Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 20.01.2006, Az.: 3 B 3/06
Vorläufiger Rechtsschutz bei Verbot einer rechtsextremen Versammlung; Versammlungsverbot bei rechtsextremem Versammlungsinhalt; Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch Eintreten für die Straffreiheit der Volksverhetzung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.01.2006
- Aktenzeichen
- 3 B 3/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 33894
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2006:0120.3B3.06.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 24.01.2006 - AZ: 11 ME 20/06
- BVerfG - 26.01.2006 - AZ: 1 BvQ 3/06
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
- § 15 Abs. 1 VersG
- Art. 8 GG
Verfahrensgegenstand
Versammlungsrecht
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
am 20. Januar 2006
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen ein Versammlungsverbot.
Der Antragsteller meldete am 13. Januar 2006 - modifiziert mit Anmeldung vom 16. Januar 2006 - eine Versammlung mit Aufzug an, die am Sonnabend, dem 28. Januar 2006, in Lüneburg stattfinden soll. Die Versammlung mit erwarteten 200 Teilnehmern soll von 12:00 -18:00 Uhr abgehalten werden, zwischen Auftakt- und Abschlusskundgebung ist ein Umzug durch die Straßen der Stadt geplant. Die Demonstration soll unter dem Thema stehen "Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen", und es sollen Lautsprecherwagen, Handmegafone, Fahnen und Transparente an Stangen mitgeführt werden.
Mit Verfügung vom 19. Januar 2006 erließ die Stadt Lüneburg als Antragsgegnerin eine Verbotsverfügung und ordnete die sofortige Vollziehung des Verbotes an: Entgegen der Angabe des Antragstellers gehe es bei der Veranstaltung um das Motto, § 130 StGB abzuschaffen. Damit sei es Zweck, die Öffentlichkeit und speziell ausländische Mitbürger zu provozieren. Eine Versammlung am 28. Januar widerspreche dem Sinngehalt des Gedenktages vom 27. Januar, der für die Opfer des Nationalsozialismus begangen werde. Da Informationsstände und eine Demonstration anlässlich des 61. Jahrstages der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz genehmigt worden seien, würde die Versammlung des Antragstellers eine erhebliche Provokation mit sich bringen. Es müsse mit Gegenprovokationen und Gewalt gerechnet werden, zumal auch eine Großdemonstration von bis zu 3.000 Teilnehmern zum Motto "Kein Naziaufmarsch in Lüneburg" stattfinden solle. Damit sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet.
Der Antragsteller hat daraufhin am 19. Januar 2006 Klage erhoben und gleichzeitig vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz begehrt.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann keinen Erfolg haben.
Der ist nach § 80 VwGO zulässig.
Nach § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung, so dass er in seiner Vollziehbarkeit gehemmt ist. Die Vollzugshemmung bedeutet, dass aus den Regelungen des Verwaltungsaktes während dieser Zeit keine rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen, dass der Bescheid vorläufig nicht zwangsweise durchgesetzt werden darf. Ein Verwaltungsakt darf jedoch trotz einer eingelegten Klage etwa dann sofort vollzogen werden, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders anordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO). So ist es hier: Die Antragsgegnerin hat die Verbotsverfügung für sofort vollziehbar erklärt. Das Gericht kann aber - wie es hier beantragt worden ist - auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht im Hinblick auf den Sofortvollzug eine eigene Ermessensentscheidung aufgrund der beiderseitigen Interessen zu treffen. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, überwiegt das Interesse des Rechtsschutzsuchenden am Aufschub des Vollzuges, weil am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein öffentliches Interesse nicht besteht. Ist der angefochtene Verwaltungsakt demgegenüber offensichtlich rechtmäßig und besteht ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
Hiervon ausgehend kann der bei Gericht gestellte Antrag keinen Erfolg haben. Denn die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin ist offensichtlich rechtmäßig (1.), und am Sofortvollzug der Verbotsverfügung besteht ein besonderes öffentliches Interesse (2.).
1.
Das durch die Antragsgegnerin geregelte Versammlungsverbot ist offensichtlich rechtmäßig. Es findet seine Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz.
a)
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen.
Die Frage, ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist, unterliegt als polizeiliche Gefahrenprognose einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung. Die Gefahrenprognose hat sich dabei gemäß § 15 Abs. 1 VersG auf die zur Zeit des Erlasses der Verfügung "erkennbaren Umstände" zu beziehen. Der Begriff Umstände umfasst Tatsachen, Verhältnisse, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten. Umstände sind "erkennbar", wenn sie offen zutage treten, oder wenn sie der zuständigen Behörde bei dem von ihr zu fordernden Bemühen um Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. An die Gefahrenprognose dürfen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die zuständige Behörde darf - anders ausgedrückt - eine die Versammlung einschränkende Verfügung erst erlassen, wenn bei verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände die Durchführung der Versammlung mit Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung verursacht (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 - Brokdorf -).
b)
Hiervon ausgehend ist das von der Antragsgegnerin erlassene Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG inhaltlich gerechtfertigt.
