Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.06.2002, Az.: 11 LA 181/02

Asyl; Beweislast; Einreise; Luftweg

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.06.2002
Aktenzeichen
11 LA 181/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 31.01.2002 - AZ: 6 A 927/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bieten die Angaben eines Asylsuchenden über eine von ihm behauptete Einreise auf dem Luftweg keine sinnvollen Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen kann das Verwaltungsgericht im Rahmen des ihm obliegenden tatrichterlichen Ermessens wesenstliches Gewicht auf die widerspruchsfreie Angabe des Einreisetages legen und von weiteren Aufklärungen absehen, wenn der Kläger sich hierzu in Widersprüche verwickelt.

Gründe

1

2) Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil hat keinen Erfolg.

2

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

3

aa) Der Kläger zu 2), dem das Bundesamt bereits Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt hat, der aber auch die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG begehrt, trägt hierzu vor, das Verwaltungsgericht sei von einer Einreise über einen sicheren Drittstaat (Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG) ausgegangen, ohne die von ihm angebotenen Anhaltspunkte für die behauptete Einreise auf dem Luftweg näher nachzuprüfen, insbesondere auch ohne dem hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen zu entsprechen. Diese Ausführungen vermögen einen Gehörsverstoß nicht zu belegen. Allerdings ist das Gericht verpflichtet, die Ausführungen von Beteiligten und Zeugen zur Kenntnis zu nehmen. Die Ablehnung einer beantragten Beweiserhebung verletzt das rechtliche Gehör jedoch nur dann, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. Die danach maßgeblichen prozessrechtlichen Voraussetzungen für die Ablehnung eines unbedingt gestellten Beweisantrages ergeben sich aus § 86 Abs. 2  i. V. m. Abs. 1 VwGO. Mit einem nur hilfsweise gestellten Beweisantrag wird dagegen nur eine weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt, der nur dann nachgegangen werden muss, wenn sich dem Gericht eine weitere Aufklärung des Sachverhalts aufdrängt (BVerwG, Beschl. v. 31.01.1996 - 9 B 417.95 - NVwZ 1996, 1102 m.w.N.; Beschl. d. Sen. v. 22.08.2000 - 11 L 2492/00 -). Angesichts der Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben über den Tag seiner Einreise in das Bundesgebiet gemacht, und diese Widersprüche auch im Laufe der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt habe, brauchte sich dem Gericht eine weitere Beweisaufnahme nicht aufzudrängen (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38; Beschl. d. Sen. v. 22.08.2000      - 11 L 2492/00 -). Ist nämlich das Vorbringen des Asylbewerbers in sich widersprüchlich, so fehlt ein sachliches Substrat für eine Beweiserhebung zu einzelnen Elementen des Vorbringens. In diesen Fällen kann - wie es das Verwaltungsgericht getan hat - der Beweisantrag mangels Substantiierung der Beweistatsachen abgelehnt werden (vgl. Berlit in GK-AsylVfG, § 78 RdNr. 364). Unsubstantiiert war der Hilfsbeweisantrag, weil auch darin der Tag, an dem der Kläger zu 2) in Düsseldorf gelandet sein will, nicht angegeben wird, vielmehr nur allgemein unter Beweis gestellt wird, der genannte Zeuge habe gesehen, dass der Kläger nach Landung der türkischen Fluglinie unmittelbar mittags aus dem Zollbereich gekommen sei. Es bestehen auch keine Bedenken daran, dass das Verwaltungsgericht dem Tag der Einreise des Klägers ein besonderes Gewicht beigemessen hat. Allerdings weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass sich das Verwaltungsgericht nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 1999 (- 9 C 36.98 - InfAuslR 1999, 526) bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der behaupteten Einreise auf dem Luftweg schlüssig darüber werden muss, ob der Asylbewerber nur zu Einzelheiten (z.B. über die konkrete Flugverbindung) falsche Angaben gemacht hat oder ob er überhaupt nicht auf dem Luftweg, sondern auf dem Landweg nach Deutschland eingereist ist. Dies setzt allerdings voraus, dass neben den nicht zutreffenden oder widersprüchlichen Einzelangaben (hier zum Datum der Einreise) andere Anhaltspunkte vorhanden sind, die eine Entscheidung über die vom Asylsuchenden behauptete Einreise auf dem Luftweg ermöglichen. Das ist vorliegend  jedoch nicht der Fall. Der Kläger hat nämlich - worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - weder am Flughafen einen Asylantrag gestellt, noch etwaige Reiseunterlagen aufbewahrt, noch nachprüfbar dargelegt, unter welchem Namen er den Flug angetreten hat. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung hat er insoweit zwar erklärt, er sei unter dem Namen "E..... E....." gereist. Diese Angabe ist jedoch keinerlei Überprüfung zugänglich. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zudem deutlich gemacht, dass er nicht wisse, ob dieser Name auch in dem (ihm vom Schlepper gegebenen und wieder abgenommenen  gefälschten) Pass gestanden habe. Da die Angaben  des Klägers somit auch in Verbindung mit seiner weiteren  Behauptung, er sei mit der Fluggesellschaft " Türk-Havayolari " geflogen und ca. mittags gegen 13:00 Uhr im Bundesgebiet gelandet, keinerlei sinnvolle Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen enthalten,  konnte das Verwaltungsgericht im Rahmen des ihm obliegenden tatrichterlichen Ermessens wesentliches Gewicht auf die widerspruchsfreie Angabe des Einreisetages legen und von weiteren Aufklärungen absehen, nachdem der Kläger sich hierzu in Widersprüche verwickelt hatte  (BVerwG, Urt. v. 29.06.1999  - 9 C 36.98 -  a. a. O.).

