Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.08.2001, Az.: 9 LA 2720/01
Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Exilpolitik; exilpolitische Aktivität; exilpolitische Betätigung; Nachfluchtgrund; Nachfluchttatbestand; politische Verfolgung; Verfolgung; Vietnam
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.08.2001
- Aktenzeichen
- 9 LA 2720/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 40349
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 03.07.2001 - AZ: 8 A 5501/98
Rechtsgrundlagen
- Art 16a GG
- § 51 Abs 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Regimekritische Aktivitäten von vietnamesischen Asylbewerbern in Deutschland begründen im Rückkehrfall - von besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen - regelmäßig keine Gefahr einer politischen Verfolgung.
2. Das zum 1. Juli 2000 in Kraft getretene neue VietStGB führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
Gründe
Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) führt nicht zur Zulassung der Berufung.
In der Rechtsprechung ist die Bewertung von exilpolitischen Betätigungen von vietnamesischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland geklärt. Wegen exilpolitischer Betätigungen muss ein vietnamesischer Asylbewerber bei einer Rückkehr in sein Heimatland nur dann überwiegend wahrscheinlich mit einer asylrelevanten Bestrafung nach Bestimmungen des vietnamesischen Strafgesetzbuches rechnen, wenn die oppositionellen Aktivitäten besonders hervorgetreten sind, ihre Wirkung im Wesentlichen nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist und sie als Ausdruck ernstzunehmender, nicht bloß asyltaktisch motivierter Opposition von Seiten vietnamesischer Behörden gewertet werden (st. Rspr. des Senats seit Beschl. v. 28. Juli 1998 -- 9 L 3364/98 --; s. ferner die insoweit weitgehend übereinstimmende obergerichtliche Rechtsprechung: OVG Münster, Urt. v. 9.10.1997 -- 1 A 644/94.A; Beschl. v. 26.1.1999 -- 1 A 76/99.A.; Urt. v. 22.9.2000 -- 1 A 2531/98.A; BayVGH, Urt. v. 24.6.1997 -- 8 B 96.35209; Urt. v. 29.4.1998 -- 8 BZ 93.31877; Urt. v. 16.3.1999 -- 8 B 98.32023 sowie 8 B 98.32315 -- BayVBl 1999, 757; OVG Saarlouis, Urt. v. 10.2.1999 -- 9 R 18/97; OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse v. 17.11.1997 -- 11 A 12622/97.OVG -- sowie vom 20.2.1998 -- 11 A 10366/98.OVG --). Danach ist im Regelfall davon auszugehen, dass im Ausland begangene oppositionelle Handlungen, selbst wenn es sich nach vietnamesischem Strafrecht um Straftaten handelt, in Vietnam nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht die -- in der Tat umfangreichen -- exilpolitischen Aktivitäten des Klägers bewertet. Das Verwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Aktivitäten nicht geeignet seien, in Vietnam sog. Außenwirkungen zu entfalten, also quasi nach Vietnam hineinzuwirken und die dortigen Verhältnisse nicht unberührt zu lassen. Das Verwaltungsgericht hat diese Folgerungen u.a. damit begründet, dass die Gruppe Norddeutschland der People's Action Party lediglich aus 30 Mitgliedern bestehe und sich die Auflagen der Parteizeitschrift "Dat Nuoc" auf 200 Exemplare beschränke. Da der zuvor in Vietnam oppositionell nicht in Erscheinung getretene Kläger seine exilpolitischen Tätigkeiten erst 1996 aufgenommen habe, obwohl er sich bereits seit 1990 in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte, dränge sich auch für die vietnamesischen Behörden der Eindruck auf, dass die exilpolitischen Betätigungen vorrangig asyl- und aufenthaltsrechtlichen Zwecken dienten. Diese den Einzelfall betreffende Bewertung des Verwaltungsgerichts eröffnet keine grundsätzlich klärungsbedürftigen weitergehenden Fragen.
Auch das zum 1. Juli 2000 in Kraft getretene neue vietnamesische Strafgesetzbuch wirft in diesem Zusammenhang keine grundsätzlich klärungsbedürftigen Fragen auf. Damit hat sich der Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 17. Juli 2001 -- 9 LA 2349/01 und 9 LA 2350/01 --, vom 31. Juli 2001 -- 9 LA 2553/01 -- und vom 21. August 2001 -- 9 LA 2811/01 -- beschäftigt. Er hat dazu folgendes ausgeführt: "Zwar liegt zu der vom Verwaltungsgericht angeführten und nach dessen Darstellung am 1. Juli 2000 in Kraft getretenen Novelle des vietnamesischen Strafgesetzbuches noch keine Rechtsprechung, insbesondere keine solche des beschließenden Senates, vor. ... Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln hat sich aber durch diese Strafrechtsnovelle die asylrechtliche Situation der rückkehrenden vietnamesischen Asylbewerber nicht geändert. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil auch darauf hin, dass die illegale Ausreise und das unerlaubte Verbleiben im Ausland "weiterhin mit Strafe bedroht" bleibt. Im Protokoll zum sog. Reintegrationsabkommen ist für diese Tatbestände eine Straffreiheitsgarantie niedergelegt. Darauf verweist auch -- weiterhin -- die vom Verwaltungsgericht angeführte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. August 2000 an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Die hohe Zahl der Rückkehrer nach Vietnam seit dem Mai 1996, die nach den vorliegenden Erkenntnissen ohne strafrechtliche Konsequenzen in ihr Land wieder einreisen konnten, und der weiter bestehende Kurs der Erneuerung (Doi Moi) der vietnamesischen Regierung lassen nur den Schluss auf eine durch die Strafrechtsnovelle unverändert gebliebene asylrechtliche Situation von vietnamesischen Rückkehrern zu."