Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.08.2001, Az.: 1 L 4089/00

Abstandfläche; Abstandsfläche; Klagerücknahme; Rotorblatt; Schmalseitenprivileg; Streitwert; untergeordneter Bauteil; Windenergieanlage; Windkraftanlage

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.08.2001
Aktenzeichen
1 L 4089/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40367
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.07.2000 - AZ: 4 A 2886/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Rotorblätter müssen bei der Bemessung des Grenzabstandes, den Windenergieanlagen halten müssen, berücksichtigt werden. Sie stellen keine untergeordneten Bauteile dar.

2. Zum Streitwert nach teilweiser Klagerücknahme.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich noch gegen die Rücknahme einer Baugenehmigung für die Windenergieanlage 2 (nachfolgend WEA 2), welche eine Nabenhöhe von 65 m, eine Leistung von 500 kW und Rotorblätter von 20 m Länge haben soll. Deren Errichtung hatte der Beklagte mit Bauschein vom 24. März 1998 genehmigt, dann aber aus Anlass von Nachbarwidersprüchen der Beigeladenen durch Bescheid vom 26. Mai 1999 mit der Begründung zurückgenommen, die Anlage halte den erforderlichen Abstand zu den Nachbargrundstücken (welche allerdings nicht im Eigentum der Beigeladenen stehen) nicht ein; zudem habe die Klägerin nicht durch nachträgliche Vorlage eines Gutachtens nachgewiesen, dass von der Anlage keine unzumutbaren Belästigungen der Beigeladenen ausgingen.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage, welche die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Windenergieanlage 1 (gleicher Bauart) der Sache nach zurückgenommen hatte, abgewiesen.

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Der Zulassungsantrag blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

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Soweit der Zulassungsantrag auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützt wird, ist er überwiegend nicht begründet, im Übrigen zum Teil ebenfalls zu unsubstantiiert begründet worden (§ 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO).

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Ernstliche Zweifel liegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 31.7.1998 -- 1 L 2696/98 --, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis -- auf dieses und nicht auf einzelne Begründungselemente kommt es dabei an -- "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Das ist nicht der Fall.

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Ob die im Vermerk des Beklagten vom 10. April 2000 (Anlage zum Schriftsatz vom 11.4.2000) verwandte Formel zur Berechnung des Grenzabstandes bei Windenergieanlagen mit rundem Schaft im Detail zutrifft, hat die Klägerin im Zulassungsantrag nicht problematisiert und ist dementsprechend im Zulassungsantragsverfahren nicht zu prüfen. Diese Prüfung hat sich auf die von der Klägerin erhobenen Rügen zu beschränken. Diese betreffen im Wesentlichen die Fragen, ob die Rotorblätter bei der Ermittlung des Grenzabstandes gleichsam als Kugel zu berücksichtigen sind und ob sie nicht (ggf.) als untergeordnete Bauteile durch § 7 b NBauO abstandsrechtlich privilegiert, d.h. außer Betracht zu lassen sind. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, das insoweit zu der Klägerin nachteiligen Ergebnissen gelangt ist, werden durch das Antragsvorbringen nicht im Sinne der oben genannten Grundsätze ernstlich in Zweifel gezogen.

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In der Rechtsprechung des OVG Lüneburg ist geklärt, dass von Windenergieanlagen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (§ 12 a Abs. 1 NBauO n.F.; das entspricht § 7 Abs. 8 NBauO a.F.) und dass Windenergieanlagen daher den abstandsrechtlichen Vorschriften genügen müssen (vgl. z.B. Beschl. v. 15.9.1982 -- 6 OVG B 46/82 --, NdsRpfl. 1982, 255; Beschl. v. 2.7.1984 --6 OVG B 81/84 --, NdsRpfl. 1984, 246 zur Richtung machten; Urt. v. 28.10.1996 -- 6 L 4040/94 --, Leitsatz in: MinBl. 1997, 941; Urt. v. 27.6.1997 -- 6 L 7640/94 --; ebenso z.B. OVG Münster, Urt. v. 29.8.1987 -- 7 A 629/95 --, NVwZ 1998, 978 = BRS 59 Nr. 110 = BauR 1998, 110 sowie Beschl. v. 10.2.1999 -- 7 B 974/98 --, NVwZ-RR 1999, 714; vgl. auch Sächs.OVG, Beschl. v. 17.12.1997 -- 1 S 746/96 --, DÖV 1998, 431, 432 = BRS 59 Nr. 118). Die gebäudegleiche Wirkung geht von den Anlagen dieser Art gerade wegen des Feldes aus, welche der Rotor bedeckt. Auf den Mast allein kommt es für eine der Klägerin nachteilige Anwendung des § 12 a Abs. 1 NBauO also gerade nicht an (vgl. insbesondere OVG Münster, a.a.O.). Die Berechnung der Abstandsflächen muss dementsprechend dieses Rotorfeld, namentlich den höchsten vom Rotor bestrichenen Punkt in die Betrachtung einbeziehen.

