Landgericht Oldenburg
Urt. v. 06.11.2006, Az.: 4 O 1149/06

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
06.11.2006
Aktenzeichen
4 O 1149/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 43641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2006:1106.4O1149.06.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Oldenburg - 22.05.2007 - AZ: 9 U 49/06
BGH - 12.02.2008 - AZ: VI ZR 154/07

In dem Rechtsstreit

...

wegen Zahlung

hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 25.09.2006 durch den Richter am Landgericht ... als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt weiteren Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalles, der sich am 21.8.1997 ereignet hat.

2

Die Parteien schlössen am 8.12.2000 einen Abfindungsvergleich, aufgrund dessen der Kläger aus Anlass des vorgenannten Schadensfalles endgültig und vorbehaltlos durch Zahlung eines Betrages in Höhe von insgesamt 750 000 DM abgefunden wurde.

3

Der Kläger trägt vor, dass beide Parteien bei Abschluss des Vergleiches davon ausgingen, dass der Kläger bis zu seinem Tode Landesblindengeld erhalte. An den Kläger wurde bis Dezember 2003 ein Landesblindengeld in Höhe von 510 € pro Monat, bis Dezember 2004 in Höhe von 409 € pro Monat gezahlt. Ab Januar 2005 erhielt der Kläger kein Landesblindengeld mehr.

4

Der Kläger behauptet, bei Abschluss des Abfindungsvergleiches seien beide Parteien davon ausgegangen, dass der Kläger bis zu seinem Tode das Landesblindengeld erhalte. Der Kläger begehrt Landesblindengeld wie folgt:

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6
7

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 9 372,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an den Kläger zukünftig beginnend mit Mai 2006 monatlich 510 € zu zahlen.

8

Die Beklagten beantragen,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Die Beklagten sind der Ansicht, dass der Beklagte zu 1) am Vergleich nicht beteiligt und damit nicht passivlegitimiert sei. Sie berufen sich auf Verjährung. Im übrigen sei nicht Grundlage des Vergleiches gewesen, dass die Parteien davon ausgingen, der Kläger werde bis zu seinem Tode das Landesblindengeld erhalten.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist nicht begründet.

12

Der Kläger ist nicht berechtigt, eine Anpassung des am 8.12.2000 geschlossenen Abfindungsvergleiches zu verlangen.

13

Der Beklagte zu 1) ist passivlegitimiert, da die Beklagte zu 2) den Abfindungsvergleich auch im Namen und damit für den Beklagten zu 1) geschlossen hat.

14

In einem Abfindungsvergleich trifft der Geschädigte mit dem Schädiger beziehungsweise dessen Haftpflichtversicherer eine Vereinbarung über seine Ersatzansprüche. In dieser erklärt sich der geschädigte typischerweise auch wegen etwaiger künftiger Ansprüche aus dem Schadensereignis für abgefunden. Probleme treten regelmäßig dann auf, wenn in der Person des Geschädigten schwere unvorhersehbare Spätschäden eintreten oder sich - wie hier - sonst wirtschaftliche Rahmenbedingungen ändern.

15

Es liegt im Wesen eines Abfindungsvergleichs, der die Kapitalisierung zukünftig fällig werdender Leistungen beinhaltet, dass er mehr als eine technischmathematische Zusammenfassung der Ansprüche darstellt. Wer eine Kapitalabfindung gewählt hat, nimmt das Risiko in Kauf, dass maßgebliche Berechnungsfaktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen. Die Entscheidung für eine Kapitalabfindung wird er trotzdem dann treffen, wenn es ihm vorteilhaft erscheint, alsbald einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben. Andererseits will und darf sich der Schädiger darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung, die gerade auch zukünftige Entwicklungen einschließen soll, die Sache für ihn ein für alle Mal erledigt ist. Zu diesen in Kauf genommenen Risiken, deren Realisierung nicht zu einer Anpassung nach den Prinzipien der Störung der Geschäftsgrundlage führt, gehören auch Änderungen in Leistungsstrukturen, in die der geschädigte im Verhältnis zu Dritten eingebettet ist. Sind diese Leistungsverhältnisse bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs nur als Positionen gesehen worden, kommt es nicht darauf an, ob die Parteien mögliche Änderungen in ihre Vorstellungen miteinbezogen haben oder nicht. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um Änderungen handelt, die so überraschend sind, dass sie von den Parteien bei Vergleichsschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können. Um derartige Änderungen handelt es sich bei der Kürzung und Wegfall des Landesblindengeldes nicht.

16

Eine Anpassung des Abfindungsvergleiches nach den einzig in Betracht kommenden Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn die Kürzung und der Wegfall des Landesblindengeldes stellt keine Änderung der Verhältnisse dar, die so überraschend sind, dass sie von den Parteien bei Vergleichsschluss weder ihrer Art noch in ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können. Hierfür spricht vor allem der Charakter des Landesblindengeldes. Es gewährt den Blinden unabhängig von ihrem Einkommen und Vermögen finanzielle Unterstützung. Angesichts der mit der Erblindung einhergehenden schweren Belastung hat es der Gesetzgeber für gerechtfertigt gehalten, von einer Berücksichtigung der sonstigen wirtschaftlichen und finanziellen Situation des Blinden abzusehen. Er ist damit bewusst über die Voraussetzungen der nach sozialhilferechtlichen Vorschriften geleisteten Blindenhilfe hinausgegangen. Weil das Landesblindengeld sozialrechtliche Ansprüche nicht berührt, sondern unabhängig davon gemäß § 3 Absatz 1 Niedersächsisches Landesblindengeldgesetz bei Anrechnung derartiger Leistungen gezahlt wird beziehungsweise wurde, greift dessen Wegfall nicht in sozialstaatsrechtlich geschützte Positionen ein ( OLG Oldenburg, Urteil vom 30.6.2006, Az. 6 U 38/06 ). Die Kürzung und der Fortfall des Landesblindengeldes aufgrund fiskalischer Zwänge stellen zwar einen deutlich spürbaren Einkommensverlust dar, haben nach Auffassung des Gerichts jedoch die Grenze zur Unzumutbarkeit noch nicht überschritten. Denn der Kläger hat über einen nicht unerheblichen Zeitraum, nämlich über drei Jahre das volle und über ein Jahr das reduzierte, Landesblindengeld bezogen.

17

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Streitwert: 33 852,- € (Antrag zu 1): 9 372,- €; zu 2): 24 480,- € (§ 17 II GKG ./. 20 % wegen Feststellungsantrag)).