Bei Durchführung der Versammlung wäre die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet, weil die geplante Kundgebung mit Umzug einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag eine nicht hinnehmbare Provokation der grundlegenden sittlichen, sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland bedeuten würde (aa). Dies ist deshalb anzunehmen, weil der Antragsteller und seine Anhänger zum "rechtsextremen Spektrum" gehören und die Versammlung einen rechtsextremen Inhalt hat (bb). Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung ist nicht deshalb zu verneinen, weil die Versammlung nicht direkt am Holocaust-Gedenktag stattfinden soll, sondern einen Tag später (cc). Auflagen zur Gefahrenabwehr reichen nicht aus (dd).
aa)
Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den herrschenden und mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens angesehen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. 5. 1985, a.a.O.). Die öffentliche Ordnung kann durch die Art und Weise der Kundgabe einer Meinung verletzt werden, etwa durch ein aggressives, die Grundlagen eines verträglichen Zusammenlebens beeinträchtigendes, insbesondere andere Bürger einschüchterndes Auftreten der Versammlungsteilnehmer (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.4.2000 - 1 BvQ 10/00 -, NVwZ-RR 2000, 554). Gleiches gilt, wenn ein Aufzug sich durch sein Gesamtgepräge mit den Riten und Symbolen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und durch Wachrufen der Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes andere Bürger einschüchtert. Den sozialen und ethischen Anschauungen über die Grundvoraussetzungen eines geordneten menschlichen Zusammenlebens läuft es auch zuwider, wenn Rechtsextreme an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Feiertag einen Aufzug mit Provokationswirkung veranstalten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 9/01 -, NJW 2001, 1409 [BVerfG 26.01.2001 - 1 BvQ 9/01] [1410]).
Der 27. Januar ist ein solcher besonderer Feiertag, der an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust erinnert. Der Tag erinnert an den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz (27. 1. 1945). Dieser Tag ist in Deutschland 1996 zum offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus bestimmt worden. Im Oktober 2005 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust eingeführt. Die historische, mit dem Nationalsozialismus verbundene Schuld der Deutschen hebt den Holocaust-Gedenktag in besonderer Weise gegenüber anderen Feier- und Gedenktagen hervor. Der Gedenktag beinhaltet Erinnerung und Mahnung zugleich. Deutschland kann und darf sich der besonderen Verantwortung für das im Nationalsozialismus geschehene Unrecht niemals entziehen. Die Erinnerung an das mit normalen Maßstäben nicht zu erfassende Schicksal der jüdischen Bevölkerung unter dem Nationalsozialismus bedingt, dass der Tag mit besonderer Würde zu begehen ist. Der Holocaust prägt bis heute die Identität der jüdischen Bevölkerung nachhaltig. Der Tag ist für Deutschland mit der Mahnung verbunden, Lehren aus der Geschichte zu ziehen und ein derartiges Verbrechen nie wieder zuzulassen. Mit der Begehung dieses Gedenktags wird deshalb Verantwortung für die Vergangenheit übernommen und bundesweit nicht nur der Opfer gedacht, sondern zugleich mahnend an die Folgen des Nationalsozialismus erinnert, um deren Wiederholung dauerhaft auszuschließen.
bb)
Der Würde des Holocaust-Gedenktages liefe es zuwider, und das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger wäre erheblich beeinträchtigt. wenn der Antragsteller und seine Anhänger die angemeldete Versammlung abhalten würden. Diese Versammlung würde wegen ihrer Provokationswirkung die Schrecken des vergangenen totalitären und unmenschlichen Regimes wachrufen und das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft in nicht mehr hinzunehmender Weise stören. Dies hätte eine Störung der öffentlichen Ordnung i.S.d. § 15 Abs. 1 VersG zur Folge.
(1)
Der Antragsteller und seine Anhänger gehören zum rechtsextremen Spektrum. Der Antragsteller selbst hat in dem Verfahren über das Versammlungsverbot in Celle (3 B 92/05) eingeräumt, dass er "als bundesweit agierender Rechtsextremist bekannt" ist. Im Internet unter "Google" finden sich zu seinem Namen zehntausende Eintragungen. Darin werden der Werdegang des Antragstellers und seine Aktivitäten im Einzelnen dargelegt. Er wird als Vordenker im neonazistischen Spektrum bezeichnet. Seine Mitwirkung und sein Verhalten bei verschiedenen Demonstrationen werden eingehend beschrieben. Es wird darauf hingewiesen, dass der Antragsteller als maßgeblicher Organisator der Rudolf-Hess-Gedenkmärsche fungiert. Bei einer Vielzahl von Demonstrationen aus dem rechtsextremen Spektrum tritt der Antragsteller als Organisator, Anmelder und Redner auf.
