Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 25.01.2006, Az.: 5 A 227/05
Abschiebung; Anordnung zum persönlichen Erscheinen; Ausweisung; Duldung; Gefahrenabwehr; gegenwärtiger Wohnsitz; gewöhnlicher Aufenthalt; Sachzusammenhang; unselbständige Verfahrenshandlung; Verfahrenshandlung; Verfahrenshandlung; Vorbereitungshandlung; Wohnsitz; Zuständigkeit; örtliche Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 25.01.2006
- Aktenzeichen
- 5 A 227/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53151
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 100 Abs 1 S 2 SOG ND
- § 3 Abs 1 S 3a VwVfG
- § 82 Abs 4 S 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei der auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gestützten Aufforderung der Ausländerbehörde gegenüber einem Ausländer zum persönlichen Erscheinen handelt es sich nicht lediglich um eine nach § 44a Satz 1 VwGO unselbständige Verfahrenshandlung.
2. Entscheidungen und deren Vorbereitungshandlungen - wie hier die Anordnung zum persönlichen Erscheinen - im Rahmen der Durchführung der Abschiebung oder deren bei der ausweisenden Ausländerbehörde beantragten Aussetzung nach rechtskräftig verfügter Ausweisung des Ausländers obliegen unabhängig vom gegenwärtigen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Ausländers kraft Sachzusammenhangs der ausweisenden Ausländerbehörde.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung der Beklagten zum persönlichen Erscheinen.
Der am E. in F./Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reist am 27. Januar 1994 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. April 1994 ablehnte. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 15. Mai 1995 wurde die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet festzustellen, dass im Fall des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
In der Folgezeit wurde der Kläger mehrfach straffällig. Zuletzt verurteilte ihn das Landgericht Hannover mit Urteil vom 31. August 2000 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten, die der Kläger teilweise in der Justizvollzugsanstalt Salinenmoor in Celle verbüßte.
Aufgrund dieser Verurteilungen wies die Beklagte den Kläger - der zu dieser Zeit in der JVA Salinenmoor im Zuständigkeitsbereich der Beklagten einsaß - mit Verfügung vom 31. Mai 2002 unter nachträglicher Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Strafhaft, alternativ innerhalb von 14 Tagen nach Entlassung aus der Strafhaft in die Türkei an. Der Widerspruch des Klägers hiergegen blieb ebenso erfolglos wie die nachfolgend erhobene Klage (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 26.4.2005 - 3 A 129/03 - u. Nds. OVG, Beschl. v. 28.9.2005 - 11 LA 207/05 -) sowie die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 26.3.2004 - 3 B 111/03 - u. Beschl. v. 24.11.2004 - 3 B 52/04 -). Gegen die Ausweisungsverfügung sowie die hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen ist zurzeit eine Verfassungsbeschwerde des Klägers beim Bundesverfassungsgericht anhängig, über die - soweit ersichtlich - bisher nicht entschieden ist. Mit Schreiben vom 17. November 2005 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 2. Juni 2005 - C 136/03 bei der Beklagten, die Ausweisungsverfügung vom 31. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2003 zurückzunehmen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Dezember 2005 ab. Die hiergegen am 16. Januar 2006 erhobene Klage des Klägers ist beim erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen 5 A 13/06 anhängig.
Bereits Ende Juni 2004 hatte die Justizvollzugsanstalt Bremen, in der der Kläger seine Strafhaft zuletzt verbüßt hatte, der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger am 1. Juli 2004 aus der Haft entlassen werde, da die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Bremen vom 29. Juni 2004 gemäß § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden sei.
In der Folgezeit reiste der Kläger nicht aus, nahm seinen Wohnsitz in Bremen, meldete sich dort an und beantragte mit Schriftsätzen seiner Prozessbevollmächtigten vom 30. Juli 2004 sowohl bei der Beklagten als auch bei der Ausländerbehörde von Bremen jeweils eine Duldung wegen Reiseunfähigkeit aufgrund gesundheitlicher Beschwerden und wegen einer bevorstehenden Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Zugleich beantragte er bei der Beklagten, den Geltungsbereich der Duldung auf das Gebiet des Landes Bremen zu erweitern. Die Ausländerbehörde von Bremen teilte dem Kläger mit Schreiben vom 9. November 2004 mit, sie werde den Antrag ablehnen. Zugleich forderte es den Kläger zur Wohnsitznahme im Geltungsbereich der Beklagten auf.
