Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.01.2017, Az.: 9 LB 193/16

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.01.2017
Aktenzeichen
9 LB 193/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54206
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.05.2016 - AZ: 1 A 1454/16

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 19. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens, soweit der Senat noch nicht über sie entschieden hat.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Gebühren für die Straßenreinigung einschließlich Winterdienst für die Jahre 2010 bis 2012 durch die Beklagte.

Der Kläger ist Eigentümer des unbebauten und landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Flurstücke 179 und 181/3, Flur 5, Gemarkung F., das auf einer Länge von ca. 110 m an der - dort den Ortsteil F. mit der Siedlung G. verbindenden - Landesstraße 392 " G." liegt. Im Bereich der Straße grenzt das Grundstück südlich an die Siedlung G. und nördlich an den Bachlauf der H.. Nördlich der H. liegt eine ebenfalls unbebaute und landwirtschaftlich genutzte Fläche. Auch das auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegene Grundstück Flurstück 83/4 gehört dem Kläger, ist unbebaut und wird landwirtschaftlich genutzt. Dieses Grundstück grenzt südlich ebenfalls an die Siedlung G. und nördlich an den Bachlauf der H. sowie das dahinter liegende Sportplatzgelände, für das der Bebauungsplan Nr. 129 „Sportanlage F.“ gilt.

Die Beklagte zog den Kläger hinsichtlich des Grundstücks Flurstücke 179 und 181/3 mit dem “Abgabenbescheid Nr. 1" vom 26. November 2012 für die Jahre 2010, 2011 und 2012 zu Straßenreinigungsgebühren für die einmal wöchentliche Reinigung der Straße G. und zu Gebühren für den Winterdienst in Höhe von insgesamt 699,60 EUR heran.

Die dagegen erhobene Klage hat der Kläger damit begründet, dass die Landesstraße 392 in dem Bereich zwischen dem Ortsteil F. und der Siedlung G. nicht mehr zu einer geschlossenen Ortslage gehöre und deshalb Straßenreinigungsgebühren nicht erhoben werden dürften.

Der Kläger hat beantragt,

den Abgabenbescheid Nr. 1 der Beklagten vom 26. November 2012 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, die Festsetzung von Straßenreinigungsgebühren sei rechtmäßig, weil die Landesstraße 392 im streitigen Bereich Teil der geschlossenen Ortslage sei. Es liege nur eine streckenweise aufgelockerte Besiedlung, nicht aber eine straßenrechtlich erhebliche Unterbrechung der Bebauung vor.

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 19. Mai 2016 den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen angeführt, dass die Gebührensatzungen, auf denen der Bescheid beruhe, unwirksam seien. Dies habe der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in einem Normenkontrollverfahren durch Urteil vom 16. Februar 2016 (9 KN 288/13) festgestellt. Allerdings sei der Kläger grundsätzlich gebührenpflichtig, weil sein Grundstück nicht außerhalb der geschlossenen Ortslage liege. Der Ortsteil F. sei relativ groß und entfalte eine Ausstrahlungswirkung, die bis zu der Siedlung G. reiche. Dies werde sowohl bei einer Durchfahrt von Norden kommend als auch aus der Vogelperspektive deutlich, zumal sich nördlich des Bachlaufs der H. ein Sportplatz mit Vereinsheim befinde und der H. auch keine Barrierefunktion zugeschrieben werden könne.

Der Rat der Beklagten beschloss am 2. Juni 2016 eine rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft getretene neue Straßenreinigungsgebührensatzung mit unterschiedlich hohen Gebührensätzen für die Jahre 2010 bis 2016.

