Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.12.2022, Az.: 5 U 114/22

Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Geschwindigkeitsmessgerät; Verwendung eines Kaufgegenstandes zur Durchführung amtlicher und gerichtsverwertbarer Geschwindigkeitsmessungen; Fortbestand einer Bauartzulassung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
15.12.2022
Aktenzeichen
5 U 114/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 68270
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2022:1215.5U114.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 13.06.2022 - AZ: 10 O 316/21

Fundstelle

  • MDR 2023, 555-556

Redaktioneller Leitsatz

Amtliche und gerichtsverwertbare Geschwindigkeitsmessungen setzen ein standardisiertes Messverfahren voraus.

In dem Rechtsstreit
L. GmbH, ...,
Beklagte und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...,
gegen
L. H., ...,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 15. Dezember 2022 beschlossen:

Tenor:

Die gegen das Urteil der 10. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Lüneburg vom 13. Juni 2022 gerichtete Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieser Beschluss und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils und dieses Beschlusses vollstreckbaren Betrag abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss, da die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Dies hat der Senat im Hinweisbeschluss vom 2. November 2022 (Bl. 227 d.A.) bereits wie folgt erörtert:

I.

Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Geschwindigkeitsmessgerät.

Die Klägerin erwarb in den Jahren 2011 und 2013 jeweils ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät L. zur Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr von der Beklagten. Auf die Anfrage der Klägerin nach einem weiteren Messgerät im September 2020 kam mit der Auftragsbestätigung der Beklagten vom 5. Oktober 2020 ein Kaufvertrag über eine L. Messausrüstung zum Kaufpreis von 28.650,00 € brutto und ein Wartungs- und Eichservicevertrag unter Einschluss einer Garantie zustande. Wegen der Einzelheiten wird auf die Auftragsbestätigung der Beklagten vom 5. Oktober 2020 (Anlagenkonvolut 1, Bl. 11 d.A.) verwiesen. Das Gerät wurde am 13. Januar 2021 an die Klägerin geliefert.

Die P. (P.) hatte bereits seit Oktober 2020 auf ihrer Homepage darüber informiert, dass es bei der Überprüfung der Messgenauigkeit des streitgegenständlichen Geräts zu Auffälligkeiten gekommen sei. In weiteren Nachträgen vom 12. März 2021 und 1. April 2021 teilte die P. mit, dass es auch unter den Regeln einer von der Beklagten ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen könne; auf die Anlage K3 (Bl. 18 d.A.) wird Bezug genommen. Mit Email vom 12. März 2021 informierte die Beklagte die Klägerin über die seitens der P. festgestellten Auffälligkeiten und bat darum, von weiteren amtlichen Messungen mit dem streitgegenständlichen Gerät zunächst Abstand zu nehmen. Mit weiterer Email vom 5. Juli 2021 teilte die Beklagte der Klägerin sodann mit, dass von ihr keine weiteren Maßnahmen ergriffen würden, um Messungenauigkeiten auszuschließen. Mit Schreiben vom 23. August 2021 wurde die Beklagte von der Klägerin unter Fristsetzung bis zum 14. September 2021 aufgefordert, die vermeintlichen Mängel an allen von der Klägerin erworbenen Geräten zu beseitigen. Nachdem diese Aufforderung erfolglos blieb, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 22. September 2021 den Rücktritt von den Kaufverträgen. Streitgegenständlich ist allein der Kaufvertrag über das im Januar 2021 gelieferte Gerät.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Umstand, dass das Geschwindigkeitsmessgerät aufgrund der Messwertauffälligkeiten nicht mehr im Rahmen eines sogenannten standardisierten Messverfahrens verwendet werden kann und damit auch nicht für amtliche Geschwindigkeitsmessungen geeignet sei, stelle einen Sachmangel dar.

