Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.01.2017, Az.: 1 ME 189/16

aufschiebende Wirkung; sanierungsrechtliche Genehmigung; Genehmigungsfiktion; Tatbestandswirkung; Vollziehungstheorie

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.01.2017
Aktenzeichen
1 ME 189/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53827
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.12.2016 - AZ: 2 B 85/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Rechtsbehelfe gegen die Ablehnung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung entfalten keine aufschiebende Wirkung dergestalt, dass mangels vollziehbarer Ablehnungsentscheidung die Genehmigungsfiktion des § 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB einträte.

Zum Streitwert bei verweigerter sanierungsrechtlicher Genehmigung eines Grundstückskaufvertrages.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer - vom 5. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Änderung der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf je 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Herbeiführung der Wirkungen einer sanierungsrechtlichen Genehmigung.

Die Antragstellerin schloss unter dem 24.11.2015 einen notariellen Kaufvertrag zum Erwerb einer Eigentumswohnung im Gebiet der Antragsgegnerin. Das Grundstück liegt in einem Sanierungsgebiet. Mit Schreiben vom 11.1.2016 beantragte die Antragstellerin die sanierungsrechtliche Genehmigung des Kaufvertrags. Die Antragsgegnerin verlängerte mit Schreiben vom 28.1.2016 die Entscheidungsfrist des § 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 5 BauGB bis zum 12.5.2016 und lehnte mit Bescheid vom 6.4.2016 den Genehmigungsantrag, mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2016 den Widerspruch der Antragstellerin ab; über deren dagegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Ihren gleichzeitig mit der Klageerhebung am 17.11.2016 gestellten Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die beantragte sanierungsrechtliche Genehmigung zu erteilen bzw. vergleichbaren vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren,

hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, für die begehrte einstweilige Anordnung sei gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 VwGO ein Anordnungsgrund erforderlich; diesen habe die Antragstellerin weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde, auf deren fristgemäß dargelegte Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.

Einen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin nach wie vor nicht vorgetragen. Das allgemeine Interesse an der zeitnahen Abwicklung eines Kaufvertrages, auf das allein sie sich beruft, genügt hierfür nicht. Dass ihr überhaupt Nachteile aus dem Aufschub der Kaufabwicklung, etwa in Gestalt von Vorfinanzierungszinsen, entgangenem Gewinn o.ä., entstünden, hat die Antragstellerin nicht einmal behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht. Inwieweit derartige Lasten, die möglicherweise über Amtshaftungsansprüche nachträglich ausgeglichen werden könnten, den Erlass der – die Hauptsache vorwegnehmenden – einstweiligen Anordnung rechtfertigen würden, kann angesichts dessen dahinstehen.

Bei wohlwollender Auslegung könnte den Ausführungen der Antragstellerin unter Nr. 2. ihrer Beschwerdebegründung ein weiterer Beschwerdegrund entnommen werden: Die Antragstellerin könnte geltend machen, mit ihrem wohl als Hilfsantrag zu verstehenden Antrag, „vergleichbaren vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren“ habe sie analog § 80 Abs. 5 VwGO die Feststellung beantragen wollen, dass ihr Widerspruch und ihre nachfolgende Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 6.4.2016 aufschiebende Wirkung hätten und dass Folge dieser aufschiebenden Wirkung sei, dass die Genehmigungsfiktion des § 145 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB eingetreten sei. Ob ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit diesem Ziel überhaupt statthaft wäre, ist allerdings fraglich. Eine für den Analogieschluss erforderliche Regelungslücke dürfte nicht bestehen, da die Antragstellerin einen Antrag auf Erteilung eines Fiktionszeugnisses nach § 22 Abs. 5 Satz 5 BauGB stellen und diesen ggf. über § 123 VwGO durchsetzen könnte. Dies kann jedoch dahinstehen, denn jedenfalls wäre ein derartiger Antrag unbegründet.

