Landgericht Oldenburg
Urt. v. 07.09.2006, Az.: 1 S 861/05

Anfechtbarkeit von Gutschriften; Annahme eines Bargeschäfts; Erfüllungswirkung einer Gutschrift; Antizipierte Genehmigung von Lastschriftbuchungen durch Schweigen; Begriff "Verfügung"

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
07.09.2006
Aktenzeichen
1 S 861/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 33529
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2006:0907.1S861.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wildeshausen - 04.11.2005 - AZ: 4 C 236/05 (IV)

Fundstellen

  • NZI 2007, 53-55 (Volltext mit red. LS)
  • NZI (Beilage) 2007, 30 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Insolvenzanfechtung

In dem Rechtsstreit
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 24.08.2006
am 07.09.2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Petirsch-Boekhoff,
den Richter am Landgericht Deuster und den Richter Walter
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.11.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wildeshausen geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.389,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.227,45 EUR seit dem 03.09.2003 sowie aus weiteren 162,50 EUR seit dem 23.06.2005 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Beurteilung der Kammer liegen nach § 540 Abs. 1 ZPO die tatsächlichen Feststellungen zugrunde, wie sie in dem angefochtenen Urteil enthalten sind.

2

Erstinstanzlich ist die Klage mit der Begründung abgewiesen worden, dass es sich bei den Geschäften der Beklagten mit der Insolvenzschuldnerin um Bargeschäfte im Sinne von § 142 InsO gehandelt habe, und dass die aufgrund dessen bestehenden subjektiven Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO nicht gegeben seien.

3

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.389,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.227,45 EUR seit dem 03.09.2003 sowie aus weiteren 162,50 EUR seit dem 23.06.2005 zu zahlen.

4

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

5

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, und begründet.

6

Dem Kläger steht die Rückgewähr des der Beklagten im Wege des Lastschriftverfahrens gutgeschriebenen Betrages in Höhe von 3.227,45 EUR aus §§ 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 143 Abs. 1 InsO, §§ 818 Abs. 2 und 4, 819 Abs. 1 BGB zu.

7

Die Gutschriften sind nach § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Den Zahlungen liegen keine Bargeschäfte im Sinne des § 142 InsO zugrunde, so dass es nicht auf die gesteigerten subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO ankommt.

8

Ein Bargeschäft stellt nach dem Parteiwillen, der Verkehrsanschauung und der tatsächlichen Abwicklung ein einheitliches Ganzes dar. Deshalb muss zwischen Leistung und Gegenleistung ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen. Grundsätzlich ist ein sofortiger Leistungsaustausch zu verlangen. Es ist aber anerkannt, dass einer geringen zeitlichen Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung keine rechtserhebliche Bedeutung zukommt. Eine exakte allgemeine Festlegung dieses für die Annahme eines Bargeschäfts unschädlichen Zeitraums ist nicht möglich (Kreft, in: Eickmann/u.a., InsO, 4. Aufl., § 142 Rn. 5).

9

Die Leistungen der Beklagten, Putenfleischlieferungen, erfolgten am 13. und am 18.08.2004. Ein Bargeschäft könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn die Gegenleistung in der Einreichung und Gutschrift der Lastschriften vom 02.09.2003 läge. Ausgehend von der durch den BGH vertretenen Genehmigungstheorie ist das aber nicht der Fall, denn die Gutschrift bewirkt nicht die Erfüllung. Der Gläubiger hat beim Lastschriftverfahren auch nach der Gutschrift auf seinem Konto und der Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto immer noch lediglich den schuldrechtlichen Anspruch auf Erfüllung seiner Forderung. Der Anspruch ist nach der Gutschrift darauf gerichtet, dass der Schuldner die Belastungsbuchung genehmigt. Bevor der Schuldner die Genehmigung nicht erklärt hat, ist die zur Einziehung gegebene Forderung nicht erfüllt (BGH NJW 2005, 675 (676) [BGH 04.11.2004 - IX ZR 22/03]).

10

Eine zeitnahe Genehmigung der Lastschriften ist nicht erfolgt. Die Genehmigung muss ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Das Schweigen auf zugegangene Rechnungsabschlüsse gilt grundsätzlich nicht als Genehmigung (BGH NJW 2005, 675 (676) [BGH 04.11.2004 - IX ZR 22/03]). Soweit die Beklagte meint, dass abweichend davon aufgrund einer kaufmännischen und rechtlichen Gesamtwürdigung der Geschäfte eine antizipierte Genehmigung durch Schweigen bereits darin zu sehen sei, dass die Insolvenzschulderin jeweils im Zeitraum von 7 Tagen keinen Widerruf erklärt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Die Vereinbarung einer entsprechenden Befristung des Widerrufsrechts der Insolvenzschuldnerin ist von der Beklagten nur pauschal vorgetragen worden. Angaben zum konkreten Inhalt einer solchen Vereinbarung fehlen. Es ist weiter nicht vorgetragen worden, wann und zwischen welchen Personen eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden sei. Im Übrigen kann aus den Umständen der Geschäftsbeziehung nicht auf eine antizipierte Genehmigung der Lastschriftbuchungen durch Schweigen geschlossen werden. Die Warenlieferungen der Beklagten an die Insolvenzschulderin stellen auch bei Berücksichtigung der durch die Verderblichkeit der Waren bedingten Besonderheiten eine typische Geschäftsbeziehung des Massenwarenverkehrs dar. Aus der Art der Geschäftsbeziehung ergeben sich keine Gründe, die eine Abweichung vom Erfordernis der ausdrücklichen oder konkludenten Genehmigung von Lastschriftbuchungen durch den Schuldner rechtfertigen könnten.

