Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 01.12.2022, Az.: 13 U 49/22 (Kart)

Unterlassung des Ausbaus eines Glasfasernetzes durch Wettbewerber; Listung eines Gebiets auf einer Shortlist; Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.12.2022
Aktenzeichen
13 U 49/22 (Kart)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 49068
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2022:1201.13U49.22KART.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 08.08.2022 - AZ: 18 O 115/22

Amtlicher Leitsatz

Die im Fusionskontrollverfahren zur Verhinderung einer unangemessenen Blockade eines Netzausbaus durch Wettbewerber gegebene Verpflichtungszusage, einen Netzausbau nur dann vorzunehmen, wenn sich das fragliche Gebiet für einen bestimmten Zeitraum auf einer sog. Shortlist befand, ist nicht ohne weiteres dahin auszulegen, dass dieser Netzausbau unterbleiben muss, wenn ein durch diese Zusage zu schützender Wettbewerber einen eigenen Ausbau dieses Gebietes plant.

Tenor:

I.

Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das am 8. August 2022 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise abgeändert.

Der Verfügungsbeklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,

im Zuge geschäftlicher Handlungen

  1. 1.

    einen Ausbau des Gebiets "W. Ost", wie in der nachstehenden Karte orange umrandet,

olg_celle_20221201_13u4922kart_urteil_as1

mit Glasfaseranschlüssen mit der zeitlichen Bezugnahme auf einen Baustart im September bzw. Oktober 2022 und ein Bauende im März bzw. im Frühjahr 2023 anzukündigen und/oder zu bewerben;

  1. 2.

    eine Bestellmöglichkeit bezüglich Glasfaseranschlüssen im Gebiet "W. Ost" (vgl. oben) zum 2. August 2022 anzukündigen und/oder zu bewerben, insbesondere wenn dies geschieht, wie in der Anlage AST 10 und nachstehend dargestellt:

olg_celle_20221201_13u4922kart_urteil_as2

Im Übrigen bleibt es bei der erstinstanzlichen Zurückweisung des Verfügungsantrags zu 1.

II.

Die Kosten des Verfügungsverfahrens in beiden Instanzen tragen die Verfügungsklägerin zu ¾ und die Verfügungsbeklagte zu ¼.

Gründe

(abgekürzt gem. § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO)

A.

Die Verfügungsklägerin ist ein kommunales Unternehmen, das unter anderem den Ausbau des Glasfasernetzes auf dem Gebiet seiner Alleingesellschafterin betreibt. Die Verfügungsbeklagte ist ein Gemeinschaftsunternehmen, das ebenfalls den Ausbau des Glasfasernetzes zum Gegenstand hat. Mit ihren Anträgen begehrt die Verfügungsklägerin, der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, das Gebiet W. Ost mit Glasfaseranschlüssen auszubauen sowie diesen Ausbau und Bestellmöglichkeiten für die entsprechenden Anschlüsse in diesem Gebiet anzukündigen oder zu bewerben.

Das Bundeskartellamt hat die Zusammenarbeit der T. GmbH und der E. AG in dem Gemeinschaftsunternehmen der Verfügungsbeklagten mit Beschluss vom 30. Dezember 2019 freigegeben. Zuvor hatte es mit Beschluss vom 4. Dezember 2019 bestimmte Verpflichtungszusagen dieser Beteiligten für bindend erklärt. Diese enthielten unter A. 4. Zusagen zur "Verhinderung einer unangemessenen Blockade des Ausbaus durch Wettbewerber". Die Beteiligten des Gemeinschaftsunternehmens hatten sich dort insbesondere verpflichtet, den Ausbau des Glasfasernetzes nur in bestimmten Gebieten zu betreiben, unter anderem in Gebieten, die sich mehr als 9 Monate auf einer sogenannten Shortlist befanden.

Die Verfügungsbeklagte setzte das hier infrage stehende Ausbaugebiet am 3. September 2021 auf diese Shortlist. Im Frühjahr 2022 beschloss die Verfügungsklägerin den eigenen Ausbau des Netzes in einem wesentlichen Teil dieses Ausbaugebietes und vermarktete diesen. Ab dem 3. Juni 2022 kündigte die Verfügungsbeklagte ihrerseits den Ausbau des Gebietes an. Sie kündigte in diesem Zusammenhang einen Baustart im September 2022 und ein Bauende im März 2023 an, wobei diese Termine im weiteren Verlauf teilweise korrigiert wurden.

