Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.09.1993, Az.: 7 K 1875/92

Freiwillige Maßnahme; Straßenbaulastträger; Lärmsanierung; Wesentliche Änderung; Verkehrslärmschutzverordnung; Rechtsanspruch; Lärmversorgung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.09.1993
Aktenzeichen
7 K 1875/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 13659
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0916.7K1875.92.0A

Amtlicher Leitsatz

Auch freiwillig übernommene Maßnahmen des Straßenbaulastträgers zur Lärmsanierung an einer vorhandenen Straße können ihrerseits als wesentliche Änderung der Straße im Sinne der Verkehrslärmschutzverordnung zu Rechtsansprüchen auf Lärmvorsorge führen.

Tenor:

Der Planfeststellungsergänzungsbeschluß der Beklagten vom 6. März 1992 wird insoweit aufgehoben, als darin unter I.2. die Erstattungspflicht des Beigeladenen auf 75 % der im Rahmen der Lärmsanierung zugebilligten Kosten von passiven Lärmschutzmaßnahmen begrenzt worden ist. Die Beklagte wird verpflichtet, den Erstattungsanspruch der Kläger gegen den Beigeladenen im Rahmen der Lärmvorsorge in voller Höhe festzusetzen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu je einem Drittel. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Kostenvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festgesetzten Erstattungsbetrages abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

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Tatbestand

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Die Kläger begehren im Wege der Planergänzung die Verpflichtung des Beigeladenen, auf der Ostseite der Bundesstraße 494 bei ..., Landkreis Hildesheim, eine Lärmschutzwand oder einen Lärmschutzwall zu errichten, hilfsweise die volle Übernahme der Kosten für Maßnahmen zum passiven Schallschutz durch den Beigeladenen.

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Die Kläger sind Eigentümer des auf der östlichen Seite der B 494 gegenüber der Ortschaft Asel westlich der Bundesstraße gelegenen Grundstücks Bundesstraße 1 und 3 (Flurstück 154/39), das mit einem 1 1/2geschossigen Wohnhaus bebaut ist, in dem die Kläger wohnen. Das Grundstück befindet sich in Höhe von km 4,000 der Bundesstraße und wird mittels einer Zufahrt durch diese erschlossen.

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Die Beklagte leitete am 29. März 1990 auf Antrag des Beigeladenen das Planfeststellungsverfahren für den Bau einer Lärmschutzwand und eines Lärmschutzwalles an der Westseite der B 494 von km 3,755 bis km 4,975 ein. Die Lärmsanierung an der seit 1974 fertiggestellten Straße erfolgt aufgrund von Verkehrslärmschutzrichtlinien des Bundesministers für Verkehr, der im jährlichen Haushaltsplan festgelegt hat, daß bei Überschreitung bestimmter Immissionsgrenzwerte straßenseitige bzw. gebäudeseitige Lärmschutzmaßnahmen zu treffen sind, wobei für Lärmschutzmaßnahmen an baulichen Anlagen die Bundesrepublik Deutschland als Straßenbaulastträger 75 % der Aufwendungen erstattet, während der Eigentümer der jeweiligen baulichen Anlage 25 % der Aufwendungen selbst zu tragen hat. In Anwendung dieser Richtlinien sah der Erläuterungsbericht für das Grundstück der Kläger die Erstattung von 75 % der Aufwendungen für Maßnahmen passiven Lärmschutzes an der Nordseite, Westseite sowie Südseite ihres Gebäudes vor, weil in Folge der Reflexion der Lärmschutzwand der in den Richtlinien festgesetzte Immissionsgrenzwert für Schallsanierung von 70/60 dB(A) tags/nachts in reinen oder allgemeinen Wohngebieten an diesen drei Seiten des Hauses nachts überschritten werden wird.

