aufschüttung 1,39 m, sodass sie auch bei Zugrundelegung der Richtigkeit dieses Vorbringens nach § 5 Abs. 8 S. 1 Nr. 1b) NBauO einen Grenzabstand nicht einzuhalten braucht.

2. Die Antragstellerin wird die Aufhebung der Baugenehmigung nicht mit dem Vorbringen erreichen können, dass das entstehende Gebäude faktisch viergeschossig sei und mit seiner Firsthöhe sowohl die Bestandsbebauung als auch die Festsetzung im Entwurf des Bebauungsplans übertreffe. In bauplanungsrechtlicher Sicht richtet sich die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nach § 34 Abs. 1 BauGB, da es sich bei dem Vorhaben des Beigeladenen um ein solches innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ohne Bebauungsplan handelt. Der sich noch im Entwurfsstadium befindende Bebauungsplan entfaltet insoweit keine rechtlichen Wirkungen.

Im Rahmen des demzufolge nach § 34 Abs. 1 BauGB zu gewährenden nachbarlichen Drittschutzes kann sich die Antragstellerin nicht darauf berufen, dass das Vorhaben sich nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Anzahl der Geschosse oder der Gesamthöhe nicht in seine Umgebung einfügt. Der durch das Merkmal des „Einfügens“ gewährleistete Drittschutz beschränkt sich hinsichtlich dieser Parameter auf die Überprüfung der Einhaltung des Rücksichtnahmegebotes. Auch in beplanten Baugebieten kommt diesen Kriterien regelmäßig nur dann unmittelbar drittschützende Wirkung zu, wenn erkennbar ist, dass die planerischen Festlegungen zum Schutze der Nachbarn erfolgt sind. Da im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB eine planerische Entscheidung der Gemeinde aber gerade nicht getroffen worden ist, können diese Kriterien im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB auch nicht mit unmittelbar drittschützender Wirkung aufgeladen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.12.2013 - 4 C 5/12 -, Rn. 15, juris; BVerwG, Urt. v. 24.02.2000 - 4 C 12/98 -, Rn. 27, juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 25.10.2012 - 1 MB 38/12 -, Rn. 7, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 20.03.2012 - 3 S 223/12 -, Rn. 6, juris; VG Berlin, Beschl. v. 09.03.2017 - 13 L 102.17 -, Rn. 11). Die genannten Merkmale können lediglich im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes indiziell bei der Frage herangezogen werden, ob von dem Bauvorhaben eine erdrückende Wirkung ausgehen kann. In diesem Zusammenhang bleibt aufgrund des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsumfangs somit dahingestellt, ob sich das Vorhaben in seine nähere Umgebung einfügt.

3. § 34 Abs. 1 BauGB kommt Drittschutz zu, wenn das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist (st. Rspr. BVerwG, vgl. Urt. v. 25.02.1977 - 4 C 22.75 -; Urt. v. 13.03.1981 - 4 C 1.78 -; Urt. v. 23.05.1986 - 4 C 34.85 -, alle juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 142. EL 2021, BauGB § 34 Rn. 141-142, beck-online). Ist ein Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 bzw. 2 BauGB zu beurteilen, so ist das Gebot der Rücksichtnahme in dem in dieser Bestimmung genannten Begriff des Einfügens bzw. in einer unmittelbaren Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthalten. Diesem kommt im Einzelfall insoweit nachbarschützende Wirkung zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Es müssen die Umstände des Einzelfalles eindeutig ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen und inwieweit eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist (BVerwG, Urt. v. 05.08.1983 - 4 C 96/79 -, BVerwGE 67, 334). Das Gebot der Rücksichtnahme kann zu einer Unzulässigkeit des Bauvorhabens im Einzelfall führen, wenn von dem konkreten Vorhaben Beeinträchtigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart der Umgebung unzulässig sind. Dabei müssen die Interessen im Einzelfall abgewogen werden. Der Umfang der dem Nachbarn des Bauvorhabens aufgrund der Eigenart der näheren Umgebung zuzumutenden Beeinträchtigungen und Störungen bestimmt sich unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Umgebung und ihrer bebauungsrechtlichen Prägung sowie den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.01.1993 - 4 C 19/90 -, DVBl 1993, 652). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden; je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen; dabei kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist – dies alles unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 142. EL 2021, BauGB § 34 Rn. 140, beck-online). Das Rücksichtnahmegebot ist aber erst dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - IV C 22.75 -, juris; BVerwGE 52, 122-131, Rn. 22, juris; VG Berlin, Beschl. v. 20.07.2017 - 13 L 398.17 -, Rn. 23, juris). Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, ob die Baugenehmigung aus anderen, objektiven Gründen rechtswidrig sein könnte. Einen Rechtssatz, dass eine Nachbarklage eher Erfolg hat, je „rechtswidriger“ die erteilte Baugenehmigung ist, gibt es nicht (OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.01.2007 - 1 ME 80/07 -, Rn. 12, juris).

