Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.09.2018, Az.: 7 A 7072/16

Ehrenamt; Freistellung; Leitstelle; Örtliche Einsatzleitung; Rettungsdienst

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.09.2018
Aktenzeichen
7 A 7072/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74293
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Freistellung eines ehrenamtlich bestellten Organisatorischen Leiters von seinem Dienst in der Örtlichen Einsatzleitung des Rettungsdienstes wegen des Vorwurfs des illoyalen Verhaltens.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist E. und ausgebildeter F.. In letzterer Eigenschaft ist er ehrenamtlich in einer Hilfsorganisation tätig. Mit Urkunde des Beklagten vom G. wurde der Kläger rückwirkend zum H. 2000 als ehrenamtlich tätiger Organisatorischer Leiter (OrgL) unbefristet in die Örtliche Einsatzleitung (ÖEL) des Rettungsdienstes des Beklagten bestellt. I. Ob der Kläger vom Beklagten besonders zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde, ist dem von ihm vorgelegten Verwaltungsvorgang nicht zu entnehmen.

Die ÖEL wird vom Beklagten als kommunalem Träger des Rettungsdienstes gemäß § 7 Abs. 1 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - für seinen Rettungsdienstbereich bestimmt und übernimmt bei einem Großschadensereignis am Einsatzort Aufgaben der Rettungsleitstelle (RLS), soweit dies zur ordnungsgemäßen Lenkung des Einsatzes erforderlich ist. Außerdem leitet die ÖEL die medizinische Versorgung und ist insoweit - mit nur einer Ausnahme - gegenüber den am Einsatzort tätigen Personen anstelle der RLS weisungsbefugt. Die ÖEL besteht gemäß § 7 Abs. 2 NRettDG aus einem Leitenden Notarzt (LNA) und einem Organisatorischen Leiter. Die RLS bestimmt gemäß § 7 Abs. 3 NRettDG im Einzelfall, ob die ÖEL an ihrer Stelle tätig wird. Der Kläger war zuletzt auf der Grundlage der Satzung des Beklagten über die Örtliche Einsatzleitung und der damit verbundenen Entschädigung ehrenamtlicher Tätigkeit vom 28. Februar 2012 (Abl. LK J.) – ÖEL-Satzung a.F. - tätig. § 1 Satz 3 dieser Satzung lautete:

[Der Beklagte] „schafft [für die ÖEL] die personellen Voraussetzungen durch die Bestellung ehrenamtlich Tätiger (§§ 38ff. NKomVG).“

Der Beklagte schloss seine Rettungsleitstelle 2013 mit den Leitstellen des benachbarten Landkreises K. zu einer integrierten Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst zusammen (§ 6 Abs. 1 NRettDG), die die Bezeichnung „Integrierte Regionalleitstelle L.“ (IRL) mit Sitz in M. trägt.

Im August 2016 erhielten Lokalzeitungen anonyme Schreiben, in denen Personen, die sich als Mitarbeiter der IRL bezeichneten, über Missstände in der Regionalleitstelle insbesondere bei der Alarmierung der Einsatzkräfte klagten. Über einen ersten Brief, der nicht in den Verwaltungsvorgängen enthalten ist, berichtete die Zeitschrift „N.“ in ihrer Ausgabe vom O. mit der Überschrift „P.“ (Bl. 13 BA, im Folgenden: Brief 1). Es folgten weitere anonyme Briefe und Veröffentlichungen auch in einer anderen Tageszeitung mit ähnlichen Beschreibungen. Ebenso folgte ein anonymer Brief an die Dezernentin Q. des Beklagten vom 22. August 2016 (Postaufgabedatum), in dem deren Erwiderung in den Medien, es habe keine fehlerhaften Alarmierungen etc. gegeben, als Lüge dargestellt wurde (Bl. 76 BA, im Folgenden: Brief 2). Der Verfasser fügte seinem Schreiben das Foto einer internen E-Mail der Leitstelle vom 27. Mai 2016 bei, in der Probleme bei Alarmierungen bestätigt werden (Bl. 77 BA). Zumindest das Foto der E-Mail wurde an die Zeitschrift „N.“ übermittelt (Bl. 71f. BA), die in ihrer Ausgabe vom 25. August 2016 unter der Überschrift berichtete: „R.“ (Bl. 83 BA). Die Auseinandersetzungen steigerten sich in eine anonyme Strafanzeige gegen den Leiter der IRL S. und die Leiterin des Ordnungsamtes des Beklagten T. vom 29. August 2016 an die Staatsanwaltschaft U. wegen unterlassener Hilfeleistung (mit Todesfolge), Brandstiftung und „vorsätzlicher Verletzung des rettungsdienstlichen Sicherstellungsauftrages“ (Bl. 98 BA). Der Beklagte stellte unter dem 1. September 2016 seinerseits Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft B gegen Unbekannt wegen Verstoßes gegen die §§ 164, 186, 187, 353b StGB und weiterer Delikte (Bl. 214 d.A.).

