Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 11.01.2006, Az.: 3 B 92/05

Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen ein Versammlungsverbot; Ausschluss der inhaltlichen Überprüfung der Verbotsverfügung durch das Gericht wegen Bestandskraft ; Bestandskraft wegen fehlender Klageerhebung; Unstatthaftigkeit eines Widerspruchs wegen fehlender Notwendigkeit der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
11.01.2006
Aktenzeichen
3 B 92/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 19739
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2006:0111.3B92.05.0A

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg- 3. Kammer -
am 11. Januar 2006
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

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I.

Der Antragsteller wendet sich gegen ein Versammlungsverbot.

2

Der Antragsteller meldete am 4. Oktober 2005 eine Versammlung mit Aufzug an, die am Sonnabend, dem 28. Januar 2006, in Celle stattfinden soll. Die Versammlung mit erwarteten 200 Teilnehmern soll von 12 bis 18 Uhr abgehalten werden, zwischen Auftakt- und Abschlusskundgebung ist ein Umzug durch die Straßen der Stadt geplant. Die Demonstration soll unter dem Thema " Gegen Repression!" stehen, und es sollen Lautsprecherwagen, Handmegafone, Fahnen und Transparente an Stangen mitgeführt werden.

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Mit Verfügung vom 7. Dezember 2005 untersagte die Antragsgegnerin die Veranstaltung: Der Antragsteller als Veranstalter der Demonstration sei "als bundesweit agierender Rechtsextremist bekannt", und die Demonstration solle in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus stattfinden, der am 27. Januar begangen werde. Die Antragsgegnerin erließ gleichzeitig einen Auflagenbescheid "für den Fall, dass die Verbotsverfügung durch ein Gericht aufgehoben wird...". Darin wird u.a. ein alternativer Streckenverlauf vorgeschrieben und die Versammlung zeitlich auf 12 bis 16 Uhr beschränkt.

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Die Verfügung ist dem Antragsteller am 10. Dezember 2005 mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden.

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Der Antragsteller hat gegen die Verfügung Widerspruch eingelegt und am 15. Dezember 2005 vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz begehrt. Klage hat er nicht erhoben.

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II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann keinen Erfolg haben.

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Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt aufschiebende Wirkung, so dass er in seiner Vollziehbarkeit gehemmt ist. Die Vollzugshemmung bedeutet, dass aus den Regelungen des Verwaltungsaktes während dieser Zeit keine rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen, dass der Bescheid vorläufig nicht zwangsweise durchgesetzt werden darf. Ein Verwaltungsakt darf jedoch dann sofort vollzogen werden, wenn die Behörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders anordnet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO). So ist es hier: Die Antragsgegnerin hat die Verbotsverfügung

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für sofort vollziehbar erklärt. Das Gericht kann aber - wie es hier beantragt worden ist - auf Antrag die aufschiebende Wirkung wiederherstellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfes durch das Gericht setzt voraus, dass die angefochtene Verfügung nicht bestandskräftig ist. Dies ist hier aber der Fall, so dass der Antrag erfolglos bleiben muss. Eine inhaltliche Überprüfung der Verbotsverfügung durch das Gericht findet wegen der Bestandskraft damit nicht statt.

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Die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung durch das Gericht soll die Schaffung irreparabler Tatsachen verhindern, die sich aus der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes ergeben können. Ist der Verwaltungsakt jedoch bestandskräftig geworden, besteht für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Gericht nach § 80 VwGO kein Anlass. Dementsprechend stellt § 80 b Abs. 1 Satz 1 VwGO klar, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsmittels mit der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes endet. Mit anderen Worten: Nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes scheidet die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 VwGO aus. Unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte können vielmehr ohne Weiteres vollstreckt werden.

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Die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin ist bestandskräftig geworden, da der Antragsteller dagegen keine Klage erhoben hat. Da die Verbotsverfügung dem Antragsteller ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. Dezember 2005 zugestellt worden ist, hätte er bis zum Ablauf des 10. Januar 2006 Klage erheben müssen (§ 74 VwGO). Dies ist nicht geschehen.

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Nach § 68 Abs. 1 VwGO sind vor der Erhebung einer Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes zwar grundsätzlich in einem Widerspruchsverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Überprüfung bedarf es jedoch dann nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO). Niedersachsen hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Nach § 8 a Nds. AG VwGO bedarf es vor Erhebung einer Anfechtungsklage keiner Nachprüfung in einem Vorverfahren, wenn der Verwaltungsakt nach dem 1. Januar 2005 bekannt gegeben worden ist. Nur in besonderen Sachgebieten findet nach niedersächsischem Recht noch ein Vorverfahren statt, was in § 8 a Abs. 3 Nds. AG VwGO im Einzelnen geregelt ist. So ist etwa ein Vorverfahren nach wie vor erforderlich für Verwaltungsakte in Prüfungs- und Schulangelegenheiten, im Baurecht und im Umweltschutz. Für das Versammlungsrecht ist nach dem niedersächsischen Recht die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hingegen abgeschafft. Hier muss entsprechend der Grundnorm des § 8 a Abs. 1 Nds. AG VwGO sogleich eine Klage erhoben werden. Hierauf ist der Antragsteller bereits mit der Eingangsverfügung hingewiesen worden.

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Allerdings hat der Antragsteller gegen die Verbotsverfügung Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch ist jedoch - wie ausgeführt - im vorliegenden Fall ein unstatthaftes Rechtsmittel, das den Eintritt der Bestandskraft nicht hindern kann. Die aufschiebende Wirkung eines unstatthaften Rechtsmittels kann nach § 80 VwGO nicht wiederhergestellt werden (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 80 Rdnr. 50).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.

Siebert
Kirschner
Sandgaard