Die Rechtsfolge des § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB wird nicht durch den Regelungsgehalt einer ablehnenden Entscheidung, sondern durch seine Tatbestandswirkung, d.h. durch die Tatsache ausgeschlossen, dass die Gemeinde überhaupt innerhalb der Frist des § 22 Abs. 5 Satz 2, 3 BauGB eine Entscheidung getroffen hat. Der Wortlaut des § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB, der auf eine Versagung der Genehmigung abstellt, ist insoweit irreführend, denn auch bei einer stattgebenden Entscheidung innerhalb der Genehmigungsfrist tritt die Genehmigungsfiktion nicht (zusätzlich) ein (deutlicher insoweit die vergleichbare Vorschrift des § 42a Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts wird von der aufschiebenden Wirkung aber nicht erfasst (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 80 Rn. 39).

Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, träte die von der Antragstellerin geltend gemachte Rechtsfolge nicht ein: Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat nur der Anfechtungswiderspruch, d. h. der Widerspruch aufschiebende Wirkung, welcher einer Anfechtungsklage vorausgeht. Das folgt aus Wortlaut, systematischem Zusammenhang (anderenfalls müsste das in § 123 VwGO bestimmt sein) sowie Sinn und Zweck dieser Vorschrift (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rdnr. 645). Hier handelt es sich indes um einen Verpflichtungswiderspruch; denn die Antragstellerin erstrebt einen sie begünstigenden Verwaltungsakt. Selbst eine „isolierte Anfechtung“ des Ablehnungsbescheides vom 6. April 2016 führte nicht zu dem von der Antragstellerin verfolgten Ziel. Denn diese Anfechtung der Ablehnung suspendiert nach der herrschenden „Vollziehungstheorie“ die für § 145 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB ausreichende „Wirksamkeit“ der ablehnenden Entscheidung nicht. Als Grund, welcher die „Wirksamkeit“ eines Verwaltungsaktes hemmt oder hindert, ist der Suspensiveffekt weder in § 43 Abs. 2 noch in § 44 VwVfG aufgeführt. Dementsprechend kann die Anfechtung eines Ablehnungsbescheides grundsätzlich, d. h. bei jedweder Art der Ablehnung nicht zur Folge haben, dass der abgelehnte Bescheid vorläufig doch als erteilt gilt. Die aufschiebende Wirkung kann mit anderen Worten die Rechtsstellung des Betroffenen nicht vorläufig erweitern. Sie kann ihn nur einstweilen davor bewahren, dass vorhandene Rechtspositionen geschmälert werden. Darum geht es der Antragstellerin indes nicht.

Dieses Ergebnis folgt auch aus Sinn und Zweck der Genehmigungsfiktion. Sie soll die Behörde erkennbar dazu zwingen, innerhalb zumutbarer Frist über den Antrag zu entscheiden. Folgte man dagegen der Ansicht der Antragstellerin, so gäbe sie dem Bürger faktisch die zusätzliche Möglichkeit, durch bloße Rechtsbehelfseinlegung eine Genehmigung zu erhalten; denn auf den Abschluss eines Widerspruchs- und Klageverfahrens ist die Frist selbst unter Berücksichtigung der Verlängerungsmöglichkeit des § 22 Abs. 5 Satz 3 BauGB erkennbar nicht ausgelegt. Der Behörde würde die Initiativlast auferlegt, durch Anordnung des Sofortvollzugs unter den erschwerten Bedingungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO den Urzustand – keine Genehmigung – wiederherzustellen. Hätte der Gesetzgeber dieses Lastengefüge angestrebt, so hätte er auf das Genehmigungsverfahren ganz verzichten und ein Anzeigeverfahren vorsehen können. Das hat er aber nicht getan.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat zieht zur Bemessung des Interesses der Antragstellerin am Zustandekommen des Kaufvertrages Nr. 14 b seiner Streitwertannahmen ab dem 1.1.2002 (NordÖR 2002, 197 = NdsVBl. 2002, 192) entsprechend heran. Danach ist dieses Interesse mit einem Viertel des Kaufpreises - hier 15.000,- € - zu veranschlagen. Der daraus resultierende Streitwert von 3.750,- € war nicht mit Blick auf den vorläufigen Charakter des begehrten Rechtsschutzes zu reduzieren, da dieser die Hauptsache vorweggenommen hätte. Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts passt der Senat nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG an.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).