Das Landgericht hat die Verfügungsanträge sowohl mangels Verfügungsansprüchen als auch mangels Verfügungsgrund zurückgewiesen. Die Verfügungsklägerin verfolgt mit der Berufung im Wesentlichen ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter, wobei sie den Antrag zu 2. im Hinblick auf die veränderte Bewerbung des Ausbaus durch die Verfügungsklägerin ergänzt und im Übrigen in diesem Antrag nicht mehr unmittelbar die angegriffene Darstellung im Internet Bezug nimmt.

B.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Die Verfügungsklägerin begehrt zum einen mit dem Verfügungsantrag zu 1., der Verfügungsbeklagten grundsätzlich den Ausbau des streitgegenständlichen Gebietes "W. Ost" zu untersagen. Der Verfügungsantrag zu 2. richtet sich demgegenüber nicht gegen die grundsätzliche Zulässigkeit eines solchen Ausbaus - und einer diesbezüglichen Bewerbung -, sondern gegen die Bewerbung mit einem engen Zeitrahmen, nämlich einem Baustart im September (bzw. später: Oktober) 2022 und einem Bauende im März bzw. Frühjahr (oder auch: Mai) 2023. Auch der Antrag zur 3. richtet sich nicht gegen die grundsätzliche Zulässigkeit des Ausbaus und der Bewerbung, sondern gegen die Zulässigkeit der Bewerbung mit einer zeitlichen Konkretisierung ähnlich der vorstehend dargestellten.

Die Berufung ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Verfügungsantrags zu 1. richtet. Der streitgegenständliche Ausbau und dessen Bewerbung sind nicht grundsätzlich unzulässig. Die Berufung ist aber begründet, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Verfügungsanträge zu 2. und 3. richtet. Die dortige Darstellung des engen zeitlichen Rahmens für den Ausbau war irreführend und unzulässig.

Die Änderung des Verfügungsantrags zu 2. im Berufungsverfahren, die im Wesentlichen auf die geänderte Bewerbung durch die Verfügungsbeklagte zurückzuführen ist, ändert den Klagegrund nicht und ist nach § 264 ZPO zulässig.

I.

Der Verfügungsklägerin steht ein Verfügungsanspruch nur im Umfang der Verfügungsanträge zu 2. und 3. zu, mithin gerichtet auf die Untersagung der Ankündigung bzw. Bewerbung des Ausbaus in der konkreten Verletzungsform bzw. unter der erfolgten Angabe des engen zeitlichen Rahmens des Ausbaus.

1. Der Verfügungsklägerin steht kein Anspruch zu, der Verfügungsbeklagten den Ausbau des streitgegenständlichen Gebietes mit Glasfaseranschlüssen entsprechend des Verfügungsantrags zu 1. zu untersagen.

a) Aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die insoweit Bezug genommen wird und gegen die die Berufung insoweit nichts vorbringt, folgt ein solcher Anspruch nicht aus § 41 Abs. 1 Satz 1 GWB.

b) Ein solcher Unterlassungsanspruch folgt auch nicht aus § 33 Abs. 1 GWB unter dem Gesichtspunkt, dass die Verfügungsbeklagte gegen eine Verfügung der Kartellbehörde, nämlich gegen die Verbindlicherklärung der Verpflichtungszusagen der Muttergesellschaften der Verfügungsbeklagten durch Beschluss des Bundeskartellamtes vom 4. Dezember 2019 (Anlage ASt 17) verstoßen hätte.

Dabei kann offenbleiben, ob eine solche Verbindlicherklärung nach § 32b Abs. 1 Satz 1 GWB zur Folge hat, dass im Falle einer Verletzung der für bindend erklärten Verpflichtungszusagen Dritten zivilrechtliche Ansprüche aus § 33 Abs. 1 GWB zustehen können (befürwortend: Bornkamm/Tolkmitt in: Bunte, 14. Aufl., § 32b Rn. 21; Spiecker in: MüKoEuWettbR, 4. Aufl. 2022, § 32b GWB, Rn. 34; ablehnend: Jaeger in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder/Seeliger, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 103. Lfg., § 32b GWB, Rn. 41; Otto in: LMRKM, 4. Aufl., § 32b GWB, Rn. 17).

