Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.01.2017, Az.: 9 LB 216/16

Anliegergrundstück; Bestandteil; Böschung; Buchgrundstück; Frontmetermaßstab; Geländestreifen; Graben; zugewandte Grundstücksseite; Grünstreifen; Hammergrundstück; Hinterliegergrundstück; Lärmschutzwall; Maßstab; Mauer; Straßenreinigungsgebühren; Straßenreinigungsgebührenrecht; Straßenreinigungsrecht; Winterdienstgebühren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.01.2017
Aktenzeichen
9 LB 216/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53843
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 30.05.2016 - AZ: 1 A 1403/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Frontmetermaßstab ist im Straßenreinigungsgebührenrecht nur rechtmäßig, wenn seine konkrete Ausgestaltung im Einzelfall gewährleistet, dass die Eigentümer aller Grundstücke, von denen die Straßenreinigung tatsächlich in Anspruch genommen wird, entsprechend dem Umfang der Inanspruchnahme und dem allgemeinen Gleichheitssatz veranlagt werden.

2. In der Regel setzt eine rechtmäßige Ausgestaltung des Frontmetermaßstabs voraus, dass neben der anliegenden auch die der gereinigten Straße zugewandte Grundstücksseite berücksichtigt wird.

3. Ein Grundstück ist kein an der gereinigten Straße liegendes Grundstück im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 der Gebührensatzung der Stadt Barsinghausen für die Straßenreinigung (Straßenreinigungsgebührensatzung) vom 2. Juni 2016, wenn zwischen ihm und dem Straßengrundstück ein selbstständiges Buchgrundstück liegt, auf dem sich ein Lärmschutzwall befindet.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 30. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens, soweit der Senat über sie noch nicht entschieden hat.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu Gebühren für die Straßenreinigung einschließlich Winterdienst für das Jahr 2013.

Sie sind Eigentümer des Grundstücks J.-Straße K. im Gebiet der Beklagten. Ihr Grundstück grenzt im Osten mit einer Frontlänge von 15 m (abgerundet auf volle Meter) an die J.-Straße. Im Westen grenzt es mit einer Frontlänge von 15 m (abgerundet auf volle Meter) an das im Eigentum der Beklagten stehende Buchgrundstück Flurstück L.. Dieses grenzt mit seiner westlichen Seite an die M.-Straße und mit seiner östlichen Seite an eine Reihe von Wohngrundstücken, zu denen das Grundstück der Kläger gehört. Gemäß den Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 149 („N.“) befindet sich auf dem gesamten Flurstück L. ein Lärmschutzwall, der sich jeweils in ungefähr gleicher Breite auf einen Teilbereich der angrenzenden Wohngrundstücke erstreckt.

Die Beklagte führte im Jahr 2013 in der M.-Straße die Straßenreinigung (Reinigungsklasse I) und sowohl in der M.-Straße als auch in der J.-Straße den Winterdienst durch.

Mit Bescheid vom 11. Januar 2013 zog die Beklagte die Kläger auf der Grundlage ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung vom 13. Dezember 2012 für das Jahr 2013 unter anderem zur Straßenreinigungsgebühr (Reinigung einmal wöchentlich) in Höhe von 31,05 EUR und zur Winterdienstgebühr in Höhe von 24,90 EUR heran. Bei der Straßenreinigungsgebühr (Reinigung einmal wöchentlich) legte sie eine Frontlänge zur gereinigten Straße von 15 m, bei der Winterdienstgebühr eine Frontlänge zu den gereinigten Straßen von 30 m zugrunde.

Die Kläger haben Klage erhoben. Sie haben die Ansicht vertreten, sie seien nur Anlieger der J.-Straße, nicht der M.-Straße. Dementsprechend könne die Beklagte von ihnen keine Straßenreinigungsgebühr (Reinigung einmal wöchentlich) erheben und dürfe bei der Winterdienstgebühr nur eine Frontlänge zur gereinigten Straße von 15 m zugrunde legen.