Am 10. Juni 2016 hat die Beklagte die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Mai 2016 beantragt. Im Berufungszulassungsverfahren hat sie mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016 den angefochtenen Bescheid vom 26. November 2012 aufgehoben, soweit die darin festgesetzten Straßenreinigungsgebühren nicht mehr den in § 5 der neuen Satzung festgelegten Gebührensätzen entsprechen, nämlich den Betrag von 424,80 EUR übersteigen. In diesem Umfang haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Senat hat durch Beschluss vom 30. September 2016 (9 LA 101/16) das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Im Übrigen hat der Senat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Mai 2016 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Sie habe mit der Straßenreinigungsgebührensatzung vom 2. Juni 2016 dem Urteil des Senats vom 16. Februar 2016 (9 KN 288/13) Rechnung getragen und den Kostenanteil, der auf das allgemeine Interesse an der Straßenreinigung entfalle, nach den Vorgaben des Senats neu gewichtet. Die Satzung sei auch nicht insofern zu beanstanden, als in § 4 Abs. 1 Satz 1 als Gebührenmaßstab die Straßenfrontlänge des Grundstücks festgelegt und in § 4 Abs. 1 Satz 3 geregelt sei, dass die Grundstücksbreite abgeschrägter oder abgerundeter Grundstücksgrenzen vom Schnittpunkt der Straßenfluchtlinien aus gerechnet werde. Mit dieser Regelung habe sie Eckgrundstücke an Straßeneinmündungen vorteilsgerecht erfassen wollen. Bei diesen Eckgrundstücken bestehe die Besonderheit, dass sie an sogenannten Aufweitungstrompeten, die gerundet oder schräg verliefen, angrenzten. Diese örtliche Besonderheit, die fast alle Eckgrundstücke betreffe, sei von ihr bei der Bemessung der Straßenfrontlänge vorteilsgerecht in der Weise geregelt worden, dass die Straßenfluchtlinien der an das Eckgrundstück angrenzenden Grundstücke verlängert würden und die gebührenpflichtige Straßenfrontlänge bei dem Schnittpunkt der Fluchtlinien ende. Der Kläger sei im Hinblick auf sein Grundstück auch gebührenpflichtig, weil die Straße G., an die das Grundstück des Klägers grenze, in diesem Bereich innerhalb einer geschlossenen Ortslage liege. Diese Straße führe durch die Siedlung G., erschließe sodann über eine kurze Strecke von weniger als 200 m im Außenbereich gelegene Grundstücke um schließlich in die Ortschaft F. zu führen, wo sie im weiteren Verlauf den Namen I. straße trage. Anzumerken sei ferner, dass die Straße G., bevor sie den im Zusammenhang bebauten Ortsteil F. erreiche, auch noch der dortigen Sportanlage, die im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 129 “Sportanlage F.“ liege, die Erschließung vermittle. Die Straße G. verlaufe daher insgesamt innerhalb einer geschlossenen Ortslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern, soweit es nicht für unwirksam erklärt worden ist, und die noch anhängige Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, dass die Straße G. nicht als eine innerörtliche Ortsdurchfahrt, sondern als eine außerörtliche Straße anzusehen sei, die nicht der Straßenreinigungspflicht der Beklagten unterliege. Denn der Bebauungszusammenhang zwischen der Ortschaft F. und dem Ortsteil G. sei in diesem Bereich deutlich unterbrochen. Deshalb könne er für sein Grundstück auch nicht zu Straßenreinigungsgebühren herangezogen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2012 im noch streitgegenständlichen Umfang im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Denn der Bescheid ist auch in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 18. Juli 2016 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er noch streitgegenständlich ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Rechtswidrigkeit folgt zunächst daraus, dass die zum 1. Januar 2010 rückwirkend in Kraft getretene Gebührensatzung der Beklagten für die Straßenreinigung (Straßenreinigungsgebührensatzung) vom 2. Juni 2016 - SRGS -, die der streitigen Gebührenfestsetzung wegen ihrer zulässigen Rückwirkung zu Grunde liegt, unwirksam ist. Denn der Maßstab, mit dem die Kosten der Straßenreinigung auf diejenigen verteilt werden, die die öffentliche Einrichtung Straßenreinigung in Anspruch nehmen und daher gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 NKAG gebührenpflichtig sind, ist unvereinbar mit höherrangigem Recht, nämlich Art. 3 Abs. 1 GG und § 5 Abs. 3 Satz 2 NKAG. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fordert eine Gleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhalte und eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten, die sich in wesentlicher Hinsicht unterscheiden. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 NKAG darf der gewählte Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zu Art und Umfang der Inanspruchnahme stehen. Bei der Straßenreinigung entspricht die „Inanspruchnahme“ dem Vorteil, den ein Grundstück davon erfährt, dass die vor dem Grundstück verlaufende Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage auf ihrer gesamten Länge in einem sauberen Zustand gehalten wird (vgl. Brüning, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand: Juli 2016, § 6 Rdnr. 474; Wagner, in: Driehaus: a. a. O., § 6 Rdnr. 698 b). Die Inanspruchnahme nimmt also mit steigendem Vorteil zu bzw. - umgekehrt - mit sinkendem Vorteil ab. Da eine so verstandene Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung Straßenreinigung nicht exakt bemessen werden kann, wird den Kommunen bei der Wahl des Maßstabs, der Inanspruchnahme und Vorteil von der Reinigung sachgerecht abbilden soll, ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, der solange reicht, wie der Maßstab noch hinreichend grundstücksbezogen ist (vgl. Brüning, a. a. O., § 6 Rdnrn. 479 und 486). Früher wurde nahezu ausschließlich der Frontmetermaßstab verwendet, der auf die Grundstücksseite abstellt, die an der Straße liegt und daher eine besondere Beziehung zu ihr hat (vgl. Lohmann, in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rdnr. 684). In letzter Zeit werden zunehmend auf die Grundfläche bezogene Maßstäbe, z. B. der Quadratwurzelmaßstab - Bildung der Quadratwurzel aus der Grundstücksfläche - verwendet (vgl. Lohmann, a. a. O., § 6 Rdnrn. 684 und 685; Wagner, a. a. O., § 6 Rdnr. 698 b).

