Landgericht Göttingen
Beschl. v. 16.01.2001, Az.: 10 T 166/99

Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Restschuldbefreiung

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
16.01.2001
Aktenzeichen
10 T 166/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 29336
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2001:0116.10T166.99.0A

Fundstelle

  • ZInsO 2001, 324-325 (Volltext mit red. LS)

Gründe

1

Die Schuldnerin hat am 15.11.1999 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt. Zugleich hat sie die Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt sowie die Ersetzung der Zustimmung einzelner Gläubiger. Die Schuldnerin hat insgesamt 12 Gläubiger mit einer Gesamtforderung von 96.179,52 DM. Dem Schuldenbereinigungsplan hat u.a. der Gläubiger zu Nr. 1 nicht zugestimmt. Dieser hat zwei Forderungen gegen die Schuldnerin i.H.v. 4.906,61 DM und 3.957,20 DM. Die Forderung i.H.v. 3.957,20 DM ist von der Restschuldbefreiung ausgenommen. Wegen der zuerstgenannten Forderung hat der Gläubiger Nr. 1 die Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan verweigert. Er hat ausgeführt, am 25.7.1996 ein Verrechnungsersuchen bei der BfA Berlin gestellt und damit die BfA zur Verrechnung nach § 51 i.V.m. § 52 SGB I ermächtigt zu haben. Es ergebe sich ein verrechenbarer Betrag von 203,70 DM monatlich. Diese Verrechnung bleibe nach § 94 InsO bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens mindestens zwei Jahre bestehen, so dass bei Annahme des Schuldenbereinigungsplans eine wirtschaftliche Schlechterstellung des Gläubigers Nr. 1 eintrete.

2

Mit Beschl. v. 7.11.2000 hat das AG die Zustimmung des Gläubigers Nr. 1 ersetzt. Zur Begründung hat das AG ausgeführt, § 94 InsO regele die Erhaltung einer Aufrechnungslage. Das setze das Bestehen von zwei gegenseitigen Forderungen gem. § 387 BGB voraus. Hier stehe jedoch der Schuldnerin eine Forderung gegen den Gläubiger Nr. 1 nicht zu. Die Verrechnung gem. §§ 51, 52 SGB I werde dem nicht gleichgestellt.

3

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Gläubiger Nr. 1 mit der sofortigen Beschwerde. Er trägt vor, die Verrechnung sei seitens der BfA zunächst nicht möglich gewesen, weil die Schuldnerin dadurch hilfsbedürftig nach dem BSHG geworden wäre. Seit Februar 2000 behalte jedoch die BfA den verrechenbaren Teil der Rente der Schuldnerin i.H.v. 203,70 DM monatlich ein. Da die Aufrechnungs-/Verrechnungslage bereits zzt. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden habe, werde dieses Recht gem. § 94 InsO nicht berührt.

4

Das AG hat der sofortigen Beschwerde mit Beschl. v. 13.12.2000 nicht abgeholfen und sie dem LG zur Entscheidung vorgelegt. In dem Nichtabhilfebeschluss hat das AG ergänzend ausgeführt, dass durch § 52 SGB I das zivilrechtliche Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen nicht außer Kraft gesetzt werde. Ziel des Insolvenzverfahrens sei die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger. Deshalb könne einzelnen Gläubigern durch eine bestehende Verrechnungsmöglichkeit keine zusätzliche Erfüllungsmöglichkeit gegeben werden.

5

Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 6 Abs. 1, 309 Abs. 2 Satz 3 InsO zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die vom AG vorgenommene Ersetzung der Zustimmung des Gläubigers Nr. 1 zum Schuldenbereinigungsplan der Schuldnerin ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für die Zustimmungsersetzung gem. § 309 Abs. 1 InsO liegen vor. Der Gläubiger Nr. 1 kann sich nicht darauf berufen, dass er durch den Schuldenbereinigungsplan voraussichtlich wirtschaftlich schlechter gestellt würde als er bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens stünde. Entgegen der Auffassung des Gläubigers Nr. 1 hätte die Verrechnungsabrede auch im eröffneten Insolvenzverfahren keinen Bestand, so dass die Verrechnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht weiter durchgeführt würde.