Die Kläger haben beantragt,

den Abgabenbescheid der Beklagten vom 11. Januar 2013 (Nr. 4) aufzuheben, soweit dieser Straßenreinigungsgebühren (Reinigung einmal wöchentlich/Winterdienst) festsetzt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Grundstück der Kläger sei ein Anliegergrundstück sowohl der J.-Straße als auch der M.-Straße. Grundstücke, die an mehreren zu reinigenden Straßen lägen, seien nach ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung mit allen Frontlängen zu veranlagen.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 30. Mai 2016 stattgegeben. Es hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit darin Straßenreinigungsgebühren (Reinigung einmal wöchentlich/Winterdienst) festgesetzt worden sind. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid habe keine wirksame Rechtsgrundlage. Denn der erkennende Senat habe die zugrunde liegende Straßenreinigungsgebührensatzung mit Urteil vom 16. Februar 2016 (9 KN 288/13) für unwirksam erklärt.

Der Rat der Beklagten hat am 2. Juni 2016 rückwirkend zum 1. Januar 2010 eine neue Straßenreinigungsgebührensatzung beschlossen, die am 4. Juni 2016 bekannt gegeben worden ist.

Die Beklagte hat am 7. Juli 2016 gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts die Zulassung der Berufung beantragt. Im Zulassungsverfahren hat sie nach einer Neuberechnung auf der Grundlage ihrer neuen Straßenreinigungsgebührensatzung den angefochtenen Bescheid mit Schriftsatz vom 24. August 2016 aufgehoben, soweit er bei der Gebühr für die Straßenreinigung den Betrag von 23,70 EUR und bei der Gebühr für den Winterdienst den Betrag von 15,90 EUR übersteigt. Sie hat dabei auch weiterhin bei der Straßenreinigungsgebühr (Reinigung einmal wöchentlich) eine Frontlänge zur gereinigten Straße von 15 m und bei der Winterdienstgebühr eine Frontlänge zu den gereinigten Straßen von 30 m zugrunde gelegt. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit die Beklagte den angefochtenen Bescheid aufgehoben hat.

Der Senat hat mit Beschluss vom 10. November 2016 (9 LA 159/16) das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, und hat in diesem Umfang das angefochtene Urteil für unwirksam erklärt. Im Übrigen hat er gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Berufung zugelassen.

Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung geltend, der angefochtene Bescheid sei im noch streitgegenständlichen Umfang auf der Grundlage ihrer neuen Straßenreinigungsgebührensatzung rechtmäßig. Diese sei wirksam. Dies gelte auch im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 3 der Satzung, wonach die Frontlänge abgeschrägter oder abgerundeter Grundstücke vom Schnittpunkt der Straßenfluchtlinien aus berechnet werde. Die Regelung solle Eckgrundstücke an Straßeneinmündungen, die an gerundete oder schräg verlaufende „Aufweitungstrompeten“ grenzten, erfassen. Das Grundstück der Kläger sei ein Anliegergrundstück sowohl der J.-Straße als auch der M.-Straße. Denn nach § 2 Abs. 2 Satz 1 ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung gälten als anliegende Grundstücke auch solche Grundstücke, die durch einen Graben, einen Grünstreifen, eine Mauer, eine Böschung oder in ähnlicher Weise von der Straße getrennt seien. Wenn man den Lärmschutzwall nicht als Böschung ansehen wolle, sei er ein Objekt „ähnlicher Weise“. Er habe nur eine geringe Höhe und werde von den Gebäuden und Bäumen auf den angrenzenden Grundstücken weit überragt. Vom klägerischen Grundstück könne eine Straßenverschmutzung ausgehen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern, soweit es nicht für unwirksam erklärt worden ist, und die noch anhängige Klage abzuweisen.

Die Kläger treten dem Vorbringen der Beklagten entgegen und beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und Beiakten des vorliegenden Verfahrens sowie auf den von der Beklagten in Bezug genommenen, im Verfahren 9 LB 193/16 übersandten Aktenordner verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2013 im noch streitgegenständlichen Umfang im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Der Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn die rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft getretene Gebührensatzung der Stadt Barsinghausen für die Straßenreinigung (Straßenreinigungsgebührensatzung) - SRGS - vom 2. Juni 2016, die dem angefochtenen Bescheid im noch streitgegenständlichen Umfang wegen ihrer zulässigen Rückwirkung zu Grunde liegt, ist unwirksam, so dass eine Rechtsgrundlage für die Heranziehung der Kläger zu Gebühren für die Straßenreinigung einschließlich Winterdienst fehlt.

