Landgericht Göttingen
Beschl. v. 30.03.2001, Az.: 5 T 79/01

Pfändungsschutz für Sozialleistungen; Anwendbarkeit der Regelungen für die Pfändung von Arbeitseinkommen; Unpfändbarkeit für die Dauer von sieben Tagen seit der Gutschrift der Überweisung ; Rechtsbehelf des Schuldners; Vollstreckungsschutz für künftige Sozialleistungen

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
30.03.2001
Aktenzeichen
5 T 79/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 25000
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGGOETT:2001:0330.5T79.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Göttingen - AZ: 72 M 47/01

Fundstelle

  • JurBüro 2001, 492-493

In der Zwangsvollstreckungssache
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
auf die sofortige Beschwerde der Gläubiger gegen den Beschluß des Amtsgerichts Göttingen vom ...
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
sowie die Richter am Landgericht
am 30.03.2001
beschlossen:

Tenor:

Der Beschluß des Amtsgerichts Göttingen vom ..... wird teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Pfändung aus dem Pfändungs- und Überweisungs-beschluß vom wird mit der Maßgabe eingestellt, dass die auf dem Konto eingehenden Beträge aus Arbeitslosenhilfe in Höhe ... von pro Tag, Arbeitsamt Göttingen, ... , aus Sozialhilfe der Stadt Göttingen in Höhe von monatlich ... Az. ... und aus Kindergeld monatlich an die Schuldnerin auszuzahlen sind.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Gläubiger tragen die Kosten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Gründe:

1

Die Gläubiger betreiben die Zwangsvollstreckung wegen einer Hauptforderung in Höhe von DM. Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom hat das Amtsgericht Göttingen - - Ansprüche der Schuldnerin gegen die Drittschuldnerin u.a. auf Auszahlung des gegenwärtigen und zukünftigen gesamten Überschusses, der der Schuldnerin bei Saldoziehung aus der in laufenden Rechnungen bestehenden Geschäftsverbindung und allen dort unterhaltenen Konten jeweils gebührt, gepfändet.

2

Am 16. Januar 2001 hat die Schuldnerin einen Pfändungsschutzantrag gestellt und darauf verwiesen, dass auf das Konto lediglich ... Arbeitslosenhilfe pro Tag, ... DM Sozialhilfe im Monat und ... Kindergeld eingehen würden. Nachdem der Rechtspfleger mit Beschluß vom 17.01.2001 dem Antrag der Schuldnerin stattgegeben hat, hat die Kammer zunächst mit Beschluß vom 01. Februar 2001 - 5 T 17/01 - diesen Beschluß aufgehoben und die Sache zur weiteren Bearbeitung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückgegeben. Das Amtsgericht - Richter - hat mit weiterem Beschluß vom 06. März 2001 die Pfändung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 29. Dezember 2000 - ... - mit der Maßgabe eingestellt, dass die auf dem Konto eingehenden Beträge aus Arbeitslosenhilfe, Arbeitsamt Göttingen, ... , Sozialhilfe Stadt Göttingen, ... und Kindergeld in voller Höhe monatlich auszuzahlen sind.

3

Dagegen wenden sich die Gläubiger erneut mit der sofortigen Beschwerde vom 15.03.2001. Sie meinen, dass der Pfändungsschutz abschließend geregelt sei in § 55 SGB I und eine generelle Freigabe von unpfändbaren Sozialleistungen, die auf dem Konto der Schuldnerin bei der Drittschuldnerin gutgeschrieben werden, nicht möglich ist.

4

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden gemäß § 793 Abs. 1 ZPO. Sie ist nur insoweit begründet, als das Amtsgericht übersehen hat, die konkreten geschützten Beträge im Tenor des Beschlusses festzulegen. Im übrigen ist sie unbegründet.

5

1.

Der Pfändungsschutz für Sozialleistungen, als die die der Schuldnerin gewährte Arbeitslosenhilfe, die Sozialhilfe und das Kindergeld anzusehen sind (vgl. hierzu Stöber, Forderungspfändung, 11. Auflage, Randnr. 1309 ff.) richtet sich nach §§ 54 ff. SGB I. Zwar bestimmt § 54 Abs. 4 SGB Abs. 1, dass sich die Pfändung von Ansprüchen auf laufende Geldleistungen (als Sozialleistungen) nach dem für die Pfändung von Arbeitseinkommen geltenden Normen richtet, so dass auch die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO in Bezug genommen werden. Insoweit könnte durchaus daran gedacht werden, § 850 k ZPO anzuwenden, der den Pfändungsschutz im Falle der Kontenpfändung von Arbeitseinkommen regelt.

6

2.