Nach dieser Maßgabe ergibt die summarische Prüfung für den hiesigen Fall, dass das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt ist, weil von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung nicht ausgeht.

Insbesondere lassen die Anzahl und Anordnung der Stellplätze auf dem Baugrundstück und der damit einhergehende Verkehr keine für die Antragstellerin unzumutbaren Beeinträchtigungen erwarten. Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze grundsätzlich in allen Baugebieten zulässig und können nach § 12 Abs. 2 BauNVO sogar den Anwohnern im reinen und allgemeinen Wohngebiet zugemutet werden, sofern nur der durch die zugelassene Nutzung verursachte Bedarf abgedeckt wird. § 12 Abs. 2 BauNVO beinhaltet insoweit eine normative Duldungspflicht, der zufolge der Nachbar die sich aus der Nutzung von Stellplätzen und Garagen ergebenden üblichen Störungen bei Tag und Nacht hinnehmen muss, wenn die Garagenanlage das Bedürfnis nicht überschreitet, das sich aus dem auf dem Grundstück verwirklichten Vorhaben ergibt (BVerwG, Beschl. v. 20.03.2003 - 4 B 59.02 -, Rn. 6, juris; VGH München, Beschl. v. 29.01.2016 - 15 ZB 13.1759 -, Rn. 23, juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 31.03.2020 - 1 MR 2/20 -, Rn. 20, juris).

Die hiernach zulässigen Stellplätze und Garagen sollen möglichst nah an öffentliche Verkehrsflächen herangebaut werden, um kein Störpotenzial in Ruhezonen hineinzutragen, in denen bislang keine Fahrzeugbewegungen stattfanden. Dementsprechend sollen selbst nach § 47 NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze in der Regel nicht im Hintergarten liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen. Das gilt jedoch nur, wenn dieses Karree durch Grünflächen bzw. durch relative Wohnruhe gekennzeichnet ist. Demgegenüber wird in den Fällen, in denen rückwärtige Grundstücksbereiche in der Umgebung bereits Einstellplätze aufweisen, die Grenze des Zumutbaren nur überschritten, wenn die vom Vorhaben ausgelösten Belästigungen gegenüber dem Vorhandenen eine neue Größenordnung erreichen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 ME 76/20 -, Rn. 18, juris). Dies ergibt sich nicht zwangsläufig allein aus einer höheren Anzahl von Stellplätzen, sondern insbesondere, wenn die Enge der Zufahrt komplizierten Rangierverkehr zur Folge hat und dieser nicht hinreichend vom Nachbargrundstück abgeschirmt wird (OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.11.2021 - 1 ME 76/20 -, Rn. 18 ff., juris). Gleichzeitig ist in den Blick zu nehmen, ob und ggfs. wie die Zufahrt zu den Stellplätzen abgeschirmt wird und wie das Schutzbedürfnis mit Blick auf die Nutzungen in den Gebäuden ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.03.2020 - 1 ME 154/19 -, Rn. 9, juris).

Legt man diese Maßstäbe zugrunde, vermag die Kammer bei summarischer Prüfung nicht zu erkennen, dass die Anzahl und Anordnung der Stellplätze bereits die Grenze der Zumutbarkeit überschreitet. Die Anzahl von 49 Stellplätzen wird von der Antragstellerin nicht gerügt und ist auch nicht zu beanstanden, denn sie übersteigt den sich aus § 47 Abs. 1 NBauO ergebenden Bedarf nicht. Auch hinsichtlich der Anordnung der Stellplätze, insbesondere derjenigen, die zur gemeinsamen Grundstücksgrenze orientiert sind, lässt sich eine Rücksichtslosigkeit nicht feststellen.

Die beiden Grundstücke liegen in einem faktischen Mischgebiet ohne rückwärtige Baugrenzen. Die Umgebung des Vorhabengrundstücks ist von heterogen bebauten Grundstücken geprägt. Betrachtet man das von der H., der J. und der K. gebildete Karree, stellen sich intensiv genutzte, weitgehend versiegelte und mit Stellplätzen im rückwärtigen Bereich ausgestattete Grundstücke als vorherrschend dar. Ein bislang von Kraftfahrzeugimmissionen ungestörter Garten- und Ruhebereich, in den mit dem Vorhaben erstmals Störungen hineingetragen werden, ist nicht auszumachen. Durch die Stichstraße L. werden tief im Geviert Grundstücke erschlossen, sodass der Fahrzeugverkehr sich hier vielmehr als charakteristisch darstellt. So befinden sich etwa auf dem östlich des Vorhabengrundstücks gelegenen, von einer Bankfiliale genutzten Grundstück mehrere Stellplätze unmittelbar an der nördlichen Grundstücksgrenze und somit am Gartenbereich des nördlich angrenzenden Mehrfamilienhauses. Auch bei den östlich hiervon gelegenen Reihenhäusern ist das Nebeneinander von Gärten und Stellplätzen die Regel. In der Mitte des Karrees verschmelzen in einer Entfernung von etwa 70 bis 80 Metern von den drei genannten Straßen die Stellflächen mehrerer Grundstücke faktisch zu einem rund 3.500 qm großen Parkplatz. Westlich der H. ist die Situation vergleichbar.

