Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.09.2018, Az.: 7 A 6964/17

Ehrenamt; Leitstelle; Örtliche Einsatzleitung; Rettungsdienst

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.09.2018
Aktenzeichen
7 A 6964/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74294
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Entscheidung, welche fachlichen und funktionalen Voraussetzungen an die Eigenschaft eines Organisatorischen Leiters in der Örtlichen Einsatzleitung zu stellen sind, steht in der Organisationshoheit und dem Organisationsermessen des Rettungsdienstträgers.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der in A-Stadt/Landkreis C. wohnhafte Kläger ist Hauptbrandmeister bei der Berufsfeuerwehr D. und dort sowohl im feuerwehrtechnischen Dienst als auch als Rettungsassistent tätig. Ferner ist er im Leitstellendienst der Berufsfeuerwehr D. eingesetzt.

Der Beklagte (Landkreis C.) unterhält in seinem eigenen Rettungsdienstbereich eine Örtliche Einsatzleitung (ÖEL). Diese wird vom Beklagten als kommunalem Träger des Rettungsdienstes gemäß § 7 Abs. 1 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - für seinen Rettungsdienstbereich bestimmt und übernimmt bei einem Großschadensereignis am Einsatzort Aufgaben der Rettungsleitstelle (RLS), soweit dies zur ordnungsgemäßen Lenkung des Einsatzes erforderlich ist. Außerdem leitet die ÖEL die medizinische Versorgung und ist insoweit - mit nur einer Ausnahme - gegenüber den am Einsatzort tätigen Personen anstelle der RLS weisungsbefugt. Die ÖEL besteht gemäß § 7 Abs. 2 NRettDG aus einem Leitenden Notarzt (LNA) und einem Organisatorischen Leiter (OrgL). Die RLS bestimmt gemäß § 7 Abs. 3 NRettDG im Einzelfall, ob die ÖEL an ihrer Stelle tätig wird.

2013 legte der Beklagte seine eigene Rettungsleitstelle mit den Leitstellen des benachbarten Landkreises E. zu einer integrierten Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst zusammen (§ 6 Abs. 1 NRettDG), die die Bezeichnung „Integrierte Regionalleitstelle C. /F.“ (IRL) mit Sitz in G. trägt.

Ab August 2016 kam es zu Vorwürfen gegen die IRL wegen deren Alarmierungsverhaltens, zu anonymen Schreiben an die Presse und ebenfalls anonymen Strafanzeigen gegen Bedienstete des Beklagten. Dies führte zu personellen Maßnahmen des Beklagten gegenüber einem Mitglied der ÖEL, zur Beendigung mindestens eines Arbeitsverhältnisses durch einen weiteren Bediensteten und zu Rücktritten mehrerer amtierender Organisatorischer Leiter und Leitender Notärzte, so dass der Beklagte eine „Krise“ bei der Besetzung und sofortigen Einsatzbereitschaft der ÖEL feststellte.

Hierauf bestellte der Beklagte mit Urkunde vom 13. Februar 2017 den in D. tätigen Kläger, der sich zur Mitwirkung bereit erklärt hatte, mit Wirkung vom gleichen Tage an befristet bis zum 12. Februar 2019 als ehrenamtlich tätiger Organisatorischer Leiter in die Örtliche Einsatzleitung des Rettungsdienstes des Beklagten. Der Kläger wurde auf der Grundlage der Satzung des Beklagten über die Örtliche Einsatzleitung und der damit verbundenen Entschädigung ehrenamtlicher Tätigkeit vom 28.2.2012 (Abl. LK SHG S. 36) – ÖEL-Satzung a.F. - berufen. § 1 Satz 3 dieser Satzung lautete:

[Der Beklagte] „schafft [für die ÖEL] die personellen Voraussetzungen durch die Bestellung ehrenamtlich Tätiger (§§ 38ff. NKomVG).“

Aufgrund der „Krise“ der ÖEL entschied sich der Beklagte jedoch sodann für deren grundlegende Neuorganisation. Mit einer seit 1. Juli 2017 geltenden neuen Satzung vom 6.6.2017 (Abl. LK SHG S. 62) – ÖEL-Satzung n.F. – änderte der Beklagte die Voraussetzungen für eine Mitwirkung in der ÖEL. § 1 Sätze 3 und 4 der Satzung lauten nunmehr:

„Der Landrat schafft [für die ÖEL] die personellen Voraussetzungen durch Bestimmung der Mitglieder der ÖEL. Weitere Regelungen sind in einer Dienstordnung für die ÖEL enthalten.“

Nr. 3 der neuen Dienstordnung – ÖEL-DienstO n.F. – knüpft die Bestimmung des OrgL u.a. an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der IRL C. /F.. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, weil er – soweit er nicht im feuerwehrtechnischen Dienst oder im Rettungsdienst bei der Berufsfeuerwehr D. eingeteilt ist - bei der dortigen Leitstelle tätig ist.