Die Beklagte behauptet, ein Sachmangel sei nicht gegeben und das Messgerät dürfe nach wie vor für amtliche Geschwindigkeitsmessungen eingesetzt werden. Nach dem für das streitgegenständliche Gerät geltenden § 62 Abs. 2 S. 1 MessEG werde bis zum 31. Dezember 2024 unwiderleglich davon ausgegangen, dass die zugelassene Bauart die für diese Messgeräte geltenden wesentlichen Anforderungen des § 6 Abs. 2 MessEG einhalte.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache in vollem Umfang stattgegeben und die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 28.560,00 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe der streitgegenständlichen Anlage verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klägerin habe ein Rücktrittsrecht zugestanden, denn der Kaufgegenstand sei mangelhaft gewesen. Die Parteien hätten die Verwendbarkeit des Gerätes für amtliche und gerichtsverwertbare Geschwindigkeitsmessungen vertraglich vereinbart. Eine Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung sei mit der Überschreitung der Fehlergrenzen nicht gegeben, da die mit der Anlage erzielten Ergebnisse im Rahmen von Bußgeldverfahren nicht im Sinne durch ein standardisiertes Messverfahren erzielter Ergebnisse verwendet werden könnten. Insoweit sei die Bindungswirkung der Bauartzulassung unerheblich, da diese sich auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Gerätes beziehe und später aufgedeckte Messfehler für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens nicht unberücksichtigt gelassen werden können. Der Mangel sei bereits bei der Übergabe des Geräts vorhanden gewesen, das diesbezügliche Bestreiten der Beklagten sei zu pauschal und daher nicht zu berücksichtigen. Eine Nutzungsentschädigung sei von der Klägerin nicht zu gewähren, da die staatlichen Bußgelder keine Nutzungen der Sache seien. Im Übrigen spreche die nur sehr kurze Dauer der Nutzbarkeit gegen einen messbaren Wertverlust, anhand dessen die Gebrauchsvorteile bestimmt werden könnten. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts vom 13. Juni 2022 verwiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klagabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie führt ergänzend aus, dass das streitgegenständliche Gerät dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Bauartzulassung durch die P. im Jahr 2009 entspreche. Zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht bekannte äußere Einflüsse könnten auch aufgrund der übergangsweise geregelten gesetzlichen Vermutung keinen Sachmangel begründen. Da die Klägerin ein Geschwindigkeitsmessgerät dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Zulassung im Jahr 2009 erworben hat, schulde die Beklagte auch nur diesen Stand der Technik. Das Gericht habe sich ferner nicht ausreichend mit der Übergangsvorschrift des § 62 MessEG auseinandergesetzt. Zudem seien die Einnahmen aus dem Einsatz des Messgeräts jedenfalls als mittelbare Rechtsfrüchte im Sinne des § 99 Abs. 3 BGB anzusehen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 12. August 2022 verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie trägt ergänzend vor, das Messgerät dürfe nach der Stellungnahme des Amtes für M. N. nicht für amtliche Geschwindigkeitsmessungen verwendet werden. Im für die Klägerin relevanten Bezirks des OLG Celle würden Bußgeldbescheide aufgehoben, denen eine Messung mit dem streitgegenständlichen Gerät zu Grund liege, da die Richtigkeit der ermittelten Geschwindigkeit nicht mehr garantiert sei. Hinsichtlich der Nutzungsentschädigung ist die Beklagte der Ansicht, dass die Geldbußen eine staatliche Sanktion für die verwirklichte Ordnungswidrigkeit darstellten, gegenüber der eine Einnahmeerzielung der öffentlichen Hand als Nebeneffekt zurücktrete. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Berufungserwiderung vom 12. September 2022 verwiesen.

II.