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Die Kläger erhoben gegen das Vorhaben mit Schreiben vom 12. Juni 1990 Einwendungen, die sie in späteren Schreiben vertieften und im Erörterungstermin vom 11. Dezember 1990 aufrechterhielten: Aufgrund der Lage ihres Grundstückes und der Verkehrssituation befürchteten sie durch den Bau der Lärmschutzwand in der vorgesehenen Ausführung eine massive Verschlechterung ihrer Wohnsituation. Die Lärmschutzwand werde zu einer Reflexion des Lärms nach Osten führen, auch wenn die Wand als "hochabsorbierende" Wand gebaut werden solle. Da durch die Wand eine Ausbreitung von Schmutz und Gestank in Richtung Westen verhindert werde, erhöhe sich zwangsläufig die Belastung auf der Ostseite der Straße. Angesichts der augenblicklichen Verkehrsbelastung auf der B 494 im Bereich der Ortschaft Asel seien aktive Lärmschutzmaßnahmen dringend notwendig. Erschreckend sei für sie allein, daß sie für ihr Grundstück bestenfalls passiven Lärmschutz gegen. Kostenbeteiligung erhalten sollten. Es sei nicht einsehbar, daß ein Teil der Einwohner eines Ortes ohne Kostenbeteiligung vollständigen Lärmschutz erhalte, während der andere Teil sich an den Kosten für Maßnahmen zum passiven Lärmschutz mit 25 % beteiligen müsse. Die Lärmschutzwand werde ohne Einzelanträge der Nutznießer errichtet, während sie eine mögliche Kostenbeteiligung des Baulastträgers beantragen müßten. Diese unterschiedliche Behandlung von in gleichem Maße Betroffenen sei mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz nicht vereinbar.

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Die Beklagte stellte mit Beschluß vom 18. April 1991 den Plan für den Bau der Lärmschutzwand und des Lärmschutzwalles fest. Unter Teil A III. des Planstellungsbeschlusses behielt sie dabei die Entscheidung über weitergehende Lärmschutzmaßnahmen für das Wohnhaus der Kläger gemäß § 74 Abs. 3 Satz 1 VwVfG einer gesonderten Regelung vor. Zur Begründung führte sie insoweit aus, im Erörterungstermin seien nach ausführlicher Beratung Regelungen zu den Kostenanteilen der geplanten passiven Lärmschutzmaßnahmen und eine Entscheidung zur Forderung nach aktiven Lärmschutzmaßnahmen angekündigt worden. Diese Entscheidungen blieben nunmehr jedoch einer späteren ergänzenden Planfeststellung vorbehalten, da sich nach dem Erörterungstermin innerhalb der Straßenbauverwaltung Zweifel an der rechtlichen Begründetheit der Forderungen ergeben hätten. Da der Klärung dieser Angelegenheit Grundsatzcharakter beikomme, werde eine Entscheidung des Bundesministers für Verkehr herbeigeführt. Diese Klärung werde jedoch keine Auswirkungen auf die Planfeststellungsentscheidung zum Bau der Lärmschutzwand/des Lärmschutzwalls haben. Angesichts der Vielzahl der Anlieger, zu deren Schutz das Bauvorhaben durchgeführt werde, überwiege das Interesse, das Bauvorhaben schnellstmöglich ausführen lassen zu können.