Jedenfalls war die Verfügungsbeklagte aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auch nach Nr. 4.1.4 ihrer Verpflichtungszusage nicht verpflichtet, von dem Ausbauvorhaben deshalb Abstand zu nehmen, weil die Verfügungsklägerin als Wettbewerberin der Verfügungsbeklagten in dem streitgegenständlichen Gebiet ebenfalls einen Glasfaserausbau plante.

Nr. 4.1.4. der Verpflichtungszusage regelt - wie das Landgericht zutreffend erkannt hat - eine Privilegierung der Verfügungsbeklagten "für den Fall", dass ein Ausbaugebiet wegen eines sog. Wettbewerberausbaus von der sog. Shortlist gestrichen wird. Hieraus lässt sich bereits dem Wortlaut nach nicht schlussfolgern, dass ein Ausbauvorhaben in jedem Fall eines sog. Wettbewerberausbaus von der Liste zu streichen sei. Auch die vom Landgericht herausgearbeitete Systematik spricht hiergegen. Allenfalls ließe sich für die Rechtsauffassung der Verfügungsklägerin anführen, dass Nr. 4.1.4 Satz 7 bestimmt, dass die jeweils nächsten Gebiete von der Nachrückerliste auf die Shortlist nachrücken, sofern in dem vorrangigen Nachrückergebiet ebenfalls ein Wettbewerberausbau vorliegt, ohne dass es nach dieser Formulierung einer Entscheidung der Verfügungsbeklagten bedürfe, in dem vorrangigen Nachrückergebiet aufgrund des Wettbewerberausbaus keinen Ausbau vorzunehmen. Hierin liegt aber erkennbar nur eine vereinfachte Darstellung, der erkennbar zugrunde liegt, dass ein Wettbewerberausbau nicht automatisch bzw. rechtlich zwingend zu einer "Streichung" von der Shortlist führt.

Zutreffend hat das Landgericht schließlich auch erkannt, dass der Zweck dieser vertraglichen Regelung gegen die von der Verfügungsklägerin vertretene Auffassung spricht. Wie auch vom Bundeskartellamt berücksichtigt, soll vermieden werden, dass Ausbauvorhaben Dritter durch "bloße, kurzfristige Ankündigungen der Beteiligten, in demselben Gebiet ebenfalls einen Ausbau vorzunehmen, behindert werden können" (Beschluss des Bundeskartellamtes vom 4. Dezember 2019, Anlage AST 17, Rn. 127 f.; vgl. auch Rn. 64). Die von der Verfügungsklägerin vertretene Auslegung hätte demgegenüber letztlich zur Folge, dass ein Wettbewerb insgesamt ausgeschlossen wäre, weil die Verfügungsbeklagte stets dann zwingend von einem eigenen Ausbauvorhaben Abstand nehmen müsste, wenn sich Wettbewerber zu einem Ausbau entschließen. Eine derart wettbewerbsfeindliche Zielrichtung liegt der Verpflichtungszusage ersichtlich nicht zugrunde. Das Bundeskartellamt führt in dem Beschluss vom 4. Dezember 2019 auch ausdrücklich aus, dass der "Wettbewerbsdruck auf die jeweils ausbauenden Unternehmen aufrechterhalten werden soll" (Rn. 129) und die Zusage eine Belebung des Endkundenmarktes erwarten lasse (Rn. 164).

c) Schließlich folgt ein Anspruch, der Verfügungsbeklagten den Ausbau des streitgegenständlichen Gebietes mit Glasfaseranschlüssen zu untersagen, auch nicht aus § 33 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Abgesehen von der durch die Darstellung eines kurzen zeitlichen Rahmens charakterisierten konkreten Bewerbung des Ausbaus wäre weder der geplante Ausbau noch dessen grundsätzliche Bewerbung missbräuchlich.

