Landgericht Oldenburg
Urt. v. 05.04.2006, Az.: 5 O 4261/04
Aufsetzen; Gefahrsituation; Geschwindigkeit; Haftung; Kanaldeckel; Passieren; Pflichtverletzung; Risiko; Sachverständigengutachten; Sachverständiger; Schadensfall; Straße; Straßensicherungspflicht; tiefergelegter PKW; Unterhaltspflichtiger; verkehrsberuhigte Straße; Verkehrssicherheit; Verkehrssicherungspflicht; Verkehrsweg; Überfahren
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 05.04.2006
- Aktenzeichen
- 5 O 4261/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53208
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer Verletzung von Verkehrspflichten in Anspruch.
Am 27.06.2003 befuhr der Kläger mit seinem tiefergelegten VW Lupo … die im Bereich der Beklagten gelegene gepflasterte Straße E.. Nach seiner Behauptung setzte das Fahrzeug auf einem dort befindlichen Kanaldeckel auf und wurde beschädigt.
Mit der Klage verlangt der Kläger auf der Basis eines Gutachtens Ersatz der Sachschäden, die Gutachterkosten, Nutzungsausfall und eine Schadenspauschale.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.648,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 27.08.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Zustand der Straße ordnungsgemäß sei; ähnliche Schadensfälle seien nicht gemeldet worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Phys. Sch. vom 11.11.2005 (Bl. 84 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Nach der Beweisaufnahme ist erwiesen, dass sich ein vom Kläger in Kauf genommenes Risiko verwirklicht hat, während der Beklagten keine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist.
Nach § 10 Abs. 1 des Niedersächsischen Straßengesetzes obliegen der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Straßen einschließlich der Bundesfernstraßen sowie die Überwachung ihrer Verkehrssicherheit den Organen und Bediensteten der damit befaßten Körperschaften als Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit. Diese öffentlichrechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGHZ 60, 54 = NJW 1973, 460; Kodal, StraßenR, 3. Aufl., S. 999). Ihr Umfang wird dabei von der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfaßt die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Straßenbenutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes.
Dabei kann eine mit zumutbaren Mitteln nicht erreichbare völlige Gefahrlosigkeit nicht verlangt werden (Sörgel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 823 RN 195 mwNw.; Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozeß, 23. Aufl., 14. Kap. RN 37).
Daraus folgt, dass der Unterhaltspflichtige nicht eine in jeder Hinsicht gefahrlos benutzbare Straße zu gewährleisten hat.
Bei der auf 30 km/h beschränkten E. handelt es sich nicht um eine Straße für hohe Geschwindigkeiten oder um eine Rennstrecke für Sportwagen. Sie muß demgemäß so ausgerichtet sein, dass sie mit Fahrzeugen schadlos benutzt werden kann, mit denen üblicherweise zu rechnen ist. Dazu gehören auch tiefer gelegte PKW (BGH NJW 91, 2824).
Eine Straße braucht aber auf tiefer gelegte Fahrzeuge nicht in jeder Form, in jedem Zustand und bei jeder Gelegenheit ausgerichtet zu sein. Da eine völlige Gefahrlosigkeit nicht gefordert werden kann, führen Extremsituationen nicht zu einer Haftung.
Der Sachverständige hat ermittelt, dass durch Senken in der Straße der Kanaldeckel beim Passieren eines PKW an einer Stelle bis zu 6 cm hoch steht. Im Klartext bedeutet das, dass ein Fahrzeug mit einer auch während des Betriebes verbleibenden Bodenfreiheit von 6,1 cm keine Schäden erleidet.
Das Fahrzeug des Klägers ist um 4 cm tiefer gelegt und so durch den TÜV abgenommen worden. Es weist in diesem Zustand noch eine Bodenfreiheit von 80 - 81 mm auf. Das entspricht auch den technischen Empfehlungen für die Grenzen einer Tieferlegung. In diesem Zustand hätte das Fahrzeug des Klägers den fraglichen Kanaldeckel schadlos überqueren können.
Der Sachverständige Sch. hat aber weiter ermittelt, dass es sich bei diesem Maß um ein nicht beladenes Fahrzeug handelt. Wenn sich der Kläger in das Fahrzeug hineinsetzt, was zum Führen des Autos selbstredend erforderlich ist, reduziert sich die Bodenfreiheit um 3 - 4 mm. Der Lupo hätte dann immerhin noch eine Bodenfreiheit von 76 - 78 mm gehabt, deutlich mehr als im Fall, welchen der BGH (aaO.) mit 70 mm Bodenfreiheit entschieden hat.
Die Versuche des Sachverständigen haben weiter ergeben, dass auch mit einer zweiten, relativ schweren Person die Bodenfreiheit noch 68 - 69 mm betrug. Das bedeutet, dass in diesem Zustand das Fahrzeug immer noch nicht aufgesetzt hätte.
Der Unfall ist daher nur dadurch erklärlich, dass die Zuladung entweder noch größer gewesen war und/oder der Kläger das Fahrzeug genau im Bereich des Kanaldeckels herzhaft abgebremst haben mußte und/oder der Reifendruck ungenügend war.