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Mit Planfeststellungsergänzungsbeschluß vom 6. März 1992 setzte die Beklagte sodann für das Wohnhaus der Kläger passive Lärmschutzmaßnahmen an der West-, Nord- und Südseite des Gebäudes fest und verpflichtete sie den Träger der Straßenbaulast, 75 % der zum Schutze des Gebäudes vor Lärmimmissionen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Einzelheiten über Art und Umfang der festgesetzten Schutzmaßnahmen seien außerhalb der Planfeststellung mit dem Beigeladenen vertraglich zu regeln. Weitergehende Ansprüche der Kläger lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, auch hinsichtlich des Lärmschutzes des östlich der Bundesstraße gelegenen Wohngebäude handele es sich um eine sog. Lärmsanierungsmaßnahme an einer bestehenden Straße. Der Bau einer Lärmschutzwand stelle keine wiederum Schutzvorkehrungen im Sinne einer Lärmvorsorge auslösende wesentliche Änderung einer öffentlichen Straße durch einen erheblichen baulichen Eingriff im Sinne der Lärmschutzregelungen dar, wenn auch die Lärmimmissionen durch Reflexionen von der Wand verstärkt würden. Ein erheblicher baulicher Eingriff bleibe auf fahrbahnbezogene Arbeiten beschränkt. Lärmschutzmaßnahmen für das Haus der Kläger kämen deshalb ebenso wie hinsichtlich des Gesamtvorhabens nur im Rahmen einer Lärmsanierung in Betracht. Hierbei sei die Wahl zwischen aktivem und passivem Lärmschutz eröffnet. Aktiver Lärmschutz zugunsten der Kläger müsse hier ausscheiden, weil die Kosten für eine Lärmschutzwand auch auf der östlichen Seite der Bundesstraße voraussichtlich ca. 480.000,-- DM betragen würden. Dies sei zum Schutze nur eines Gebäudekomplexes unverhältnismäßig teuer und wäre zudem wirkungslos, da die berechnete Isophon-Linie von 70 dB(A) nur zwei an der Bundesstraße gelegene Hausecken streife. In der Verweisung der Kläger auf den passiven Lärmschutz liege keine Verletzung des Gleichheitsgebotes, weil mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der Häuser östlich und westlich der Bundesstraße gegeben sei. Soweit die Kläger die Pflicht zur Tragung des 25 %igen Eigenanteils angriffen, liege auch hier ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung von aktivem und passivem Lärmschutz im Rahmen der Lärmsanierung vor. Passive Lärmschutzmaßnahmen würden an den baulichen Anlagen selbst vorgenommen, was zu einer Wertsteigerung und Kostenersparnis zugunsten des Eigentümers führe. Denn neben der Beschränkung von Lärmimmissionen böten solche Vorkehrungen auch z.B. bessere Wärmeisolierungen und optische Verschönerungen; was bei aktivem Lärmschutz in Form von Lärmschutzwänden nicht der Fall sei. Ergäben sich aber aus dem Lärmschutz als Nebeneffekt auch davon unabhängige Vorteile für die Eigentümer, so könne diesen eine anteilige Kostentragung zugemutet werden. Außerdem seien sie zur Inanspruchnahme des angebotenen passiven Lärmschutzes nicht verpflichtet.