Die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich sein. Ferner dürfte eine mündliche Verhandlung nicht geboten sein. Die Berufung hat nach vorläufiger Beurteilung aus folgenden Gründen auch keine Aussicht auf Erfolg:

1. Das Landgericht hat zutreffend einen Mangel im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB a.F. angenommen. Die Parteien haben die Verwendung des Kaufgegenstandes zur Durchführung amtlicher und gerichtsverwertbarer Geschwindigkeitsmessungen vertraglich vorausgesetzt. Diesen vertraglich vorausgesetzten Verwendungszweck nimmt die Beklagte auch nicht in Abrede.

a) Für die Mangelfreiheit darf infolge der tatsächlichen Beschaffenheit der Kaufsache bei bestimmungsgemäßer Verwendung ihre Eignung weder beseitigt noch vermindert sein (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2017, Az: VIII ZR 80/16, Rn. 18, zit. nach juris). Das kann auf dem tatsächlichen Zustand der Sache selbst beruhen, aber auch auf den in ihrem Zustand begründeten tatsächlichen, wirtschaftlichen oder rechtlichen Beziehungen zu Umständen, die außerhalb der Sache liegen (Palandt/Weidenkaff, BGB, 79. Auflage, § 434 a.F. Rn. 23). Die vertraglich vorausgesetzte Verwendung kann daher unmöglich oder beeinträchtigt sein, ohne dass sich dies aus der Beschaffenheit der Kaufsache ergibt, sie muss aber - wie die Beschaffenheit - mit der Kaufsache zusammenhängen, darf also nicht lediglich daran scheitern, dass der Käufer mit der Sache nicht umgehen kann (MüKoBGB/ Westermann, 8. Aufl. 2019, BGB § 434 Rn. 18, zit. nach beck-online).

b) Gemessen daran ist die Kaufsache vorliegend für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht geeignet. Amtliche und gerichtsverwertbare Geschwindigkeitsmessungen setzen zur Entlastung der Gerichte ein standardisiertes Messverfahren voraus. Denn der Tatrichter ist nur dann gehalten, die Zuverlässigkeit von Messungen, die mit einem anerkannten und weitgehend standardisierten Messverfahren gewonnen worden sind, zu überprüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen. Ob solche Anhaltspunkte im Einzelfall gegeben sind, kann unter anderem auch von den technischen Besonderheiten des angewandten Messverfahrens abhängen und daraus resultieren, dass unter bestimmten Bedingungen - etwa schlechte Sichtverhältnisse und/oder hohe Verkehrsdichte - die Zuordnung des Messergebnisses zu einem bestimmten Fahrzeug besonderer Überprüfung bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997, Az: 4 StR 24/97, Rn. 26, zit. nach juris). Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Oktober 2009, Az: 1 SsRs 71/09, Rn. 2, zit. nach juris). Die P. hat auf ihrer Homepage in einem Zwischenbericht veröffentlicht, dass es im Rahmen einer umfangreichen Versuchsreihe mit präparierten Testfahrzeugen zu unzulässigen Messwertabweichungen kam (Anlage K3, Bl. 18 d.A.). Nach den Untersuchungen der P. liegt demnach jedenfalls derzeit bei sämtlichen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät L. kein vereinheitlichtes (technisches) Verfahren mehr vor, bei dem Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18. Juni 2021, Az: 2 Ss (Owi) 69/21, Rn. 24, zit. nach juris). Dies führt dazu, dass dieser Gerätetyp mangels Zuverlässigkeit nicht mehr den Anforderungen eines standardisierten Messverfahrens entspricht (Helle in: Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage, § 3 StVO (Stand: 21. März 2022), Rn. 88, zit. nach juris).

c) Dem steht nicht entgegen, dass nach der Übergangsregelung des § 62 Abs. 2 MessEG die Bauartzulassung fortbesteht. Zwar ist bezüglich der Eichung auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens, also 2009 abzustellen. Dabei kann dahinstehen, ob entsprechend der Auffassung der Beklagten dies konsequenterweise auch bezüglich der Bewertung des Messgerätes während seiner Verwendung gelten, weil sonst ein Widerspruch zum in § 62 Abs. 2 S. 1 MessEG geregelten Bestandsschutz entstünde. Denn Voraussetzung für das Erlangen gerichtsverwertbarer Ergebnisse durch ein Messverfahren ist nicht allein die Bauartzulassung. Entscheidend dafür, ob ein Messverfahren gerichtsverwertbare Ergebnisse liefert, ist wie oben dargelegt, dass die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind, es sich mithin um ein standardisiertes Verfahren handelt. Dies ist nach den Feststellungen der P. im Jahr 2021 zu verneinen.

