Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.06.2002, Az.: 11 LA 199/02
Abschiebungsschutz Tibet; Asyl Tibet; Tibet Asyl; Tibet Buddhismus
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.06.2002
- Aktenzeichen
- 11 LA 199/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43511
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 29.04.2002 - AZ: 10 A 455/02
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs 1 AuslG
- § 53 Abs 6 S 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Den Erkenntnismitteln ist nicht zu entnehmen, dass Tibetern, die sich im Bundesgebiet dem tibetanischen Buddhismus zugewandt haben, bei Rückkehr nach Tibet eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) oder Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG) droht.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Die Antragsschrift genügt nicht den inhaltlichen Anforderungen, die an die Begründung eines Antrages auf Zulassung der Berufung zu stellen sind. Zwar hat der Kläger auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG hingewiesen und zur Begründung sinngemäß ausgeführt, es sei obergerichtlich noch nicht geklärt, ob für chinesische Staatsangehörige tibetischer Volkszugehörigkeit, die sich öffentlich zur Religion des Buddhismus bekennen, im Falle der Abschiebung nach China eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) und / oder der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG) bestehe. Eine bestimmte Tatsachen- oder Rechtsfrage stellt sich jedoch nicht bereits allein deswegen als klärungsbedürftig dar, weil das zuständige Oberverwaltungsgericht noch keine Gelegenheit hatte, sich mit dieser Frage in einem Berufungsverfahren zu befassen (vgl. Hailbronner/Schenk, AuslG, Stand: Jan. 1998 AsylVfG § 78 Rdnr. 62). Ein Klärungsbedarf besteht in diesem Sinne vielmehr erst dann, wenn die von dem Kläger als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechts- oder Tatsachenfrage einer Klärung bedarf und das Berufungsverfahren zur Klärung dieser Frage beitragen kann. Dies ist von dem die Zulassung der Berufung beantragenden Beteiligten im Rahmen der ihm gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG obliegenden Darlegungspflicht vorzutragen. Wird dabei - wie im vorliegenden Fall - die Klärung einer Tatsachenfrage erstrebt, reicht es für die Darlegung der Grundsatzberufung nicht aus, die Behauptung aufzustellen, dass sich die für die Prognose nach § 53 AuslG maßgeblichen Verhältnisse anders darstellen als von dem Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass sich nach Auswertung der bereits vorliegenden Erkenntnisquellen noch klärungsbedürftige und klärungsfähige Gesichtspunkte ergeben, weil die zur Verfügung stehenden Auskünfte, Stellungnahmen und sonstigen verwertbaren Erkenntnisse die Tatsachenfrage nicht erschöpfend behandeln, hierzu keine klare und eindeutige Aussage enthalten oder sich etwa in der Bewertung der entscheidungserheblichen Aspekte wesentlich unterscheiden (Hailbronner, a. a. O.). Ist demgegenüber absehbar, dass das Berufungsgericht der Wertung des Verwaltungsgerichts folgen wird, ist ein Bedürfnis für die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nicht gegeben.
So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht ist aufgrund der ihm vorliegenden und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers über die Erkenntnismittelliste bekannt gegebenen Unterlagen zu der Auffassung gekommen, dass nicht jeder Tibeter, der sich im Buddhismus unterweisen lasse, von den chinesischen Behörden in Tibet verfolgt werde. Allein dass die chinesischen Behörden der Religionsausübung äußerst kritisch gegenüber ständen, reiche nicht aus, um die für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 (Abs. 1 und/oder Abs. 6) AuslG notwendige Gefährdung des Klägers zu belegen.
Die dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel, die im wesentlichen auch die vom Verwaltungsgericht in der Erkenntnismittelliste genannten Quellen erfassen, führen zu keinem anderen Ergebnis.