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Nach Zustellung des Planfeststellungsergänzungsbeschlusses am 11. März 1992 haben die Kläger am 2. April 1992 Klage erhoben, zu deren Begründung sie ergänzend im wesentlichen vortragen: Sie dürften hinsichtlich des Lärmschutzes nicht schlechter gestellt werden als die Bewohner der Ortschaft Asel westlich der B 494, zumal ihre Belastung infolge der Reflexionswirkung der Lärmschutzwand eher noch größer werde. Die Berechnungen des Beigeladenen zur Lärmbelastung seien undurchsichtig und ließen den Bezug zu konkreten Lärmmessungen vermissen. Es könne auch keinen Zweifel daran geben, daß der Außenwohnbereich in seiner Schutzwürdigkeit gesondert vom Wohngebäude betrachtet werden müsse. Er trage wesentlich zur Wohn- und Lebensqualität bei, zumal im Hause auch Kinder und ein kranker, pflegebedürftiger älterer Mensch wohne. Der Einwand zu hoher Kosten für die Errichtung einer Lärmschutzwand an der Ostseite der B 494 gehe am Kern der Sache vorbei. Wenn es um die Gesundheit von Menschen gehe, erübrige sich die Argumentierung mit einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Gesundheit und Wohlbefinden eines Menschen seien nicht mit Geld aufzuwiegen. Die Kosten für die Errichtung einer Lärmschutzwand auf der Ostseite seien mit 480.000,-- DM überhöht angesetzt. Ihnen wäre bereits mit einer weniger als 4 m hohen Schallschutzwand besser gedient als mit dem zuerkannten passiven Schallschutz. Im Erörterungstermin sei ihnen eine 100 %ige Kostenübernahme für passive Lärmschutzmaßnahmen in Aussicht gestellt worden. Es sei nicht verständlich, warum dies jetzt nicht mehr gelten solle. Schließlich sei die seitens des Beigeladenen errechnete Erhöhung des Lärmpegels infolge Reflexionswirkung der Lärmschutzwand um lediglich 0,9 dB(A) in Frage zu stellen. Die Baumaßnahmen an der Westseite der B 494 seien zum größten Teil abgeschlossen. Die Lärmbelastung habe sich seitdem deutlich erhöht. Durch die zusätzliche Erhöhung des Lärmpegels und die ohnehin schon vorhandene Lärmbelastung komme es zu einer Gesundheitsgefährdung mit offizieller Billigung. Als Entscheidungsgrundlage seien exakte Messungen im Bereich ihres Wohngebietes durchzuführen, anstatt lediglich von Berechnungen unter Idealbedingungen auszugehen. Nur so könnten auch die lokalen Einflüsse wie vorherrschende Westwinde, verstärkter Verkehr - insbesondere Schwerlastverkehr - seit Öffnung der Grenzen nach Osten, Lärmspitzen im Berufsverkehr und ähnliches mit berücksichtigt werden.

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Die Kläger beantragen,

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den Planfeststellungsergänzungsbeschluß der Beklagten vom 6. März 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, zu ihren Gunsten aktive Lärmschutzmaßnahmen durchzuführen, insbesondere für den Außenwohnbereich, hilfsweise,

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den Planfeststellungsergänzungsbeschluß der Beklagten vom 6. März 1992 insoweit aufzuheben, als darin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für Maßnahmen des passiven Schallschutzes in Höhe von nur 75 % zugebilligt worden ist, und die Beklagte zu verpflichten, ihnen einen Erstattungsanspruch in voller Höhe zuzusprechen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie wiederholt ihre Auffassung, daß die Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung nur für die Lärmvorsorge, nicht aber für die hier streitige Lärmsanierung und im übrigen ohnehin nur bei fahrbahnbezogenen Arbeiten Anwendung fänden. Für eine aktive Lärmschutzmaßnahme sei kein Raum. Um eine spürbare effektive Verbesserung der Situation mit einer Pegelminderung von ca. 10 dB(A) zu erreichen, wäre es erforderlich, eine mindestens 4,0 m hohe und insgesamt 210 m lange Lärmschutzwand zu errichten. Diese Pegelminderung würde selbst dann nur im Erdgeschoß und nicht in den höheren Geschossen erzielt werden. Als Folge wäre überdies eine Verlegung der bisherigen Zufahrt zwischen der B 494 und dem Grundstück in den rückwärtigen Bereich vorzusehen, da nur mit einer geschlossenen Wand der gewünschte Schutzzweck erreicht werde. Hierfür müßte eine rückwärtige Erschließung mit Grunderwerb getätigt werden, die einen erheblichen Eingriff im Bereich des bebauten Grundstücks der Kläger beinhalte. Die Kosten der erforderlichen Wand beliefen sich auf rd. 2.000,-- DM je laufenden Meter Wandlänge. Die rückwärtige Erschließung des Grundstücks der Kläger würde mindestens 60.000,-- DM für Grundstücksankäufe und Zufahrtbau beanspruchen. Die ermittelten Gesamtkosten für den Bau einer wirksamen Lärmschutzwand in Höhe von 480.000,-- DM seien nach alledem realistisch. Es sei überdies zweifelhaft, ob überhaupt ein Anspruch der Kläger auf eine Lärmschutzmaßnahme bestehe. Bei einer freiwillig übernommenen Lärmsanierungsmaßnahme werde entsprechend den bereitstehenden finanziellen Mitteln Lärmschutz vorgenommen. Könnte aus dieser freiwillig übernommenen Aufgabe ein Anspruch abgeleitet werden, würden damit landesweit weitere Lärmsanierungsmaßnahmen unterbunden, weil der Umfang der Maßnahmen nicht mehr vorauszuberechnen wäre und im Rahmen einer Lärmsanierungsmaßnahme mit weiteren die finanziellen Möglichkeiten überschreitenden Forderungen nach Lärmschutzmaßnahmen gerechnet werden müßte. Aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz lasse sich für die Kläger kein Anspruch auf aktiven Lärmschutz herleiten, weil mit dem Bau der Lärmschutzwand an der Westseite der B 494 ein Ortsteil vor Lärm geschützt werde, während die von den Klägern geforderte Lärmschutzwand lediglich einen einzigen Gebäudekomplex schützen würde. Die von den Klägern geforderte Messung der Lärmimmissionen sei nicht möglich. Der Verordnungsgeber der Verkehrslärmschutzverordnung sei davon ausgegangen, daß der Lärm aufgrund von Berechnungen ermittelt werde, weil bei der Ermittlung der Verkehrsauswirkungen eine in die Zukunft gerichtete, einen längeren Zeitraum abdeckende Prognose anzustellen sei. Hier ließen sich im Rahmen einer konkreten Messung überdies die Fremdgeräusche der benachbarten Verkehrswege nicht von den Straßengeräuschen der B 494 trennen. Durch die 470 m entfernt verlaufende Bundesbahnstrecke Hildesheim-Lehrte und die in rd. 900 m Entfernung verlaufende BAB 7 würden die Meßwerte erheblich verfälscht werden.

