Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.12.2022, Az.: 18 U 2/22
Schuldhafte Pflichtverletzung einer Tätigkeits-, Beratungs- oder Aufklärungspflicht bzw. einer werkvertraglichen Verpflichtung im Rahmen des entgeltlichen Steuerberatungsmandats in Bezug auf die Erstellung des Jahresabschlusses
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.12.2022
- Aktenzeichen
- 18 U 2/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 66382
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 07.01.2022 - AZ: 5 O 184/21
Rechtsgrundlagen
- § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO
- § 280 Abs. 1 BGB
- § 634 Nr. 4 BGB
- § 675 BGB
In dem Rechtsstreit
... - pp. - ...
hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. ..., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. ... und den Richter ... am Oberlandesgericht am 12. Dezember 2022 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 7. Januar 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 20 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I.
Die zulässige Berufung des Klägers bleibt offensichtlich ohne Erfolg. Des Weiteren kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist nicht geboten.
Im Einzelnen:
1. Zur Darstellung des Sachverhaltes nimmt der Senat auf die Feststellungen und den Tenor des angefochtenen Urteils sowie auf die Gründe zu I. des Beschlusses vom 11. November 2022, mit dem die beabsichtigte Zurückweisung des Rechtsmittels angekündigt worden ist, Bezug.
2. Der Senat hat mit dem vorstehend bezeichneten Beschluss - unter Ziffer III. - im Einzelnen erläutert, warum er der Berufung keine Erfolgsaussicht beimisst. An den Erwägungen hält der Senat auch mit Blick auf die Ausführungen des Klägers in dem Schriftsatz vom 29. November 2022, auf welchen ebenfalls Bezug genommen wird, fest. Nach erneuter Würdigung der Sach- und Rechtslage hält der Senat die Berufung weiter für offensichtlich aussichtslos.
Im Ergebnis beschränkt sich der Kläger darauf, seinen Vortrag, mit dem sich der Senat bereits eingehend befasst hat, weitgehend zu wiederholen, ohne neue - eine andere Entscheidung rechtfertigende - Gesichtspunkte aufzuzeigen. Insoweit kann jedoch nur erneut darauf hingewiesen werden, dass der Kläger gegen die Beklagten keinen Anspruch aus §§ 675, 280 Abs. 1, 634 Nr. 4 BGB wegen schuldhafter Pflichtverletzung einer Tätigkeits-, Beratungs- oder Aufklärungspflicht bzw. einer werkvertraglichen Verpflichtung im Rahmen des entgeltlichen Steuerberatungsmandats in Bezug auf die Erstellung des Jahresabschlusses 2015 hat.
Ein solcher ergibt sich nicht aus einer Verletzung einer sich aus § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ergebenden Pflicht. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 26. Januar 2017 - IX ZR 285/14) haftet der Steuerberater im Rahmen seines Mandats für Mängel bei der Erstellung des Jahresabschlusses. Der mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater schuldet grundsätzlich einen den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechenden, die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten nicht überschreitenden und in diesem Sinne richtigen Jahresabschluss. Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist bei der Bilanzierung grundsätzlich von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Von diesem Grundsatz darf nach § 252 Abs. 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden. Der Grundsatz des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB gilt selbst bei Zweifeln an der Überlebensfähigkeit des Unternehmens so lange, wie nicht Umstände sichtbar werden, die ergeben, dass die Einstellung der Unternehmenstätigkeit unvermeidbar oder beabsichtigt ist (BGH, a.a.O.). Die Haftung des Steuerberaters kommt damit nur dann in Betracht, wenn eine Bilanzierung nach Fortführungswerten objektiv aus der Sicht ex ante ausscheidet. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung, weil darauf abzustellen ist, ob das Unternehmen seine Tätigkeit für einen überschaubaren Zeitraum voraussichtlich fortsetzen wird. Objektiv falsch ist eine Bilanzierung nach Fortführungswerten nur dann, wenn im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung feststeht, dass die Unternehmenstätigkeit für einen überschaubaren Zeitraum, regelmäßig jedenfalls bis zum Ablauf des auf den Abschlussstichtag folgenden Geschäftsjahrs, eingestellt werden wird.
