Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 31.01.2006, Az.: 4 A 250/04
Erstattungsanspruch; Jugendhilfe; Kostenerstattung; pflichtwidrige Handlung; Pflichtwidrigkeit; Zuständigkeit; Zuständigkeitswechsel
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 31.01.2006
- Aktenzeichen
- 4 A 250/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53360
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 86 Abs 6 SGB 8
- § 10 SGB 8
- § 89a Abs 1 SGB 8
- § 89c Abs 1 SGB 8
- § 89c Abs 2 SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein Anspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schließt den Anspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht aus.
2. Richtet sich der Erstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gegen einen öffentlichen Jugendhilfeträger, der im Gegenzug selbst einen Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gegen den nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Erstattungsberechtigten hat, stehen sich beide Ansprüche aufrechenbar gegenüber mit der Folge, dass sich eine gegenseitige Erstattung der erbrachten Jugendhilfeleistungen im Ergebnis zwar erübrigt, für einen über § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hinausgehenden Anspruch nach § 89c Abs. 2 SGB VIII aber noch Raum ist.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Kostenerstattung im Zusammenhang mit Jugendhilfeleistungen, die sie für C. D. erbracht hat. C. D. wurde im August 2000 in E. geboren, wo sich seine Mutter aufhielt. Diese war ebenso wie der leibliche Vater des Kindes drogenabhängig. Die Klägerin nahm den Minderjährigen nach seiner Geburt in Obhut und verbrachte ihn zunächst in das Kinderschutzhaus in E., weil seine Versorgung durch die Eltern nicht gesichert erschien. Mit Beschluss vom Dezember 2000 entzog das Amtsgericht D. der Kindesmutter und ihrem Ehemann das Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrecht und bestellte das Jugendamt F. der Klägerin als Pfleger. Dieses beantragte für C. Hilfe zur Erziehung. Die Hilfe wurde zunächst in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe gewährt und es wurde versucht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass C. bei seiner Mutter leben konnte. Nachdem dies gescheitert war, brachte die Klägerin C. am 11. April 2001 bei Pflegeeltern unter, die im Gebiet des Beklagten wohnhaft sind. Die Klägerin bewilligte dem Amtspfleger hierfür nach §§ 27, 33, 39 SGB VIII Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege einschließlich Pflegegeld.
Im Laufe des Jahres 2002 stellte sich heraus, dass bei C. erhebliche Entwicklungsrückstände bestanden und er überdies taub ist. Nach dem ärztlichen Bericht des Klinikums G. leidet das Kind an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit Mikrocephalus und einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit mit Störungen im Bereich der Wahrnehmungsverarbeitung, Wahrnehmungsintegration sowie an einer psychomotorischen und leichten sozioemotionalen Retardierung und herausragenden Sprachentwicklungsstörungen.
Im Februar 2003 bat die Klägerin den Beklagten um Übernahme des Hilfefalles. Der Beklagte lehnte dies ab. Wegen seiner Behinderungen sei C. Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zu gewähren. Diese Leistungen gingen Jugendhilfeleistungen vor. Die Klägerin wandte hiergegen ein, C. sei nicht wegen seiner Behinderungen in die Pflegefamilie gekommen, sondern weil seine Eltern nicht in der Lage gewesen seien, den erzieherischen Bedarf des Kindes zu decken. An der mangelnden Erziehungsfähigkeit der Eltern des Kindes habe sich nichts geändert. Der Beklagte sei nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig.