4

Da das Verwaltungsgericht - wie soeben ausgeführt - unter Beachtung der prozessrechtlichen Vorgaben zu Recht den Hilfsbeweisantrag abgelehnt und insgesamt die Auffassung vertreten hat, dass der Asylantragsteller nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht auf dem Luftweg eingereist ist, blieb als Einreisemöglichkeit nur noch die Einreise auf dem Landweg, ohne dass das Verwaltungsgericht hierzu noch weitere Ausführungen hätte machen müssen.

5

Soweit der Kläger zu 2) weiter rügt, das Verwaltungsgericht sei unabhängig vom Hilfsbeweisantrag auch sonst seiner aus § 86 VwGO folgenden Aufklärungspflicht nicht nachgekommen, unterfällt diese Rüge nicht den abschließend in § 78 Abs. 3 AsylVfG genannten Zulassungsgründen. Unabhängig davon ergibt sich bereits aus den obigen Ausführungen, dass eine weitere Aufklärung des Sachverhalts von Seiten des Verwaltungsgerichts nicht geboten war, da der Kläger - entgegen seinen Ausführungen in dem Zulassungsantrag - gerade keine überprüfbaren detaillierten Angaben zu seinem Reiseweg gemacht hat.

6

bb) Auch die Gehörsrüge des Klägers zu 6), der seine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG sowie die Gewährung von Abschiebungsschutz nach §§ 51, 53 AuslG begehrt, greift nicht durch.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Klägers über die von ihm behauptete Mitgliedschaft in der HADEP zur Kenntnis genommen, jedoch im Anschluss an die Rechtsprechung des Senats die Auffassung vertreten, einfache Mitglieder der HADEP unterlägen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung, eine derartige Gefährdung könne nur für Funktionäre oder solche Personen angenommen werden, bei denen der über die Mitgliedschaft hinausgehende Verdacht bestehe, dass sie die PKK oder andere als staatsfeindlich angesehene Organisationen unterstützten (vgl. Urt. v. 18.01.2000  - 11 L 3404/99 -  vom 30.08.2000  - 11 L 1255/00 -), zu diesem Personenkreis gehöre der Kläger jedoch nicht. Soweit der Kläger dem gegenüber die Auffassung vertritt, aufgrund seiner politischen Tätigkeiten unterfalle er dem gefährdeten Personenkreis, wendet er sich letztlich gegen die einzelfallbezogene Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Damit kann eine Gehörsrüge aber nicht begründet werden.

8

Ein Gehörsverstoß liegt auch nicht darin, dass das Verwaltungsgericht dem Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen dazu, dass der Kläger 1998 in Istanbul für die ERNK politisch aktiv und acht Tage polizeilich festgenommen worden war, nicht nachgekommen ist. Es kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht mit der Wahrunterstellung der 8-tägigen Festnahme den Beweisantrag in seiner Gesamtheit erfasst hat; denn das Gericht hat auch darauf hingewiesen, dass die Geschehnisse aus dem Jahre 1998 ohnehin eine asylrechtlich relevante politische Verfolgungsgefahr im Zeitpunkt der Ausreise (Januar 2000) nicht belegen könnten, weil zwischen diesen Ereignissen und der Ausreise der erforderliche zeitliche Zusammenhang fehle (UA S. 16, 2. Abs.). Auch aus diesem Grund brauchte das Verwaltungsgericht dem auf das Jahr 1998 bezogenen Hilfsbeweisantrag nicht nachzugehen.