d) Ferner steht der Annahme eines Mangels nicht entgegen, dass nach dem Vortrag der Beklagten die Messungenauigkeiten nur bei manipulierten Fahrzeugen außerhalb des Straßenverkehrs aufgetreten seien. Zum einen zeigt die Beklagte nicht auf, dass es ausgeschlossen sei, dass auch entsprechend manipulierte Fahrzeuge am realen Straßenverkehr teilnehmen. Zudem ist durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 19. Juni 2021 (Az: 2Ss (OWi) 67/21), des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. August 2021 (Az: 202 ObOWi 880/21), des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 10. Juni 2021 (Az: 6 Rb 26 Ss 133/21) und gerade des Oberlandesgerichts Celle als für den Bezirk der Klägerin maßgebliches Gericht vom 18. Juni 2021 (Az: 2 Ss (OWi) 69/21; jeweils zit. nach beck-online) festgestellt, dass bei dem Messverfahren des streitgegenständlichen Messgeräts jedenfalls gegenwärtig nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann. Entsprechend wurde die Verwendung des streitgegenständlichen Messgerätes vom zuständigen Landesbetrieb M. N. bis zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen durch den Hersteller für amtliche Messungen zur Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen für unzulässig erklärt (vgl. Anlage K6, Bl. 22 d.A.).

2. Das Landgericht hat ebenfalls zutreffend festgestellt, dass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrüberganges gemäß § 434 Abs. 1 S. 1 BGB vorlag.

a) Grundsätzlich ist die Klägerin für diesen Umstand darlegungs- und beweisbelastet. Das Landgericht hat zutreffend über diese Frage keinen Beweis erhoben, da das einfache Bestreiten der Beklagten diesbezüglich nicht erheblich ist. Die unzulässigen Messwertabweichungen beruhen auf der Bauart, die das Gerät bereits im Zeitpunkt der Übergabe aufwies. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass insoweit Änderungen an dem Gerät erfolgt seien.

b) Der Annahme, dass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrüberganges vorlag, steht nicht entgegen, dass die Messanlage im Zeitpunkt der Übergabe am 13. Januar 2021 die Anforderungen in der Praxis als standardisiertes Messverfahren anerkannt war und die Ursache des Mangels nicht in der Anlage liegt, sondern in den äußeren Umständen, da die Messergebnisse nur bei Verwendung manipulierter Fahrzeuge Ungenauigkeiten aufwiesen. Ergibt sich erst auf Grund nach Gefahrübergang gewonnener technischer oder wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass die Sache die Beschaffenheit nicht aufweist, die sie nach § 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB oder § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3 BGB aufweisen muss, oder sich nicht für die Verwendung eignet, die sie nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 oder Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ermöglichen muss, liegt ein Mangel vor (BeckOK BGB/Faust, 63. Ed. 1.8.2022, BGB § 434 Rn. 26, zit. nach beck-online). Aus dem gleichen Grund greift der Einwand der Beklagten aus der Berufungsbegründung, das einfache Bestreiten sei ausreichend, da der Sachmangel auf Versuchsanordnungen im Jahr 2021 begründet werde, die Beklagte aber nur eine Anlage mit dem Stand der Technik 2009 schulde, nicht durch. Beiden Parteien lag bei Vertragsschluss die Vorstellung zu Grunde, dass die Anlage mit ihrem Stand der Technik diejenigen Vorgaben, die an ein standardisiertes Messverfahren zu stellen sind, einhält.

3. Das Landgericht hat ebenso zutreffend entschieden, dass die Klägerin keine Nutzungen herauszugeben hat beziehungsweise keinen Wertersatz zu leisten hat.