(1) Diese verstießen als solche - wie gezeigt - nicht gegen die Verpflichtungszusage, sodass offenbleiben kann, inwieweit ein denkbarer Verstoß eine Missbräuchlichkeit indizierte. Auch im Übrigen hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass die "Vernichtung" eines sog. First-Mover-Advantages durch die als solche nicht zu beanstandende wirtschaftliche Tätigkeit eines Wettbewerbers keine unbillige Behinderung darstellt.

(2) Ein Unterlassungsanspruch besteht auch nicht deshalb, weil die Verfügungsbeklagte bereits vor Ablauf von 9 Monaten, nachdem sie dieses Ausbauvorhaben auf die Shortlist gesetzt hatte, Planungen und Vorarbeiten für eine Technikstation durchgeführt hatte.

(a) Zwar dürfen Ausbaumaßnahmen nach Nr. 4.1.1 der Verpflichtungszusage bei Gebieten, deren Ausbau aufgrund der Aufnahme auf der Shortlist zulässig ist, nur erfolgen, wenn sich diese Gebiete mehr als 9 Monate auf der Shortlist befunden haben. Hiervon betroffene Ausbaumaßnahmen sind nach Nummer 4.1.2 auch vorbereitende, nicht ausschließlich nach Innen gerichtete Maßnahmen einschließlich der Beantragung behördlicher Genehmigungen.

Die Stellung des Bauantrags am 8. April 2022 und Baumfällarbeiten im Februar 2022 - mithin vor Ablauf der 9-Monats-Frist - verstießen aber schon deshalb nicht gegen diese Regelung, weil der Technikstandort nicht allein für das infrage stehende Ausbaugebiet, sondern auch für Ausbaugebiete genutzt werden sollte, die von keiner Kommunikationssperre betroffen waren; Gegenteiliges hat die Verfügungsklägerin nicht glaubhaft gemacht. Da diese Maßnahmen (auch) im Zuge der Vorbereitung eines zulässigen Ausbaus anderer Gebiete durchgeführt wurden, waren sie nicht nach Nr. 4.1.1, 4.1.2 der Verpflichtungszusage deshalb unzulässig, weil der dort zu errichtende Technikstandort daneben auch dem Netzbetrieb in dem hier infrage stehenden und damals noch von einer Kommunikationssperre betroffenen Gebiet dienen sollte.

(b) Selbst unterstellt, dass die damaligen Planungen und Vorarbeiten für diesen Technikstandort hiernach unzulässig gewesen wären, führte dies nicht dazu, dass die Verfügungsbeklagte jetzt den Netzausbau in dem fraglichen Gebiet unterlassen müsste. Dieser Netzausbau als solcher ist zulässig. Die Verfügungsbeklagte missbraucht durch ihn insbesondere nicht ihre marktbeherrschende Stellung nach § 19 Abs. 1 GWB. Die - unterstellte - wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit einer Vorbereitungsmaßnahme führte allenfalls dann zu einer Missbräuchlichkeit und damit Unzulässigkeit der konkret angegriffenen Maßnahme, wenn die Vorbereitungsmaßnahme zu Vorteilen für den Marktbeherrscher geführt hätte, die aktuell noch fortwirkten und einem fairen Wettbewerb entgegenstünden. Eine solche Fortwirkung besteht vorliegend aber nicht, nachdem das Bauvorhaben eines Technikstandorts nicht genehmigt wurde und der Netzausbau unabhängig hiervon erfolgen soll. Wettbewerbsvorteile aufgrund der Kommunikation eines unrealistisch frühen Baustarts sind Gegenstand der Verfügungsanträge zu 2. und 3., stehen dem Ausbau als solchem aber nicht entgegen.