(2)
Die Versammlung hat auch einen rechtsextremen Inhalt mit Provokationswirkung. Dem Internet ist das Motto der Demonstrationen am 28. Januar 2006, die nicht nur in Lüneburg, sondern auch in anderen Orten Deutschlands stattfinden sollen, zu entnehmen. Unter dem Slogan "Keine Demonstrationsverbote - Meinungsfreiheit erkämpfen", geht es - gleichsam spezifizierend - um das Motto "Weg mit § 130 StGB" (gefunden unter www.aaka.linke-seiten.de/reader). Dies ist auch von der Antragsgegnerin in der Verbotsverfügung belegt worden unter Hinweis auf verschiedene weitere Internetseiten im Einzelnen. § 130 StGB hat in seinen Absätzen 1 bis 4 folgenden Wortlaut:
(1)
Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
- 1.
zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
- 2.
die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2)
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- 1.
Schriften (§11 Abs. 3), die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden,
- a)
verbreitet,
- b)
öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
- c)
einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder
- d)
herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder
- 2.
eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk, Medien- oder Teledienste verbreitet.
(3)
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
(4)
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
Die als Reaktion auf antisemitische und nazistische Vorfälle bereits 1960 geänderte Vorschrift wurde zur wirksameren Bekämpfung rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Propaganda 1994 und 2005 erneut erweitert und verschärft. Durch § 130 StGB sollen bereits bestimmte Handlungen, auch solche im Vorfeld der Gewalt, die Hassgefühle wecken und dadurch zu aggressivem Fehlverhalten führen und ein gewaltförderndes Klima begünstigen sollen, wirksam bekämpft werden.
Will der Antragsteller mit seiner Demonstration für die Straffreiheit der Volksverhetzung eintreten, ist dies in besonderer Weise geeignet, die Bürger in Deutschland zu provozieren. Wer Straffreiheit fordert, um etwa zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln, um Teile der Bevölkerung zu beschimpfen, um die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft zu billigen, zu verherrlichen oder zu rechtfertigen, stört die öffentliche Ordnung in einer Weise, die den öffentlichen Frieden innerhalb der Gesellschaft massiv gefährdet.
cc)
Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung bei Durchführung der Versammlung mit Umzug durch den Antragsteller und seine Anhänger ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar ist, die Versammlung aber einen Tag später am 28. Januar durchgeführt werden soll. Denn die grundlegenden sittlichen, sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland würden auch bei einer Versammlung der Anhänger des Antragstellers am 28. Januar in nicht mehr hinnehmbarer Weise provoziert. Denn der 28. Januar hat noch einen unmittelbaren zeitlichen Bezug zum vorhergehenden Holocaust-Gedenktag, er hat aber auch (schon) einen zeitlichen Bezug zu dem ebenfalls nationalsozialistisch besetzten 30 Januar. Der 30. Januar ist der Tag der sogenannten "Machtergreifung", da Hitler an diesem Tage 1933 Reichskanzler geworden ist. Auch dieser Tag wird mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert, mit den Schrecken des vergangenen totalitären und menschenverachtenden Regimes. Die zeitliche Ausstrahlung dieser beiden Tage, ihre Nachwirkung bzw. Vorwirkung erfasst auch die dazwischen liegende Zeit, jedenfalls den 28. Januar. Diese schutzwürdige "Brücke" zwischen den genannten Daten ist nicht davon abhängig, dass nur der 27. Januar als Gedenktag ausgerufen ist, nicht aber der 30. Januar. Mit anderen Worten: Die grundlegenden sittlichen, sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland werden nicht nur punktuell am 27. Januar durch Versammlungen von Rechtsextremisten provoziert und verletzt, sondern auch an den Tagen bis zum 30. Januar, da alle die Tage eine unmittelbare zeitliche und inhaltliche Nähe zu den nationalsozialistisch belegten Daten haben.