Die Regelungen in § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3, § 4 Abs.1 Sätze 1 und 2 SRGS über den Maßstab, mit dem die Kosten der Straßenreinigung auf diejenigen verteilt werden, die die öffentliche Einrichtung Straßenreinigung in Anspruch nehmen und daher gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 NKAG gebührenpflichtig sind, widersprechen höherrangigem Recht, nämlich Art. 3 Abs. 1 GG und § 5 Abs. 3 Satz 2 NKAG. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fordert eine Gleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhalte und eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten, die sich in wesentlicher Hinsicht unterscheiden. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 NKAG darf der gewählte Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zu Art und Umfang der Inanspruchnahme stehen. Bei der Straßenreinigung entspricht die „Inanspruchnahme“ dem Vorteil, den ein Grundstück davon erfährt, dass die vor dem Grundstück verlaufende Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage auf ihrer gesamten Länge in einem sauberen Zustand gehalten wird (vgl. Brüning, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand: Juli 2016, § 6 Rdnr. 474; Wagner, in: Driehaus: a. a. O., § 6 Rdnr. 698 b). Die Inanspruchnahme nimmt also mit steigendem Vorteil zu bzw. - umgekehrt - mit sinkendem Vorteil ab. Da eine so verstandene Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung Straßenreinigung nicht exakt bemessen werden kann, wird den Kommunen bei der Wahl des Maßstabs, der Inanspruchnahme und Vorteil von der Reinigung sachgerecht abbilden soll, ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, der solange reicht, wie der Maßstab noch hinreichend grundstücksbezogen ist (vgl. Brüning, a. a. O., § 6 Rdnrn. 479 und 486). Früher wurde nahezu ausschließlich der Frontmetermaßstab verwendet, der auf die Grundstücksseite abstellt, die an der Straße liegt und daher eine besondere Beziehung zu ihr hat (vgl. Lohmann, in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rdnr. 684). In letzter Zeit werden zunehmend auf die Grundfläche bezogene Maßstäbe, z. B. der Quadratwurzelmaßstab - Bildung der Quadratwurzel aus der Grundstücksfläche - verwendet (vgl. Lohmann, a. a. O., § 6 Rdnrn. 684 und 685; Wagner, a. a. O., § 6 Rdnr. 698 b).

Die Beklagte hat sich in ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung vom 2. Juni 2016 dafür entschieden, den Umfang, in dem ihre öffentliche Einrichtung Straßenreinigung von den Grundstücken aus in Anspruch genommen wird, und damit das Verhältnis der Kostenverteilung auf die Nutzer der Einrichtung zu bestimmen nach dem Frontmetermaßstab. § 4 Abs. 1 SRGS sieht in den Sätzen 1 und 2 vor:

„Maßstab für die Straßenreinigung ist die Straßenfrontlänge des Grundstücks, auf volle Meter abgerundet, zu der die Straße gehört. Als Straßenfrontlänge gilt die an die Straße anliegende Grundstücksbreite.“

Mit dieser (teils sprachlich missglückten) Formulierung wird ausgedrückt, dass die - auf volle Meter abgerundete - Frontlänge des Grundstücks an der gereinigten Straße den Maßstab für die Straßenreinigungsgebühr bildet. In § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SRGS wird für Hinterliegergrundstücke - an systematisch unzutreffender Stelle - bestimmt:

„Bei Hinterliegergrundstücken gilt als Frontlänge die Länge der Grundstücksseite, die der zu reinigenden Straße zugewandt ist. Zugewandte Grundstücksseiten sind diejenigen Abschnitte der Grundstücksbegrenzungslinie, die zu der Straßengrenze oder deren in gerader Linie gedachten Verlängerung in einem Winkel bis einschließlich 45 Grad verlaufen.“

Diese Regelungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten sind hinsichtlich ihrer Ausgestaltung nicht Gegenstand des die Gebührensatzung der Beklagten betreffenden und mit Urteil vom 16. Februar 2016 entschiedenen Normenkontrollverfahrens 9 KN 288/13 gewesen. Sie genügen nicht den Anforderungen, die an die Ausgestaltung des Frontmetermaßstabs zu stellen sind. Durch die Ausgestaltung muss sichergestellt sein, dass die Eigentümer aller Grundstücke, von denen die Straßenreinigung tatsächlich in Anspruch genommen wird, entsprechend dem Umfang der Inanspruchnahme und dem Gleichheitssatz veranlagt werden. Dies bedarf - in wesentlich stärkerem Maße als bei flächenbezogenen Maßstäben - einer umfassenden Bewertung der im jeweiligen Reinigungsgebiet gegebenen Verhältnisse und einer darauf bezogenen differenzierten Maßstabsregelung.