6

Nach § 52 SGB I kann zwar der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen. Diese Verrechungsabrede steht jedoch einer Aufrechnung i.S.d. § 94 InsO nicht gleich. Die Verrechnungsmöglichkeit nach § 52 SGB I dient der Vereinfachung und Effizienz der Sozialverwaltung, sie soll jedoch den Sozialleistungsträgern keine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit geben und sie vor anderen Gläubigern, denen keine Verrechnungsmöglichkeit zusteht, nicht bevorrechtigen (Hauck/Haines, SGB I, § 52 Rn. 1; LSG Niedersachsen, Nds. Rpfl. 1993, 22, 23). Die InsO setzt auch die Verrechnung mit einer Aufrechnungslage nicht gleich, denn die InsO enthält nur Bestimmungen über die Folgen einer Aufrechnungslage. Für die Berücksichtigung der Aufrechnung im Insolvenzverfahren nach § 94 InsO ist deshalb die Gegenseitigkeit der Forderungen Voraussetzung. Diese ist hier unzweifelhaft nicht gegeben, denn der Gläubiger Nr. 1 hat zwar eine Forderung gegen die Schuldnerin, die Schuldnerin hingegen hat keine Forderungen gegen den Gläubiger Nr. 1. Entgegen der Auffassung des Gläubigers Nr. 1 sind die gesetzlichen Regelungen über die Aufrechnung für den Fall der Verrechnung gem. § 52 SGB I nicht anzuwenden. Vielmehr spricht die Regelung in § 89 Abs. 1 InsO gegen eine Gleichbehandlung von Aufrechnung und Verrechnung. Nach § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen einzelner Gläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Die Vorschrift dient dem Verfahrensziel der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger. Dieses Ziel würde unterlaufen, wenn dem Gläubiger Nr. 1 über den Weg der Verrechnung die Möglichkeit verschafft würde, die Befriedigung seiner Forderungen auch im eröffneten Insolvenzverfahren zu erreichen, obwohl er weder aufrechnungsbefugt noch anderweitig bevorrechtigt ist. Im Ergebnis würde damit die fortbestehende Verrechnungsmöglichkeit einer Vollstreckung gleichkommen, denn der Gläubiger hätte über den Umweg der Verrechnung Zugriff auf die Insolvenzmasse.

7

Der Gläubiger Nr. 1 kann sich zur Unterstützung seiner Auffassung auch nicht auf die Entscheidung des AG Hamburg in NZI 2000, 283 berufen. Das AG Hamburg hat in dieser Entscheidung offen gelassen, ob die Verrechnung nach § 52 SGB I dem ermächtigenden Sozialleistungsträger eine Aufrechnungsbefugnis verschaffen kann.

8

Mithin könnte der Gläubiger Nr. 1 seine Verrechnung bei Verfahrenseröffnung nicht durchsetzen. Die Durchführung des Schuldenbereinigungsplans bewirkt deshalb keine wirtschaftliche Schlechterstellung.

9

Die Zustimmungsersetzung scheitert auch nicht an § 309 Abs. 3 InsO. Nach dieser Vorschrift kommt eine Zustimmungsersetzung nicht in Betracht, wenn ein Gläubiger Tatsachen glaubhaft macht, aus denen sich ernsthafte Zweifel ergeben, ob eine vom Schuldner angegebene Forderung besteht oder sich auf einen höheren oder niedrigeren Betrag richtet als angegeben und vom Ausgang dieses Streits abhängt, ob der Gläubiger im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern angemessen beteiligt wird. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Es besteht kein Streit darüber, ob eine von der Schuldnerin in den Schuldenbereinigungsplan eingestellte Forderung oder aber eine Abtretung zutreffend bzw. wirksam ist. Hier geht es allein um die Entscheidung einer streitigen Rechtsfrage, ob nämlich eine Verrechnung nach § 52 SGB I wie eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren zu behandeln ist. Diese Rechtsfrage muss das Insolvenzgericht selbstverständlich entscheiden.