Die Kammer folgt diesen Feststellungen des ihr aus einer Vielzahl überzeugender Gutachten als kompetent bekannten Sachverständigen, dessen Ausführungen zudem von den Parteien auch nicht beanstandet wurden.
Auf diese Anhäufung von nachteiligen Umständen muß eine gewöhnliche innerörtliche Straße nicht ausgerichtet sein. Es hat sich vielmehr ein Risiko verwirklicht, welches der Kläger mit der Tieferlegung und zusätzlichen Gewichtsbelastung und/oder Bremsen eingegangen ist.
Die Kammer befindet sich mit dieser Entscheidung im Rahmen vergleichbarer Gerichtsurteile.
So hat das OLG Dresden (DAR 2001, 213 [OLG Dresden 20.12.2000 - 6 U 1889/00]) eine Haftung der Gemeinde angenommen, weil eine Bordsteinkante, die auf einem Parkplatz überquert werden mußte, mehr als 11 cm hoch war. Bei diesem Maß handelt es sich um Empfehlungen für den ruhenden Verkehr. Das ist hier zwar nicht einschlägig, zeigt aber, dass Parkplätze nicht für tiefer gelegte Autos beschaffen sein müssen.
Das OLG Celle (MDR 2000, 156 [OLG Celle 26.05.1999 - 9 U 253/98]) hat eine Aufpflasterung von 8 - 10 cm Höhe, die im Einklang mit den einschlägigen Empfehlungen in Bezug auf die Länge und die Anrampung erstellt worden war, nicht beanstandet, als ein tiefer gelegtes Fahrzeug zu Schaden kam.
Das OLG Hamm (OLGR Hamm 2000, 87) hat den Führer eines tiefer gelegten Autos für verpflichtet gehalten, einerseits besonders aufmerksam und vorsichtig zu fahren, anderseits ihm das Risiko aufgebürdet, wenn durch eine Mulde vor einem im Niveau 12 cm höher liegenden Kanaldeckel und einem seitlichen Fahrbahngefälle durch das Einfedern das Fahrzeug mit der Ölwanne auf einem 1 cm aus der Fahrbahn herausragenden Kanaldeckel aufsetzt. Das OLG hat zur Begründung ausgeführt, dass derjenige, der einen serienmäßigen BMW mit einer Bodenfreiheit von 147 mm entgegen der Empfehlung des Herstellerwerkes von nur 25 mm um 60 mm auf nur noch 87 mm absenkt, eine nicht ganz planebene Straße nur unter Anwendung äußerster Sorgfalt, im dortigen Fall mit einer Geschwindigkeit von unter 10 km/h befahren darf.
Zwar ist aus der Entscheidung des OLG Hamm nicht zu entnehmen, ob die Bodenfreiheit durch das Gewicht von Insassen noch weiter gemindert wurde. Es ist aber zu erkennen, welches enorme Risiko der Kläger mit seiner Tieferlegung eingegangen ist.
Der Sachverständige Sch. hat detailliert ausgeführt, dass der TÜV und die beratenden Gremien des Bundesverkehrsministeriums eine Empfehlung herausgegeben haben, wonach die Bodenfreiheit so groß sein sollte, dass ein 80 cm breites und 11 cm hohes Hindernis überfahren werden kann. Davon ist der Lupo des Klägers weit entfernt. Mit der extremen Tieferlegung verbunden mit einer hohen Zuladung, ungenügendem Reifendruck und Bremsmanövern im Bereich eines Kanaldeckels hat sich ein Risiko verwirklicht, das der Kläger und nicht der Straßenunterhaltspflichtige zu tragen hat.
Bei dieser Ausgangslage besteht auch keine Haftung nach dem HaftPflichtG. Soweit Schäden durch Kanaldeckel hervorgerufen werden, haftet grundsätzlich der Betreiber einer Kanalisationsanlage, zu der auch die Kanaldeckel zu zählen sind, für diejenigen Schäden, die auf das Vorhandensein dieser Anlage zurückzuführen sind (BGH WM 95, 1766 [BGH 29.06.1995 - III ZR 196/94]). Eine Haftung insoweit ist jedoch nach § 2 Abs. 1 S. 2 HaftpflichtG ausgeschlossen, wenn sich die Anlage in einem ordnungsgemäßen Zustand befindet.
Bei einem herausstehenden Kanaldeckel ist der Zustand ordnungsgemäß, wenn in dem vergleichbaren Fall eine Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht zu verneinen ist, weil der Zustand der Straße trotz vorhandener Unebenheiten noch als verkehrssicher einzustufen ist (BGH aaO). Das ist hier der Fall. Der Kanaldeckel wäre beispielsweise von einem serienmäßigen Fahrzeug - wie der Sachverständige getestet hat -, auch dem Lupo des Klägers im serienmäßigen Zustand, als auch von einem nach den Empfehlungen des Herstellerwerkes von einem auf 122 mm abgesenkten BMW schadlos bewältigt worden.
Die Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 91, 708 Ziff. 11, 711 ZPO.