2. Der Verfügungsklägerin steht aber entgegen der Auffassung des Landgerichts ein Anspruch zu, der Verfügungsbeklagten die Ankündigung und Bewerbung eines Ausbaus des streitgegenständlichen Gebietes entsprechend des Verfügungsantrags zu 2. mit der zeitlichen Bezugnahme auf einen Baustart im September (bzw. Oktober) 2022 und ein Bauende im März bzw. im Frühjahr oder im Mai 2023 zu untersagen.

a) Diese Ankündigungen bzw. Bewerbungen stellen geschäftliche Handlungen i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar und waren irreführend, so dass der Verfügungsklägerin ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, §§ 3, 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 UWG zusteht.

aa) Diese Aussagen der Verfügungsbeklagten, die jedenfalls bis Ende Juli 2022 (vgl. Antragserwiderung vom 31. Juli 2022, Rn. 37) und nach dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung auch noch im August 2022 auf deren Internetseite entsprechend der Anlagen AST 9, 12 und AG 8 getätigt wurden, enthielten jedenfalls zur Täuschung geeignete Angaben im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG über die Verfügbarkeit und den Zeitpunkt der Herstellung der von der Verfügungsbeklagten beworbenen Glasfaseranschlüsse.

(1) Auf den entsprechenden Internetseiten der Verfügungsbeklagten wurde der Glasfaserausbau durch diese in dem streitgegenständlichen Gebiet dargestellt. Auf der dortigen ersten Seite wurde durch die farbliche Hervorhebung der Ziffer "1" hinreichend kenntlich gemacht, dass man sich aktuell in der "Planungsphase" befinde. Diese Phase wurde sodann durch den Zusatz "Unsere Experten planen das Ausbauprojekt" beschrieben. Ebenfalls unter diesem Unterpunkt "1. Planungsphase" fanden sich die fraglichen Angaben "Baustart September 2022" und "Bauende März 2023".

(2) Entgegen der wohl von der Verfügungsbeklagten vertretenen Auffassung vermittelt dieser Aufbau dem durchschnittlich informierten Adressaten nicht den Eindruck, dass es sich bei diesen genannten Daten um unverbindliche Annahmen handele, die von der weiteren Planung abhingen. Ein entsprechender ausdrücklicher Vorbehalt erfolgte nicht. Eine solche Einschränkung ergab sich auch nicht notwendig oder auch nur naheliegend aus der thematischen Zuordnung dieser Angaben zu der Planungsphase. Diese Zuordnung schloss für sich genommen zwar nicht aus, dass auch diese Daten abhängig von dem konkreten Planungsfortschritt noch veränderlich sein sollten. Ebenso war aber das Verständnis möglich, dass es sich bei diesen Daten um feststehende Eckdaten handele, die für die damals aktuell stattfindende Planung verbindlich seien, und dass sich die Planung nur auf weitere Einzelheiten bezöge.

Unter Berücksichtigung der weiteren Angaben dieser Darstellung im Internet entstand bei den angesprochenen Verkehrskreisen naheliegend - wenn nicht sogar zwingend - der letztgenannte Eindruck, dass es sich bei den Daten nicht um unverbindliche Planungsannahmen, sondern vielmehr unabhängig von der weiteren Planung um verbindliche Eckdaten handelte. Hierfür sprach zunächst schon, dass in derselben grafischen Darstellung der Vermarktungsbeginn mit einem konkreten Datum, nämlich dem 1. September 2022 angegeben war, was eher nahelegt, dass dieser Termin feststand. Hierfür sprach auch die weitere Erläuterung zur Ziffer 3: "3. Die Vermarktung startet am 01.09.2022". Dass die beiden erstgenannten Termine eine grundsätzlich andere Qualität haben sollten, war nicht naheliegend; insoweit war lediglich offen, wann diese Termine in den Monaten September 2022 bzw. März 2023 liegen sollten.

Gegen eine Unverbindlichkeit der infrage stehenden Daten sprach weiter, dass sowohl nach der Nummerierung als auch nach der Anordnung der einzelnen Schritte auf der "Fortschrittsanzeige" in der unteren Zeile der Einstiegsseite der Ausbaustart des Verteilernetzes zwar nach der Planungsphase, aber noch vor dem Vermarktungsstart lag. Dies ließ naheliegend nur den Schluss zu, dass der Ausbaustart ebenfalls am 1. September 2022 liegen sollte.

Schließlich sprach für eine Verbindlichkeit dieser Daten die Veröffentlichung der - dem Verfügungsantrag zu 3. zugrunde liegenden - Pressemitteilung vom 10. Juni 2022, in dem die Verfügungsbeklagte ohne Einschränkung mitteilte, im September mit dem Bau zu beginnen. Lediglich die Fertigstellung war eingeschränkt kommuniziert, sie "soll" bereits im Frühjahr 2023 erfolgen.

