Landgericht Oldenburg
Urt. v. 20.02.2006, Az.: 4 O 3620/04
Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes; Annahme einer erheblichen körperlichen und auch psychischen Verletzung; Beginn der Verjährungsfrist bei einem Minderjährigen
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 20.02.2006
- Aktenzeichen
- 4 O 3620/04
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2006, 26957
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:2006:0220.4O3620.04.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB
- § 852 BGB a.F.
Verfahrensgegenstand
Schmerzensgeld
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 16.01.2006
durch
den Richter am Landgericht .... als Einzelrichter
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.11.2004 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus den Körperverletzungen in der Zeit vom 1.10. bis zum 22.11.2001 in dem ... zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Von den Kosten des Rechtsstreites tragen der Kläger 17% und die Beklagten als Gesamtschuldner 83%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckungssicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen körperlicher Misshandlungen während des Zeitraumes 1.10. bis 22.11.2001 auf dem Schulgelände des ... geltend.
Der Kläger behauptet, dass er circa zwei Monate lang täglich - letztmalig am 22.11.2001 - jeweils in den großen Pausen von den Beklagten geschlagen worden sei, wobei er zunächst heftig geschlagen und sodann am Hals gewürgt worden sei. Er habe regelmäßig keine Luft mehr bekommen und Angst gehabt, dass er sterbe. Anschließend sei es noch zum so genannten "Freischlagen" gekommen. Hierbei hätten ihn die Beklagten zu 1) und 2) jeweils an einem Arm festgehalten, die sodann die umher stehenden Mitschüler aufgefordert hätten, den Kläger zu schlagen, was regelmäßig von bis zu 10 Mitschülern wahrgenommen worden sei.
Eine ärztliche Untersuchung des Klägers habe ergeben, dass sich bei dem Kläger ältere Hämatome beidseits an den Extremitäten und an den Unterarmen drei frische Griffspuren mit Schürfwunden befunden hätten. Weitere Untersuchungen hätten ergeben, dass bei dem Kläger eine reaktive depressive Verstimmung und Angsterkrankung sowie eine Harnentleerungsstörung vorgelegen hätten.
Der Kläger hält ein Schmerzensgeld von mindestens 5.000 EUR für angemessen.
Der Kläger trägt weiter vor, dass zwar seit Anfang 2004 keine psychiatrischen Behandlungen mehr durchgeführt würden, bei dem Kläger jedoch nach wie vor Beeinträchtigungen in psychischer Hinsicht vorlägen, die sich darin äußerten, dass der Kläger immer wieder einmal unter Angstzuständen und/oder depressiven Verstimmungen leide.
Der Kläger befand sich in stationärer Behandlung/Untersuchung während der Zeiträume 27.11. bis 13.12.2001, 5.3. bis 11.3.2002, 29.4. bis 10.5.2002 und den 3.6. bis 4.6.2002.
Der Kläger beantragt,
- 1.
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 2.
festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus den Körperverletzungen in der Zeit vom 1.10. bis zum 20.11.2001 in dem Schulzentrum ... zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritteübergehen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten zu 1) und 2) bestreiten einen Kausalzusammenhang zwischen den Verletzungshandlungen und den behaupteten Schäden des Klägers. Für Letztere seien auch andere Ursachen möglich. Angesichts ihres Alters von 12 beziehungsweise 13 Jahren seien sie nicht verantwortlich, da es an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit mangele. Der Beklagte zu 2) bestreitet im Übrigen an den Handlungen zum Nachteil des Klägers beteiligt gewesen zu sein, desgleichen die Beklagte zu 4). Der Beklagte zu 3) meint, dass der Vortrag des Klägers unschlüssig sei, weil nicht gesagt werde, in welcher Form die Beklagten an der Tat beteiligt gewesen seien, nämlich ob als Täter, Mittäter oder Gehilfe. Alle Beklagten berufen sich auf Verjährung.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 5.12.2005 durch Vernehmung der Zeugen ... . Auf das Vernehmungsprotokoll wird Bezug genommen.
Die Akte 271 Js 60623/01 der Staatsanwaltschaft Oldenburg ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4000 EUR. Auch der Feststellungsantrag ist begründet.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zurÜberzeugung des Gerichts fest, dass sämtliche Beklagten sich an den Körperverletzungshandlungen gegenüber dem Kläger während des Zeitraumes 1.10. bis 22.11.2001 beteiligt haben, wobei die Beklagten zu 1) und 2) als Haupttäter aufgetreten sind, während die Beklagten zu 3) und 4) sich nur in geringerem Maße an den Taten beteiligt haben, ihnen teilweise nur der Status eines Gehilfen (u.a. psychische Beihilfe) zukommt.
Im Übrigen ist bereits an dieser Stelle festzustellen, dass es für die zivilrechtliche Haftung auf die Art der Beteiligung nicht ankommt (vergleiche § 830 BGB).