Jedoch hat der Gesetzgeber in § 55 SGB I für den Fall der Kontenpfändung (und Pfändung von Bargeld) von Sozialleistungen eine Sonderregelung getroffen, die teilweise eine von § 850 k ZPO abweichende Regelung enthält (Zöller-Stöber, Zivil-prozessordnung, 21. Auflage, § 850 k Randnr. 1; Stein-Jonas-Brehm, Zivilprozess-ordnung, 21. Auflage, § 850 i Anm. g, Randnr. 114).

7

Dies hat zur Folge, dass gemäß § 55 Abs. 1 SGB I eine auf ein Konto des Schuldners überwiesene Sozialleistung für die Dauer von sieben Tagen seit der Gutschrift der Überweisung unpfändbar ist. Diese gesetzliche Regelung gilt unmittelbar, ohne dass es eines Pfändungsschutzantrages des Schuldners bedarf, die Pfändung ist in diesem Sinne von vornherein "beschränkt".

8

In dieser Zeit kann der Schuldner die auf dem Konto gutgeschriebene Sozialleistung in voller Höhe abheben. Mit Ablauf der Frist ist allerdings dann ein evtl. verbleibender Restbetrag zunächst pfändbar.

9

3.

Weitergehender Pfändungsschutz besteht jedoch gemäß § 55 Abs. 4 SGB I, der inhaltlich im wesentlichen dem § 850 k Abs. 1 ZPO entspricht. Danach gilt, dass bei Empfängern laufender Geldleistung die in § 55 Abs. 1 SGB I genannten Forderungen nach Ablauf von sieben Tagen seit der Gutschrift insoweit nicht der Pfändung unterworfen sind, als ihr Betrag der unpfändbaren Leistung von der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin entspricht. Dieser Pfändungsschutz tritt jedoch nicht automatisch ein, sondern ist nur dann zu prüfen, wenn er vom Schuldner geltend gemacht wird.

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Allerdings ist insoweit - im Unterschied zu § 850 k ZPO - vom Gesetzgeber dem Schuldner ein unmittelbares Antragsrecht nicht eingeräumt worden. Deshalb kommt in diesem Fall als Rechtsbehelf lediglich die Erinnerung gemäß § 766 ZPO in Betracht (Stöber, a.a.O., Randnr. 1439, OLG Hamm, Beschluß vom 11.04.1990 in JurBüro 1990, Seite 1058; Stein-Jonas-Brehm, a.a.O., Randnr. 124; Landgericht Braunschweig in Niedersächsische Rechtspflege 1988, Seite 150).

11

Die Eingabe der Schuldnerin vom 16. Januar 2001 ist deshalb als Erinnerung nach § 766 ZPO auszulegen.

12

4.

In der Sache hat das Amtsgericht durch den Beschluß vom 06. März 2001 der Erinnerung der Schuldnerin abgeholfen und ihr zu Recht Pfändungsschutz gewährt.

13

Auch für künftige Sozialleistungen, die auf dem bei der Drittschuldnerin geführten Konto eingehen werden, kann bereits durch entsprechenden Beschluß des Vollstreckungsgerichtes Vollstreckungsschutz gewährt werden. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, an der festgehalten wird (vgl. Beschluß vom 15.06.2000 - 5 T 103/00 -).

14

Zwar könnte der Wortlaut des § 55 Abs. 4 SGB I gegen eine solche Sichtweise sprechen, da dort über den Pfändungsschutz künftiger Zahlungseingänge nichts gesagt ist. Daraus könnte geschlossen werden, dass der Schuldner bei jedem neuen Zahlungseingang auf seinem Konto den diesbezüglichen Pfändungsschutz im Wege der Erinnerung gemäß § 766 ZPO verfolgen muss (so wohl LG Braunschweig, Nds. Rpfl. 1998, S.150). Der Schuldner müßte etwa bei monatlicher Zahlungsweise auch monatlich Erinnerung einlegen. Hierbei könnte auch daran gedacht werden, dass der Gesetzgeber in § 55 Abs. 1 SGB I durch die Einführung der sog. Sieben-Tage-Frist den Pfändungsschutz insoweit abschließend regeln wollte.

15

Die Kammer folgt dieser Auffassung nicht. So entspricht es für den gleichliegenden Fall des § 850 k ZPO der ganz überwiegenden Meinung, dass Vollstreckungsschutz nach dieser Norm auch für alle durch weitere Eingänge von Arbeitsentgelt künftig entstehenden Guthaben im voraus gewährt werden kann (KG, Beschluß. v.21.02.1992, Jur.Büro 1993, S.26; LG Augsburg, Beschluß. v. 13.03.1997, Rpfl. 1997, S.489; Stöber, Forderungspfändung, 11. Aufl. Rn 1297a).