Nach Anhörung hob der Beklagte mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 18. Juli 2017 daraufhin dessen Bestellung zum OrgL in der ÖEL für den Landkreis C. mit Wirkung zum 1. August 2017 auf. Zur Begründung wird ausgeführt, dass ein wichtiger Grund für die Aufhebung der Bestellung des Klägers zum OrgL vorliege. Aufgrund der Neuaufstellung dieser Einrichtung sei es auf Wunsch der Mitarbeiter der IRL unumgänglich gewesen, die OrgL der ÖEL ausschließlich durch Mitarbeiter der IRL zu stellen, weil es in der Vergangenheit zu gravierenden Schwierigkeiten mit ehemaligen Mitgliedern der ÖEL in der Zusammenarbeit mit der IRL gekommen sei. Aus diesem Grund sei vom bisherigen System der ehrenamtlich bestellten, nicht im Rahmen eines Dienstplans eingesetzten OrgL Abstand genommen worden. Wesentlich sei nunmehr die Tätigkeit in der IRL. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht. Das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der ÖEL überwiege das private Interesse des Klägers an seiner Fortführung der ehrenamtlichen Tätigkeit als OrgL in der ÖEL des Beklagten. Neben der schnellen und umfassenden sofortigen Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der ÖEL komme es auf die dauerhafte und verlässliche Kontinuität innerhalb der ÖEL an. Auch das erforderliche Vertrauensverhältnis sei für die Funktionsfähigkeit unabdingbar. Der Kläger sei finanziell nicht auf die ehrenamtliche Tätigkeit angewiesen. Er sei auch erst vor kurzer Zeit in das Amt berufen worden.

Mit seiner hiergegen am 31. Juli 2017 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen diesen Bescheid. Er hält den Bescheid für formell unwirksam, weil dieser auf dem Briefbogen des Beklagten mit der Überschrift „Der Landrat“ lediglich „im Auftrag“ durch eine Bedienstete des Beklagten unterzeichnet sei. Er hält die satzungsrechtliche Neuregelung für zu unbestimmt, treuwidrig und sachwidrig. Diese sei insbesondere nicht geeignet, einen funktionsfähigen Dienstbetrieb herzustellen.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid des Beklagten vom 18. Juli 2017 aufzuheben und

2. den Beklagten zu verpflichten, ihn – den Kläger – hinsichtlich seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Beklagten zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31. Juli 2017 hinaus weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt seine Entscheidung. Sie sei formell wirksam. Inhaltlich sei der Beklagte unter Abwägung der Interessen aufgrund des bekannten Sachverhalts gezwungen gewesen, eine Entscheidung zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Notfallrettung zu treffen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, der dem Gericht zur Einsichtnahme vorgelegen hat, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 18. Juli 2017, mit dem die Bestellung des Klägers als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Beklagten mit Wirkung zum 1. August 2017 aufgehoben wurde, ist rechtmäßig. Der Kläger hat deshalb auch keinen Anspruch gegen den Beklagten, ihn hinsichtlich seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Beklagten zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31. Juli 2017 bis zum Ablauf der Bestellungszeit am 12. Februar 2019 hinaus weiter zu beschäftigen.

Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Er lässt gemäß § 1 Abs. 1 des Niedersächsischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - NVwVfG - in Verbindung mit § 37 Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes - VwVfG - die erlassende Behörde erkennen und enthält die Unterschrift des vom Behördenleiter Beauftragten. Die Zuständigkeit des Landrats (s. Briefkopf) ist gegeben, wie auch aus § 1 Satz 3 ÖEL-Satzung n.F. folgt, die seit 1. Juli 2017 gilt. Die Abberufung eines Mitglieds der ÖEL stellt zudem einen „actus contrarius“ zu seiner Bestellung dar, die ebenfalls vom Landrat vorgenommen war.

Materiell findet die Aufhebung der Bestellung des Klägers zum Organisatorischen Leiter ihre Rechtsgrundlage in § 38 Abs. 3 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes - NKomVG -, da sich das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz - NRettDG - zu den Einzelheiten der Bestellung und Abberufung des OrgL nicht verhält. Da die Bestellung des Klägers am 13. Februar 2017 befristet auf zwei Jahre erfolgte, kann die Aufhebung einer Übertragung der ehrenamtlichen Tätigkeit ohne Zustimmung des Klägers gemäß § 38 Abs. 3 Halbsatz 2 NKomVG nur erfolgen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Abberufung steht zudem im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten. Diese Regelung entspricht auch § 86 VwVfG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass je mehr das Ehrenamt durch eigene Leistung erworben oder verfestigt und zum wesentlichen Lebensinhalt eines Bürgers geworden ist, es desto festerer rechtlicher Bindung und Absicherung der Befugnis der Kommune bedarf, das Ehrenamt wieder zu entziehen (Nds. OVG, Beschluss vom 11.12.1985 - 2 OVG A 34/85 - Nds. RPfl. 1986, S. 110, 111).