Am 16. Oktober 2016 kündigte der IRL-Mitarbeiter V. sein Arbeitsverhältnis. Am 24. Oktober 2014 versicherte dieser an Eides statt, dass er den Brief 1 an die Zeitschrift „N.“ abgesandt habe. Verfasst habe den Brief jedoch der Kläger (Bl. 353 BA). Zu den Umständen der Aushändigung des Schreibens durch den Kläger an ihn ergänzte der Zeuge W. seine eidesstattliche Versicherung am 26. Oktober 2016 (Bl. 357ff. BA). Außerdem habe er - V. - den Brief 2 mit der anliegenden E-Mail auf Veranlassung des Klägers („Er entwickelte … die Idee des anonymen Schreibens“) an die Dezernentin Q. verfasst und abgesandt sowie eine Kopie des Briefes per WhatsApp an den Kläger übermittelt. Die beigefügte E-Mail habe er schon vorher dem Kläger zukommen lassen (Bl. 351f. BA). Er - V. - habe jedoch das Schreiben und die E-Mail nicht an die Presse „durchgestochen“.

Am 1. November 2016 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Suspendierung von seinen Aufgaben in der ÖEL mündlich angehört.

Mit dem hier streitbefangenen ersten Bescheid ebenfalls vom 1. November 2016 wurde der Kläger vom Beklagten unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung ab sofort und bis auf weiteres von seinem Dienst in der ÖEL freigestellt. Ihm wurde aufgegeben, die ihm zur Verfügung gestellten und in einer Anlage zum Bescheid näher bezeichneten Ausrüstungsgegenstände abzugeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, es werde ein Verfahren zu seiner Abberufung aus der ehrenamtlichen Tätigkeit in der ÖEL eingeleitet werden. Die anonymen Verunglimpfungen der Leitstelle sowie der Mitarbeiter des Beklagten stellten eine gravierende Verletzung der Treuepflichten und der gewissenhaften Amtsausübung dar. Das für die Arbeit als OrgL in der ÖEL des Beklagten zwingend erforderliche Vertrauensverhältnis zum Beklagten und seinen Mitarbeitern einerseits, aber auch andererseits zu den übrigen Mitgliedern der ÖEL sei aufgrund der Schwere der Vorwürfe nachhaltig gestört, weshalb ein unmittelbares Einschreiten erforderlich sei. Es gelte, die uneingeschränkte Funktionsfähigkeit der ÖEL wie des übrigen Rettungswesens zu gewährleisten. Offenheit, Ehrlichkeit und rechtskonformes Verhalten seien unabdingbare Voraussetzungen für jede ehrenamtliche Tätigkeit. Es sei nicht hinnehmbar, wenn zur Rettung und zum Schutz von Leib und Leben Personen eingesetzt würden, die diesen Anforderungen nicht gerecht würden und möglicherweise Straftatbestände erfüllten. Zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung wird ausgeführt, dass das Vertrauen zwischen der ÖEL und der IRL in der zwingend erforderlichen Zusammenarbeit bei einem Verbleib des Klägers in der ÖEL nicht gewährleistet sei. Sein Verbleib sei den übrigen Mitarbeitern der IRL auch nicht zuzumuten. Außerdem müsse ein weiterer Einfluss des Klägers auf andere Mitarbeiter beendet und verhindert werden, dass die Aufklärung der Verunglimpfung der IRL erschwert werde. Angesichts der gegen den Kläger vorliegenden Aussage, zwei der insgesamt vier anonymen Schreiben verfasst zu haben, stehe zu befürchten, dass er auch weiterhin versuchen werde, dem Beklagten und insbesondere der IRL Schaden zuzufügen. Dementsprechend überwiege das Interesse an der Gewährleistung eines unbeeinträchtigten Wirkens der Leitstelle das Interesse des Klägers an der weiteren Ausübung seines Ehrenamts.

