Landgericht Oldenburg
Urt. v. 08.12.2006, Az.: 13 O 1896/06

Verpflichtung zur Leistung aus einer Fahrzeugversicherung wegen eines behaupteten Fahrzeugdiebstahls; Entfallen des Versicherungsschutzes wegen grob fahrlässigen Herbeiführens eines Versicherungsfalls; Nichtabsicherung eines Fahrzeugs im öffentlichen Verkehrsraum aufgrund eines spontanen Entschlusses zur Hilfe eines anderen Verkehrsteilnehmers

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
08.12.2006
Aktenzeichen
13 O 1896/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 32079
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2006:1208.13O1896.06.0A

In dem Rechtsstreit
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 27.10.2006
durch
den Richter am Landgericht xxx,
die Richterin am Landgericht xxx und
den Richter am Landgericht xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.793,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2006 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung zur Leistung aus einer Fahrzeugversicherung wegen eines behaupteten Fahrzeugdiebstahls insbesondere über die Frage, ob der Kläger den Diebstahl grob fahrlässig ermöglicht hat.

2

Der Kläger war Leasingnehmer des Fahrzeuges Mercedes Benz ML 320 Limited mit dem Kennzeichen xxx Das Fahrzeug war bei der Beklagten zur Versicherungsnummer xxx mit einer Selbstbeteiligung von 150,00 EUR vollkaskoversichert. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) zugrunde.

3

Der Kläger fuhr mit dem PKW am 7.02.2006 in Delmenhorst von der Friedrich-Ebert-Allee in die Lutherstraße. Vor ihm stand das Fahrzeug des Zeugen xxx, welches die Warnblinkanlage angeschaltet hatte.

4

Der Kläger behauptet, er sei spontan ausgestiegen um dem Zeugen xxx zu helfen, habe diesen gefragt, ob er ihn anschieben solle, habe den PKW geschoben und der Zeuge xxx habe sein Fahrzeug nach rechts in die Schulstraße gelenkt. Dort habe er sein Fahrzeug auf einem Seitenstreifen abgestellt. Plötzlich habe der Kläger sein eigenes Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahren sehen. Unstrittig hat der Kläger beim Aussteigen seinen Autoschlüssel im Zündschloss stecken lassen.

5

Der Schaden beträgt unter Abzug der vereinbarten Selbstbeteiligung nunmehr unstrittig 13.793,72 EUR. Der Kläger zahlte Anfang Oktober die Restforderungen der Leasinggesellschaft in Höhe von insgesamt 16.247,80 EUR.

6

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 13.793,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2006 zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Die Beklagte beruft sich auf ihre Leistungsfreiheit gem. § 61 WG. Sie meint insoweit, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, indem er den Zündschlüsse! im Zündschloss habe stecken lassen.

9

Im übrigen sei auch das äußere Bild des Diebstahls nicht nachgewiesen. Die Beklagte verweist insoweit auf aus ihrer Sicht gegebene Ungereimtheiten. Es wird auf die Schriftsätze vom 14.09.2006 und 01.12.2006 verwiesen.

10

Das Gericht hat durch Vernehmung des Zeugen xxx Beweis erhoben. Es wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.10.2006 verwiesen.

11

Die Akten UJs 2006 00 174 316 der Staatsanwaltschaft Oldenburg lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat aufgrund des Versicherungsvertrages in Verbindung mit § 12 Nr.1.l.b AKB einen Anspruch auf Ersatz des durch die Entwendung seines Fahrzeuges entstandenen Schadens in Höhe von unstrittig 13.793,72 EUR. Die Aktivlegitimation ist nach Zahlung an die Leasinggesellschaft nicht mehr strittig. Der Kläger hat den Nachweis des äußeren Anscheins eines Diebstahls geführt und der Versicherungsschutz entfällt auch nicht gem. § 61 VVG. Im Einzelnen gilt Folgendes:

13

I.

1.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass der Kläger am 7.02.2006 in Delmenhorst von der Friedrich-Ebert-Allee in die Lutherstraße gefahren ist, als vor ihm das Fahrzeug des Zeugen ... mit eingeschalteter Warnblinkanlage gestanden hat. Der Kläger hat sodann hinter diesem Fahrzeug gehalten, ist ausgestiegen und hat den PKW des Zeugen angeschoben, wobei dieser nach rechts abgebogen ist um sein Fahrzeug in der Schulstraße auf dem Seitenstreifen abzustellen. Während dieses Geschehens haben unbekannte Dritte den PKW entwendet. Insoweit hat der Kläger das äußere Bild eines Diebstahls bewiesen.

14

Die Feststellungen ergeben sich aus den in diesen Punkten übereinstimmenden Angaben des Zeugen ... und den Angaben des persönlich angehörten Beklagten. So hat der Zeuge xxx ebenso wie der Kläger angegeben, dass er in der Lutherstraße mit Warnblinkanlage gestanden hat. Auch den Vorgang des Anschiebens hat er übereinstimmend mit dem Kläger geschildert. Die Aussage stimmt auch im Wesentlichen mit der Aussage aus der polizeilichen Ermittlungsakte überein. Der Zeuge erschien auch in jeder Hinsicht glaubwürdig. Er ist am Rechtsstreit nicht beteiligt und hat ersichtlich nur das angegeben, was er selbst wahrgenommen hat.