9

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene asylrechtliche Bewertung des vom Kläger im Juni 1998 von Istanbul aus gegebenen Telefon-Interviews im MED-TV lässt einen Verstoß gegen den Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs ebenfalls nicht erkennen.  Das Verwaltungsgericht hat den entsprechenden Vortrag des Klägers zur Kenntnis genommen, wie sich aus dem Urteilsabdruck (S. 16 unten/ 17 oben) ergibt. Offenbleiben kann, ob die Einschätzung des Verwaltungsgerichts zutrifft, es gebe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die türkischen Behörden den Kläger, der sich bei dem Anruf lediglich als "A....." bezeichnet habe, als Anrufer identifizieren könnten oder ob mit dem Vortrag des Klägers im Zulassungsverfahren davon auszugehen ist, dass der Kläger trotz Nennung nur seines Vornamens schon deswegen identifiziert werden konnte, weil er sich zugleich als Neffe der in der Sendung anwesenden Frau I....... (Tante väterlicherseits)) und als Neffe des M...... A....., eines wohl bekannten PKK-Guerillakämpfers  (Onkel väterlicherseits), zu erkennen gegeben hat; denn das Verwaltungsgericht hat unabhängig davon eine asylerhebliche Bedeutung dieses Telefonanrufes auch deswegen verneint, weil der Kläger schon nach eigenen Angaben deswegen in der Türkei nicht behelligt worden sei, insbesondere auch die von ihm behauptete Festnahme im Juli oder August 1998 in Istanbul nicht wegen dieses Anrufes erfolgt sei. Der Kläger selbst hat auch nicht vorgetragen, dass er bis zu seiner Ausreise - Januar 2000 - wegen dieses Telefonanrufs Repressalien unterworfen gewesen sei.

10

Einen Verstoß gegen den Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt schließlich auch nicht im Zusammenhang mit der Bewertung der Teilnahme des Klägers an zwei Fernsehsendungen von MEDYA-TV während seines Aufenthalts im Bundesgebiet, nämlich am 23. September 2000 und im Sommer 2001 vor. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr diese exilpolitischen Tätigkeiten in vollem Umfang zur Kenntnis genommen, jedoch die Auffassung vertreten, dass die aus dem in der mündlichen Verhandlung angesehenen Video ersichtlichen und in dem Protokoll über die mündliche Verhandlung im wesentlichen wiedergegebenen Redebeiträge des Klägers nicht derart exponiert gewesen seien, dass er aus der maßgeblichen Sicht des türkischen Staates als ein ernstzunehmender Gegner anzusehen sei. Soweit der Kläger seine Redebeiträge anders gewertet wissen will und der Auffassung ist, das Verwaltungsgericht  hätte ihm unter Zugrundelegung obergerichtlicher Rechtsprechung deswegen einen Asylanspruch bzw. Abschiebungsschutz zusprechen müssen, wendet er sich wiederum gegen die Einzelfallwürdigung des Verwaltungsgerichts. Damit kann aber eine Gehörsrüge - wie ausgeführt - nicht begründet werden.

11

b) Die Öffentlichkeitsrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG  i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO) greift nicht durch. Das in § 169 Satz 1 GVG normierte Gebot der Öffentlichkeit bedeutet u.a., dass die Verhandlung in Räumen stattfinden muss, zu denen während ihrer Dauer grundsätzlich jedermann der Zutritt offensteht (Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG RdNr. 124). Dass die Eingangstür bei dem Verwaltungsgericht Stade ab 16:00 Uhr und damit noch während der mündlichen Verhandlung verschlossen war, stellt keinen Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens dar. Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist nämlich auch dann noch gewahrt, wenn zwar die Haupteingangstür des Gebäudes zeitweise verschlossen ist, Zuhörer sich aber mit Hilfe einer Klingel Einlass verschaffen können. Darauf, dass dieser Weg etwas schwieriger und umständlicher als bei geöffneter Haupteingangstür ist, kommt es für die Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung nicht an (BVerwG,  Beschl. v. 23.11.1989 - 6 C 29.88 -, Buchholz 310, § 133 VwGO Nr. 91 = NJW 1990, 1249 zu einem vergleichbaren Fall ebenfalls des Verwaltungsgerichts Stade; vgl. ebenso Beschl. d. Sen. v. 08.11.1986   - 11 L 4905/96 - und v. 27.08.2001 - 11 LA 2557/01 - ebenfalls zu Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht Stade). Dem Senat ist aus anderen Verfahren (vgl. die soeben angegebenen Aktenzeichen) bekannt, dass bei dem Verwaltungsgericht Stade trotz verschlossener Außentür für die Besucher die Möglichkeit besteht, sich mittels einer Klingel Einlass zu verschaffen. Auf diese Klingel wird zudem durch einen entsprechenden Aushang an den Eingangstüren des Gerichtsgebäudes hingewiesen. Der dienstlichen Erklärung des Justizhauptsekretärs L......... beim Verwaltungsgericht Stade ist zu entnehmen, dass diese Klingel auch am Verhandlungstag funktionstüchtig war.