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Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

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die Klage abzuweisen.

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Er weist darauf hin, daß mit einer lediglich 1,50 m hohen Schallschutzwand an der Ostseite der Straße keine höhere Schallschutzminderung verbunden wäre. Dies sei durch Berechnungen und Messungen belegt. Eine derartige von der Klägerin als ausreichend erachtete Baumaßnahme scheide deshalb von vornherein aus.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der zu diesem sowie zum Parallelverfahren 7 L 3735/91 beigezogenen Planfeststellungsunterlagen der Beklagten, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die der Senat gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 8 VwGO erstinstanzlich zu entscheiden hat, ist nur mit dem Hilfsantrag begründet.

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Als Rechtsgrundlage für den von den Klägern geltend gemachten Anspruch auf Errichtung einer Lärmschutzwand kommt ausschließlich die Vorschrift des § 41 Abs. 1 BImSchG in Betracht, die im Bereich des Verkehrslärmschutzes insoweit an die Stelle der allgemeinen Regelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfGüber im Planfeststellungsbeschluß zu treffende Schutzanordnungen zugunsten Dritter tritt. Hiernach ist bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung öffentlicher Straßen sowie von Eisenbahnen und Straßenbahnen unbeschadet des § 50 BImSchG sicherzustellen, daß durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Dies gilt nicht, soweit die Kosten der Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden. Reichen derartige aktive Lärmschutzmaßnahmen an den Verkehrswegen nicht aus oder sind diese unverhältnismäßig, so wird durch § 42 BImSchG unter bestimmten Voraussetzungen zugunsten der Betroffenen ein Entschädigungsanspruch hinsichtlich von ihnen verauslagter Kosten für Maßnahmen des passiven Schallschutzes begründet.