Mit seiner am 28. November 2016 beim Verwaltungsgericht Hannover erhobenen Anfechtungsklage hat der Kläger zunächst die Aufhebung dieses Bescheides begehrt - zur Begründung trägt er vor: Es liege kein wichtiger Grund für seine Suspendierung vor. Er bestreite, den Brief 1 verfasst zu haben. Auch bestreite er, den Brief 2 verfasst oder versandt zu haben sowie Anstiftungs- oder Beihilfehandlungen hierzu vorgenommen zu haben. Er weise den Vortrag des Zeugen W. mit aller Entschiedenheit zurück. Er habe sich auch an den übrigen anonymen Schreiben nicht beteiligt. Der Zeuge W. habe aus Enttäuschung darüber gehandelt, nicht selbst zum OrgL bestellt zu werden. Der Zeuge sei dafür bekannt, Interna der Leitstelle an Dritte weiterzugeben sowie dienstrelevante Sachverhalte abzufotografieren und diese als Foto weiterzuleiten. Im Übrigen sei die Entscheidung unverhältnismäßig und ermessenfehlerhaft. Eine Verdachtsabberufung sei unzulässig. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15. Februar 2017 führte der Kläger aus (Bl. 71 d.A.):

„Abschließend möge der Beklagte sowohl die tatsächlichen Behauptungen als auch die seinerseits vorgenommene, antizipierte Beweiswürdigung im Kontext zu den Geschehnissen in naher Vergangenheit und den damit zusammenhängenden Beweggründen nochmals gründlich überdenken, bevor diese Angelegenheit eine durch einen investigativen Journalismus geprägte Aufarbeitung erfahren wird“.

Der Kläger hat hierzu in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe mit dieser Formulierung in keinster Weise beabsichtigt, den Beklagten zu bedrohen oder zu erpressen. Gegen Herrn W. sei er noch nicht straf- oder zivilrechtlich vorgegangen.

Die Kammer hat einen vorläufigen Rechtsschutzantrag des Klägers gegen den Bescheid mit einem Beschluss vom 11.5.2017 abgelehnt – 7 B 7074/16 -.

Mit einer seit 1. Juli 2017 geltenden neuen Satzung vom 6. Juni 2017 (Abl. LK X.) – ÖEL-Satzung n.F. – änderte der Beklagte die Voraussetzungen für eine Mitwirkung in der ÖEL. § 1 Sätze 3 und 4 der Satzung lauten nunmehr:

„Der Landrat schafft [für die ÖEL] die personellen Voraussetzungen durch Bestimmung der Mitglieder der ÖEL. Weitere Regelungen sind in einer Dienstordnung für die ÖEL enthalten.“

Nr. 3 der neuen Dienstordnung – ÖEL-DienstO n.F. – knüpft die Bestimmung des OrgL u.a. an die Ausbildung zum Rettungsassistenten und an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der ILS L.. Beide Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht.