16

Zur Begründung wird zutreffend darauf verwiesen, der Sinn des § 850 k ZPO bestehe darin, den Schuldner bei bargeldloser Überweisung seines Arbeitseinkommens so zu schützen, als wenn die Lohn- und Gehaltsforderung unmittelbar beim Arbeitgeber gepfändet wird. Dann ist es aber richtig, wenn die Pfändung selbst sich auch auf die nach Pfändung fällig werdenden Beträge erstreckt (§ 832 ZPO) und der Pfändungsschutz gemäß § 850 ZPO ebenfalls künftig fällig werdende Beträge erfaßt, den entsprechenden Schutz auf Antrag im voraus zu gewähren, wenn die Pfändung des Arbeitseinkommmens "mittelbar" durch Kontenpfändung erfolgt (KG, a.a.O.). Hier wird darauf verwiesen, es entspreche der Verfahrensökonomie, den Schuldner nicht dazu zu zwingen, für jeden Fälligkeitstermin einen neuen Antrag zu stellen.

17

Die vorgenannten Gesichtspunkte müssen aber auch bei der Kontenpfändung von Sozialleistungen beachtet werden. Es gibt keinen Grund, den Schuldner, der bargeldlos Sozialleistungen erhält, schlechter zu stellen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber insoweit den Pfändungsschutz bei Kontenpfändung mit Schaffung des § 55 Abs. 1, 4 SGB I einschränken wollte.

18

Im Gegenteil wird ausgeführt, die (im Hinblick auf § 55 Abs. 1 SGB I) unterschiedliche Behandlung von Sozialleistungen und Arbeitseinkommen rechtfertige sich dadurch, dass erstere nur unter erheblich engeren Voraussetzungen als die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gepfändet werden können, letztere seien grundsätzlich teilweise pfändbar (vgl. hierzu Stöber, Forderungspfändung, 11. Auflage, Randnr. 1298). Mithin wollte der Gesetzgeber mit § 55 Abs. 1 SGB I die Stellung des Sozialleistungsempfängers gerade verbessern. Da § 55 Abs. 4 SGB I und § 850 k Abs.1 ZPO abgesehen von dem Umstand, dass sie unterschiedliche Einkommensarten des Schuldners betreffen, sonst vom Regelungsgehalt identisch sind, muss der Pfändungsschutz des § 55 Abs. 4 SGB I auch vorab für durch künftige Zahlungseingänge entstehende Guthaben durch Beschluss angeordnet werden können.

19

5.

Auf dem Konto der Schuldnerin bei der Drittschuldnerin gehen nur Beträge ein, die nach der Tabelle des § 850 c ZPO unpfändbar wären. Die Schuldnerin erhält pro Tag Arbeitslosenhilfe von 40,45 DM, was hochgerechnet auf den Monat einen Betrag von 1.230,35 DM ergibt. Zusätzlich erhält sie noch 99,47 DM Sozialhilfe sowie 270,00 DM Kindergeld. Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und Kindergeld zusammen ergeben einen Betrag von 1.599,82 DM. Ausgehend von einer unterhaltspflichtigen Person verbleibt bei diesem Betrag ausweislich der Tabelle als Anlage zu § 850 c ZPO kein pfändbarer Betrag. Im übrigen bleiben Geldleistungen für Kinder bei Pfändung von Arbeitseinkommen dem Schuldner grundsätzlich zusätzlich zu den Erhöhungsbeträgen des § 850 c ZPO pfandfrei (Zöller-Stöber, ZPO, 20. Auflage, § 850 e Randnr. 21). Die Frage, ob bei Kontenpfändung ausschließlich von Sozialleistungen entsprechend § 850 e Ziff. 2 a S.3 ZPO eine Zusammenrechnung der der einzelnen Soziallleistungen, insbesondere auch mit dem Kindergeld stattfindet oder nicht, braucht in diesem Fall nicht entschieden zu werden, da selbst bei Zusammenrechnung aller drei Soziallleistungen die Pfändungsfreigrenze, wie ausgeführt, nicht überschritten wird.

20

6.

Der Beschluß des Amtsgerichts vom 06. März 2001 ist insoweit richtig zu stellen, als der Betrag, für den Pfändungsschutz beantragt und ausgesprochen worden ist, in den Beschlußtenor aufzunehmen ist. In einem Beschluß, der den Pfändungsschutz für Kontoguthaben betrifft, ist das Guthaben betragsmäßig zu bezeichnen, für das die Pfändung aufgehoben wird. In diesem Fall ist ein sog. Blankettbeschluß nicht zulässig (vgl. Zöller-Stöber, ZPO, 20. Auflage, § 850 k Randnr. 11 m.w.Nachw.).

21

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 92 Abs. 2 ZPO. Die Korrektur stellt in der Sache kein Obsiegen der Gläubiger dar und ist deshalb als geringfügig im Sinne des § 92 Abs. 2 ZPO anzusehen. Die Wertfestsetzung ergibt sich aus § 3 ZPO i.V.m. § 57 Abs. 2 Ziff. 1 BRAGO.