Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 01.09.2011, Az.: 13 W 29/11

Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
01.09.2011
Aktenzeichen
13 W 29/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 24868
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2011:0901.13W29.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 7 O 1473/10 (235) - 31.5.2011

Fundstellen

  • AGS 2011, 611-612
  • FamRZ 2012, 244
  • HRA 2011, 14-15

Amtlicher Leitsatz

1. Die Anrechnungsvorschrift des § 58 Abs. 2 RVG ist auch auf den anzurechnenden Teil von Zahlungen auf eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr anwendbar.

2. Danach ist der gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnende Teil der gezahlten Geschäftsgebühr nicht sogleich auf die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu gewährende, gemäß § 49 RVG berechnete Verfahrensgebühr (Prozesskostenhilfevergütung), sondern zunächst auf die Differenz zwischen der - jeweils insgesamt im gerichtlichen Verfahren entstandenen - Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung anzurechnen (Aufgabe der im Senatsbeschluss vom 12. Juni 2008 - 13 WF 111/08, FamRZ 2008, 1765 = JurBüro 2008, 527, vertretenen Auffassung.

Tenor:

Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

I. Der Beklagte ist von der Klägerin auf Zahlung von 10.000 € nebst Zinsen in Anspruch genommen worden. Das Landgericht hatte dem Beklagten Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Antragstellerin bewilligt.

2

Die Antragstellerin hat die Festsetzung einer aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung von 828,60 € nach einem Streitwert von 10.000 beantragt. in diesem Betrag enthalten ist unter anderem eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 314,60 € zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Antragstellerin hat angegeben, für die außergerichtliche Vertretung des Beklagten in derselben Angelegenheit eine Geschäftsgebühr erhalten zu haben. Die Festsetzungsbeamtin des Landgerichts hat die aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung auf 641,41 € festgesetzt und den darüber hinausgehenden Antrag mit der Begründung abgewiesen, die Geschäftsgebühr sei zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

3

Auf die dagegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerin hat das Landgericht die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Dagegen richtet sich die - vom Landgericht zugelassene - Beschwerde der Staatskasse.

4

II. Das gemäß § 33 Abs. 3 Satz 2 und 3 in Verbindung mit § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässige Rechtsmittel, über das der Senat gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG in voller Besetzung entscheidet, hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die von der Antragstellerin geltend gemachte Vergütung mit Recht in voller Höhe festgesetzt.

5

1. Allerdings hat Senat entschieden, dass bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des später beigeordneten Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nur eine verminderte Verfahrensgebühr entsteht und damit die Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr nicht in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2008 - 13 WF 111/08, FamRZ 2008, 1765. ebenso OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30. April 2009 - 5 W 127/09, juris). Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, es entspreche der - seinerzeit - gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr verringere. Die Anrechnungsvorschriften des § 58 RVG seien in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Sie enthielten keine Sonderregeln darüber, welche Gebühren für die einzelnen Verfahrensabschnitte entstünden und festzusetzen seien. Daher sei bei einer außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit die Verfahrensgebühr um die halbe Geschäftsgebühr zu kürzen (Senatsbeschluss, aaO., zitiert nach juris, Rn. 9, 10, 12 m.w.N.).

6

2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach der inzwischen erfolgten Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und der Einführung des § 15a RVG nicht mehr fest.

7

a) Gemäß § 15a Abs. 1 RVG kann der Rechtsanwalt, wenn nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorgesehen ist, beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Mit dieser am 5. August 2009 in Kraft getretenen Regelung hat der Gesetzgeber den bisher nicht definierten Begriff der Anrechnung inhaltlich bestimmt und klargestellt, dass beide Gebührenansprüche grundsätzlich unangetastet bleiben (vgl. BTDrucks. 16/12717, S. 58). Das gilt nach der inzwischen zu§ 15a RVG ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Vorschrift (vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. August 2010 - VIII ZB 15/10, JurBüro 2011, 22, zitiert nach juris, Rn. 8 - 10 m.w.N.).

8

Damit lässt sich das entscheidende Argument, welches gegen eine Anwendung des § 58 RVG sprach, dass nämlich die Verfahrensgebühr aufgrund der Anrechnungsvorschriften von vornherein nur in gekürzter Höhe entstehe, nicht mehr aufrechterhalten (so auch OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. März 2011 - 2 W 18/11, RVGReport 2011, 254, zitiert nach juris, Rn. 11. MüllerRabe in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, RVG, 19. Aufl., § 58 Rn. 44. aA OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12. Februar 2010 - 18 W 3/10, juris, Rn. 23).

9

b) Mit der Einführung des § 15a RVG ist auch die Regelung zu den erforderlichen Erklärungen im Vergütungsantrag des beigeordneten Rechtsanwalts in § 55 Abs. 5 RVG dahingehend ergänzt worden, dass bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben sind. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, mit diesen Angaben stünden dem Urkundsbeamten für die Festsetzung der Vergütung alle Daten zur Verfügung, die er benötige, um zu ermitteln, in welchem Umfang die Zahlungen nach § 58 Abs. 1 und 2 RVG auf die anzurechnende Gebühr als Zahlung auf die festzusetzende Gebühr zu behandeln seien (BTDrucks. aaO., S. 59).

10

Daraus ergibt sich, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Anrechnungsvorschrift des § 58 Abs. 2 RVG auch für den anzurechnenden Teil der Zahlungen auf die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gelten soll (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 25. Juli 2011 - 6 W 55/10, juris, Rn. 17. MüllerRabe, aaO.). Gemäß § 58 Abs. 2 RVG sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Danach ist der anzurechnende Teil der gezahlten Geschäftsgebühr nicht sogleich auf die gemäß § 49 RVG zu berechnende Verfahrensgebühr (Prozesskostenhilfevergütung), sondern zunächst auf die Differenz zwischen der - jeweils insgesamt im gerichtlichen Verfahren entstandenen - Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung anzurechnen. Erst wenn der anzurechnende Teil der gezahlten Geschäftsgebühr höher ist als diese Differenz, muss der beigeordnete Rechtsanwalt sich den die Differenz übersteigenden Betrag von seinem Anspruch gegen die Staatskasse abziehen lassen (OLG Brandenburg, aaO., Rn. 16. OLG Braunschweig, aaO., Rn. 10. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11. Mai 2010 - 2 WF 33/10, FamRZ 2011, 138, zitiert nach juris, Rn. 26. vgl. auch MüllerRabe, aaO., Rn. 43 m.w.N.. Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., § 58 Rn. 8).

11

Hiernach kommt eine Kürzung der Prozesskostenhilfevergütung der Antragstellerin nicht in Betracht. Der Beklagte hat der Antragstellerin eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Mehrwertsteuer, also einen Betrag von 751,84 €, gezahlt. Anzurechnen ist die Zahlung zur Hälfte (Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG), also in Höhe von 375,92 €. Dadurch wird die von der Antragstellerin zutreffend berechnete Differenz der Wahlanwaltsvergütung zu der Prozesskostenhilfevergütung (§ 49 RVG) in Höhe von 725,90 € nicht ausgeglichen.

12

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.