15

2.

Der entsprechend den obigen Ausführungen geführte Beweis des äußeren Bildes des Diebstahls ist ausreichend. Mehr kann vom Kläger hier nicht verlangt werden, denn Anhaltspunkte dafür, dass hier von einem unredlichen Versicherungsnehmer auszugehen ist, liegen nicht vor. Soweit hier die Beklagte auf Widersprüche in der Darstellung des Ablaufes der Fahrt, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob der Kläger erst zur Apotheke gefahren ist oder sich noch auf dem Weg dorthin befunden hat, beruft, ist dies nicht ausreichend. Entsprechendes gilt für die Angabe des Koches gegenüber der Polizei, der Kläger sei nach dem Vorfall nicht wieder in das Restaurant zurückgekehrt. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass hier ein vorgetäuschter Versicherungsfall mehr als unwahrscheinlich ist. Der Zeuge xxx und auch der Vater des Zeugen haben den Kläger vor dem Vorfall nicht gekannt. Insoweit ist der Kläger rein zufällig hinter dem Fahrzeug des Zeugen zum Stehen gekommen, als dieser einen Defekt am Fahrzeug hatte. Die Unmöglichkeit, einen Dritten zeitlich abgestimmt für diesen Fall mit der Entwendung des Fahrzeuges zu beauftragen, liegt auf der Hand. Weiter hat die Kammer berücksichtigt, dass ein Motiv für einen vorgetäuschten Versicherungsfall nicht ersichtlich ist. Der Kläger hat den Leasingvertrag auf erste Anforderung der Leasinggesellschaft abgelöst. Finanzielle Schwierigkeiten als Motiv für mögliche Betrugshandlungen scheiden hier offensichtlich aus.

16

II.

Der Kläger hat den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig im Sinne von § 61 WG herbeigeführt, denn es fehlt insbesondere an der auch subjektiv erforderlichen Unentschuldbarkeit des Verhaltens des Klägers.

17

Nach der allgemeinen Definition handelt grob Fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders groben Maße außer acht lässt. Dabei muss weiter die Wahrscheinlichkeit des Schadens - und zwar des konkret eingetretenen Schadens -offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe liegt, ein anderes Verhalten zur Vermeidung des Versicherungsfalles in Betracht zu ziehen. Auch subjektiv muss ein gesteigertes Verschulden vorliegen, das die Handlungsweise unentschuldbar macht (Prölls/Martin WG, § 61 Rdn.12 mit weiteren Nachweisen).

18

Nach der obigen Definition ist es zwar auch nach Auffassung der Kammer grundsätzlich grob fahrlässig, wenn ein PKW in öffentlichem Verkehrsraum ungesichert mit steckendem Schlüssel abgestellt wird, sei es auch nur für kurze Zeit. In allen Fällen, in welchen dieses für private Besorgungen, wie beispielsweise kurze Telefonate, Brötchenholen, Zigaretten kauf am Automaten oder für das Einwerfen eines Briefes geschieht, dürfte auch die subjektive Komponente der groben Fahrlässigkeit vorliegen.

19

Die genannten Fälle unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt vom hier zu entscheidenen Fall. Bei der Handlung des Klägers hat es sich um einen spontanen Entschluss in einer zunächst nicht vorhersehbaren Situation. Im Vordergrund stand die Absicht, dem Zeugen ... zu helfen. Wenn in dieser Situation der Kläger vergisst, das Auto zu sichern, handelt es sich nicht um eine unentschuldbare Handlungsweise. Anders bei den obigen Beispielen, bei welchen es sich um vollständig vom Versicherungsnehmer geplante Handlungen handelt, die vorhersehbar sind. Die dann unterbliebene Sicherung des Fahrzeuges beruht auf einer generellen Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit, die auch nicht entschuldbar ist. In Fällen, in denen der Versicherungsnehmer das Fahrzeug spontan verlässt um einem Dritten zu helfen, kann aber gerade diese Gedankenlosigkeit und auch eine generelle Nachlässigkeit nicht festgestellt werden. Es handelt sich um eine Unterlassung, die auch dem sonst vorsichtigen Versicherungsnehmer einmalig passieren könnte, da er gedanklich bereits bei der bevorstehenden Hilfeleistung ist.

20

III.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges ab der endgültigen Leistungsverweigerung durch die Beklagte mit Schreiben vom 27.04.2006 (§ 286 Abs.2 Nr. 3 BGB) und die Höhe des Zinssatzes aus § 288 Abs.1 BGB.

21

Die prozessualen Nebenentscheidungen erfolgen gem. §§ 91, 709 ZPO.