Die Beklagte hat sich in ihrer Straßenreinigungsgebührensatzung vom 2. Juni 2016 dafür entschieden, den Umfang, in dem ihre öffentliche Einrichtung Straßenreinigung von den Grundstücken aus in Anspruch genommen wird, und damit das Verhältnis der Kostenverteilung auf die Nutzer der Einrichtung zu bestimmen nach dem Frontmetermaßstab. § 4 Abs. 1 SRGS sieht in den Sätzen 1 und 2 vor:

„Maßstab für die Straßenreinigung ist die Straßenfrontlänge des Grundstücks, auf volle Meter abgerundet, zu der die Straße gehört. Als Straßenfrontlänge gilt die an die Straße anliegende Grundstücksbreite.“

Mit dieser (teils sprachlich missglückten) Formulierung wird ausgedrückt, dass die - auf volle Meter abgerundete - Frontlänge des Grundstücks an der gereinigten Straße den Maßstab für die Straßenreinigungsgebühr bildet. In § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SRGS wird für Hinterliegergrundstücke - an systematisch unzutreffender Stelle - bestimmt:

„Bei Hinterliegergrundstücken gilt als Frontlänge die Länge der Grundstücksseite, die der zu reinigenden Straße zugewandt ist. Zugewandte Grundstücksseiten sind diejenigen Abschnitte der Grundstücksbegrenzungslinie, die zu der Straßengrenze oder deren in gerader Linie gedachten Verlängerung in einem Winkel bis einschließlich 45 Grad verlaufen.“

Diese Regelungen in der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten sind hinsichtlich ihrer Ausgestaltung nicht Gegenstand des die Gebührensatzung der Beklagten betreffenden und mit Urteil vom 16. Februar 2016 entschiedenen Normenkontrollverfahrens 9 KN 288/13 gewesen. Sie genügen nicht den Anforderungen, die an die Ausgestaltung des Frontmetermaßstabs zu stellen sind. Durch die Ausgestaltung muss sichergestellt sein, dass die Eigentümer aller Grundstücke, von denen die Straßenreinigung tatsächlich in Anspruch genommen wird, entsprechend dem Umfang der Inanspruchnahme und dem Gleichheitssatz veranlagt werden. Dies bedarf - in wesentlich stärkerem Maße als bei flächenbezogenen Maßstäben - einer umfassenden Bewertung der im jeweiligen Reinigungsgebiet gegebenen Verhältnisse und einer darauf bezogenen differenzierten Maßstabsregelung.