Auch die Stellplätze auf dem Grundstück der Antragstellerin reichen in die vermeintliche Ruhezone hinein, in welchem auch die Beigeladene die Errichtung von sechs Stellplätzen plant. Das Grundstück der Antragstellerin ist im westlichen und südlichen Bereich vollständig versiegelt und insbesondere der südliche Teil wird über die gesamte Tiefe, also von der H. bis an das Grundstück der Beigeladenen heran, von der Antragstellerin als Stellfläche für mindestens zehn Kraftfahrzeuge genutzt. Die von der Beigeladenen geplanten Parkplätze 12, 13 und 14 grenzen zwar nicht unmittelbar an die Stellflächen der Antragstellerin an, sondern liegen einige Meter weiter nördlich und somit angrenzend an die Grünfläche östlich des Gebäudes der Antragstellerin. Die Grenze des Zumutbaren wird jedoch bereits aufgrund der dargestellten Ortsüblichkeit des Nebeneinanders von Stellplätzen und Grünflächen in der unmittelbaren Umgebung nicht tangiert. Diese zeigt vielmehr, dass auf den betroffenen Grundstücken in einem gewissen Umfang mit einer Belästigung durch Kraftfahrzeuge gerechnet werden muss und die Grundstückseigentümer als Kehrseite davon profitieren, ihre eigenen Stellplätze großzügig auf ihren Grundstücken anordnen zu können. Dass mit den streitgegenständlichen Parkplätzen gegenüber dieser Situation eine neue Qualität i.S. der o.g. Rechtsprechung erreicht wird, ist nicht zu erkennen. Insbesondere verläuft der Zufahrtsweg zu den Stellflächen nicht entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze und ihre Anordnung erfordert keine nennenswerten Rangiervorgänge beim Ein- und Ausparken.

Als weiterer Gesichtspunkt für die Zumutbarkeit tritt hinzu, dass die beiden Grundstücke in einem faktischen Mischgebiet liegen dürften, welches von einem Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe geprägt ist und mit dem einhergeht, dass das Wohnen nicht in dem gleichen Maße für sich beanspruchen kann, von Beeinträchtigungen der Wohnruhe verschont zu bleiben wie in einem allgemeinen oder reinen Wohngebiet. Weiterhin ist zu bedenken, dass die beanstandeten Stellplätze der geplanten Gewerbeeinheit zugeordnet sind und somit jedenfalls in den Nachtstunden und an Sonn- und Feiertagen kaum Fahrzeugbewegungen erwarten lassen dürften, was sich günstig auf die Wohnruhe auswirkt. Schließlich legt die Gestaltung des Grundstücks der Antragstellerin selbst nahe, dass einem rückwärtigen, der Wohnqualität dienenden Ruhe- und Gartenbereich keine vorrangige Bedeutung zugestanden wird. Der Großteil des Grundstückes ist zugunsten von Stellflächen für die Gewerbeeinheit im Erdgeschoss versiegelt. Die Grünfläche wird auf einen 6 m breiten Streifen in die nordöstliche Ecke des Grundstückes zurückgedrängt, weil der Baukörper knapp 9 m von der öffentlichen Verkehrsfläche errichtet wurde, um mehr Raum für Kraftfahrzeuge zu schaffen. Zudem sind die Grünfläche und die dorthin ausgerichtete Terrasse der Gewerbeeinheit im Erdgeschoss zugewiesen. Die Wohnungen im Obergeschoss verfügen weder über zum Garten gerichtete Balkons noch ist ersichtlich oder vorgetragen, dass die Mieter den Garten überhaupt benutzen dürfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat einen Abweisungsantrag gestellt und sich gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt. Es entspricht daher der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass ihr ihre außergerichtlichen Kosten erstattet werden.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht orientiert sich für das gemischt zu Wohn- und Gewerbezwecken genutzte Gebäude an Ziffer 7b) der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für ab dem 01.06.2021 eingegangene Verfahren.