Am 8. Juni 2004 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie zunächst sowohl die Kostenerstattung wegen einer pflichtwidrigen Handlung des Beklagten als auch die Feststellung begehrt hat, dass der Beklagte nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständiger Jugendhilfeträger ist. Nachdem der Beklagte den Hilfefall zum 1. August 2005 in die eigene Zuständigkeit übernommen hat, haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage vor:
Sie könne Kostenerstattung nach § 89c Abs. 2 SGB VIII verlangen. Die anfängliche Weigerung des Beklagten, den Hilfefall zu übernehmen, sei pflichtwidrig gewesen. Ihm sei der Hilfefall bereits im Februar 2003 bekannt geworden. Sie, die Klägerin, habe umfangreiche Unterlagen vorgelegt und auf die einschlägige Rechtsprechung hingewiesen. Der Beklagte habe damit über alle Informationen verfügt, die für eine positive Entscheidung notwendig gewesen seien. Dennoch habe er den Hilfefall nicht übernommen, was zu einer ungerechtfertigten Lastenverschiebung zu ihrer, der Klägerin, Lasten geführt habe. Sie habe die Hilfe weiter leisten müssen, obwohl sie nicht primär örtlich zuständig gewesen sei. In der Zeit von Februar 2004 bis Juli 2005 habe sie für C. insgesamt 14.176,-- € geleistet. Ein Drittel hiervon habe der Beklagte zu erstatten.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte nach § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständiger Jugendhilfeträger ist und ihn zu verurteilen, an sie ab dem 1. Februar 2004 monatlich einen Betrag in Höhe von 574,50 € gemäß § 89c Abs. 2 SGB VIII zu erstatten.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.725,33 € zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Eine Kostenerstattung nach § 89c Abs. 2 SGB VIII scheide aus, weil letztlich die Klägerin Kostenträger der fraglichen Maßnahme sei. Nach § 89a Abs. 1 SGB VIII sei sie nämlich verpflichtet, ihm, dem Beklagten, die Kosten für die Jugendhilfemaßnahme zu erstatten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben und die Klägerin die Klage durch Reduzierung des Klageantrages konkludent zurückgenommen hat.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Die Klägerin kann die begehrte Kostenerstattung auf der Grundlage des § 89c Abs. 2 i.V. mit § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII verlangen. Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewendet hat, sind von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist (§ 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Hat der örtliche Träger die Kosten deshalb aufgewendet, weil der zuständige örtliche Träger pflichtwidrig gehandelt hat, so hat dieser zusätzlich einen Betrag in Höhe eines Drittels der Kosten, mindestens jedoch 50 €, zu erstatten (§ 89c Abs. 2 SGB VIII). Die Voraussetzungen des § 89c Abs. 2 SGB VIII liegen hier vor. Dabei kann die genannte Vorschrift nicht isoliert betrachtet werden. Sie enthält keinen generellen Kostenerstattungsanspruch bei pflichtwidriger Handlung. § 89c Abs. 2 SGB VIII knüpft vielmehr an die Tatbestandsmerkmale des § 89c Abs. 1 SGB VIII an und setzt voraus, dass hiernach ein Kostenerstattungsanspruch besteht (Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl. § 89c Rn. 23; Stähr in Hauck, SGB VIII 2. Band K § 89c Rn. 10). Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat in der umstrittenen Zeit von 1. Februar 2004 bis zur Übernahme des Hilfefalles durch den Beklagten am 1. August 2005 Kosten auf Grund ihrer Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufwendet. Wechselt die örtliche Zuständigkeit, so bleibt nach § 86c Satz 1 SGB VIII der bisher zuständige örtliche Träger solange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Nachdem ursprünglich die Klägerin für die für C. erbrachten Jugendhilfeleistungen zuständig gewesen war (§ 86 Abs. 1 SGB VIII), wurde am 12. April 2003 der Beklagte zuständig, denn zu diesem Zeitpunkt lebte das Kind seit zwei Jahren bei den Pflegeeltern und sein Verbleib dort war auf Dauer zu erwarten (§ 86 Abs. 6 SGB VIII). § 89 f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wonach die aufgewendeten Kosten (nur) zu erstatten sind, soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des Gesetzes entspricht, steht dem