Bezüglich der Maßstabsregelung in der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten ist vor allem zu bemängeln, dass bei Anliegergrundstücken allein auf die an der Straße „anliegende“ und nicht auch zusätzlich auf die der Straße „zugewandte“ Grundstücksseite abgestellt wird. Dies führt bei sog. Hammergrundstücken (sie grenzen nur mit einer schmalen Zuwegung an die gereinigte Straße an und liegen im Übrigen ganz überwiegend hinter einem anderen Anliegergrundstück) dazu, dass sie - völlig unabhängig von ihrer Größe - nur mit der Breite der Zufahrt an der gereinigten Straße veranlagt werden, was eine nicht zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber „normalen“ Anliegergrundstücken darstellt. Im Verhältnis zu Letzteren werden ferner solche Anliegergrundstücke ungerechtfertigt bevorteilt, die nur mit einer relativ geringen Strecke unmittelbar an die Straße angrenzen, sich im weiteren Verlauf in der Tiefe deutlich verbreitern und dabei eine der gereinigten Straße zugewandte Seite haben; die Nichtberücksichtigung der zugewandten Seite lässt ohne sachliche Rechtfertigung außer Acht, dass beide Gruppen von Anliegergrundstücken keine erkennbaren Unterschiede im Hinblick auf das Interesse der Anlieger aufweisen, dass sich die Straße vor ihren Grundstücken in einem gereinigten Zustand befindet. Die Vernachlässigung der zugewandten Grundstücksseite bei Anliegergrundstücken ist weiterhin gleichheitswidrig im Blick darauf, dass die zugewandte Grundstücksseite bei Hinterliegergrundstücken sehr wohl berücksichtigt wird, nämlich gemäß § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SRGS, soweit sie zur gereinigten Straße in einem Winkel bis einschließlich 45 Grad verläuft; eine sachliche Rechtfertigung dafür, im Winkel von 45 Grad zugewandte Grundstücksseiten nicht bei Anliegergrundstücken, wohl aber bei Hinterliegergrundstücken zu berücksichtigen, lässt sich im Blick auf das maßgebliche Kriterium des Vorteils von der Straßenreinigung und der damit einhergehenden Inanspruchnahme nicht erkennen. Vielmehr müssen Anlieger- und Hinterliegergrundstücke bei der Berechnung der zugrunde zu legenden Frontmeter grundsätzlich gleichbehandelt werden (vgl. z. B. Mildner in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rdnr. 814 - Seite 566 -).

Ein Mangel liegt bei der von der Beklagten gewählten Maßstabsregelung ferner darin, dass sie nicht alle Grundstücke erfasst, die einen Vorteil von der öffentlichen Einrichtung Straßenreinigung haben und diese daher im Rechtssinn in Anspruch nehmen.Damit verstößt die Maßstabsregelung gegen das Gebot der konkreten Vollständigkeit (vgl. Brüning, a. a. O., § 6 Rdnr. 478; Lichtenfeld, in: Driehaus, a. a. O., § 6 Rdnr. 762 a; Mildner, a. a. O., § 6 Rdnr. 814 - Seite 566 -). Dieses besagt, dass für alle Grundstücke im Reinigungsgebiet ein sachgerechter Maßstab vorhanden sein muss. In der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten fehlt eine Regelung für Hinterliegergrundstücke, die keine der gereinigten Straße im Winkel von bis 45 Grad zugewandte Grundstücksseite haben; solche Grundstücke, die es im Reinigungsgebiet nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der Berufungsverhandlung gibt, werden nicht von § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SRGS oder sonstigen Vorschriften der Straßenreinigungsgebührensatzung erfasst und bleiben demnach gebührenfrei, und zwar ohne sachlichen Grund, weil auch sie von einer gereinigten Straße profitieren. Auch für die - nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der Berufungsverhandlung - im Kartenmaterial der Beklagten weiß gekennzeichneten und daher nicht veranlagten Grundstücke hätte es eines Ersatzmaßstabs bedurft, damit auch diese von der Straßenreinigung ebenfalls bevorteilten Grundstücke herangezogen werden können (vgl. z. B. Brüning, a. a. O.,§ 6 Rdnr. 478). Mit höherrangigem Recht, nämlich dem Buchgrundstücksbegriff des NKAG und dem - (zu Recht) nicht auf den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff abstellenden - Satzungsrecht der Beklagten ist schließlich unvereinbar, dass die Beklagte ausweislich der im Kartenmaterial vorhandenen „Schraffur für Grundstücke, die eine wirtschaftliche Einheit bilden," in zahlreichen Fällen den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff zugrunde legt.

Der Senat lässt offen, ob die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 SRGS, wonach „die Grundstücksbreite abgeschrägter oder abgerundeter Grundstücksgrenzen... vom Schnittpunkt der Straßenfluchtlinien aus gerechnet" wird, mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Bedenklich erscheint die Regelung im Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, weil sie aus sich heraus, also ohne nähere Erläuterung, kaum verständlich ist, und sie sinnvollerweise nur auf Eckgrundstücke bezogen werden kann, sich dies dem Wortlaut aber nicht entnehmen lässt. Ferner ist es fraglich, ob die mit der gewählten Fiktion einher gehende Mehrbelastung von Eckgrundstücken (sie werden über die eigentliche Frontlänge hinaus erfasst) noch durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt wird.

Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 2012 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 18. Juli 2016 ist - unabhängig von den somit bestehenden Satzungsmängeln - ferner deshalb rechtswidrig, weil der Kläger für sein Grundstück Flurstücke 179 und 181/3 nicht gebührenpflichtig ist. Denn er nimmt die öffentliche Einrichtung Straßenreinigung insoweit nicht in Anspruch:

Die öffentliche Einrichtung Straßenreinigung - und damit zugleich deren Inanspruchnahme - besteht nur in dem Umfang, in dem die Beklagte gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Niedersächsischen Straßengesetzes - NStrG - zur Reinigung der Straßen verpflichtet ist. Nach diesen Vorschriften sind nur die Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage durch die Gemeinde zu reinigen. Die Straße G. verläuft jedoch nach Aktenlage zur Überzeugung des Senats in Höhe der veranlagten Flurstücke 179 und 181/3 nicht innerhalb einer geschlossenen Ortslage.

§ 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG definiert die geschlossene Ortslage als den Teil des Gemeindebezirks, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG unterbrechen einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung den Zusammenhang nicht. Eine entsprechende Definition ist in § 5 Abs. 4 Sätze 2 und 3 Bundesfernstraßengesetz - FStrG - enthalten. Der hiernach im Straßenreinigungsrecht maßgebliche Begriff der geschlossenen Ortslage deckt sich nicht mit dem in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verwendeten Begriff "der im Zusammenhang bebauten Ortsteile". Vielmehr ist im Straßenreinigungsrecht auf einen weitläufigen Rahmen örtlicher Bebauung abzustellen, der sich nach den gröberen Umrissen des örtlichen Bebauungsbereichs bestimmt, wo er sich gegenüber dem freien Gelände absetzt (Senatsbeschlüsse vom 15.12.2015 - 9 LA 95/15 - Rn. 7 in juris, vom 5.1.2009 - 9 LA 212/06 - Rn. 9 in juris, vom 29.10.2007 - 9 LA 373/05 - Rn. 7 in juris und vom 20.7.2004 - 9 LA 161/04 - Rn. 3 in juris). Ob ein Gebiet zusammenhängend bebaut ist, lässt sich nur anhand einer weiträumigen, an objektiven Kriterien ausgerichteten Betrachtung der gesamten durch die Bebauung geprägten Situation in der Umgebung der Straße, nicht aber aufgrund einer isolierten Würdigung einzelner Umstände, wie etwa der einseitigen Bebauung einer Straße, entscheiden (BVerwG, Urteil vom 18.3.1983 - 4 C 10.80 - Rn. 10 in juris). § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG will wie § 5 Abs. 4 Satz 3 FStrG einer großräumigen Sicht gerade für die dort genannten typischen Zweifelsfälle den Weg ebnen: Einseitige Bebauung, einzelne unbebaute Grundstücke oder zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände sollen aus einem sonst in der Gesamtsituation sich abzeichnenden Bebauungszusammenhang nicht herausfallen. Das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 NStrG ergibt sich im Allgemeinen schon aus der einfachen Gegenüberstellung des örtlichen Bereichs baulicher und gewerblicher Nutzung und des davon freien, zumeist der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung dienenden Geländes. Eine Straße verläuft auch dann innerhalb der geschlossenen Ortslage, wenn sie nach bisher freier Strecke in einem weitläufigeren Rahmen von der örtlichen Bebauung umschlossen wird, sofern nur der Unterschied zum Verlauf im freien unbebauten Gelände deutlich wird (BVerwG, Urteil vom 18.3.1983 - 4 C 10.80 - Rn. 14 in juris; Senatsbeschlüsse vom 15.12.2015 - 9 LA 95/15 - Rn. 7 in juris und vom 29.10.2007 - 9 LA 373/05 - Rn. 7 in juris). Herrscht am fraglichen Standort jedoch der Eindruck vor, sich im freien Gelände zu befinden, ist keine geschlossene Ortslage anzunehmen (Sächsisches OVG, Urteil vom 28.3.2007 - 5 B 45/05 - Rn. 42 in juris). Dabei ist entscheidend die Sicht von der Straße her mit Blickrichtung auf die sich in der Nähe befindliche Bebauung (BVerwG, Urteil vom 9.4.1981 - 4 C 41.77 - Rn. 19 in juris; Senatsbeschluss vom 29.10.2007 - 9 LA 373/05 - Rn. 7 in juris; OVG Sachsen, Urteil vom 1.7.2016 - 3 A 632/15 - Rn. 7 in juris; OVG Thüringen, Urteil vom 4.6.2014 - 1 KO 1343/10 - Rn. 25 in juris), so dass nicht die Ausdehnung angrenzender Grundstücke in den Außenbereich, sondern in erster Linie die Gestaltung der Teilflächen entlang der Straße in hinreichender Nähe zu deren Streckenführung ausschlaggebend ist (Senatsurteil vom 30.11.2009 - 9 LB 415/07 - Rn. 24 in juris und Senatsbeschluss vom 29.10.2007 - 9 LA 373/05 - Rn. 8 in juris).

