Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.09.1993, Az.: 18 L 6392/92

Beteiligung des Personalrates bei der Anordnung von Überstunden beziehungsweise Mehrarbeit; Klärung eines Mitbestimmungsrechts des Personalrates; Festlegung der zeitlichen Lage von Mehrarbeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.09.1993
Aktenzeichen
18 L 6392/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1993, 18358
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1993:0915.18L6392.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 05.11.1992 - AZ: PL A 23/90

Verfahrensgegenstand

Mitbestimmung bei der Anordnung von Mehrarbeit

In dem Rechtsstreit
hat der 18. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen -
auf die mündliche Anhörung vom 15. September 1993
durch
den Richter am Oberverwaltungsgericht Schwermer als Vorsitzenden,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Uffhausen,
die Richterin am Verwaltungsgericht Preßler
sowie die ehrenamtlichen Richter Teich und Rolinski
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Hannover - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen in Hildesheim - vom 5. November 1992 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten über die Frage, in welchem Umfang der antragstellende Personalrat bei der Anordnung von Überstunden/Mehrarbeit für die Mitarbeiter/innen der ... zu beteiligen ist.

2

Die Hochschule umfaßt sieben veterinärmedizinische Kliniken. Zur Versorgung der stationären Tierpatienten und zur Behandlung von Notfallpatienten ist eine Dienstleistung auch außerhalb der regulären Arbeitszeit erforderlich. In der Praxis führt dies seit jeher zur Anordnung von Überstunden/Mehrarbeit - insbesondere im Tierpflegerbereich -, die in monatlichen Einsatzplänen von den Klinik-/Institutsleitern festgelegt werden. Diese werden dem Antragsteller bisher nicht zur Zustimmung vorgelegt.

3

Einen Initiativantrag des Antragstellers vom 1. Februar 1990 zur Vorlage der Anträge über vorhersehbare Überstunden und Vorlage der Abrechnungszettel über unvorhersehbare Überstunden lehnte die Einigungsstelle beim Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kunst mit Schreiben vom 1. August 1990 mit der Begründung ab, der Streit über das Bestehen des Mitbestimmungsrechts sei nicht von der Einigungsstelle, sondern vom Verwaltungsgericht zu entscheiden.

4

Auch für November 1990 wurden ohne vorherige Beteiligung des Antragstellers für wissenschaftliche Mitarbeiter, Tierpfleger und Kraftfahrer in 14 Kliniken bzw. Instituten Überstunden/Mehrarbeit angeordnet. Die entsprechenden Einsatzpläne leitete der Beteiligte dem Antragsteller zur Kenntnis zu.

5

Am 27. November 1990 hat der Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet. Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe bei der Aufstellung der monatlichen Einsatzpläne ein Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG zu; der Umstand, daß Überstunden/Mehrarbeit in Plänen angeordnet würden, belege, daß es dabei nicht um die Regelung eines nicht vorauszusehenden Bedarfs im Sinne von § 75 Abs. 1 Satz 2 Nds. PersVG gehe.

6

Er hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, daß die für November 1990 ohne seine Beteiligung erlassenen, in der Antragsschrift vom 26. November 1990 im einzelnen bezeichneten Mehrarbeitanordnungen sein Mitbestimmungsrecht verletzt haben,

  2. 2.

    festzustellen, daß der Beteiligte verpflichtet sei, durch Einsatzpläne vorgenommene Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern, Tierpflegern und Kraftfahrern ihm - dem Antragsteller - zur Durchführung seines Beteiligungsrechts gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG vorzulegen,

7

hilfsweise:

festzustellen, daß der Beteiligte verpflichtet sei, die durch Einsatzpläne vorgenommene Festlegung der zeitlichen Lage von Mehrarbeit und die Entscheidung, wer Mehrarbeit leisten soll, gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern, Tierpflegern und Kraftfahrern ihm - dem Antragsteller - zur Durchführung seines Beteiligungsrechts gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG vorzulegen.

8

Der Beteiligte hat beantragt,

die Anträge abzulehnen.

9

Er hat erwidert: Die hier streitige Anordnung von Überstunden/Mehrarbeit im Einzelfall unterliege nicht der Mitbestimmung des Antragstellers. Bezüglich der kollektiven Anordnung von Überstunden sei dieser von der Dienststelle in den Jahren 1983 und 1984 ordnungsgemäß beteiligt worden.

10

Mit Beschluß vom 5. November 1992, auf dessen Begründung verwiesen wird, hat das Verwaltungsgericht die Anträge des Antragstellers abgelehnt.

11

Gegen den ihm am 26. November 1992 zugestellten Beschluß hat der Antragsteller am 23. Dezember 1992 Beschwerde eingelegt, die er gleichzeitig begründet hat. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

12

Er beantragt,

den angefochtenen Beschluß zu ändern und nach seinen erstinstanzlichen Anträgen mit der Maßgabe zu erkennen, daß als Hauptantrag nur noch der zu 2. gestellte Antrag verfolgt werde.

13

Der Beteiligte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

14

Er verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beteiligten (Beiakte A) Bezug genommen.

16

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsbegehren des Antragstellers, die auf die Klärung seines Mitbestimmungsrechts nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG bei der "Anordnung von Mehrarbeit und Überstunden" gerichtet sind, zu Recht abgelehnt.

17

1.

Im Hauptantrag verfolgt der Antragsteller mit der Beschwerde nur noch den beim Verwaltungsgericht zu 2. gestellten Antrag weiter festzustellen, daß die in monatlichen Einsatzplänen vorgenommene Anordnung von Mehrarbeit/Überstunden gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern, Tierpflegern und Kraftfahrern der ... Hochschule seiner Mitbestimmung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG unterliegt. Seinen erstinstanzlichen Antrag zu 1. auf Feststellung der Verletzung seines Mitbestimmungsrechts durch den Erlaß entsprechender Einsatzpläne für November 1990 in 14 Kliniken bzw. Instituten hat der Antragsteller mit Rücksicht auf die Erledigung dieser Vorgänge fallengelassen. Dem nunmehr allein noch verfolgten Antrag, der die aufgetretene personalvertretungsrechtliche Streitfrage in allgemeiner Form zur gerichtlichen Klärung stellt, begegnen Zulässigkeitsbedenken nicht, weil sich die streitige Problematik im Verhältnis der Beteiligten zueinander ständig neu stellt; Ziel des Antrages ist mithin nicht etwa - was unzulässig wäre - die Klärung einer bloßen abstrakten Rechtsfrage (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 10.1.1991 - BVerwG 6 P 14.88 - DVBl. 1991, 707 = PersR 1991, 137 und vom 2.6.1992 - BVerwG 6 P 14.90 - PersR 1992, 359).

18

Der Feststellungsantrag ist aber unbegründet, weil dem Antragsteller das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht nicht zusteht.

19

Dem Antragsteller ist einzuräumen, daß § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht und die Notwendigkeit, Mehrarbeit oder Überstunden anzuordnen, vorauszusehen ist (vgl. zu letzterem § 75 Abs. 1 Satz 2 Nds. PersVG), seinem Wortlaut nach undifferenziert die Anordnung von Mehrarbeit/Überstunden der Mitbestimmung der Personalvertretung unterstellt. Die Vorschrift bedarf jedoch - erstens - im Hinblick auf die rahmenrechtliche Begrenzung der Beteiligungsrechte nach § 104 Satz 3 BPersVG einer (einschränkenden) verfassungskonformen Auslegung dahingehend, daß nicht das "Ob" der Anordnung von Überstunden (als organisatorische Angelegenheit, die der Disposition der Personalvertretung entzogen ist), sondern lediglich - soweit eine Trennung der Bereiche möglich ist - die Umsetzung solcher Anordnungen in die Sphäre der Beschäftigten mitbestimmungspflichtig ist. Das ergibt sich aus den Gründen, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 8. Mai 1992 - BVerwG 6 P 22.91 - (DVBl. 1992, 1368 = PersV 1992, 442) für die wortgleiche Regelung des § 86 Abs. 1 Nr. 1 HmbPersVG dargelegt hat. Diese Ausführungen sind entgegen der Ansicht des Antragstellers - wie der Senat bereits verschiedentlich entschieden hat - auf das niedersächsische Recht übertragbar (vgl. Beschlüsse vom 4.11.1992 - 18 L 8485/91 -, vom 24.2.1993 - 18 L 8483/91 - und vom heutigen Tage - 18 L 991/92 -; ebenso Dembowski/Ladwig/Sellmann, Nds. PersVG, RdNrn. 23 ff., 26 zu § 75; Spohn/Bieler/Müller-Fritzsche, Nds. PersVG, 5. Aufl., RdNrn. 15 f. zu § 75; in gleichem Sinne für das hess. Landesrecht HessVGH, Beschluß vom 14.1.1993 - HPV TL 2064/91 -). - Zweitens bezieht sich die Mitbestimmung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG ihrem Sinngehalt nach nur auf generelle Regelungen, die für die Beschäftigten einer Dienststelle insgesamt oder jedenfalls für eine Gruppe von Beschäftigten Geltung beanspruchen; sie erfaßt nicht Individualmaßnahmen gegenüber einzelnen Beschäftigten. Ihr Zweck ist nämlich, als Mittel des kollektiven Schutzes die berechtigten Belange aller Mitarbeiter mit den dienstlichen Erfordernissen in Einklang zu bringen, nicht aber, das Wohl einzelner Bediensteter zu fördern (vgl. Senatsbeschluß vom 4.11.1992 - 18 L 8485/91 - im Anschluß an die Rspr. des BVerwG, Beschlüsse vom 9.10.1991 - BVerwG 6 P 12.90 - PersR 1992, 16 und vom 2.6.1992 - BVerwG 6 P 14.90 - a.a.O.; Dembowski/Ladwig/Sellmann, a.a.O., RdNrn. 13 und 24 zu § 75; Spohn/Bieler/Müller-Fritzsche, a.a.O., RdNrn. 8 und 17 zu § 75). Zwar wird in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der erforderliche kollektive Bezug auch bei Regelungen für einzelne Beschäftigte bejaht, wenn die Regelung nicht individuellen Bedürfnissen Rechnung trägt, sondern der Befriedigung eines betrieblichen Bedürfnisses dient oder wenn ein zusätzlicher Arbeitsbedarf regelmäßig auftritt und vorhersehbar ist (vgl. etwa Beschluß vom 27.11.1990 - 1 ABR 77/89 - NZA 1991, 382, 383); diese Rechtsprechung ist jedoch wegen der dem Mitbestimmungsrecht der Personalvertretung entzogenen Regelungsbereiche auf das Personalvertretungsrecht nicht übertragbar (vgl. Senatsbeschluß vom 4.11.1992 - 18 L 8485/91 -; ebenso BayVGH, Beschluß vom 8.9.1993 - 18 P 93.1795 -).

20

Mit den (auch) vom Antragsteller gegen die Zulässigkeit und Notwendigkeit der vorgenannten einengenden verfassungskonformen Auslegung des § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG vorgebrachten grundsätzlichen Einwänden hat sich der Senat bereits im einzelnen in seinem Beschluß vom 24. Februar 1993 - 18 L 8483/91 - auseinandergesetzt und sie als nicht durchgreifend erachtet; daran ist festzuhalten. Ebensowenig rechtfertigen die vom Antragsteller in der mündlichen Anhörung vorgebrachten, auf den Regierungsentwurf zur Novellierung des Nds. PersVG vom 12. Januar 1993 (LT-Drucks. 12/4370) gestützten Argumente eine abweichende Beurteilung. Denn insbesondere der in § 63 Abs. 1 des Entwurfs weit gefaßte Begriff der mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen hat erklärtermaßen eine Ausdehnung der Mitbestimmungsbefugnisse der Personalvertretung zum Ziel und kann schon von daher für die Auslegung des geltenden Rechts nicht herangezogen werden. Im übrigen ordnet § 66 Nr. 7 des Regierungsentwurfs - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den zitierten Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Mai 1992 (vgl. LT-Drucks. a.a.O., S. 158) - die Anordnung von vorhersehbarer Mehrarbeit und Überstunden nunmehr nicht mehr als personelle Maßnahme ein, sondern als Maßnahme der Organisation, die als eine die Regierungsverantwortlichkeit wesentlich berührende Frage nicht der letzten Entscheidung des Kabinetts entzogen werden darf.

21

Nach den zuvor dargelegten Maßstäben steht dem Antragsteller das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht aus § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG beim Erlaß der streitigen monatlichen Einsatzpläne nicht zu. Denn diese betreffen zum einen das "Ob" der Anordnung von Mehrarbeit/Überstunden und legen zum anderen - ohne Gruppenbezogenheit - im Einzelfall fest, welcher Bedienstete, Mehrarbeit/Überstunden zu leisten hat. Für dieses Ergebnis spricht - wie der Beteiligte zu Recht betont - zusätzlich die mangelnde Praktizierbarkeit des behaupteten Mitbestimmungsrechts, da wegen der monatlichen Abfolge der Pläne vor deren jeweiliger Erledigung durch Zeitablauf die Durchführung eines Mitbestimmungsverfahrens praktisch nicht möglich ist (vgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 9.10.1991 - BVerwG 6 P 12.90 - a.a.O.). Es mag aus der Sicht der Personalvertretung - wie der Vorsitzende des Antragstellers in der mündlichen Anhörung hervorgehoben hat - insbesondere unbefriedigend erscheinen, daß deswegen einer (behaupteten) Praxis nicht entgegengesteuert werden kann, auf der Basis der Freiwilligkeit einzelne Beschäftigte quantitativ überproportional zu Mehrarbeit/Überstunden heranzuziehen. Insoweit ist die Personalvertretung gemäß § 75 Abs. 2 Nds. PersVG darauf beschränkt, auf entsprechende Regelungen in Dienstvereinbarungen über die Grundsätze für die Aufstellung von Dienstplänen hinzuwirken.

22

2.

Mit dem Hilfsantrag auf Feststellung, daß die monatlichen Einsatzpläne jedenfalls hinsichtlich der zeitlichen Lage von Mehrarbeit bzw. Überstunden und der Auswahl der heranzuziehenden Beschäftigten der Mitbestimmung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Nds. PersVG unterliegen, kann die Beschwerde nach dem oben Gesagten ebenfalls keinen Erfolg haben. Bezüglich der zeitlichen Lage treffen die Einsatzpläne im übrigen ohnehin keine abschließenden Festlegungen, da sich deren Notwendigkeit - wie der Vorsitzende des Antragstellers in der mündlichen Anhörung eingeräumt hat - nach den aktuellen Bedürfnissen des Klinikbetriebs richtet, die im Hinblick auf z. B. die Einlieferung von Tier-Notfallpatienten nicht vorhersehbar sind.

23

Nach alledem ist die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

24

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

Schwermer,
Dr. Uffhausen,
Preßler,
Teich,
Rolinski