(3) Letztlich kann aber offen bleiben, ob es sich bei den dargestellten Terminen nach dem Eindruck der angesprochenen Verkehrskreise um verbindliche Eckdaten oder nur um noch unverbindliche und von der weiteren Planung abhängende Annahmen handelte. Diese Daten wurden in der Werbung deutlich herausgestellt. Es war damit klar, dass sie eine wesentliche Information für die Adressaten enthalten sollten. Damit entstand für die angesprochenen Verkehrskreise zumindest der Eindruck, dass diese Daten - wenn sie schon nicht feststanden - zumindest auf einer realistischen Planung beruhten. Angesichts des geringen zeitlichen Vorlaufs sprach für die angesprochenen Verkehrskreise sogar viel dafür, dass diese Planung schon weit fortgeschritten und die entsprechenden Daten damit sehr wahrscheinlich zutreffend sein würden.

Die zeitliche Perspektive hatte in der Situation, in der die Adressaten zwischen verschiedenen Anbietern wählen konnten, erkennbar erhebliche Bedeutung für ihre geschäftliche Entscheidung. Auch deshalb vermittelten die angegebenen Daten den Eindruck einer besonderen Verlässlichkeit.

(4) Diese Daten entsprachen demgegenüber auch aus der maßgeblichen Sicht ex ante schon nicht einer realistischen Planung. Dabei kann offenbleiben, ob dies möglicherweise bei Beginn der Bewerbung noch der Fall war. Jedenfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Anfang August 2022 und erst recht in der sich anschließenden Zeit, in der diese Kommunikation im Internet abrufbar war - und teilweise noch ist -, bestanden objektiv zumindest derart erhebliche Zweifel daran, dass selbst der korrigiert dargestellte Zeitplan einzuhalten war, dass die Kommunikation zumindest mit einem deutlichen Vorbehalt hätte versehen und möglicherweise auch hätte unterbleiben müssen.

(a) Dass zumindest Anfang August 2022 ein Baustart im September oder auch im Oktober 2022 nicht realistisch war, folgt schon daraus, dass die Verfügungsbeklagte damals noch keinen Antrag gegenüber der Trägerin der Wegebaulast - der Stadt W. - nach § 127 TKG gestellt hatte, der Verlegung von Telekommunikationslinien zuzustimmen.

Es kann offenbleiben, ob es sich bei diesem konkreten Vortrag der Verfügungsklägerin um in der Berufungsinstanz neuen Vortrag handelt und ob die Voraussetzungen nach § 531 Abs. 2 ZPO vorlägen. Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist auch neuer Vortrag unabhängig von diesen Voraussetzungen zuzulassen (Huber in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 925 Rn. 10; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 12 Rn. 2.43 m. w. N. auch zur Gegenauffassung). Jedenfalls hätte das Landgericht aber auf die beabsichtigte Zurückweisung dieses Vortrags hinweisen müssen.

Es entsprach nicht einer realistischen Planung, bei einer Antragstellung im August 2022 anzunehmen, dass eine Zustimmung der Gemeinde bis Oktober 2022 vorläge. Zwar enthält § 127 Abs. 3 TKG keine Mindestfrist, sondern nur eine Höchstfrist von 3 Monaten, nach deren Ablauf - mangels Fristverlängerung - die Zustimmung als erteilt gilt, worauf das Landgericht insoweit zutreffend hinweist. Auch wenn die Gemeinde insoweit ein Beschleunigungsgebot trifft, erscheint es aber nicht naheliegend, dass solche Zustimmungen allgemein deutlich schneller als innerhalb der Höchstfrist von 3 Monaten erteilt werden; entsprechendes hätte jedenfalls von der Verfügungsbeklagten mit Substanz dargelegt werden müssen. Tatsächlich hat die Verfügungsbeklagte mit der als Anlage AGB_2 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung aber nur dargelegt und glaubhaft gemacht, dass behördliche Antrags-, Abstimmungs- und Genehmigungsverfahren regelmäßig nicht mehr als 60 Werktage - mithin 84 Kalendertage - in Anspruch nehmen. Welcher Zeitraum hiervon auf das Genehmigungsverfahren nach § 127 TKG entfällt, lässt sich dieser Darlegung und Glaubhaftmachung nicht entnehmen; die Verfügungsbeklagte selbst bezieht sich jedenfalls in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz allein auf dieses Genehmigungsverfahren. Zudem soll dieser Zeitraum auch nur die "Regel" darstellen. Schon dies hätte es erfordert, einen entsprechenden Vorbehalt zu kommunizieren.