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten in der Berufungsbegründung sind die aufgrund mit dem streitgegenständlichen Gerät eingenommenen Bußgelder keine mittelbaren Rechtsfrüchte im Sinne des § 99 Abs. 3 BGB. Mittelbare Früchte im Sinne des § 99 Abs. 3 BGB sind die Erträge, die eine Sache auf Grund eines Rechtsverhältnisses über die Sache gewährt, das auf Erzielung des Ertrages gerichtet ist (MüKoBGB/Stresemann, 9. Aufl. 2021, BGB § 99 Rn. 6, zit. nach beck-online). Die Bußgelder sind jedoch kein Ertrag im Sinne des § 99 Abs. 3 BGB. Dem steht das Wesen der Geldbuße entgegen, die eine staatliche Sanktion für einen vorwerfbar verwirklichten Ordnungswidrigkeitentatbestand darstellt. Der Geldbuße kommt in diesem Zusammenhang zunächst eine repressive Funktion zu, weil dem Betroffenen durch ihre Verhängung eindringlich zum Bewusstsein gebracht werden soll, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat. Die Erfahrung lehrt, dass staatliche Gebote und Verbote weitgehend unbeachtet bleiben, sofern aus einer Nichtbefolgung keine Nachteile drohen. Erst die Androhung einer Sanktion führt dazu, dass sich ein Großteil der Normadressaten zur Respektierung der Norm entschließt. Zweck der Geldbuße ist es also gerade, den Bürger zu einem sozialadäquaten Verhalten zu bewegen (als Umsetzung einer "verwaltungsrechtliche Pflichtenmahnung", vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92 -, juris Rn. 26 m.w.N.). Demgegenüber dient die Verhängung eines Bußgeldes nicht dazu, dem Staat willkommene Einnahmen zu verschaffen. Auch wenn die Finanzmittel tatsächlich der Bundes- oder Landeskasse bzw. den von diesen bestimmten Verwaltungshaushalten zufließen (§ 90 Abs. 2 OWiG), handelt es sich dabei nur um einen erwünschten Nebeneffekt, der aber nicht der Deckung des Finanzbedarfs dient. Das wird besonders deutlich, wenn man die präventive Funktion der Geldbuße betrachtet, durch die der jeweilige Täter davon abgehalten werden soll, zukünftig gleichartige Zuwiderhandlungen zu begehen (vgl. LG Aachen, Urteil vom 26. Juli 1996, Az 9 O 484/95, zit. nach beck-online).

Insofern war es auch ermessensfehlerfrei, dass das Landgericht von einer Aufforderung der Klägerin zur Erteilung einer Auskunft zu den mit dem streitgegenständlichen erzielten "Einnahmen" abgesehen hat, unabhängig davon, ob die Erteilung einer derartigen Auskunft überhaupt unter § 142 ZPO fällt. Da ein Zahlungsanspruch der Beklagten in Bezug auf die eingenommenen Bußgelder wie oben dargelegt nicht besteht, fehlte für eine entsprechende Auskunft von vornherein eine Rechtsgrundlage.

b) Der Senat schließt sich den Ausführungen des Landgerichts zur Höhe des Wertersatzes für die Nutzungen an. Die Höhe kann nach § 287 ZPO geschätzt werden (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Auflage, § 346 Rn. 10). Im Hinblick auf die nur kurze Nutzungsdauer von knapp zwei Monaten geht auch der Senat von einem kaum messbaren Wertverlust aus.

c) Im Übrigen sind die sich aus dem Rücktritt ergebenden Verpflichtungen der Parteien Zug-um-Zug zu erfüllen, § 348 S. 1 BGB. Die wechselseitigen Rückgewähransprüche nach dem Rücktritt einer Partei gem. § 346 BGB stehen unabhängig nebeneinander und sind nach § 348 S. 1 BGB Zug um Zug zu erfüllen, was eine automatische Saldierung ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2017, Az: V ZR 134/16, Rn.13, zit. nach beck-online). Eine Aufrechnungserklärung hat die Beklagte in erster Instanz nicht abgegeben und gibt eine solche auch mit der Berufungsbegründung nicht ab.