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Geklärt ist in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (a.a.O.; vgl. auch Beschl. v. 5.1.1994 -- 1 L 96/90 --, NdsRpfl. 1994, 192; a.A. OVG Münster, Urt. v. 29.8.1997, a.a.O.), dass zugunsten des klägerischen Vorhabens das Schmalseitenprivileg (§ 7 a NBauO) anzuwenden ist. Weitere Fragen, namentlich wie sich dieses hier zugunsten des klägerischen Vorhabens auswirkt und ob es durch die von dem Beklagten in seinem oben zitierten Vermerk vom 10. April 2000 verwandten Formel zutreffend umgesetzt worden ist, wirft das Zulassungsantragsvorbringen (hier insbesondere S. 6 oben der Zulassungsantragsschrift) nicht auf. Es reicht für das Darlegungserfordernis nicht aus, in der Zulassungsantragsschrift gleichsam Aufgaben für das erst noch zu erreichende Berufungsverfahren zu stellen. Vielmehr muss bereits für die Zulassung des Rechtsmittels dargelegt werden, dass und aus welchen Gründen und mit welchem Ergebnis eine bestimmte Frage dort behandelt werden soll. Dafür ist auch die abschließende Betrachtung in der Zulassungsantragsschrift ohne Aussagekraft, die Bundesrepublik Deutschland habe sich gegenüber europäischen Gremien verpflichtet, die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen zu fördern. Das sagt nichts darüber aus, welchen Abstand solche Anlagen von Grundstücksgrenzen einhalten müssen. Das ist jeweils Ländersache. Daher ist es für die Entscheidung dieses Rechtsstreits auch ohne Belang, dass das Land Nordrhein-Westfalen mittlerweile eine eigene Grenzabstandsregelung für Windenergieanlagen getroffen hat.

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Es bedarf auch keines Berufungsverfahrens, um darüber hinaus sagen zu können, dass die Rotoren nicht als untergeordnete Bauteile i.S. des § 7 b NBauO angesehen werden können. Unter die Bauteile, welche § 7 b Abs. 1 und 2 NBauO ausdrücklich benennt, fallen sie nicht; Rotorblätter sind dort nicht aufgeführt, obwohl Windenergieanlagen der NBauO ihrem § 13 Abs. 1 Nr. 7 zufolge bekannt sind. Sie können auch nicht als "andere Gebäudeteile" i.S. des § 7 b Abs. 1 Satz 2 NBauO angesehen werden. Diese sind nur dann abstandsrechtlich privilegiert, "wenn sie untergeordnet sind". Die Aufzählung in § 7 b Abs. 1 Satz 2 NBauO verdeutlich, welche Bauteile der Gesetzgeber dabei vor Augen hatte. Untergeordnete Bauteile dürfen ihrem Umfang, ihrer Größer und ihrer Art nach nur geringfügig sein. Das ist nicht nur nach der absoluten Größe des Vorhabens, sondern auch nach der Funktion der Bauteile zu bestimmen (vgl. Senatsbeschl. v. 13.5.1995 -- 1 M 1920/95 --, OVGE 45, 434 = BRS 57 Nr. 158 = NVwZ-RR 1996, 5 = NdsRpfl 1995, 257). Kann das Vorhaben ohne diesen Bauteil in sinnvoller Weise nicht genutzt werden, schließt bereits dies die Annahme eines untergeordneten Bauteils in aller Regel aus. Schon das raubt diesem Zulassungsangriff die Stütze. Denn ein Mast ohne Kanzel und Rotorblätter stellt keine Windenergieanlage dar. Es kommt hinzu, dass die Rotorblätter mit jeweils 20 m knapp ein Drittel der Länge des Schaftes bis zu seiner Nabenhöhe haben.

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Auch dieser Umfang/diese Länge schließen die Annahme aus, es handele sich bei den Rotorblättern um untergeordnete Bauteile. Das Erscheinungsbild einer Windenergieanlage wird vielmehr gerade durch die Rotoranlage optisch wesentlich geprägt. Das ist auch einer der wesentlichen Gründe, weshalb eine Anwendung des § 12 a Abs. 1 NBauO zur Pflicht führt, die Grenzabstandsvorschriften einzuhalten.