Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 27.02.2006, Az.: 9 T 137/06

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
27.02.2006
Aktenzeichen
9 T 137/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 43649
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2006:0227.9T137.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Oldenburg/Oldenburg - AZ: E7 C 7040/06

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg am 15.02.2006

beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts Oldenburg vom 24.01.2006 aufgehoben.

    Gemäß §§ 935, 940, 937, 936 ZPO, § 315 Abs. 3 BGB wird unter Bezugnahme auf die angeheftete Antrags- und Beschwerdeschrift nebst Anlagen, deren Tatsachenbehauptungen glaubhaft gemacht worden sind und deren rechtliche Würdigung zutrifft, im Wege einer einstweiligen Verfügung wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO angeordnet:

    Der Antragsgegnerin wird untersagt, die unter der Vertragsnummer ... erfolgende Gasversorgung der Wohnung der Antragstellerin in der ... zu sperren, bis sie den Nachweis der Angemessenheit ihrer Gebührenerhebung der Antragstellerin offen gelegt hat.

    Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird dem Schuldner Ordnungsgeld bis zu 250.000,- EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

    Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Der Streitwert wird auf bis zu 400,- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung zugunsten der Antragstellerin mit der Begründung abgelehnt, dass sie nach den AGB der Antragsgegnerin auf ein Rückforderungsrecht verwiesen sei und nicht selbst den Gaspreis nach eigenem Gutdünken festsetzen könne.

2

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO), insbesondere ist auch die Beschwer ausreichend, da § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen des Fehlens einer mündlichen Verhandlung keine Anwendung findet (Zöller-Vollkommer, § 922 Rn. 13).

3

Die Beschwerde ist auch begründet, denn der Klägerin stehen ein Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund zu, § 940 ZPO.

4

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes trifft das Versorgungsunternehmen die Darlegungs- und Beweislast für die Billigkeit der Ermessensausübung bei Festsetzung des Leistungsentgeltes (§ 315 Abs. 3 BGB) dann, wenn das Versorgungsunternehmen hieraus Ansprüche gegen die andere Partei erhebt (BGH NJW 2003, 3131 ff.). Dieser Fall liegt hier vor, denn die Antragstellerin wendet sich gegen eine von der Antragsgegnerin zum 01.09.2004 vorgenommenen Preiserhöhung um über 11 % und wendet ein, diese einseitige Preiserhöhung sei unbillig, weshalb sie nur einen um 2 % erhöhten Abschlagsbetrag leisten werde. Dieser Einwand ist zulässig.

5

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ergibt sich auch nichts anderes aus der Regelung des § 30 AVBGasV, nach welcher Einwände gegen Rechnungen und Abschlagszahlungen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur berechtigen, "soweit sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen". Das Bestreiten der Billigkeit der Preisbestimmung des Versorgungsunternehmens wird davon nicht erfasst (BGH a.a.O.). Denn der von einem Kunden eines Versorgungsunternehmens erhobene Einwand der Unbilligkeit der Preisbestimmung nach § 315 BGB betrifft nicht Rechen- und Ablesefehler oder andere Abrechnungsgrundlagen, sondern die Leistungspflicht des Kunden, der im Falle der Unangemessenheit des verlangten Preises von Anfang an nur den vom Gericht bestimmten Preis schuldet, § 315 Abs. 3 BGB (BGH a.a.O.). Die Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB hat zur Folge, dass die vom Versorgungsunternehmen angesetzten Tarife für den Kunden nur verbindlich sind, wenn sie der Billigkeit entsprechen, § 315 Abs. 3 S. 1 BGB. Entspricht die Tarifbestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie, sofern das Versorgungsunternehmen dies beantragt, ersatzweise im Wege der richterlichen Leistungsbestimmung durch Urteil getroffen. Erst diese vom Gericht neu festgesetzten Tarife sind für den Kunden verbindlich und erst mit der Rechtskraft dieses Gestaltungsurteils wird die Forderung des Versorgungsunternehmens fällig und kann der Kunde in Verzug geraten (BGH v. 05.07.2005 Az.: X ZR 60/04).

6

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist die Antragstellerin daher nicht darauf beschränkt, die Einrede der unbilligen Leistungsbestimmung im Rahmen eines Rückforderungsprozesses geltend zu machen (vgl. BGH 05.07.2005 Az.: X ZR 60/04-S.8), denn - wie ausgeführt - ist die Einrede der unbilligen Tarifsetzung vom sachlichen Anwendungsbereich des § 30 AVBGasV gerade nicht erfaßt (BGH NJW 2003, 3131 ff.). Eine Rechtfertigung, dem Versorgungsunternehmen darüber hinaus die Befugnis zuzugestehen, zunächst eine unter Umständen gar nicht geschuldete Leistung zu vereinnahmen und den Abnehmer auf einen Rückforderungsprozess zu verweisen ist nicht zu erkennen (BGH v. 05.07.2005 Az.: X ZR 60/04 -S. 18).

7

Ein die Einstellung der Energielieferung rechtfertigender Rückstand ist daher nicht gegeben.

8

Aber auch wenn man in beiden Punkten abweichend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Unbilligkeitseinrede als von § 30 AVBGasV als erfaßt ansehen und diese dann für wirksam erachten würde, widerspricht es Treu und Glauben und wäre unverhältnismäßig, § 242 BGB, wenn die Antragsgegnerin allein wegen des Einbehalts nur eines Teils der von ihr angesetzten Tariferhöhung die Energielieferung ohne weitere Aufklärung über die Grundlagen der Erhöhung und deren Billigkeit einfach einstellt. Dies gilt umso mehr als bereits bei der Kammer eine Sammelklage gegen die Billigkeit der Tariffestsetzung durch die Antragsgegnerin anhängig ist, in deren Verlauf eine endgültig Klärung über die Billigkeit der durch die Antragsgegnerin vorgenommenen Leistungsbestimmung zu erwarten ist.

9

Die bereits erfolgte Sperrandrohung durch die Antragsgegnerin stellt einen hinreichenden Verfügungsgrund dar.

10

Die Anordnung des Ordnungsgeldes erfolgt aus § 890 Abs. 2 ZPO.

11

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 3 und 91 ZPO.