II.

Der Schriftsatz der Beklagten vom 22. November 2022 (eingegangen am 23. November 2022, Bl. 239 d.A.) gibt dem Senat keine Veranlassung, in der Sache anders zu entscheiden:

1. Es ist unerheblich, ob einzelne Gerichte weiterhin davon ausgehen, das streitgegenständliche Geschwindigkeitsmessgerät erfülle die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens. Hier ist allein die Auffassung des für das Gebiet des Klägers zuständigen Gerichts maßgebend, da der Kläger nur in diesem Gebiet amtliche Geschwindigkeitsmessungen durchführen kann. Ebenso ist unerheblich, ob in Bayern bis in den August 2021 trotz der Feststellungen der P. Messanlagen des Gerätetyps L. zu Geschwindigkeitsmessungen eingesetzt wurden. Dies bleibt den Behörden unbenommen, es ist dann gegebenenfalls in Kauf zu nehmen, dass die Ergebnisse in sich anschließenden Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht anerkannt werden.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Annahme eines Sachmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs nicht die gesetzliche Vermutung des § 62 Abs. 2 S. 1 MessEG entgegen.

a) Auch wenn § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 MessEG eine unwiderlegliche Vermutung dafür aufstellt, dass das Messgerät die Anforderungen einhält, die einzuhalten sind, um dem Stand der Technik zur Gewährleistung richtiger Messergebnisse und Messungen zu entsprechen, ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass es tatsächlich zu Abweichungen bei den Messergebnissen kommt. Entsprechend sieht § 50b MessEG vor, dass in solchen Fällen die zuständige Marktüberwachungsbehörde den betreffenden Wirtschaftsakteur zur Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen auffordert. Ob das M. N. (M.) als zuständige Marktüberwachungsbehörde die Beklagte zur Ergreifung der erforderlichen Maßnahmen aufgefordert hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls hat das M. den Kläger im Schreiben vom 6 Mai 2021 (Anklage K6, Bl. 23 d.A.) darauf hingewiesen, dass eine bestimmungsgemäße Verwendung des streitgegenständlichen Messgerätes derzeit nicht sichergestellt sei und eine Verwendung zur Durchführung von Messungen zur Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen bis zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen unzulässig sei.

b) Dieser Annahme steht ebenfalls nicht die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 21. Januar 2021 zu dem Gerät P. entgegen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dort zwar ausgeführt, dass der Tatrichter beim Vorhandensein eines gültigen Eichscheins den Schluss ziehen darf, dass die Konformitätsbescheinigung und die Konformitätserklärung vorgelegen haben und das Messgerät ordnungsgemäß in den Verkehr gebracht worden ist und als Folge davon ausgehen darf, dass ein standartisiertes Messverfahren angewendet wurde (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Januar 2021, Az: IV-2 RBs 1/21, Rn. 42-43, zit. nach juris). Das OLG Düsseldorf hat in dem zugrundeliegenden Fall den Antrag auf Zulassung einer Rechtsbeschwerde gegen einen Bußgeldbescheid zurückgewiesen, weil der gültige Eichschein des Geräts ohne Beiziehung der Konformitätsbescheinigung und der Konformitätserklärung ausreichend sei, um das Messfoto als Beweismittel zu verwerten (OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 30). Anders als hier gab es zu dem Gerät P. jedoch keine festgestellten messtechnischen Unwägbarkeiten, die gegen die Annahme eines standardisierten Messverfahrens sprachen.

c) Im Übrigen ist eine Änderung der Gebrauchsanweisung als Korrekturmaßnahme möglich, dies ergibt sich aus § 50 b Abs. 2 MessEG. Eine solche wurde im Jahr 2020 zu dem streitgegenständlichen Gerät auch - letztlich erfolglos - vorgenommen (vgl. Anlage K5, Bl. 21 d.A.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.