Die Zeugin ... hat bekundet, nachdem sie sich zunächst an nichts erinnern können wollte und ihr die Angaben aus ihrer polizeilichen Anhörung vorgehalten worden sind, dass ihre seinerzeit bei der Polizei gemachten Angaben zuträfen. Somit steht fest, dass die Beklagte zu 4) wie auch die Beklagte zu 3) während des in Rede stehenden Tatzeitraumes den Kläger in ihrer Mitte hatten und hin und her schubsten.
Die Zeugin ... hat angegeben, dass sie sich daran erinnern könne, dass der Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) den Kläger mit Fußtritten bedacht hätten. Nach Vorhalt ihrer Angaben in der polizeilichen Anhörung hat die Zeugen angegeben, dass sie bei der Polizei nicht die Unwahrheit gesagt habe. Die Beklagten zu 3) und 4) seien damals Freundinnen von ihr gewesen und es sei ein- oder zweimal vorgekommen, dass der Kläger festgehalten und getreten worden sei. Es könne gut sein, dass die vorgenannten Beklagten den Kläger beschimpft hätten. Diese seien zusammen mit den Beklagten zu 1) und 2) eine Clique gewesen. Auf nochmaligen Vorhalt ihrer polizeilichen Angaben hat die Zeugin sodann angegeben, dass zutreffend sei, dass gesagt worden sei, der Kläger solle wiederkommen. Dieses sei mal von den Jungen und mal von den Mädchen gesagt worden. Auch wenn die Zeugin in ihrer gerichtlichen Vernehmung angegeben hat, dass sie sich nicht erinnern könne, dass die Beklagten zu 3) und 4) dem Kläger auf die Arme geschlagen haben, ist das Gericht davon überzeugt, dass das, was diese Zeugin seinerzeit vor der Polizei gesagt hat, zutreffend ist. Seinerzeit hat diese Zeugen angegeben, dass der Kläger fast täglich in der ersten und zweiten großen Pause mal von dem Beklagten zu 1), mal von dem Beklagte zu 2) festgehalten worden und mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten worden sei. Der Kläger sei am ganzen Körper getroffen worden. Die beiden Vorgenannten hätten den Kläger jeweils von hinten festgehalten. Die Beklagten zu 3) und 4) hätten meistens dabei gestanden und den Kläger beschimpft. Sie habe gehört, dass die zuvor genannten Beklagten dem Kläger mit den Worten gedroht hätten: "Wenn du in der nächsten Pause nicht wieder kommst, hauen wir dich tot!" Der Kläger sei auch mal von den Beklagten zu 3) und zu 4) auf die Arme geschlagen worden, während die Beklagten zu 1) und zu 2) den Kläger festhielten. So sei es auch am Mittwoch, dem 21.11.2001 gewesen.
Die Zeugin ... hat bekundet, dass sie gesehen habe, dass der Kläger von dem Beklagten zu 2) geschlagen und getreten worden sei, als er am Boden gelegen hätte. Die Beklagte zu 3) habe auch dabei gestanden und nach einiger Zeit den Kläger getreten. Auch der Beklagte zu 1) habe den Kläger getreten und geschlagen. Dieses sei etwa ein bis zwei Wochen vor ihrer polizeilichen Vernehmung (diese war am 6.12.2001) gewesen. Der Zeuge ... hat bekundet, dass er trotz Vorhaltes seine Angaben gegenüber der Polizei sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern könne. Was er seinerzeit jedoch gesagt habe, stimme. Vor der Polizei hat der Zeuge angegeben, dass der Kläger von den Beklagten zu 1), 2) und 4) geärgert und auch geschlagen worden sei. Nach seinem Eindruck hätten alle Beklagten Spaß daran gehabt, den Kläger zu ärgern. Der Zeuge ... hat bekundet, er könne sich an keine Einzelheiten mehr erinnern. Vor der Polizei hat dieser Zeuge angegeben, der Kläger sei von den Beklagten zu 1), 2) und 4) geärgert worden. Der Zeuge ... hat bekundet, er könne sich - auch angesichts des Vorhaltes seiner polizeilichen Angaben - an nichts erinnern. Vor der Polizei hat dieser Zeuge angegeben, dass der Kläger von den Beklagten zu 1) und zu 2) gehänselt und auch tätlich angegriffen worden sei, indem sie dem Kläger in die Beine traten beziehungsweise ihm ein Bein stellten. Der Zeuge ... hat angegeben, er könne sich nur noch wenig erinnern, es treffe aber zu, dass alle Beklagten den Kläger geschubst und beleidigt hätten. Dies hätten aber auch andere getan. Vor der Polizei hat dieser Zeuge überdies angegeben, dass dem Kläger von dem Beklagten auch " ein Bein gestellt" worden sei. Die Zeugin ... konnte keine Angaben machen.