Jedenfalls ist eine Ausstrahlung des 27. Januar auf den nächsten Tag mit der Folge, dass Versammlungen von Rechtsextremisten eine die öffentliche Ordnung störende Provokationswirkung haben, im vorliegenden Fall deshalb anzunehmen, weil in Lüneburg am 28. Januar besondere Veranstaltungen stattfinden, die in würdevoller Weise mit dem Gedenktag des 27. Januar verbunden sind. So sind in Lüneburg 5 Informationsstände und eine Demonstration zum Thema "61. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz" angemeldet worden. Die Antragsgegnerin weist in ihrer Verbotsverfügung zu Recht darauf hin, dass die Teilnehmer dieser Veranstaltungen es als erhebliche Provokation empfinden würden, wenn die von ihnen angemeldeten Veranstaltungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Versammlung von Rechtsextremisten stattfinden müssten. Die gegen die öffentliche Ordnung gerichtete Provokationswirkung würde nicht nur die Veranstalter der Informationsstände und der Demonstration treffen, sondern alle diejenigen, die sich an den Informationsständen unterrichten und die an der Demonstration zu dem 61. Jahrstag der Befreiung von Auschwitz teilnehmen wollen. Letztlich wäre die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger von der Provokationswirkung erfasst, die von der beabsichtigen Versammlung des Antragstellers ausgeht. Denn durch seine Veranstaltung soll letztlich versucht werden, durch Abschaffung des § 130 StGB der Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft den Weg zu bereiten und so den öffentlichen Frieden in der Gesellschaft zu gefährden und zu stören.
cc)
Auflagen zur Gefahrenabwehr reichen nicht aus, sodass das Versammlungsverbot gerechtfertigt ist.
Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist im Rahmen des § 15 Versammlungsgesetz zu klären, durch welche Maßnahmen die Gefahr für die öffentliche Ordnung abgewehrt werden kann. Ein Versammlungsverbot scheidet aus, solange das mildere Mittel der Erteilung von Auflagen möglich ist, der Gefahr zu begegnen. Reichen Auflagen zur Gefahrenabwehr indes nicht auch, ist ein Verbot gerechtfertigt (BVerfG, Beschl. v. 23. 6. 2004 -1 BVQ 19/04 -, NJW 2004, 2814).
Im vorliegenden Fall sind Auflagen nicht geeignet, die Gefährdung und Störung der öffentlichen Ordnung auszuschließen oder erheblich zu vermindern. Entscheidend ist, dass der Antragsteller und seine Anhänger als Mitglieder des rechtsextremen Spektrums eine Versammlung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Holocaust-Gedenktag veranstalten wollen. Deshalb sind etwa eine andere Streckenführung, eine andere Zeitdauer und andere denkbare Nebenbestimmungen von vornherein ungeeignet, die mit dem Umzug einhergehende Provokation der grundlegenden sittlichen, sozialen und ethischen Anschauungen der Bevölkerung in Deutschland auszuschließen. Eine Verschiebung des Zeitpunktes der Veranstaltung durch die Antragsgegnerin oder das Gericht, etwa auf das Wochenende später, scheidet ebenfalls aus, unabhängig von der Frage, ob dies überhaupt durch eine Auflage geregelt werden kann. Denn vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters ist auch die Entscheidung über den Versammlungszeitpunkt umfasst. Dies schließt es im Regelfall - so auch hier - aus, dass die Versammlungsbehörde selbst oder das Gericht dem Veranstalter die Möglichkeit nimmt, selbst einen anderen Versammlungszeitpunkt auszuwählen (BVerfG, Beschl. v. 5. 9. 2003 -1 BVQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90).
2.
Ein öffentliches Interesse für die sofortige Vollziehbarkeit der Verbotsverfügung ist gegeben, es ist von der Antragsgegnerin jetzt auch hinreichend begründet worden (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Allerdings ist die Begründung der sofortigen Vollziehung in der Verbotsverfügung zunächst fehlerhaft gewesen. Nach dem Tenor der Verfügung ist ein Verbot ausgesprochen worden, die Begründung des Sofortvollzuges beschäftigt sich hingegen mit der Vollziehung von "Auflagen". Dies ist keine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses, was zur Fehlerhaftigkeit führt. Jedoch hat die Antragsgegnerin am 20. Januar 2006 eine neue Vollzugsanordnung mit neuer Begründung getroffen und diese auch dem Antragsteller per Fax unmittelbar übermittelt. Da die Behörde nicht gehindert ist, die sofortige Vollziehung mit ausreichender Begründung neu zu erlassen (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Auflage 2005, § 80 Randnr. 87; Redeker/von Oertzen, VwGO, Kommentar, 13. Auflage 2000, § 80 Randnr. 27a), bestehen insoweit keine formellen Bedenken mehr gegen den Sofortvollzug.
Inhaltlich und von der Sache her besteht auch ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verbotes. Ohne den Sofortvollzug hätte die erhobene Klage aufschiebende Wirkung, und aus den Regelungen der Verbotsverfügung dürften keine tatsächlichen und rechtlichen Folgerungen gezogen werden. Das Versammlungsverbot wäre dann zunächst nicht durchsetzbar, und mit der Durchführung der Versammlung wäre aufgrund der aufgeführten Gefahren die öffentliche Ordnung massiv gefährdet und gestört.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.