Bezüglich der Maßstabsregelung in der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten ist vor allem zu bemängeln, dass bei Anliegergrundstücken allein auf die an der Straße „anliegende“ und nicht auch zusätzlich auf die der Straße „zugewandte“ Grundstücksseite abgestellt wird. Dies führt bei sog. Hammergrundstücken (sie grenzen nur mit einer schmalen Zuwegung an die gereinigte Straße an und liegen im Übrigen ganz überwiegend hinter einem anderen Anliegergrundstück) dazu, dass sie - völlig unabhängig von ihrer Größe - nur mit der Breite der Zufahrt an der gereinigten Straße veranlagt werden, was eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber „normalen“ Anliegergrundstücken darstellt. Im Verhältnis zu Letzteren werden ferner solche Anliegergrundstücke ungerechtfertigt bevorteilt, die nur mit einer relativ geringen Strecke unmittelbar an die Straße angrenzen, sich im weiteren Verlauf in der Tiefe deutlich verbreitern und dabei eine der gereinigten Straße zugewandte Seite haben; die Nichtberücksichtigung der zugewandten Seite lässt ohne sachliche Rechtfertigung außer Acht, dass beide Gruppen von Anliegergrundstücken keine erkennbaren Unterschiede im Hinblick auf das Interesse der Anlieger aufweisen, dass sich die Straße vor ihren Grundstücken in einem gereinigten Zustand befindet. Die Vernachlässigung der zugewandten Grundstücksseite bei Anliegergrundstücken ist weiterhin gleichheitswidrig im Blick darauf, dass die zugewandte Grundstücksseite bei Hinterliegergrundstücken sehr wohl berücksichtigt wird, nämlich gemäß § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SRGS, soweit sie zur gereinigten Straße in einem Winkel bis einschließlich 45 Grad verläuft; eine sachliche Rechtfertigung dafür, im Winkel von 45 Grad zugewandte Grundstücksseiten nicht bei Anliegergrundstücken, wohl aber bei Hinterliegergrundstücken zu berücksichtigen, lässt sich im Blick auf das maßgebliche Kriterium des Vorteils von der Straßenreinigung und der damit einhergehenden Inanspruchnahme nicht erkennen. Vielmehr müssen Anlieger- und Hinterliegergrundstücke bei der Berechnung der zugrunde zu legenden Frontmeter grundsätzlich gleichbehandelt werden (vgl. z. B. Mildner in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rdnr. 814 - Seite 566 -).

Ein Mangel liegt bei der von der Beklagten gewählten Maßstabsregelung ferner darin, dass sie nicht alle Grundstücke erfasst, die einen Vorteil von der öffentlichen Einrichtung Straßenreinigung haben und diese daher im Rechtssinn in Anspruch nehmen. Damit verstößt die Maßstabsregelung gegen das Gebot der konkreten Vollständigkeit (vgl. Brüning, a. a. O., § 6 Rdnr. 478; Lichtenfeld, in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rdnr. 762 a; Mildner, a. a. O., § 6 Rdnr. 814 - Seite 566 -). Dieses besagt, dass für alle Grundstücke im Reinigungsgebiet ein sachgerechter Maßstab vorhanden sein muss. In der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten fehlt eine Regelung für Hinterliegergrundstücke, die keine der gereinigten Straße im Winkel von bis 45 Grad zugewandte Grundstücksseite haben; solche Grundstücke, die es im Reinigungsgebiet nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der Berufungsverhandlung gibt, werden nicht von § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SRGS oder sonstigen Vorschriften der Straßenreinigungsgebührensatzung erfasst und bleiben demnach gebührenfrei, und zwar ohne sachlichen Grund, weil auch sie von einer gereinigten Straße profitieren. Auch für die - nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der Berufungsverhandlung - im Kartenmaterial der Beklagten weiß gekennzeichneten und daher nicht veranlagten Grundstücke hätte es eines Ersatzmaßstabs bedurft, damit auch diese von der Straßenreinigung ebenfalls bevorteilten Grundstücke herangezogen werden können (vgl. z. B. Brüning, a. a. O., § 6 Rdnr. 478). Mit höherrangigem Recht, nämlich dem Buchgrundstücksbegriff des NKAG und dem - (zu Recht) nicht auf den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff abstellenden - Satzungsrecht der Beklagten ist schließlich unvereinbar, dass die Beklagte ausweislich der im Kartenmaterial vorhandenen „Schraffur für Grundstücke, die eine wirtschaftliche Einheit bilden,“ in zahlreichen Fällen den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff zugrunde legt.