Der Zeuge ..., der seinerzeit die polizeilichen Ermittlungen geleitet und die Mitschüler des Klägers angehört hat, hat bekundet, dass er an die Vernehmungen aufgrund des Zeitablaufes keine konkreten Erinnerungen mehr habe. Er könne sich aber noch daran erinnern, dass sich zum Schluss ein rundes Bild ergeben hätte, wonach die zwei Jungen an als Haupttäter anzusehen sein und die drei Mädchen als Mitläufer.
Aufgrund der Angaben der Zeugen, insbesondere auch aufgrund der Inhalte der Anhörungen der Zeugen seinerzeit vor der Polizei, wie sie in der Ermittlungsakte enthalten sind, ist das Gericht davon überzeugt, dass die Beklagten während des in Rede stehenden Zeitraumes den Kläger andauernd und in erheblicher Weise körperlich und auch psychisch verletzt haben. Nach dem Eindruck des Gerichts von den Zeugen waren diese zunächst bestrebt, sich an nichts erinnern zu wollen. Erst auf konkrete Vorhaltungen wurde dann dasjenige eingeräumt, was seinerzeit vor der Polizei angegeben worden war. Insgesamt ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Zeugen ihre die Beklagten belastenden Angaben nicht wahrheitsgemäß gemacht haben.
Aufgrund der von dem Kläger vorgelegten Atteste ist das Gericht davon überzeugt, dass die von dem Kläger behaupteten Folgen der Behandlung durch die Beklagten vorliegen. Aus dem Kinder- und jugendpsychiatrischen Gutachten des ... vom 30.1.2003 geht im übrigen eindeutig hervor, dass die von dem Kläger beschriebenen und vonÄrzten attestierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen und die wiederholten Misshandlungen in der Schule mit Ausübung des extremen psychischen Drucks für den Kläger primär und ausschlaggebende Kausalfaktoren gewesen sind für die attestierten Störungen; die Störung wäre bei dem Kläger ohne diese Einwirkung nicht entstanden.
Soweit sich die Beklagten zu 1) und 2) auf fehlende Einsichtsfähigkeit berufen und damit auf fehlende zivilrechtliche Verantwortlichkeit für ihr Handeln, gilt, das nach Auffassung des Gerichtes kein Zweifel daran bestehen kann, dass ein zur Tatzeit 12-beziehungsweise 13jähriger Schüler ohne weiteres die Einsichtsfähigkeit hat, nicht ohne jeden Grund einen Mitschüler körperlich massiv zu verletzen. Dieses ergibt sich insbesondere auch daraus, dass nach dem Inhalt der Ermittlungsakte die Absprache getroffen worden ist, dem Kläger nicht ins Gesicht zu schlagen, weil dieses Spuren hinterlassen könnte.
Angesichts der bei dem Kläger vorliegenden reaktiven depressiven Verstimmung und Angsterkrankung sowie Harnentleerungsstörung und den festgestellten Hämatomen, Griffspuren und Schürfwunden einerseits und der Anzahl und Dauer der stationären Behandlungen/Untersuchungen in verschiedenen Krankenhäusern und schließlich angesichts der Dauer der psychologischen Behandlung bis Ende 2003 erscheint dem Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 4000 EUR angemessen und ausreichend, der Ausgleichs - wie auch der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes gerecht zu werden. Hierbei ist auch die finanzielle Situation der Beklagten berücksichtigt worden.
Der vom Kläger geltendgemachte Anspruch ist auch nicht verjährt. Die Vorfälle ereigneten sich bis zum Herbst 2001. Gemäß Artikel 229, § 6, Absatz 1 und 3 EGBGB gilt die Verjährungsregelung des § 852 BGB alter Fassung. Für den Beginn der damit eingreifenden dreijährigen Verjährungsfrist ist bei Minderjährigen die Kenntnis der Eltern maßgeblich (vergleiche Palandt, 61. Auflage 2002, § 852, Randnummer 5). Diese Kenntniserlangung fand am 22. 11. 2001 statt, so dass die Erhebung der Klage noch vor Ablauf der Verjährungsfrist erfolgt ist. ImÜbrigen ergibt sich in aller Deutlichkeit aus dem Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakte, dass der letzte Vorfall beziehungsweise Teilakt einer (im Übrigen fortgesetzten) Körperverletzung des Klägers am 22. 11. 2001 stattgefunden hat.
Angesichts der durch das Verhalten der Beklagten hervorgerufenen erheblichen psychischen Beeinträchtigung des Klägers und unter Berücksichtigung der allgemeinen Erfahrungstatsache, dass derartige erhebliche psychische Beeinträchtigungen sich nur sehr langsam, wennüberhaupt, beseitigen lassen, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass auch zukünftig bei dem Kläger medizinischer beziehungsweise psychologischer Behandlung bedarf bestehen wird, zumindest dieses nicht fern liegend ist. Damit ist auch der Feststellungsantrag begründet.
Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den § § 92, 708 Nummer 11, 709, 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Streitwert: 6.000 EUR (Antrag zu 1): 5.000 EUR; zu 2): 1.000 EUR).