Vorliegend besteht jedoch ein wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Beklagten (1.), gegenüber dem seine nur ca. 5 1/2 Monate währende ehrenamtliche Tätigkeit in dieser Funktion zurücktritt (2.). Der Bescheid des Beklagten ist deshalb ermessensgerecht, § 114 VwGO.

1. Der Beklagte konnte die Bestellung des Klägers zum Organisatorischen Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung aufheben, nachdem ersterer durch Satzung und Dienstordnung seine ÖEL neu organisiert hatte. Das vormals in § 1 Satz 3 der ÖEL-Satzung a.F. enthaltene Privileg, dass die Mitglieder der ÖEL als ehrenamtlich Tätige nach §§ 38 ff NKomVG bestellt werden müssen, ist aufgehoben. § 1 Satz 3 der ÖEL-Satzung n.F. bestimmt lediglich noch, dass der Landrat die personellen Voraussetzungen durch Bestimmung der Mitglieder der ÖEL schafft. Dies hat er durch Nr. 3 der neuen Dienstordnung – ÖEL-DienstO n.F. – unternommen und die Bestimmung des OrgL u.a. an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der IRL C. /F. geknüpft. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Die Entscheidung, welche fachlichen und funktionalen Voraussetzungen an die Eigenschaft eines Organisatorischen Leiters in der Örtlichen Einsatzleitung zu stellen sind, steht in der Organisationshoheit und dem Organisationsermessen des Beklagten.

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers ist es auch nicht sachwidrig, die Bestellung des Organisatorischen Leiters an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der IRL C. /F. zu knüpfen. Da die Örtliche Einsatzleitung im Großschadensfall gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NRettDG vor Ort die Aufgaben der Rettungsleitstelle übernimmt, ist es nach Auffassung der Kammer sinnvoll, als Organisatorische Leiter Personen einzusetzen, die mit den aktuellen Handlungsabläufen in der örtlichen Rettungsleitstelle in vollem Umfang vertraut sind, insbesondere dann, wenn es sich – wie hier – um eine die Rettungsdienstbereiche übergreifende integrierte Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst handelt.

Diese Neuorganisation durfte der Beklagte auch auf den Kläger beziehen, den er gerade einmal ca. 5 1/2 Monate zuvor als ehrenamtlich Tätigen in die ÖEL berufen hatte. Denn der Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass die „Krise“ in der ÖEL nur durch eine straffe personelle Anbindung der ÖEL an die IRL C. /F. sowie die Einbindung der OrgL in einen Dienstplan der IRL behoben werden konnte. Einen solchen Dienstplan hatte es zuvor mit den ehrenamtlichen Mitgliedern der ÖEL unbestritten nicht gegeben. Aus diesem Grund war der Beklagte auch nicht gehalten, das auf von vornherein nur zwei Jahre angelegte Bestellungsverhältnis des Klägers zum ehrenamtlich tätigen OrgL regulär auslaufen zu lassen. Für die Kammer kommt zudem hinzu, dass der Kläger in D. bei der Berufsfeuerwehr in vielfältige verantwortungsvolle Aufgaben wahrzunehmen hat.

2. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht zu erkennen. Der Beklagte hat das öffentliche Interesse mit den privaten Interessen des Klägers abgewogen.Der Beklagte hat dabei zu Recht berücksichtigt, dass der Kläger sein Ehrenamt zuvor nur ca. 5 1/2 Monate ausgeübt hatte. Er erleidet durch den Entzug der Tätigkeit keinerlei finanzielle Nachteile. Jedenfalls wurden solche nicht geltend gemacht. Die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten überwiegt das private Interesse des Klägers an der weiteren Ausübung seines Ehrenamts, zumal nicht die Ausübung des Ehrenamtes durch den Einzelnen im Zentrum der Betrachtung zu stehen hat, sondern die Gewährleistung der reibungslosen medizinischen Versorgung des Notfallpatienten im Großschadensfall.

Die Kammer bedauert allerdings, dass der Beklagte dem Kläger keine ehrenvolle Verabschiedung mit Danksagung aus seinem Ehrenamt gewähren wollte, zumal letzterer in der mündlichen Verhandlung unbestritten ausgeführt hat, dem Beklagten im Februar 2017 mit seiner Bereitschaft, in die ÖEL einzutreten, auf dessen Bitten geholfen zu haben. Hinzu kommt, dass der Kläger an der Verursachung der „Krise“ der ÖEL des Beklagten völlig unbeteiligt war. Der Beklagte hat mit dieser fehlenden Anerkennung damit dem Ehrenamt in der Verwaltung geschadet. Dies ändert jedoch zur Überzeugung der Kammer nichts an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, die Berufung durch das Verwaltungsgericht zuzulassen, liegen nicht vor.