Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.01.2017, Az.: 2 LA 19/17

Darlegung; Zulassungsantrag; Syrien; Bundesamt; Textbaustein

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.01.2017
Aktenzeichen
2 LA 19/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53814
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.12.2016 - AZ: 7 A 388/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Verwendung von Textbausteinen in einem Zulassungsantrag ist zwar auch dann, wenn ein unzutreffendes Verwaltungsgericht als angebliches Ausgangsgericht genannt wird, unbedenklich, wenn sie zu dem neuen Fall, in dem sie wiederverwendet werden, inhaltlich "passen". Stellt das Verwaltungsgericht indes einzelfallbezogene Sonderrisiken fest (hier: Bejahung einer verfolgungsbedingten Ausreise als zweites selbständig tragendes Begründungselement), muss sich der Zulassungsantrag mit diesem zusätzlichen Gehalt auseinandersetzen, weil hinsichtlich jeder die Entscheidung selbständig tragenden Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen muss (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2016 - 1 B 113/16 -, Rnr. 1, juris).

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 7. Kammer - vom 5. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil hat keinen Erfolg.

Dabei ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte für den Zulassungsantrag auf einen Text zurückgegriffen hat, der u.a. offenbar bereits bei an das OVG Weimar gerichteten Zulassungsanträgen in Verfahren Verwendung gefunden hatte, bei denen das in diesem Text mehrfach angesprochene VG Meiningen Ausgangsgericht war (vgl. zur dortigen Rechtsprechung: OVG Weimar, Beschl. v. 14.12.2016 - 3 ZKO 638/16 -, juris; VG Meiningen, Urt. v. 1.7.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402). Die Weiterverwendung von Textbausteinen und ganzen Texten ist jedenfalls dann unbedenklich, wenn sie zu dem neuen Fall, in dem sie wiederverwendet werden, inhaltlich „passen“. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn entgegen der unter III. des Zulassungsantrags vorgenommenen Wiedergabe des angegriffenen Urteils (ausdrücklich wird hier das VG Meiningen genannt) hat das Verwaltungsgericht Osnabrück tatsächlich einzelfallbezogene Sonderrisiken festgestellt und eine verfolgungsbedingte Ausreise bejaht. Mit diesem zusätzlichen Gehalt setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander.

Ist jedoch - wie vorliegend - die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf mehrere Gründe gestützt, kann die Berufung nur zugelassen werden kann, wenn hinsichtlich jeder die Entscheidung selbständig tragenden Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.11.2016 – 1 B 113/16 –, Rnr. 1, juris, 9.3.1982 - 7 B 40.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 209, 25.5.2007 - 1 B 203.06 - juris Rnr. 3).

Zudem ist dem Darlegungsgebot (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) im Hinblick auf den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nur dann genügt, wenn in Bezug auf die Rechtslage oder hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen zu jeder tragenden Begründung eine entscheidungserhebliche, unmittelbar aus dem Gesetz bzw. der Tatsachenlage nicht zu beantwortende, bisher höchst- oder obergerichtlich nicht beantwortete konkrete Frage formuliert und erläutert wird, warum das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse unzutreffend beurteilt haben soll und warum die aufgeworfene Tatsachenfrage einer Klärung bedarf. Dazu bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte etwa im Hinblick auf dazu vorliegende gegensätzliche Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen oder anderweitige Erkenntnisse, die den Schluss zulassen, dass die erheblichen Tatsachen einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedürfen (BVerwG, Beschl. v. 28.4.2015 - 1 B 20.15 -, juris, Sen., Beschl. v. 12.10.2016 - 2 LA 148/16 -, v. 15.7.2016 - 2 LA 413/15 -, v. 27.5.2014 - 2 LA 308/13 -, juris, mwN.; Thür. OVG, Beschl. v. 14.12.2016 - 3 ZKO 638/16 -, juris; SächsOVG, Beschl. v. 7.4.2015 - 3 A 20/15.A -, juris; BayVGH, Beschl. v. 12.4.2016 - 20 ZB 16.50032 -, juris; OVG NW, Beschl. v. 8.6.2016 - 13 A 1222/16 -, juris).

Diesen Vorgaben wird das Zulassungsvorbringen der Beklagten nicht gerecht.

Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil dem Begehren des Klägers - eines nach eigenen Angaben am … geborenen syrischen Staatsangehörigen tscherkessischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens - entsprochen und die Beklagte über den bereits vom Bundesamt zuerkannten subsidiären Schutz hinaus verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) zuzuerkennen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht zwei Argumentationsstränge aufgezeigt.

