Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 24.01.2006, Az.: 3 A 58/05

Anwaltshonorare; Aufrechnung; Ausgleichsamt; Ausgleichsleistungen; Ausgleichsverwaltung; Doppelentschädigung; Eigentumsschutz; Eigentumsverlust; Entschädigung; Entschädigung in Geld; Entschädigungsbetrag; Entschädigungsleistung; entzogene Wirtschaftsgüter; Fiktion der Schadensausgleichsleistung; Folgekosten; gekürzte Bemessungsgrundlage; geldwerte Vorteile; Hausgrundstück; Lastenausgleich; Lastenausgleichsleistungen; Rechtsanwaltskosten; Rückforderungsbescheid zur Verrechnung; Rückforderungsbetrag; Rückforderungsverfahren; Rückübertrag eines Grundstückes; Schadensausgleichsleistungen; schutzwürdiges Vertrauen; ungerechtfertigte Doppelentschädigung; unwiderlegbare Fiktion; Vermögensrecht; vermögensrechtliche Ansprüche ; Vermögenswerte; Vertrauensschutz; Verwaltungsakt; Wertverlust

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
24.01.2006
Aktenzeichen
3 A 58/05
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2006, 53150
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird eine Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz gewährt, ist Lastenausgleich zurückzugewähren. Der Empfänger von Lastenausgleich kann ein Vertrauen, den Lastenausgleich endgültig behalten zu dürfen, nicht entwickeln, zumindest ist dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Er muss stets mit einer Rückforderung bei Schadensausgleich rechnen, auch mit einer "Rückforderung zur Verrechnung", die zum Verlust einer Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz führt.

Gründe

1

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid zur Verrechnung der Beklagten in der Fassung des Beschwerdebescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Eine Aufhebung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO scheidet aus.

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Rechtsgrundlage für den Rückforderungsbescheid ist § 349 LAG. Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind in den Fällen des § 342 Abs. 3 LAG, das heißt, wenn nach dem 1. Dezember 1989 ein Schaden ganz oder teilweise ausgeglichen wird, die zu viel gezahlten Ausgleichsleistungen zurückzufordern. § 349 Abs. 3 Satz 4 LAG bestimmt, dass bei Schadensausgleichsleistungen nach dem Vermögensgesetz oder anderen innerdeutschen Rechtsvorschriften in Geld der festgestellte Schaden in voller Höhe ausgeglichen ist.

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Die Rückforderungsvoraussetzungen liegen vor. Der Kläger, seine Schwester und die Mutter haben als Erben des 1975 verstorbenen Vaters bzw. Ehemannes wegen des Eigentumsverlustes an dem Hausgrundstück in Jena einen Anspruch auf Entschädigung in Geld. Das staatliche Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Gera hat der beklagten Stadt Braunschweig mit Schreiben vom 8. Dezember 2003 mitgeteilt, von welcher Bemessungsgrundlage die Entschädigung ausgeht. Der Schaden des Klägers ist damit ausgeglichen, und die Rückforderung dieses Betrages zur Verrechnung kann damit im Ergebnis nicht beanstandet werden.

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Hierzu ist auszuführen:

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Das Vermögensgesetz regelt vermögensrechtliche Ansprüche an Vermögenswerten, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR (u. a.) entschädigungslos enteignet und in Volkseigentum überführt wurden. In bestimmten Fällen ist die Rückübertragung ausgeschlossen, etwa dann, wenn natürliche Personen in redlicher Weise an dem Vermögenswert Eigentum erworben haben (§ 4 Abs. 4 Vermögensgesetz). In einem solchen Fall wird nach den Vorschriften des Entschädigungsgesetzes entschädigt (§ 9 Vermögensgesetz). Im Falle des Klägers und der übrigen Erben liegt ein solcher Fall vor, wie im Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Jena vom 30. November 1993 festgestellt worden ist.