Anspruch der Klägerin nach § 89c Abs. 1 Satz 1SGB VIII nicht entgegen, denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die C. gewährte Hilfe nicht rechtmäßig gewesen ist. Zu Unrecht hat der Beklagte insbesondere geltend gemacht, für C. seien keine Jugendhilfeleistungen zu gewähren, weil nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. (ab dem 1. Januar 2005) nach dem SGB XII vorgehe. Die Frage des Vorrangs bzw. Nachrangs nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII wird nur dann relevant, wenn sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urt. v. 23.9.1999 - 5 C 26.98 - BVerwGE 109, 325). Das war hier aber nicht der Fall. Die wegen der Körperbehinderung des Kindes erforderlichen Leistungen der Eingliederungshilfe waren ihrer Art nach unterschiedlich von der Hilfe zur Erziehung, die die Klägerin auf der Grundlage der §§ 27 ff SGB VIII für C. erbracht hat.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorliegen, kommt es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht darauf an, ob der nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erstattungspflichtige Träger seinerseits gegen den nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Erstattungsberechtigten einen Anspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII geltend macht bzw. geltend machen kann, wonach Kosten, die ein örtlicher Träger auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten sind, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre (a.A.: NdsOVG, Beschl. v. 10.10.1997 - 12 L 549/97 - FEVS 48, 281). Ein Anspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII schließt den Anspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht aus. Richtet sich der Erstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gegen einen öffentlichen Träger der Jugendhilfe, der im Gegenzug selbst einen Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gegen den nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII Erstattungsberechtigten hat, stehen sich vielmehr beide Ansprüche aufrechenbar gegenüber mit der Folge, dass sich eine gegenseitige Erstattung der erbrachten Jugendhilfeleistungen im Ergebnis zwar erübrigt (i.E. wohl auch Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl. § 89c Rn. 6; Stähr in Hauck, SGB VIII 2. Band K § 89c Rn. 13), für einen über § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hinausgehenden Anspruch nach § 89c Abs. 2 SGB VIII aber noch Raum ist.
Ein Vorrang des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in dem Sinne, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII der Anspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1SGB VIII entfällt, lässt sich dem Wortlaut der §§ 89a, 89c SGB VIII nicht entnehmen. Auch der Sinn und Zweck der Vorschriften spricht gegen eine derartig einschränkende Auslegung des § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Die unterschiedliche Zielrichtung der genannten Vorschriften rechtfertigt vielmehr die Annahme, dass sie unabhängig voneinander anwendbar sind, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen jeweils erfüllt sind. So soll § 89a SGB VIII im Hinblick auf die Kosten einen Ausgleich dafür schaffen, dass in Durchbrechung der sonstigen Zuständigkeitssystematik in § 86 Abs. 6 SGB VIII die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers am Ort der Pflegestelle begründet wird. Die Erstattungsregelung soll vermeiden, dass der wegen der Ortsnähe fachlich gebotene Zuständigkeitswechsel durch kostenmäßige Belastungen behindert wird. Gleichzeitig wird die Anzahl der Unterbringungsmöglichkeiten erhöht, weil die Unterbringung des Pflegekindes außerhalb des Bereiches des Heimatjugendamtes ermöglicht wird (Stähr in Hauck, SGB VIII 2. Band K § 89a Rn. 1; Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., § 89a Rn. 1). § 89c Abs. 1 SGB VIII trägt hingegen dem Interesse des Jugendhilfeträgers, der die Leistung erbringen muss, obwohl ein anderer Träger örtlich zuständig ist, an einer Entlastung von den Kosten Rechnung. Die Pflicht zur Zahlung eines zusätzlichen Kostendrittels nach § 89c Abs. 2 SGB VIII soll zum einen präventiv auf eine pflichtgemäße Übernahme des Hilfefalles durch die örtlich zuständigen Jugendhilfeträger hinwirken