Es ist bereits - ausführlich begründet - darauf hingewiesen worden, dass sich aus Sicht des Senates die tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten im maßgeblichen Zeitpunkt der Prognoseentscheidung nicht derart konkretisiert hatten, dass in einer Gesamtschau davon auszugehen war, dass die Unternehmenstätigkeit eingestellt werden würde. Zwar wies die Schuldnerin wiederholt Verluste auf, allerdings kann nicht festgestellt werden, dass diese zu einem ständig steigenden, nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag führten. Die bilanzielle Überschuldung zum 31. Dezember 2014 hatte sich zum Ende des nachfolgenden Bilanzjahres zum 31. Dezember 2015 vielmehr nahezu halbiert. Auch aus den von der Insolvenzschuldnerin zur Verfügung gestellten Planzahlen und der Ertragsvorschau für das Jahr 2016 waren ein deutlicher Ertragsanstieg zu erwarten. Dieses konnte vor dem Hintergrund des im Jahr 2015 erzielten Jahresüberschusses von über 35.000,00 € nach dem Verlust von rd. 147.000,00 € im Jahr 2014 durchaus als Anhaltspunkt für einen Aufwärtstrend gewertet werden. Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses beauftragte Steuerberater ist verpflichtet, zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen könnten. Er ist dagegen nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln (BGH, a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18.12.2018 - 3 U 169/17-, juris).
Eine Pflichtverletzung der Beklagten folgt auch nicht aus einem unterlassenen Hinweis auf eine etwa bestehende Insolvenzreife. Die Beklagten hatten sich zu Inhalt und Gegenstand des erteilten Mandats an der zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeit geltenden Gesetzeslage sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung zu orientieren. Zum maßgeblichen Zeitpunkt Anfang Januar 2016 hatte der Bundesgerichtshof vielmehr zuvor, nämlich im Jahr 2013 (BGH, Urteil vom 7. März 2013 - IX ZR 64/12) entschieden, dass es nicht Aufgabe des mit der allgemeinsteuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters sei, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass der Geschäftsführer gegebenenfalls eine Überprüfung der Insolvenzreife vornehmen müsse. Gleichwohl findet sich in dem Jahresabschluss vorliegend ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass die Geschäftsleitung in eigener Verantwortung das Vorliegen einer Insolvenzantragsverpflichtung prüfen müsse, weil die Gesellschaft zum Bilanzstichtag bilanziell überschuldet sei.
Damit fehlt es vorliegend auch an der für den geltend gemachten Schaden erforderlichen Kausalität. Der Geschäftsführer der späteren Insolvenzschuldnerin hat sich in Kenntnis der sein Unternehmen belastenden Krisenindikatoren gerade nicht zu einer früheren Stellung des Insolvenzantrages entschlossen.
III.
Der Kläger hat auch keine Umstände dargelegt, die die Annahme rechtfertigen würden, das Verfahren sei für ihn von existenzieller Bedeutung und aus diesem Grund sei - ungeachtet des Fehlens der Erfolgsaussichten - eine mündliche Verhandlung geboten, § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO. Zwar steht außer Frage, dass der vorliegende Rechtsstreit erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Indessen reicht nach der Begründung des Gesetzesentwurfes für die Neufassung des § 522 ZPO (BT-Drs. 17/5334, Seite 7) die bloße wirtschaftliche Bedeutung, die im Übrigen in vergleichbaren Angelegenheiten regelmäßig zu bejahen ist, nicht aus. Es bedarf vielmehr einer existenziellen Bedeutung, wie beispielsweise in Arzthaftungssachen, in denen eine gravierende persönliche Betroffenheit des Anspruchstellers in Betracht kommen kann.
Eine mündliche Verhandlung kann sich auch dann als geboten erweisen, wenn das Berufungsgericht die Entscheidung auf eine umfassend neue rechtliche Würdigung stützt und diese angemessen mit dem Berufungsführer nicht im schriftlichen Verfahren erörtert werden kann (Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 522 Rn. 40). Dies ist vorliegend indessen ebenfalls nicht der Fall, da bereits das Landgericht seine Entscheidung auf ähnliche Erwägungen gestützt hat, wie der Senat. Dem Kläger wurde in dem Hinweisbeschluss vom 11. November 2022 ausführlich erläutert, aus welchen Gründen der Senat die Würdigung des Landgerichts für überzeugend hält. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht geboten, ihm dies im Rahmen einer mündlichen Verhandlung noch einmal zu erläutern.
Des Weiteren hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und erfordert weder eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 ZPO), weshalb im Ergebnis auch die Revision nicht zuzulassen war. Es handelt sich um einen Einzelfall, dessen Entscheidung von den tatsächlichen Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung abhängig ist und dem deshalb grundsätzliche Bedeutung nicht zukommt. Weder setzt sich der Senat in Widerspruch zur einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes noch ist in Bezug auf die konkrete Fallgestaltung eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ersichtlich.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.