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Bei der Anwendung und Auslegung der genannten Vorschriften ist aber - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - stets zu berücksichtigen, daß das immissionsschutzrechtliche System des Verkehrslärmschutzes mit seiner Anknüpfung an die Planung (§ 50 BImSchG) bzw. den Bau oder die wesentliche Änderung (§ 41 BImSchG) der Verkehrswege nur Maßnahmen der Lärmvorsorge betrifft, nicht hingegen die Lärmsanierung vorhandener Verkehrswege, die nicht geändert werden, erfaßt. Die Lärmsanierung ist bisher gesetzlich nicht geregelt und wird zur Zeit nur nach Bundes- und Landesrichtlinien vorgenommen (vgl. dazu Janning, Verkehrslärmschutz, StuGB 1987, 481, 509). Ein Rechtsanspruch auf Lärmsanierung durch Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes besteht derzeit nicht. Hieran hat sich auch durch die 16. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBl I S. 1036) nichts geändert. Auch diese gilt nach ihrem § 1 Abs. 1 nur für den Bau oder die wesentliche Änderung von öffentlichen Straßen- und Schienenwegen. Eine Änderung ist nach ihrem § 1 Abs. 2 wesentlich, wenn (erstens) eine Straße um einen oder mehrere durchgehende Fahrstreifen für den Kraftfahrzeugverkehr oder ein Schienenweg um ein oder mehrere durchgehende Gleise baulich erweitert wird oder (zweitens) durch einen erheblichen baulichen Eingriff der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms in bestimmter (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 2) Weise erhöht wird. Auch die 16. BImSchV gewährt Betroffenen mithin keinen Anspruch auf Reduzierung des Lärms an bereits bestehenden Straßen- und Schienenwegen, die nicht wesentlich geändert werden (Urt. d. Sen. v. 17. 9. 1992 - 7 L 3769/91 -; bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 23. 2. 1993 - 7 B 7.93 -).

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Der Beklagte und der Beigeladene sind nach vorstehenden Ausführungen zu Recht davon ausgegangen, daß der Bau von Lärmschutzwand und Lärmschutzwall an der Westseite der B 494 im Bereich der Ortschaft Asel eine freiwillige Sanierungsmaßnahme des Trägers der Straßenbaulast ist, die ohne Erfüllung eines Rechtsanspruchs der Begünstigten im Rahmen vorhandener Haushaltsmittel nach den einschlägigen Bundesrichtlinien erfolgt. Doch gilt dies - anders als es der Beklagte und der Beigeladene in Übereinstimmung mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr und dem Bundesministerium für Verkehr sehen - nicht gleichermaßen für die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung aktiven oder passiven Lärmschutzes. Denn hierbei handelt es sich nicht mehr um einen Fall nur der Lärmsanierung, sondern um Maßnahmen der Lärmvorsorge, auf die im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ein Rechtsanspruch der Kläger besteht.

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Die von den Klägern zum Anlaß ihres Begehrens genommene Errichtung von Lärmschutzwand und Lärmschutzwall an der Westseite der B 494 ist eine "Änderung" einer öffentlichen Straße im Sinne des § 41 Abs. 1 BImSchG. Von dieser Vorschrift werden alle baulichen Maßnahmen an den Verkehrswegen erfaßt, während lediglich verkehrslenkende und verkehrsregelnde Maßnahmen, die sich auf das Verkehrsaufkommen auswirken können, nicht hierunter fallen (vgl. Landmann/Rohmer/Hansmann, Umweltrecht I, Nr. 1, § 41 RdNr. 30 m. Nachw.). Der Gesetzgeber wollte eine besondere Lärmschutzregelung für das Verkehrswegerecht schaffen. Dies hat er durch den systematischen Zusammenhang des Begriffs der wesentlichen Änderung mit dem des Baues in der Vorschrift zum Ausdruck gebracht. Die Errichtung einer Schallschutzwand an einer öffentlichen Straße berührt zwar den Verlauf der Straße als solchen nicht. In § 1 Abs. 4 Nr. 1 FStrG ist aber bestimmt, daß zum Straßenkörper der Bundesfernstraße besonders u.a. der Straßengrund, der Straßenunterbau und die Straßendecke sowie "Lärmschutzanlagen" gehören. Daraus folgt, daß die Errichtung einer Lärmschutzanlage den Straßenkörper der Bundesfernstraße betrifft und damit zugleich eine Änderung der Straße selbst darstellt. Diese Änderung ist hier auch "wesentlich" im Sinne des § 41 BImSchG und der Verkehrslärmschutzverordnung. Denn der Beigeladene hat im Rahmen seiner schalltechnischen Untersuchung ermittelt, daß sich als Folge der von der Lärmschutzwand ausgehenden Reflexionen für das Wohnhaus der Kläger nachts Schallpegel von 60,5 dB(A) an der Nordseite, 63,5 dB(A) an der Westseite sowie 60,1 dB(A) an der Südseite als maximale Werte ergeben werden. Die Wesentlichkeit der Änderung ergibt sich danach aus § 1 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der 16. BImSchV, wonach eine Änderung u.a. dann wesentlich ist, wenn durch einen erheblichen baulichen Eingriff der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms auf mindestens 60 dB(A) in der Nacht erhöht wird. Die Wesentlichkeit der Änderung folgt im übrigen auch aus § 1 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV, wonach die Änderung ferner dann wesentlich ist, wenn der Beurteilungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärms von mindestens 60 dB(A) in der Nacht durch einen erheblichen baulichen Eingriff erhöht wird. Ausweislich der schalltechnischen Untersuchung des Beigeladenen errechnet sich für die Westseite des Erdgeschosses des Hauses der Kläger ohne Berücksichtigung der Schallschutzwand ein nächtlicher Beurteilungspegel von bereits 62,6 dB(A), mit der Folge, daß hier jegliche Erhöhung des Beurteilungspegels eine Änderung der Straße zur "wesentlichen" Änderung werden läßt.

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Zugunsten der Kläger finden danach die in § 2 der 16. BImSchV normierten Immissionsgrenzwerte Anwendung, ab deren Überschreitung schädliche Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche im Sinne des § 41 Abs. 1 BImSchG angenommen werden. Für das im Außenbereich gelegene, ausschließlich Wohnzwecken dienende Grundstück der Kläger ist nach § 2 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV unter Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV festgelegte Immissionsgrenzwert für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete von 64/54 dB(A) tags/nachts zugrunde zu legen. Dieser wird nach Errichtung der Lärmschutzwand an der Nord-, der West- sowie der Südseite des Hauses sowohl tags als auch nachts überschritten werden; der Beigeladene hat insoweit Beurteilungspegel von tags 67,0 bis 76,4 dB(A) und nachts 60,1 bis 63,5 dB(A) errechnet. Messungen schließt die 16. BImSchV nach ihrem § 3 Satz 1 aus.