Der Senat lässt offen, ob die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 SRGS, wonach „die Grundstücksbreite abgeschrägter oder abgerundeter Grundstücksgrenzen… vom Schnittpunkt der Straßenfluchtlinien aus gerechnet“ wird, mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Bedenklich erscheint die Regelung im Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, weil sie aus sich heraus, also ohne nähere Erläuterung, kaum verständlich ist, und sie sinnvollerweise nur auf Eckgrundstücke bezogen werden kann, sich dies dem Wortlaut aber nicht entnehmen lässt. Ferner ist es fraglich, ob die mit der gewählten Fiktion einher gehende Mehrbelastung von Eckgrundstücken (sie werden über die eigentliche Frontlänge hinaus erfasst) noch durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt wird.

Unabhängig von dem somit bestehenden Satzungsmangel hat die Klage teilweise auch deshalb Erfolg, weil die Kläger nur den Winterdienst in der J.-Straße, nicht hingegen die Straßenreinigung und den Winterdienst in der M.-Straße in Anspruch nehmen und daher gemäß § 5 Abs. 6 Satz 1 NKAG nicht hinsichtlich  der M.-Straße gebührenpflichtig sind.

Gemäß § 2 Abs. 1 SRGS sind Gebührenpflichtige die Benutzer der öffentlichen Einrichtung Straßenreinigung. Als Benutzer der Straßenreinigung einschließlich des Winterdienstes gelten die Eigentümer der Grundstücke, die nach dem Straßenverzeichnis (Anlage zur Straßenreinigungssatzung) in der jeweils gültigen Fassung an gereinigten Straßen, Wegen und Plätzen liegen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt das Grundstück der Kläger nur an der J.-Straße, nicht auch an der M.-Straße. Denn zwischen dem klägerischen Grundstück und der M.-Straße befindet sich das im Eigentum der Beklagten stehende Buchgrundstück Flurstück L.. Der darauf vorhandene, bepflanzte Lärmschutzwall gehört nicht zur M.-Straße als gereinigter Straße im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 SRGS. Er befindet sich östlich des an die Fahrbahn angrenzenden Gehwegs. Für ihn ist im Bebauungsplan Nr. 149 („N.“) eine Mindesthöhe von 2 m und eine Bepflanzung mit standortgerechten einheimischen Laubhölzern festgesetzt. Dementsprechend zeigen die von der Beklagten vorgelegten Lichtbilder einen dichten Bewuchs, der jedenfalls die festgesetzte Mindesthöhe aufweist. Ein objektiver Betrachter ordnet den Lärmschutzwall in Anbetracht dieser Gegebenheiten nicht der Straße zu. Eine Zuordnung zur Straße liegt auch deshalb fern, weil sich der einheitlich gestaltete Lärmschutzwall ungefähr in derselben Breite, die das Flurstück L. aufweist, auf die angrenzenden Wohngrundstücke erstreckt.

Zwar gelten als anliegende Grundstücke gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SRGS auch solche Grundstücke, die durch einen Graben, einen Grünstreifen, eine Mauer, eine Böschung oder in ähnlicher Weise von der Straße getrennt sind, wobei dies nach § 2 Abs. 2 Satz 2 SRGS nicht gilt, wenn ein Geländestreifen zwischen Straße und Grundstück weder dem öffentlichen Verkehr gewidmet noch Bestandteil der Straße ist.