Darüber hinaus hat die Verfügungsbeklagte nicht einmal geltend gemacht, damals mit ihren Planungen so weit fortgeschritten gewesen zu sein, dass sie den entsprechenden Antrag kurzfristig hätte stellen können. Hiergegen spricht retrospektiv auch, dass sie diesen Antrag tatsächlich erst Anfang Oktober 2022 gestellt hat. Zudem stand Anfang August 2022 noch eine Leitungsauskunft seitens der Verfügungsklägerin aus, die die Verfügungsbeklagte für den Antrag nach § 127 TKG abwarten wollte.

(b) Ob auch die Angabe eines Bauendes im März 2023 - oder auch nur im Frühjahr bzw. im Mai 2023 - nicht einer realistischen Planung entsprach und damit irreführend war, kann offenbleiben. Die Unzulässigkeit der angegriffenen Werbemaßnahme folgt bereits aus dem zuvor dargestellten Wettbewerbsverstoß. Das Gericht ist dann, wenn - wie vorliegend - eine "konkrete Verletzungsform" als einheitlicher Streitgegenstand zum Gegenstand der Klage gemacht wird, nicht gehalten, alle vom Kläger angeführten Verbotstatbestände zu prüfen (Köhler/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 12 Rn. 1.23f).

bb) Diese irreführenden Angaben waren auch geeignet, die angesprochenen Verbraucher zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen, die sie ohne diese nicht vorgenommen hätten, § 5 Abs. 1 UWG. Unstreitig besteht ein jedenfalls nicht fernliegendes Interesse der Verbraucher an einer zeitnahen Fertigstellung der Glasfaseranschlüsse.

cc) Unerheblich ist in dem vorliegenden Zusammenhang, dass die Verfügungsklägerin nach Auffassung der Verfügungsbeklagten Verzögerungen der Planung und Ausführung zu vertreten habe und insoweit missbräuchlich gehandelt habe. Selbst wenn der Bauantrag für die Technikstation seitens der Stadt W. als Alleingesellschafterin der Verfügungsklägerin verzögert bearbeitet und zu Unrecht abgewiesen worden wäre und die Verfügungsklägerin rechtswidrig und rechtsmissbräuchlich eine Leitungsauskunft unterlassen hätte, mag dies (Amts-)Pflichten der Stadt bzw. der Verfügungsklägerin verletzt haben. Die Kommunikation seitens der Verfügungsbeklagten war aber unabhängig von einem solchen etwaigen Pflichtenverstoß der Verfügungsklägerin irreführend.

Diese Wettbewerbsverletzung kann die Verfügungsklägerin als Mitbewerberin nach § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG unabhängig davon gelten machen, ob sie - bzw. ihre Alleingesellschafterin - sich im Vorfeld pflichtwidrig verhalten hat. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs wird durch eigene Pflichtverletzungen grundsätzlich nicht berührt, wenn der Wettbewerbsverstoß zugleich Interessen Dritter oder der Allgemeinheit betrifft (Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., § 11 Rn. 2.38 f.). Der vorliegend infrage stehende Sachverhalt ist auch jedenfalls nicht mit der Situation eines provozierten Wettbewerbsverstoßes vergleichbar, in der die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen unzulässig sein kann (dazu Köhler a.a.O., Rn. 2.41). Die Irreführung beruhte im Wesentlichen darauf, dass die Verfügungsbeklagte bei ihrer Kommunikation nicht auf vorhandene Unwägbarkeiten im Genehmigungsverfahren Rücksicht genommen und auf diese hingewiesen hat, mögen sich diese letztlich auch erst aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens der Verfügungsklägerin - bzw. ihrer Alleingesellschafterin - realisiert haben.

b) Ob in der Angabe nicht realistischer Zeitpunkte auch eine gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4 UWG lag, kann offenbleiben. Gleiches gilt für etwaige kartellrechtliche Ansprüche.

c) Der Wettbewerbsverstoß indiziert die Wiederholungsgefahr.