Allerdings wird in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 11. Juli 2000 und 7. August 2001 u. a. ausgeführt, dass politische und religiöse Aktivitäten in Tibet weiterhin einer strikten Kontrolle durch die Zentralregierung unterlägen mit dem Ziel, den Einfluss des tibetischen Buddhismus zurückzudrängen und jegliche Formen von tibetischen Autonomiebestrebungen zu unterdrücken. Aus diesen Erkenntnismitteln ist jedoch nicht der vom Kläger behauptete Klärungsbedarf abzuleiten. Zum einen ist den allgemeinen Ausführungen in den Lageberichten nicht zu entnehmen, dass jeder Tibetaner, der sich dem Buddhismus zuwendet, von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 und/oder 6 AuslG eröffnenden Drangsalierungen betroffen ist. Dem steht schon entgegen, dass nach den Lageberichten die Zahl der Tibeter ca. 1,7 Mio beträgt, die Zahl der (bekannten) politischen Gefangenen für das Jahr 1999 aber unter Berufung auf die Menschenrechtsorganisation "Tibetan Centre for Human Rights and Democracy" mit ("nur") 615 angegeben wird, (Lagebericht v. 11.7.2000), wobei der Lagebericht nicht differenziert, ob diese Gefangennahme auf politischen oder religiösen Aktivitäten beruhte. Für das Jahr 2000 berichtet der Lagebericht von dem Ausschluss von 1.432 Mönchen und Nonnen aus religiösen Institutionen. Der Lagebericht vom 7.8.2001 geht unter Berufung auf das "Tibet Information Networks" für das Jahr 2001 von 266 politischen Gefangenen aus, wobei der Rückgang der politischen Gefangenen gegenüber 1999 nicht auf einer geänderten Haltung der staatlichen chinesischen Stellen, sondern auf der Angst der tibetischen Bevölkerung vor drakonischen Strafen beruhe. Selbst wenn man von diesen Zahlen ausgeht und sie noch um das Doppelte - im Hinblick auf die nicht bekannt gewordenen Fälle - erhöhen würde, reichte dieses in Relation zu der Gesamtzahl der Tibetaner nicht aus, um für jegliche Hinwendung zum Buddhismus die Gefahr einer Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG nach sich ziehenden Drangsalierung des Betreffenden zu bejahen. Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass der Lagebericht auf religiöse Aktivitäten in Tibet abstellt. Vorliegend hat sich der Kläger aber - folgt man seiner Darstellung - lediglich in jüngster Zeit im Bundesgebiet dem tibetanischen Buddhismus angenähert. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger bei Rückkehr nach Tibet dort diese Aktivitäten weiterführen wird. Dass er sich schon vor seiner Ausreise in Tibet dem Buddhismus zugewandt hat, hat er bislang selbst nicht vorgetragen. Soweit er nunmehr behauptet, im tibetanischen Buddhismus unterwiesen zu werden, fällt auf, dass der seit 1995 im Bundesgebiet lebende Kläger dieses erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht im April 2002 vorgetragen hat. Diese Zeitfolge legt es nahe, nicht von einem ernsthaften religiösen Engagement auszugehen , sondern die religiösen Aktivitäten eher als eine taktische Maßnahme zu werten, um auf diese Weise ein Bleiberecht im Bundesgebiet zu erlangen (zu diesem Gesichtspunkt vgl. z.B. Urt. d. Sen. v. 19.9.2000 - 11 L 2069/00 -). Zudem wird in der vom 23.4.2002 datierten Bescheinigung des Tibetischen Zentrums für Kultur und Buddhismus e. V. lediglich erklärt, dass der Kläger als Tibeter bei einer Rückkehr mit einer Verhaftung rechne müsse. Eine etwaige religiöse Unterweisung des Klägers wird in dem Schreiben dagegen nicht erwähnt. Dass nach dem vom Verwaltungsgericht zitierten "Menschenrechtsreport 26 der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 1. April 2001" die chinesischen Behörden der Religionsausübung äußerst kritisch gegenüber stehen, vermag - worauf auch das Verwaltungsgericht bereits hingewiesen hat - die konkrete Gefährdung des Klägers im Sinne des § 53 AuslG ebenfalls nicht zu begründen.
Der Kläger hat selbst auch keine konkreten Erkenntnisquellen angegeben, aus denen sich eine Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG eröffnende Verfolgung tibetischer Volkszugehöriger mit buddhistischem Glauben ergibt. Soweit der Kläger in dem Zulassungsantrag auf die bereits seiner Klagschrift beigefügte Stellungnahme des "Tibetan Centre for Human Rights and Democracy" vom Dezember 2001 verweist, so ist dieser Stellungnahme eine generelle Verfolgung wegen der Hinwendung zum Buddhismus nicht zu entnehmen. Die Stellungnahme bezieht sich vielmehr im wesentlichen auf die Behandlung von tibetanischen Flüchtlingen an der Grenze zu Nepal.