Mit der hier angefochtenen Verfügung vom 24. Februar 2005 forderte die Beklagte den Kläger auf, mit einer ärztlichen Bescheinigung neueren Datums über die Reiseunfähigkeit und zwei Lichtbildern zwecks Erteilung einer Duldung bis zum 8. März 2005 bei ihr vorzusprechen. Die vom Kläger zuvor beantragte Herausgabe des ihm im Jahre 1995 durch die Landeshauptstadt Hannover ausgestellten Reiseausweises lehnte die Beklagte ab, weil dieser bereits im Oktober 1997 durch Fristablauf ungültig geworden sei.
Daraufhin hat der Kläger am 7. März 2005 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Aufforderung der Beklagten zum persönlichen Erscheinen sei rechtswidrig, da diese für seine ausländerrechtlichen Angelegenheiten nunmehr örtlich nicht mehr zuständig sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, ihre örtliche Zuständigkeit ergebe sich aus § 71 Abs.1 AufenthG i. V. m. § 100 Nds. SOG und §§ 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG, 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Ausweisung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Zuständigkeitsbereich. Die zwingende Folge einer vollziehbaren Ausweisung bei nicht erfolgter freiwilliger Ausreise, d. h. die Durchführung der Abschiebung oder bei Vorliegen entsprechender Gründe deren Aussetzung, obliege kraft Sachzusammenhangs der ausweisenden Behörde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie der Verfahren 3 A 129/03, 3 B 111/03, 3 B 52/04 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klage ist zulässig. Bei der auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gestützten Aufforderung der Beklagten vom 24. Februar 2005 gegenüber dem Kläger zum persönlichen Erscheinen handelt es sich im Hinblick darauf, dass diese gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zwangsweise durchgesetzt werden kann, nicht lediglich um eine nach § 44 a Satz 1 VwGO unselbständige Verfahrenshandlung (vgl. hierzu § 44 a Satz 2 VwGO).
Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger unter dem 24. Februar 2005 verfügte Aufforderung zum persönlichen Erscheinen ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, sodass die hiergegen erhobene Klage in der Sache keinen Erfolg haben kann und mithin abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wie die Kammer bereits in ihrem die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss vom 20. Juli 2005 (bestätigt durch Nds. OVG, Beschl. v. 6.9.2005 - 11 PA 284/05 -) dargelegt hat, ist die Beklagte für eine derartige Aufforderung entgegen der Ansicht des Klägers örtlich zuständig. Hierzu hat die Kammer in diesem Beschluss Folgendes ausgeführt: Die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörden richtet sich nach Landesrecht. In Niedersachsen ist insoweit zwar zunächst § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG einschlägig, der auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellt. Da es im vorliegenden Fall aber um die Abschiebung eines straffällig gewordenen Ausländers und damit um eine Aufgabe der Gefahrenabwehr geht, ist die spezielle Vorschrift des § 100 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG anzuwenden. Hiernach bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit danach, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass der Kläger zum Zeitpunkt der von ihr erlassenen Ausweisungsverfügung vom 31. Mai 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem Zuständigkeitsbereich hatte, so dass deren örtliche Zuständigkeit gegeben war. Die zwingende Folge einer vollziehbaren Ausweisung - der Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ausweisungsverfügung blieb ebenso erfolglos wie das Klageverfahren - bei nicht erfolgter freiwilliger Ausreise, nämlich die Durchführung der Abschiebung oder bei Vorliegen entsprechender Gründe deren Aussetzung, obliegt kraft Sachzusammenhangs der ausweisenden Behörde, hier der Beklagten. An dieser Auffassung hält das Gericht nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage weiterhin fest.
In der Sache bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Aufforderung keine Bedenken. Solche werden vom Kläger auch weiterhin nicht geltend gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht gegeben.