Die Frage, ob eine Straße bei Anwendung dieser Maßstäbe innerhalb einer geschlossenen Ortslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG liegt, lässt sich in Grenzfällen häufig nur aufgrund des bei einer Ortsbesichtigung gewonnenen unmittelbaren Eindrucks entscheiden. Da ihre Beantwortung im vorliegenden Fall wegen der bestehenden Satzungsmängel nicht entscheidungserheblich ist, kam die Durchführung einer Ortsbesichtigung nicht in Betracht. Nach den vorliegenden Karten, Plänen, Fotos und Luftbildaufnahmen steht jedoch zur Überzeugung des Senats fest, dass die Straße G. in Höhe der Flurstücke 179 und 181/3 auf einer Länge von ca. 140 m nicht innerhalb einer geschlossenen Ortslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG verläuft. Denn aus der maßgeblichen Blickrichtung von der Straße aus erstrecken sich die unbebauten Flächen beidseits der Straße nahezu unbegrenzt in das freie Gelände hinein. Selbst bei der gebotenen weiträumigen Betrachtung besteht keinerlei Zusammenhang zwischen der zur Siedlung G. gehörenden Bebauung und der Bebauung des Ortsteils F.. Insbesondere ist das zwischen beiden Ortslagen liegende freie Gelände auch nicht in einem weitläufigeren Rahmen von der örtlichen Bebauung umschlossen. Vielmehr wird die Siedlung G. ihrerseits vollständig vom freien Gelände umgeben. Auch der Ortsteil F. wird im südlichen Bereich vom freien Gelände eingefasst und schiebt sich dort von Norden her mit dem Sportplatzgelände und der angrenzenden Siedlung in das freie Gelände hinein, so dass sich im Bereich des Flurstücks 83/4 das freie Gelände auf eine Breite von ca. 140 m verengt. Westlich und östlich dieser “Schmalstelle“ befinden sich großräumige unbebaute Flächen. Bei einer derartigen Situation in der Umgebung der Straße kann nicht von einzelnen unbebauten Grundstücken im Sinne von § 4 Abs.

1 Satz 3 NStRG, die aus einem sonst in der Gesamtsituation sich abzeichnenden Bebauungszusammenhang nicht herausfallen, gesprochen werden. Denn ein solcher Bebauungszusammenhang besteht gerade nicht. Die unbebauten, landwirtschaftlich genutzten Grundstücke des Klägers beidseits der Landesstraße 392 sind vielmehr eingebettet in das großräumige, sich durchgehend von Westen nach Osten erstreckende und jenseits der “Schmalstelle“ sich jeweils verbreiternde freie Gelände. Dieses setzt sich damit deutlich ab vom jeweiligen Bebauungsbereich der geschlossenen Ortslagen von F. und G..

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 699,60 EUR und für das Berufungsverfahren auf 424,80 EUR festgesetzt (§§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG). Von einer Erhöhung des Streitwerts nach § 52 Abs.3 Satz 2 GKG wird abgesehen, weil die offensichtlich absehbaren Auswirkungen auf die Gebührenfestsetzungen für die Folgejahre streitwertmäßig durch die für diese Jahre anhängigen Berufungsverfahren erfasst werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).