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Nach § 1 Entschädigungsgesetz - inhaltlich wiederholend zu den Vorschriften des Vermögensgesetzes - besteht ein Anspruch auf Entschädigung in den Fällen, in denen eine Rückgabe nach dem Vermögensgesetz ausgeschlossen ist. Die Entschädigung nach diesem Gesetz stellt damit einen Ersatz für die ausgeschlossene Rückübertragung des Grundstückes dar. Allerdings sind für eine nicht unerhebliche Anzahl von entzogenen Wirtschaftsgütern, die nunmehr der Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz unterliegen, in der Vergangenheit bereits Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz gewährt worden. Um ungerechtfertigte Doppelentschädigungen zu vermeiden, hat der Gesetzgeber des Entschädigungsgesetzes Regelungen darüber getroffen, in welcher Weise die einzelnen Entschädigungen zur verrechnen sind. Die für den vorliegenden Fall maßgebliche Regelung enthält § 8 Entschädigungsgesetz. Die Vorschrift stellt eine Verbindung mehrerer Gesetzesbereiche dar, nämlich die Verbindung zwischen Vermögensgesetz, Entschädigungsgesetz und Lastenausgleichsgesetz.

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§ 8 Entschädigungsgesetz sieht im Ergebnis vor, dass bei der Entschädigung Lastenausgleichsleistungen entschädigungsmindernd zu berücksichtigen sind. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Entschädigungsgesetz ist der von der Ausgleichsverwaltung nach den Vorschriften des Lastenausgleichsgesetzes bestandskräftig festgesetzte Rückforderungsbetrag von der Bemessungsgrundlage nach dem Entschädigungsgesetz abzuziehen. § 8 Abs. 1 Satz 2 ergänzt, dass die der Ausgleichsverwaltung von der Entschädigungsbehörde mitgeteilte Bemessungsgrundlage als Schadensausgleichsleistung im Sinne des § 349 Abs. 3 des Lastenausgleichsgesetzes gilt.

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Aus § 8 Entschädigungsgesetz folgt damit, dass die Ausgleichsämter unmittelbar an der Ermittlung des Entschädigungsbetrages nach dem Entschädigungsgesetz mitzuwirken haben. Die Ausgleichsämter haben auf Anstoß des Entschädigungsamtes Rückforderungsverfahren nach § 349 LAG durchzuführen und rechtsmittelfähige Rückforderungsbescheide zu erlassen. Die Rückforderung wird jedoch nicht mit Leistungsbescheid geltend gemacht, sondern mit einem „Rückforderungsbescheid zur Verrechnung“ wie im vorliegenden Fall. Der Rückforderungsbetrag wird somit nicht eingezogen, sondern vielmehr durch das zuständige Amt zur Regelung offener Vermögensfragen mit der Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz verrechnet. Dies folgt aus der Regelung des § 349 Abs. 1 Satz 2 LAG, wonach die Rückforderung entfällt, soweit andere gesetzliche Vorschriften vorsehen, dass Entschädigungsleistungen wegen gewährter Ausgleichsleistungen gekürzt werden. Damit handelt es sich im vorliegenden Fall beim angefochtenen Bescheid um einen (lediglich) feststellenden Verwaltungsakt, der die Höhe des Rückforderungsbetrages verbindlich festsetzt, was Auswirkungen auf die Höhe der Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz hat.

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Der rechnerische Rückforderungsbetrag nach § 349 Abs. 3 und 4 LAG lässt sich aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 8 Abs. 1 Satz 2 Entschädigungsgesetz einfach ermitteln: Die sogenannte gekürzte Bemessungsgrundlage, die das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen dem Lastenausgleichsamt mitteilt, ist eine Schadensausgleichsleistung nach dem Vermögensgesetz in Geld, die nach § 349 Abs. 3 Satz 4 LAG zum (insoweit) vollen Schadensausgleich führt. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegbare Fiktion. Die Höhe der sogenannten gekürzten Bemessungsgrundlage, die das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen dem Lastenausgleichsamt nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Entschädigungsgesetz mitteilt, ist auch maßgeblich für die Kappung des rechnerischen Rückforderungsbetrages nach § 349 Abs. 4 Satz 4 LAG. Nach dieser Vorschrift ist die Rückforderung auf den Wert der Schadensausgleichsleistung zu begrenzen, wenn dieser Wert geringer ist als der (rechnerische) Rückforderungsbetrag.