11

Soweit die Beklagte ausführt, dass eine Genehmigung jeweils spätestens umgehend nach der Abbuchung der Lastschriften und deren Kenntnisnahme durch die Insolvenzschuldnerin erteilt worden sei, kann dies dahinstehen. Die Abbuchung vom Konto der Insolvenzschuldnerin erfolgte am 02.09.2003, die Wertstellung am 03.09.2003. Am 03.09.2003 erfolgte die Bestellung des Klägers zum vorläufigen Insolvenzverwalter und die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Die Genehmigung der Lastschrift ist eine Verfügung im Sinne des § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO. Der Verfügungsbegriff entspricht dem des Zivilrechts (Kirchhof, in: Eickmann/u.a., InsO, 4. Aufl., § 142 Rn. 5). Verfügungen sind danach Rechtsgeschäfte, die unmittelbar darauf gerichtet sind, auf ein bestehendes Recht einzuwirken, es zu verändern, zu übertragen oder aufzuheben. Dem unterfällt auch die Genehmigung einer schwebend unwirksamen Verfügung (Palandt/Heinrichs, 65. Aufl., Überbl v § 104 Rn. 16). Unabhängig davon, dass die Beklagte eine konkrete Genehmigungshandlung der Insolvenzschuldnerin nicht dargelegt hat, würde deren Wirksamkeit folglich am Fehlen einer Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters scheitern.

12

Die streitige Frage, ob durch Zeitablauf aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Sparkassen Nr. 7 Abs. 4 eine Genehmigung anzunehmen ist, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn dies unterstellt wird, wäre die Genehmigung 6 Wochen nach Erhalt des Rechnungsabschlusses so spät erfolgt, dass auch bei großzügigster Auslegung der Grundsätze zum Bargeschäft ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Lieferung und Zahlung nicht mehr angenommen werden könnte.

13

Die objektiven Voraussetzungen des danach Anwendung findenden § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO sind erfüllt. Die im Wege des Lastschriftverfahrens erlangte Gutschrift über 3.227,45 EUR gewährte der Beklagten Befriedigung für ihre Forderungen, die sie gegen die Insolvenzschuldnerin mit Rechnungen vom 13. und 18.08.2003 geltend gemacht hat.

14

Aufgrund des § 140 Abs. 1 InsO ist hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO der Zeitpunkt der Genehmigung der Lastschriften entscheidend. § 140 Abs. 3 InsO findet keine Anwendung, denn die Belastung des Schuldnerkontos steht nicht unter der auflösenden Bedingung der Genehmigung durch den Schuldner. Die Belastung ist vielmehr bis zur Genehmigung ohne materielle Wirkung (BGH NJW 2005, 675 (677) [BGH 04.11.2004 - IX ZR 22/03]). Gemäß den vorangehenden Ausführungen kommt als frühestmöglicher Genehmigungszeitpunkt derjenige der Genehmigungsfiktion nach Nr. 7 Abs. 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Sparkassen in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte unstreitig Kenntnis vom Insolvenzantrag.

15

Die Insolvenzanfechtung ist nicht rechtsmissbräuchlich, weil der Kläger es unterlassen hat, die Lastschriften zu widerrufen. Es handelt sich insoweit um unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters. Mit der Unterlassung des Widerrufs begibt sich der Insolvenzverwalter nicht der Möglichkeit der Insolvenzanfechtung. Die Lastschriftgenehmigung schafft gegenüber der Insolvenzanfechtung keinen Vertrauenstatbestand.

16

Auch eine Verwirkung des Anfechtungsrechts liegt nicht vor. Neben dem Vertrauensmoment fehlt es insoweit am Zeitmoment. Die streitbefangenen Forderungen sind vom Kläger erstmals am 25.06.2004 geltend gemacht worden, mithin etwa 6 Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 23.12.2003. Diese Zeitspanne ist zu kurz um eine Verwirkung begründen zu können.

17

Die hinsichtlich des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs geltend gemachten Zinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 131 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 143 Abs. 1 InsO, §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB zu.

18

Der für die vorprozessual entstandenen Anwaltskosten geltend gemachte Betrag in Höhe von 162,50 EUR steht dem Kläger aus §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB zu. Indem die Beklagte mit Schreiben vom 02.07.2004 jegliche Zahlungen auf den Rückgewähranspruch ablehnte, war die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Forderungsdurchsetzung erforderlich. Die in Ansatz gebrachten Kosten sind angemessen. Aufgrund der Schwierigkeit der Tätigkeit ist eine Geschäftsgebühr in Höhe von 1,5 gerechtfertigt. Die Schwierigkeit der Tätigkeit folgt aus den von der Rechtsprechung entwickelten komplexen Grundsätzen zum Lastschriftverfahren und deren Rückwirkung auf die Insolvenzanfechtung. Die hinsichtlich des nach 3100 VV RVG anrechenbaren Teils geltend gemachte Zinsforderung steht dem Kläger nach §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB zu.

19

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

20

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Petirsch-Boekhoff
Deuster
Walter