Betreffend die beanstandete Angabe eines Baubeginns im September bzw. Oktober 2022 ist eine Wiederholungsgefahr auch bei einer engen Orientierung am Antragswortlaut nicht durch Zeitablauf entfallen. Ohne strafbewehrte Unterlassungserklärung ist ein Fortfall der Wiederholungsgefahr nur in Ausnahmefällen denkbar; rein tatsächliche Änderungen der Verhältnisse beseitigen die Wiederholungsgefahr nicht, solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme des unzulässigen Verhaltens durch den Verletzer beseitigt ist (BGH, Urteil vom 2. Juli 1987 - I ZR 167/85, juris Rn. 9). Zwar ist es im vorliegenden Fall für die Zukunft ausgeschlossen, dass die Verfügungsbeklagte mit einem bevorstehenden Baubeginn im September 2022 wirbt. Die Wiederholung der irreführenden Angabe ist aber in anderem Zusammenhang nicht per se so fernliegend, dass insoweit eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen wäre. Vielmehr hätte eine solche Angabe den für die Verfügungsbeklagte zunächst positiven Effekt, zu suggerieren, dass ein Baubeginn tatsächlich schon erfolgt wäre.

3. Entsprechend ist auch der Verfügungsantrag zu 3. begründet.

Irreführend war - und ist - in der dort in Bezug genommenen Pressemitteilung (Anlage AST 10) zumindest die Angabe, der Bau beginne im September 2022.

Diese Pressemitteilung war sogar zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz noch im Archiv der Verfügungsbeklagten abrufbar. Sie hätte von der Verfügungsbeklagten entfernt werden müssen, nachdem die Einhaltung des dort kommunizierten Zeitplans nicht mehr realistisch war. Zumindest hätte sie aber mit einem deutlich erkennbaren diesbezüglichen Vermerk versehen werden müssen.

II.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt jedenfalls im Hinblick auf die Verfügungsanträge zu 2. und 3. ein Verfügungsgrund vor. Die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 1 UWG ist nicht widerlegt. Der Verfügungsbeklagten wird hierdurch nicht die Bewerbung des Glasfaserausbaus insgesamt untersagt, sondern nur die Bewerbung mit der Angabe unrealistischer Daten. Dass die Verfügungsbeklagte mit der Angabe eines unrealistischen Starttermins ihre Kunden "enttäuschen" würde, steht der Annahme eines Verfügungsgrundes ebenfalls nicht entgegen. Es steht nicht fest, dass enttäuschte Kunden zu der Verfügungsklägerin wechselten oder sich auch nur von einem Vertrag mit der Verfügungsbeklagten lösen könnten.

Der Annahme eines Verfügungsgrundes steht auch nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin bzw. ihre Alleingesellschafterin Verzögerungen im Planungsverfahren pflichtwidrig herbeigeführt haben mögen. Der Verfügungsbeklagten war eine sachgerechte Kommunikation jederzeit und ohne größeren Aufwand durch eine der tatsächlichen Sachlage entsprechenden Korrektur der Darstellungen möglich. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiegt deshalb das Interesse der Verfügungsklägerin an einer kurzfristigen Untersagung der Angabe unrealistischer Daten.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Senat hat bei der Bemessung der Kostenquote berücksichtigt, dass die erfolgreichen Verfügungsanträge zu 2. und 3. in ihrem Wert für die Verfügungsklägerin erheblich hinter dem zurückgewiesenen Verfügungsantrag zu 1. zurückblieben. Letzterer hätte - wenn auch nur im einstweiligen Verfügungsverfahren und damit vorläufig - einen Netzausbau durch die Verfügungsbeklagte als solchen verhindert. Die erfolgreichen Verfügungsanträge erfordern demgegenüber nur eine - teilweise bereits zwischenzeitlich erfolgte - Anpassung der Kommunikation des Vorhabens der Verfügungsbeklagten, ohne sie aber grundlegend von dem Wettbewerb auszuschließen.