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Hiervon ausgehend lässt sich der Rückforderungsbescheid zur Verrechnung, wie er - in der Gestalt des Beschwerdebescheides - Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens ist, weder dem Grunde noch der Höhe nach rechtlich beanstanden. Das staatliche Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Gera hat der beklagten Stadt Braunschweig mit Bescheid vom 8. Dezember 2003 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 Entschädigungsgesetz die gekürzte Bemessungsgrundlage mitgeteilt. Für den 1975 verstorbenen Vater Werner B. ist eine Bemessungsgrundlage für das Grundvermögen in Jena in Höhe von 3.333,34 DM genannt worden. Für Frau Annemarie B. ist eine - weitere - Bemessungsgrundlage von 1.666,67 DM mitgeteilt worden, so dass sich aufgrund dieser Summen der im Rückforderungsbescheid auf Seite 1 aufgeführte Betrag von 5.000,01 DM errechnet. Die Bemessungsgrundlage von 3.333,34 DM für den verstorbenen Werner Hoffman entspricht einem Betrag von 1.704,31 EUR. Da der verstorbene Werner C. ausweislich des gemeinschaftlichen Erbscheins des Amtsgerichts Tostedt vom 9. März 1976 vom Kläger zu 1/4 beerbt worden ist, entfällt auf den Kläger ein Betrag von 426,08 EUR, nämlich 1/4 der Bemessungsgrundlage von 3.333,34 DM. In dieser Höhe ist die Schadensausgleichsleistung des Klägers zur begrenzen (§ 349 Abs. 4 Satz. 4 LAG), und in dieser Höhe gilt der Schaden nach den Lastenausgleichsgesetz in voller Höhe als ausgeglichen (§ 349 Abs. 3 Satz 4 LAG und § 8 Abs. 1 Satz 2 Entschädigungsgesetz).

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Wenn der Kläger vorträgt, dass für die Gewährung der entschädigten 10.000,00 DM über 3.000,00 DM Anwaltskosten entstanden seien, ist dies aufgrund der eindeutigen Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 2 Entschädigungsgesetz nicht erheblich. Eine Gegenrechnung oder die Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten im Wege einer Aufrechnung ist bei der Fiktion der Schadensausgleichsleistung von vornherein ausgeschlossen. Dass der Wert des Hauses bei 180.000,00 DM gelegen habe, wofür die Käufer Sch. lediglich 10.000,00 DM hätten entrichten müssen, ist bei der Berechnung des Rückforderungsbetrages nach dem Lastenausgleichsgesetz ebenfalls unerheblich. Denn im Verfahren des Lastenausgleichsgesetzes geht es allein um die Beziehungen zwischen der Lastenausgleichsbehörde und dem Kläger als Mitglied der Erbengemeinschaft, die seinerzeit nach dem Lastenausgleichsgesetz entschädigt worden ist. Geldwerte Vorteile, die Dritte haben (Erwerb eines Hauses unter dem Verkehrswert), scheiden in dem Verhältnis zwischen Lastenausgleichsbehörde und dem Rückzahlungspflichtigen aus. Folgekosten wie Anwaltshonorare sind bei der Rückgewähr von Lastenausgleich nicht berücksichtigungsfähig, denn hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Wird der Wertverlust des bebauten Grundstückes beim Lastenausgleich nicht berücksichtigt, kann er auch bei der Rückgewähr nicht berücksichtigt werden. Schließlich kann sich der Kläger nicht auf einen irgendwie gearteten Vertrauensschutz berufen. Die Rückforderung des Lastenausgleichs (zur Verrechnung) verstößt nicht gegen die geltende Rechtsordnung. Weder der Gleichheitssatz noch die Eigentumsschutzvorschrift des Artikel 14 GG sind verletzt worden. Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz werden stets unter dem Vorbehalt ihrer Rückforderung bei einem späteren Schadensausgleich gewährt, so dass bei dem Geschädigten daher zu keiner Zeit ein rechtlich geschützter Vertrauenstatbestand entstehen kann, die gewährten Ausgleichsleistungen seien ihm unabhängig von dem Schicksal der entzogenen Vermögenswerte endgültig zugeflossen. So ist es auch im konkreten Fall: Bereits im Lastenausgleichsbescheid vom 12 April 1976 ist unter „F“ darauf hingewiesen worden, dass anzuzeigen ist, wenn Vermögen zurückgegeben wird, dafür Ersatz geleistet wird oder wenn im Zusammenhang mit dem Schaden sonstige Leistungen gewährt werden. Von daher konnte der Kläger niemals ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln, den Lastenausgleich endgültig behalten zu dürfen. Er musste stets mit einer Rückforderung bei Schadensausgleich rechnen, auch mit einer „Rückforderung zur Verrechnung“, die zum Verlust einer Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz führt.