§ 2 Abs. 2 Satz 1 SRGS erfasst aber nur solche Fälle, in denen ein Grundstück unmittelbar an das Straßengrundstück grenzt und sich das trennende Element (Graben, Grünstreifen, Mauer, Böschung oder Ähnliches) auf dem Straßengrundstück und/oder auf dem unmittelbar daran angrenzenden Grundstück befindet. Nicht hingegen betrifft die Vorschrift Fälle, in denen - wie hier - zwischen dem betreffenden Grundstück und dem Straßengrundstück ein selbstständiges Buchgrundstück liegt, auf dem sich das trennende Element befindet.

Denn Anliegergrundstücke werden - im Sinne eines Obersatzes - in § 2 Abs. 1 Satz 2 SRGS als solche Grundstücke definiert, die an den gereinigten Straßen, Wegen und Plätzen liegen, d. h. die unmittelbar an das Straßengrundstück angrenzen. § 2 Abs. 2 Satz 1 SRGS konkretisiert diesen Grundsatz im Hinblick auf eben solche Grundstücke für diejenigen Fälle, in denen sich auf dem Straßengrundstück oder dem unmittelbar daran angrenzenden Grundstück bestimmte trennende Elemente zwischen der Straße und Grundstück befinden. Durch die Regelung wird zum einen klargestellt, dass der Eigentümer eines unmittelbar an das Straßengrundstück angrenzenden Grundstücks auch dann gebührenpflichtig ist, wenn er auf seinem Grundstück z. B. einen Graben oder eine Mauer errichtet. Zum anderen ergibt sich unter Berücksichtigung der Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 SRGS, dass ein auf dem Straßengrundstück befindlicher, zwischen der darauf verlaufenden Straße und dem an das Straßengrundstück angrenzenden Grundstück befindlicher Geländestreifen der Gebührenpflicht dann entgegen steht, wenn er weder dem öffentlichen Verkehr gewidmet noch Bestandteil der Straße ist.

Danach ist das klägerische Grundstück kein Anliegergrundstück der M.-Straße, weil es - wie ausgeführt - nicht unmittelbar an das Straßengrundstück der M.-Straße, sondern an das selbstständige Buchgrundstück Flurstück L. angrenzt.

Zwar werden nach § 2 Abs. 3 SRGS den Eigentümern der anliegenden Grundstücke die Eigentümer der übrigen durch die Straße erschlossenen Grundstücke (Hinterlieger) gleichgestellt. Das klägerische Grundstück ist aber auch kein Hinterliegergrundstück der M.-Straße im Sinne des § 2 Abs. 3 SRGS. Denn es wird nicht durch die M.-Straße erschlossen. Auf dem gesamten dazwischen liegenden Buchgrundstück Flurstück L. befindet sich der im Bebauungsplan mit der Mindestgröße von 2 m festgesetzte Lärmschutzwall. Das klägerische Grundstück hat keine Zuwegung über das Flurstück L. zur M.-Straße.

Selbst wenn das Grundstück der Kläger durch die M.-Straße erschlossen und damit ein Hinterliegergrundstück im Sinne des § 2 Abs. 3 SRGS wäre, könnten die Kläger nicht zu Straßenreinigungs- und Winterdienstgebühren für die M.-Straße herangezogen werden. Denn § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SRGS regeln: „Wird ein Hinterliegergrundstück durch mehrere Straßen erschlossen, so ist die Gebühren nach der Straße zu berechnen, von der aus das Grundstück seine hauptsächliche Erschließung erhält. Hauptsächlich erschlossen wird das Grundstück durch eine Straße, zu der unmittelbar der Weg führt, an dem das Grundstück seinen Hauptzugang hat.“ Da das klägerische Grundstück seinen Hauptzugang zur J.-Straße hat, würde sich die „Berechnung der Gebühren“ ausschließlich nach dieser Straße richten.

Unerheblich ist der von der Beklagten geltend gemachte Umstand, vom klägerischen Grundstück könnten Verschmutzungen der M.-Straße ausgehen. Denn §§ 2 und 3 der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten knüpfen die Gebührenpflicht nicht an die Möglichkeit der Verschmutzung der Straße durch ein Grundstück, sondern daran, dass es sich um ein Anlieger- oder Hinterliegergrundstück im Sinne der Satzung handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.