und zum anderen durch Pflichtwidrigkeit entstandenen Verwaltungsmehraufwand des anderen Trägers ausgleichen (Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., § 89c Rn. 2). Entfiele der Anspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wenn der nach § 86c SGB VIII zur Fortsetzung der Leistung verpflichtete Jugendhilfeträger der bisher nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII zuständige und damit nach § 89a Abs. 1 Satz 1SGB VIII erstattungspflichtige Träger ist, so käme selbst bei einer pflichtwidrigen Ablehnung der Übernahme des Falles gleichzeitig auch § 89c Abs. 2 SGB VIII nicht mehr zur Anwendung. Die Zielvorstellung des Gesetzgebers, eine pflichtwidrige Verweigerung der Übernahme des Hilfefalles zu sanktionieren, würde dadurch in einer durchaus typischen Fallgestaltung unterlaufen. Für eine derartige Absicht des Gesetzgebers fehlen jegliche Anhaltspunkte. Eine Sanktion wegen pflichtwidriger Weigerung, den Fall zu übernehmen, macht nämlich auch Sinn, wenn eine Erstattung der für Jugendhilfeleistungen aufgewendeten Beträge wegen eines gleichzeitig bestehenden Anspruches nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII letztlich nicht erfolgen muss. Denn der nach § 86c SGB VIII zur Fortsetzung der Leistung verpflichtete Jugendhilfeträger hat einen Verwaltungskostenmehraufwand, der im Rahmen des Kostenerstattungsanspruches nach § 89c Abs. 1 SGB VIII nicht geltend gemacht werden kann. Im Übrigen besteht auch ein öffentliches Interesse daran, dass der ortsnähere Jugendhilfeträger die Hilfe unverzüglich übernimmt, um eine möglichst effiziente Hilfeleistung zu ermöglichen.
Die Kammer folgt nicht der Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 10.10.1997 - 12 L 549/97 - FEVS 48, 281), wonach die Regelung des § 89a SGB VIII den Schluss zulasse, dass, wenn der bisher zuständig gewesene Jugendhilfeträger trotz des Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 SGB VIII weiterhin leiste, er letztlich eine eigene Leistung erbringe, weshalb der Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII „letztlich nicht in vollem Umfang“ eintrete. Dem steht der eindeutige Wortlaut des § 86 Abs. 6 SGB VIII entgegen, wonach abweichend von den Absätzen 1 - 5 SGB VIII der örtliche Träger zuständig ist, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn das Kind zwei Jahre bei der Pflegeperson lebt und sein Aufenthalt dort auf Dauer zu erwarten ist. Die örtliche Zuständigkeit nach dem SGB VIII bestimmt sich nach § 86 SGB VIII. Sie ist nicht teilbar und nach der Systematik des SGB VIII unabhängig von der Frage zu beurteilen, ob in bestimmten Fällen Kostenerstattungsansprüche bestehen.
Die Weigerung des Beklagten, den vorliegenden Jugendhilfefall zu übernehmen, war zuletzt auch pflichtwidrig im Sinne des § 89c Abs. 2 SGB VIII. Pflichtwidrigkeit ist u.a. dann gegeben, wenn bei unbestrittenem Zuständigkeitswechsel die Weiterführung der Leistung oder die notwendige Entscheidung über das weitere Tätigwerden durch den neu zuständigen Träger verzögert oder versagt wird (Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., § 89c Rn. 22). Kommt es zu einem Zuständigkeitswechsel ist der neu zuständige Träger verpflichtet, unverzüglich tätig zu werden. Er hat entweder die Leistung fortzusetzen, oder - wenn er anderer Rechtsauffassung hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen ist - alsbald eine wirksame Entscheidung über das weitere Vorgehen zu treffen, etwa dem Hilfeempfänger einen Einstellungsbescheid zukommen zu lassen. Es genügt nicht, dem zuvor zuständigen Jugendhilfeträger mitzuteilen, dass die bisher gewährte Hilfe dem Gesetz nicht entspreche und eine Übernahme deswegen abgelehnt werde. Das gilt auch dann, wenn der zuständig gewordene öffentliche Träger der Meinung ist, dass Sozialhilfe statt Jugendhilfe zu leisten ist (Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., § 89c Rn. 24).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Berufung wird zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die Kammer von einer Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts abweicht, wobei die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht (§§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO).