Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.06.2002, Az.: 11 ME 159/02
Ausnahmefall; Aussetzung der Abschiebung; Ausweisung; Ausweisungsverfügung; Befristung; Doppelbestrafung; Rauschgifthandel; Regelausweisung; Türkei; Widerruf; Wiederaufgreifen des Verfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.06.2002
- Aktenzeichen
- 11 ME 159/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41851
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 04.04.2002 - AZ: 1 B 1305/02
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs 2 S 3 AuslG
- § 47 Abs 1 Nr 1 AuslG
- § 47 Abs 3 S 1 AuslG
- § 48 Abs 1 S 1 Nr 4 AuslG
- § 48 Abs 1 S 2 AuslG
- § 49 Abs 1 VwVfG
- § 51 Abs 5 VwVfG
- Art 1 Abs 2 GG
- Art 2 Abs 1 GG
- § 3 EMRK
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Befristungsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG schließt als Spezialvorschrift die Möglichkeit des ebenfalls in die Zukunft gerichteten Widerrufs einer unanfechtbaren Ausweisungsverfügung nach § 49 VwVfG jedenfalls insoweit aus, als es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (wie BVerwG, Urt. v. 7. 12. 1999, BVerwGE 110, 140). Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn die mit der Befristungsregelung verfolgten Zwecke nur unzureichend berücksichtigt werden könnten (hier für den Fall eines in Deutschland wegen Einfuhr und Handel mit Heroin zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilten Türken, der in seinem Heimatland zusätzlich zu 17 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe wegen Ausfuhr des betreffenden Heroins verurteilt worden ist, bejaht). In die Prüfung einer Ausnahme von der Regelausweisung nach §§ 48 Abs. 1 Satz 2, 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG ist auch die Gefahr einer weiteren Bestrafung des Ausländers in seinem Heimatland einzubeziehen. Dabei sind die Grundsätze, welche das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 31. 3. 1987, BVerfGE 75, 1) zum Auslieferungsrecht entwickelt hat, entsprechend anzuwenden.
Gründe
Der 1957 geborene Antragsteller, der türkischer Staatsangehöriger ist, hält sich seit März 1980 im Bundesgebiet auf. Ihm wurde am 21. März 1985 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und am 14. Juni 1990 eine Aufenthaltsberechtigung erteilt. Er hat mit seiner zweiten Ehefrau, die er im August 1984 geheiratet hat, vier Kinder.
Das Landgericht K. verurteilte den Antragsteller am 1. April 1998 zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren wegen Einfuhr von in Tateinheit mit Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Heroin).
Mit Verfügung vom 26. Oktober 1999 wies der Antragsgegner den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland aus und kündigte ihm die Abschiebung in die Türkei aus der Haft heraus an. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung H. mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2000 - zugestellt am 12. April 2000 - zurück.
Die Ehefrau des Antragstellers und seine Kinder haben am 17. April 2000 durch Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
Das Verwaltungsgericht wies die gegen die Ausweisungsverfügung erhobene Klage mit Urteil vom 22. August 2001 - 1 A 2317/00 - ab. Der Senat lehnte mit Beschluss vom 13. November 2001 - 11 LA 3441/01 - den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung ab.
Das 5. Staatssicherheitsgericht in Istanbul verurteilte den Antragsteller am 1. November 2001 (in Abwesenheit) wegen gemeinschaftlichen Ausführens von Heroin aus der Türkei zu 17 Jahren und 6 Monaten schwerer Strafhaft.
Der Antragsteller wurde am 4. Dezember 2001 aus der Haft entlassen, nachdem die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. mit Beschluss vom 30. November 2001 nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe die Vollstreckung des Restes zur Bewährung ausgesetzt hatte.
Mit Schriftsätzen vom 5., 22. und 29. März 2002 hat der Antragsteller das Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel des Widerrufs der Ausweisungsverfügung vom 26. Oktober 1999 beantragt. Den gleichfalls gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 21. März 2002 als offensichtlich unbegründet ab.
Nachdem der Antragsgegner die Abschiebung für den 5. April 2002 vorgesehen hatte, hat der Antragsteller am 29. März 2002 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 4. April 2002 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag - unter Ablehnung im Übrigen - insoweit stattgegeben, als dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt worden ist, den Antragsteller vor Ablauf eines Monats nach Zustellung einer erneuten Entscheidung über seinen Antrag auf Widerruf der Ausweisungsverfügung vom 26. Oktober 1999 in die Türkei abzuschieben. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.
Die Beschwerde hat Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts leiden die Erwägungen des Antragsgegners, mit denen dieser bisher ein Wiederaufgreifen des Verfahrens abgelehnt hat, nicht unter einem Ermessensfehler. Insbesondere kann bei der hier nur möglichen summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht festgestellt werden, dass im Rahmen der Prüfung, ob ein Widerruf der unanfechtbaren Ausweisungsverfügung in Betracht kommt, ein Ausnahmefall im Sinne der §§ 48 Abs. 1 Satz 2, 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG (die vom Antragsteller verwirklichte Ist-Ausweisung des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG ist wegen der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner - mittlerweile eingebürgerten - Ehefrau gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG zu einer Regel-Ausweisung herabgestuft) anzunehmen ist.
Allerdings stimmt der Senat dem Verwaltungsgericht darin zu, dass dem hier allein zu prüfenden Anspruch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel eines Widerrufs der unanfechtbaren Ausweisungsverfügung nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 49 Abs. 1 VwVfG nicht von vornherein die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG als Spezialvorschrift entgegensteht.
Nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG werden die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung, die darin bestehen, dass ein gesetzliches Aufenthalts- und ein Einreiseverbot sowie eine Sperre für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ausgelöst wird (§ 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 AuslG), auf Antrag in der Regel befristet. Die Frist beginnt aber erst mit der Ausreise (§ 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG). Zweck dieser Befristungsregelung ist es, dem Ausländer einen neuen Aufenthalt zu ermöglichen, wenn sich der Sachverhalt verändert hat, insbesondere die mit der Ausweisung verfolgten jeweiligen spezial- bzw. generalpräventiven Zwecke ein weiteres Fernhalten nicht mehr erfordern (BVerwG, Urt. v. 11. 8. 2000, DVBl. 2001, 212 = InfAuslR 2000, 483, und Urt. v. 7.12.1999, BVerwGE 110, 140 = DVBl. 2000, 429 = InfAuslR 2000, 176). Diese Regelung trägt dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung und soll die einschneidenden Folgen einer Ausweisung für die persönliche Lebensführung des Ausländers einschränken (vgl. Sperlich, Ausländerrecht in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ZAR 2002, 180, 186 m. Nachw.). Dies gilt um so mehr, als für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ebenso wie bei einer Abschiebungsandrohung - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses des ausländerbehördlichen Verfahrens (d. h. im Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides) abzustellen ist (st. Rspr. d. BVerwG, vgl. Beschl. v. 23.5.2001, InfAuslR 2001, 312; Beschl. v. 8.2.1999, InfAuslR 1999, 330). Mit Hilfe der Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG können nachträglich zugunsten des Ausländers eingetretene Entwicklungen angemessen berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17. 1. 1996, InfAuslR 1996, 137).
In Fällen der Ausweisung aus Anlass von Straftaten besteht regelmäßig nach einer angemessenen Zeit ordnungsgemäßer Führung kein Anlass mehr, dem Ausländer den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verwehren. Ist also die Wiederholungsgefahr entfallen, derentwegen der Ausländer ausgewiesen wurde, sind grundsätzlich die Ausweisungswirkungen zu befristen. Bei einer generalpräventiv motivierten Ausweisung wird insbesondere darauf abzustellen sein, wann die Abschreckungswirkung verbraucht ist. Die Sperrwirkung muss deshalb so lange bestehen bleiben, wie es die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke im Einzelfall erfordern. Die Ausländerbehörde kann danach dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung eines Ausländers mit einer zeitlich abgestuften Reaktion gerecht werden, die gleichzeitig seine privaten Belange hinreichend berücksichtigt. Diesen Grundsätzen trägt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa Beschl. v. 14.3.2001, NdsVBl. 2001, 198) der Runderlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 29. Mai 1999 (Nds.MBl. 1999, S. 406) in sachgerechter Weise Rechnung.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Befristungsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG als Spezialvorschrift zumindest teilweise die Möglichkeit des ebenfalls in die Zukunft gerichteten Widerrufs einer unanfechtbaren Ausweisungsverfügung nach § 49 VwVfG ausschließt (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.12.1999, a.a.O.; Meyer, Befristungen nach dem Ausländergesetz und die allgemeinen Widerrufs- und Rücknahmeregelungen, ZAR 2000, 2, 13, 20 f.). Dies gilt jedenfalls insoweit, als es um die Berücksichtigung von Sachverhaltsänderungen geht, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind (BVerwG, a.a.O.). Die Möglichkeit der Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung vermag aber nicht sämtliche Umstände zu erfassen, die im Anschluss an eine Ausweisungsentscheidung eintreten können. Es bleibt deshalb - wie vom Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) angedeutet - in begrenztem Maße Raum für den Widerruf von Ausweisungsverfügungen (ebenso Meyer, a.a.O., S. 21). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier aufgrund des Urteils des 5. Staatssicherheitsgerichts Istanbul vom 1. November 2001 vor. Insofern geht es nicht um die Berücksichtigung einer Sachverhaltsänderung, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich ist. Die Verurteilung des Antragstellers zu 17 Jahren und 6 Monaten schwerer Strafhaft wegen gemeinschaftlichen Ausführens von Heroin aus der Türkei hat keinen Bezug zu den mit der Ausweisung verfolgten spezial- bzw. generalpräventiven Zwecken. Das Verwaltungsgericht hat im Urteil vom 22. August 2001 - 1 A 2317/00 - (S. 20 UA) zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Berücksichtigung der dem Antragsteller in der Türkei drohenden Bestrafung im Rahmen der Befristungsregelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG unzureichend sei. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass er nur einen Teil der gegen ihn verhängten schweren Strafhaft in der Türkei verbüßen muss (vgl. dazu später), kann der mit der Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG verfolgte Zweck nicht seine Wirkung entfalten. Danach sollen die Ausweisungswirkungen in der Regel befristet und die Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung bemessen werden. Der Antragsgegner hatte dem Antragsteller bei freiwilliger Ausreise in ein aufnahmebereites Drittland eine Frist von bloß zwei Jahren in Aussicht gestellt. Der Antragsteller hätte aber bei Rückkehr in die Türkei aufgrund der ihm dort drohenden langwährenden Strafvollstreckung weder innerhalb einer angemessenen Frist die Möglichkeit, unter Beweis zu stellen, dass in seiner Person eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht, noch käme ihm der Verbrauch der Abschreckungswirkung infolge zureichenden Zeitablaufs zugute. Wegen dieser Besonderheiten ist hier ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG mit dem Ziel des Widerrufs der unanfechtbaren Ausweisungsverfügung nach § 49 VwVfG nach Auffassung des Senats nicht ausgeschlossen. Allerdings ist die Prüfung darauf beschränkt, ob die Verurteilung des Antragstellers in der Türkei Anlass für einen Widerruf der Ausweisungsverfügung geben kann. Dagegen müssen alle anderen vom Antragsteller geltend gemachten Gesichtspunkte (wie ungewöhnlich günstige Sozialprognose, Einbürgerung seiner Ehefrau und Kinder, Beschäftigung als Arbeitnehmer) bei der hier zu treffenden Ermessensentscheidung außer Betracht bleiben. Denn sie betreffen gerade Sachverhaltsänderungen, die für den Fortbestand des Ausweisungszwecks erheblich sind, so dass sie nur im Rahmen der Spezialvorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG berücksichtigt werden können.
Das Verwaltungsgericht geht im Rahmen der Prüfung, ob ein Widerruf der unanfechtbaren Ausweisungsverfügung deshalb nicht zulässig ist, weil ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste (§ 49 Abs. 1 VwVfG), zu Unrecht davon aus, dass hier lediglich eine Ermessensausweisung in Betracht komme, deren Ausgang nicht abzusehen sei. Zur Begründung führt es an, die Verurteilung des Antragstellers in der Türkei zu einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren und 6 Monaten stelle eine für deutsche Verhältnisse unverhältnismäßig hohe Strafe dar, was zur Folge habe, dass die Ausweisung als unangemessene Härte erscheine und einen Ausnahmefall im Sinne der §§ 48 Abs. 1 Satz 2, 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG begründe. Der Senat vermag sich dieser Bewertung jedoch nicht anzuschließen.
Es ist allgemein anerkannt, dass in die Prüfung einer Ausnahme von der Regelausweisung eines in Deutschland strafrechtlich verurteilten Ausländers auch die Gefahr einer zusätzlichen Bestrafung im Heimatland einzubeziehen ist (vgl. etwa Hess. VGH, Urt. v. 8. 5. 1995, EZAR 032 Nr. 11; GK-AuslR, § 47 AuslG, Rdnr. 95 m. w. N.). Denn die Folgen der Ausweisung dürfen nicht außer Verhältnis zu dem Fehlverhalten des Ausländers stehen, an das die Ausweisung anknüpft. Neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbieten es auch Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 3 EMRK, einen Ausländer einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe auszusetzen (vgl. GK-AuslR, § 53 AuslG Rdnr. 217). Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 31. 3. 1987, BVerfGE 75, 1) zum Auslieferungsrecht, die entsprechend auch auf Fälle der Ausweisung und Abschiebung anzuwenden ist (vgl. etwa Senatsurt. v. 24. 8. 1995 - 11 L 1047/95 - S. 16 UA; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30. 3.1993, InfAuslR 1994, 27 [VGH Baden-Württemberg 20.07.1993 - 11 S 261/93]; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, 1991, S. 288; verneinend: Hailbronner, AuslR, § 53 AuslG Rdnr. 78) jedoch nur dann anzunehmen, wenn die Strafe unerträglich hart, mithin unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unangemessen erscheint und nicht schon dann der Fall, wenn die Strafe lediglich als in hohem Maße hart anzusehen ist und bei einer strengen Beurteilung anhand deutschen Verfassungsrechts bereits nicht mehr als angemessen betrachtet werden kann (BVerfG, a. a. O., S. 16 f.). Im konkreten Fall entschied das Bundesverfassungsgericht, dass selbst eine 18-jährige Freiheitsstrafe in der Türkei wegen eines Betäubungsmitteldelikts trotz einer bereits deshalb in Griechenland verbüßten Freiheitsstrafe von drei Jahren noch nicht die äußerste Grenze der Angemessenheit überschreite.
Nach diesen Maßstäben ist die gegen den Antragsteller in der Türkei verhängte Freiheitsstrafe von 17 Jahren und 6 Monaten zwar nach der deutschen Rechtsordnung als sehr hart anzusehen, doch erscheint sie nicht als schlechthin unangemessen. Insbesondere darf die Strafhöhe nicht isoliert betrachtet werden, sondern es kommt im Wege einer Gesamtschau auch auf die voraussichtlich zu erwartende Dauer des Strafvollzugs an (vgl. dazu etwa OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 27. 11. 1997, InfAuslR 1998, 199 [OVG Rheinland-Pfalz 27.11.1997 - 10 B 12299/97]).
So sieht Art. 403 Abs. 4 tStGB vor, dass eine Strafe, die wegen des Rauschgifts, das ausgeführt wurde, im Ausland verhängt und verbüßt wurde, von der Strafe abzuziehen ist, die in der Türkei wegen der Ausfuhr verhängt wird (vgl. Yenisey, Ausländische Strafmaße im türkischen Strafrecht, InfAuslR 1994, 9, 11 f. [BVerwG 29.07.1993 - BVerwG 1 C 25/93]; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Gutachten vom 5. 8. 1997 an VG Gelsenkirchen und vom 15. 10. 1993 an VG Hamburg). Dem ist auch das 5. Staatssicherheitsgericht in Istanbul in seinem Urteil vom 1. November 2001 gefolgt und hat (nach der deutschen Übersetzung) entschieden, dass die im Ausland erfolgte Inhaftierung des Antragstellers angerechnet und die Strafhaft entsprechend reduziert wird. Dies führt dazu, dass die vom Antragsteller in Deutschland verbüßte Haftzeit von 4 Jahren, 7 Monaten und 27 Tagen von der in der Türkei verhängten Freiheitsstrafe von 17 Jahren und 6 Monaten abzuziehen ist. Eine weitere Reduzierung der in der Türkei zu verbüßenden Freiheitsstrafe wird sich daraus ergeben, dass das türkische Strafvollstreckungsrecht auch die vorzeitige Haftentlassung wegen guter Führung kennt (vgl. Senatsurteil v. 27. 5. 1993 - 11 L 1601/92 -, S. 19 UA unter Hinweis auf Yenisey, Die rechtliche Stellung des im Ausland straffällig gewordenen Türken in der Türkei, InfAuslR 1988, 125 [BVerwG 15.12.1987 - BVerwG 9 C 285.86] und Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Gutachten v. 17. 8. 1989 an das OVG Lüneburg). Davon wird auch regelmäßig Gebrauch gemacht. Nach Feststellungen des Hess. VGH (Beschl. v. 11. 3. 1992, EZAR 032 Nr. 3) müssen zu Freiheitsstrafen verurteilte Straftäter in der Türkei nur etwa 40 % ihrer Strafe verbüßen. Unter diesen Umständen kann nicht die Rede davon sein, dass die Dauer der dem Antragsteller tatsächlich in der Türkei drohenden Strafhaft unverhältnismäßig ist und eine Ausnahme von der Regelausweisung rechtfertigt.
Nach alledem kommt ein Widerruf nach § 49 Abs. 1 VwVfG nicht in Betracht, da gegen den Antragsteller erneut eine Ausweisungsverfügung erlassen werden müsste.