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Die Überschreitung der einschlägigen Immissionsgrenzwerte am Wohnhaus der Kläger hat indes nicht zur Folge, daß diesen ebenso wie der Ortschaft Asel aktiver Lärmschutz in Form einer Lärmschutzwand oder eines Lärmschutzwalles zuerkannt werden müßte. Denn Maßnahmen des aktiven Schallschutzes sind nach § 41 Abs. 2 BImSchG - wie bereits ausgeführt - nur geboten, wenn ihre Kosten nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden. Nach den Ermittlungen des Beigeladenen in seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 7. Mai 1992 wäre eine Pegelminderung von rd. 10 dB(A) bezogen auf das Wohnhaus der Kläger nur zu erreichen, wenn die Wand 4 m hoch wäre und eine beidseitige Überstandslänge von jeweils 105 m hätte. Im vorausgegangenen Schreiben vom 27. April 1992 hat der Beigeladene dargelegt, bei niedrigerer Ausführung der Wand werde nicht einmal ein Grenzwert von nachts 60 dB(A) gänzlich eingehalten. Unter Zugrundelegung von Kosten für eine 4,0 m hohe Wand in Höhe von rd. 2.000,-- DM/laufender Meter Wandlänge und der zusätzlichen Kosten für die Schaffung einer rückwärtigen Erschließung des Grundstücks der Kläger mit einem Kostenaufwand für Grunderwerb und Baukosten von ca. 60.000,-- DM hat der Beigeladene Gesamtaufwendungen von rd. 480.000,-- DM ermittelt, die erforderlich wären, um den Klägern durch den Bau einer Lärmschutzwand aktiven Schallschutz zur Gewährleistung der Einhaltung des Grenzwertes von (nur) 60 dB(A) nachts zu gewähren. Die Kläger meinen zwar, die Errichtung dieser Schallschutzwand könne kostengünstiger erfolgen, haben aber die Ermittlungen des Beigeladenen nicht substantiiert angegriffen. Letztlich mag aber die Frage, wie hoch die Kosten einer effektiven Schallschutzwand zugunsten der Kläger tatsächlich wären, hier dahingestellt bleiben. Denn es bedarf keiner weiteren Begründung, daß die Errichtung einer 200 m langen und 4 m hohen Schallschutzwand zum Schutz eines einzeln gelegenen Wohnhauses vor Lärmbeeinträchtigungen von vornherein unverhältnismäßig ist, sofern nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles ausnahmsweise eine andere Beurteilung geboten erscheint. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich, zumal auch ein schützenswerter Außenwohnbereich des Grundstücks nicht beeinträchtigt wird.

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Begründet ist daher lediglich der von den Klägern hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Kosten für Schallschutzmaßnahmen an ihrem Wohnhaus in Höhe der erbrachten notwendigen Aufwendungen gemäß § 42 Abs. 1 BImSchG. Die in den Richtlinien für die Lärmsanierung vorgesehene Kürzung des Erstattungsbetrages um einen Eigenanteil von 25 % widerspricht der zwingenden Vorschrift des § 42 BImSchG, der die Schallvorsorge regelt und der hier, wie ausgeführt, deshalb zugunsten der Kläger greift. Über die genaue Höhe der Entschädigung für Schallschutzmaßnahmen hat der Senat nicht zu entscheiden. Hierüber sind nach Zuerkennung des Anspruchs dem Grunde nach durch Planfeststellungsergänzungsbeschluß des Beklagten zunächst Verhandlungen zwischen den Klägern und dem Beigeladenen zu führen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet nach § 42 Abs. 3 Satz 1 BImSchG auf Antrag eines der Beteiligten die nach Landesrecht zuständige Behörde durch Bescheid über die Entschädigung. In Niedersachsen ist als für die Festsetzung der Entschädigung zuständige Behörde die Bezirksregierung bestimmt, die nach § 19 Abs. 1 NEG zugleich Enteignungsbehörde ist. Gegen deren Entscheidung ist nach der landesrechtlichen Verfahrensvorschrift des § 43 Abs. 1 NEG nur der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegeben, über den das Landgericht (Kammer für Baulandsachen) zu entscheiden hat.

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Die Kosten des Verfahrens haben nach §§ 155 Abs. 1 Satz 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO die Kläger in vollem Umfang zu gleichen Teilen zu tragen, weil - gemessen am Hauptantrag der Kläger - die Beklagte lediglich zu einem geringfügigen Teil unterlegen ist. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO). Denn der Beigeladene hat die Abweisung der Klage beantragt und ist damit nach § 154 Abs. 3 VwGO ein eigenes Kostenrisiko eingegangen.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Denn der bislang höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfrage, ob freiwillig übernommene Maßnahmen des Straßenbaulastträgers zur Lärmsanierung an einer vorhandenen Straße ihrerseits als wesentliche Änderung der Straße im Sinne der 16. BImSchV zu Rechtsansprüchen auf Lärmvorsorge führen können, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.

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Beschluß

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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.000,-- DM festgesetzt (§§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, 5 ZPO).

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Kalz

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Peschau

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Rettberg