Zum einen geht es davon aus, der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde – ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen – vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

Für den Kläger gelte dies in gesteigertem Maße, weil „in seiner Person individuell gefahrerhöhende Umstände“ vorlägen. Der 46 (zwischenzeitlich 47) Jahre alte Kläger habe nämlich nach eigenen Angaben einen dreijährigen Pflichtwehrdienst abgeleistet und sei weitere zwei Jahre Berufssoldat gewesen. Er gehöre damit aller Voraussicht nach aufgrund seiner überdurchschnittlichen militärischen Vorbildung und Erfahrung in Anbetracht der zunehmend krisenhaften Entwicklung des Kriegsgeschehens in Syrien zu den Personen, deren Heranziehung zum Kriegsdienst - (auch) über die in Friedenszeiten geltende Altersgrenze von 42 Jahren hinaus - konkret in Betracht komme. Dies setze ihn wegen der illegalen Ausreise dem Verdacht der Kriegsdienstentziehung und in besonderer Weise dem Risiko aus, im Fall seiner Rückkehr als (potentieller) Gegner des syrischen Regimes angesehen zu werden (UA Bl. 20 f.).

Zum anderen hat das Verwaltungsgericht - insoweit selbständig tragend, wie sich im Urteil am Aufbau und Wortwahl („zudem“) zeigt - eben wegen der Wehrdiensterfahrung des Klägers und der daraus folgenden Vermutung, seine Heranziehung zum Wehrdienst sei schon vor seiner Ausreise „konkret in Betracht“ gekommen, eine Vorverfolgung bejaht, weil die ihm wegen dieser Entziehung drohende Bestrafung durch die syrischen Behörden sowohl eine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG (unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung) als auch nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG (Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen) darstellten als auch an seine vermeintlich politische Gesinnung anknüpfen würden. Daher sei auch unter diesem Aspekt bei dem Kläger bei einer etwaigen Rückkehr nach Syrien unter Beachtung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer (fortdauernden) Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung/Desertation auszugehen (UA Bl. 21 ff.).

Ob darüber hinaus weitere individuelle Gründe die Gefahr politischer Verfolgung begründen könnten, hat das Verwaltungsgericht offen gelassen.

Soweit das Bundesamt die unter Verweis auf Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte begründete Auffassung des Verwaltungsgerichtes, bereits die illegale Ausreise, der Verbleib im westlichen Ausland und die Asylantragstellung führten zur Gefahr politischer Verfolgung, unter Hinweis auf anders lautende Bewertungen (u.a. des OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris, des Schweizerischen Bundesverwaltungsgericht - Urt. v. 29.6.2016 - E 4093/2014 -) in Frage stellt und als grundsätzlich klärungsbedürftig ansieht,

"ob nach (illegaler) Ausreise und Verbleib im westlichen Ausland zurückkehrenden bzw. nach Syrien rückgeführten Asylantragstellern, soweit sie altersgemäß in der Lage sind, sich eine eigene politische Überzeugung zu bilden, (weiterhin) anzunehmen ist, dass mit dem Grad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Einreisekontrollen Eingriffe i. S. d. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG,

sowie

ob die syrischen Stellen dabei weiterhin bereits einen der oder jedenfalls die Kombination der Risikofaktoren (illegale) Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung auffassen.",

kann dahinstehen, ob die Beklagte mit ihren Ausführungen bezogen auf den ersten Begründungsstrang des Verwaltungsgerichts die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit in zureichendem Maße dargelegt hat - woran nach Maßgabe des Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (-2 BvR 31/14 -, juris) bei dieser Fallkonstellation nur geringe Anforderungen zu stellen sind - oder ob sie sich zusätzlich mit dem vom Verwaltungsgericht im ersten Begründungsstrang als gefahrerhöhend angeführten Umstand einer Wehrdienstentziehung/Desertation des Klägers (unter Nennung gegenteiliger Erkenntnismittel, anderer Rechtsprechung und/oder unter Darlegung, warum eine andere Würdigung als die des Verwaltungsgerichts geboten sei) hätte ausführlich auseinandersetzen müssen und es nicht bei dem bloßen Satz (wörtlich aus dem schon in mehreren Zulassungsanträgen verwendeten Standarttext):

„Hieran ändert sich auch nicht, dass der Kläger bereits seinen Wehrdienst abgeleistet und zwei Jahre als Berufssoldat tätig gewesen ist, da dies keine gefahrerhöhenden Umstände sind, sondern vielmehr sein bisher regimetreues Verhalten dokumentieren.“

hätte belassen dürfen. Maßgeblich für die Ablehnung des Zulassungsbegehrens ist nämlich, dass die Beklagte auf den zweiten Begründungstrang des Verwaltungsgerichts, die vom Verwaltungsgericht bejahte Vorverfolgung, gar nicht eingegangen ist, vielmehr ausgeführt hat, eine verfolgungsbedingte Ausreise habe das Gericht verneint.

Ergänzende Darlegungen sind nicht mehr möglich, da die Frist für die Begründung des Zulassungsantrages bereits abgelaufen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§152 Abs. 1 VwGO, 80 AsylG).