Mit einem zweiten Bescheid vom 20. Juli 2017 hob der Beklagte daraufhin die Bestellung des Klägers zum OrgL in der ÖEL für den Landkreis C. mit Wirkung zum 1. August 2017 auf. Zur Begründung wird der Inhalt der Begründung des freistellenden Bescheides vom 01. November 2016 wiederholt. Es sei eine extreme Verunsicherung bei den ILS-Disponenten eingetreten. Das Weiterleiten interner Arbeitsvorgänge sowie die Beschuldigungen, welche auch eine korrekte Arbeit der Disponenten in Frage stellten, hätten zu einem zunehmenden gegenseitigen Misstrauen geführt. Dies gelte auch im Verhältnis zu den Führungskräften des Beklagten. Ebenso verwies er auf die schriftsätzlichen Ausführungen des Klägers vom 15. Februar 2017. Das Vertrauensverhältnis zum Kläger sei zerrüttet. Nachdem mehrere OrgL und LNA mitgeteilt hätten, ab sofort nicht mehr für den Beklagten tätig sein zu wollen, habe er – der Beklagte – die ÖEL neu organisieren müssen. Dies sei durch die ÖEL-Satzung n.F. erfolgt. Diese sei ein Ergebnis der gesetzlichen Verpflichtung des Beklagten, sofort eine funktionsfähige ÖEL sicherzustellen. Nach der konzeptionellen Neuaufstellung der ÖEL mit dem Ziel, Kontinuität und Verlässlichkeit innerhalb der ÖEL zu erreichen, seien die Voraussetzungen einer Mitwirkung in der ÖEL an den Mitarbeiterstatus in der ILS geknüpft worden. Der Kläger erfülle die hieran gestellten Voraussetzungen nicht. Wegen der Abwägung der widerstreitenden Interessen wird auf die Ausführungen auf Seite 9 des Bescheides (Bl. 20 der beigezogenen Gerichtsakte 7 A 7420/17) verwiesen.

Mit seiner hiergegen am 17. August 2017 erhobenen weiteren Klage verfolgt der Kläger auch die Aufhebung des zweitens Bescheides – 7 A 7420/17 -. Er wiederholt sein Vorbringen aus den vorausgegangenen Verfahren und hält die satzungsrechtliche Neuregelung für zu unbestimmt.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seine ursprünglich erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. November 2016 in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt.

Der Kläger beantragt im vorliegenden Verfahren,

festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 1. November 2016 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt seine Entscheidung. Er sei unter Abwägung der Interessen aufgrund des bekannten Sachverhalts gezwungen gewesen, eine Entscheidung zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Notfallrettung zu treffen. Selbst wenn der Kläger nicht Initiator der anonymen Briefe gewesen sein sollte, ändere dies nichts an der richtigen Beurteilung der Sachlage und der darauf gegründeten Entscheidung durch den Beklagten.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, der dem Gericht zur Einsichtnahme vorgelegen hat.

Entscheidungsgründe

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig (1.), jedoch unbegründet (2.).

1. Die Anfechtungsklage gegen die mit dem hier streitbefangenen Bescheid des Beklagten vom 1. November 2016 verfügte Freistellung des Klägers von seinem Dienst in der ÖEL ist durch Ergehen des zweiten Bescheides vom 20. Juli 2017, mit dem die Bestellung des Klägers zum OrgL in der ÖEL für den Landkreis C. mit Wirkung zum 1. August 2017 aufgehoben wurde, erledigt (vgl. zum Verhältnis Vorausleistungsbescheid/endgültige Festsetzung: BVerwG, Beschluss vom 19.12.1997 – 8 B 244/97 – NVwZ-RR 1998, S. 577).

Das vom Kläger in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Rechtsschutzbegehren ist jedoch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig, weil der Kläger ein Rehabilitationsinteresse des Inhalts dargelegt hat, von dem Vorwurf des illoyalen Verhaltens gegenüber dem Beklagten befreit zu werden. Dieses Rehabilitationsinteresse ist nicht durch Inkrafttreten der ÖEL-Satzung n.F. am 1. Juli 2017 entfallen, die veränderte personelle Anforderungen an einen OrgL stellt, die der Kläger nicht erfüllt. Denn diese Voraussetzungen galten im Zeitpunkt des Erlasses des Freistellungsbescheides vom 1. November 2016 noch nicht und der Kläger hat ein berechtigtes Interesse geltend gemacht, vom Makel des illoyalen Verhaltens jedenfalls im Zeitraum bis zur Aufhebung seiner Bestellung zum OrgL mit Bescheid vom 20. Juli 2017 rehabilitiert zu werden.

2. Diese Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unbegründet.

Die Freistellungsverfügung vom 1. November 2016 war rechtmäßig.

Der Beklagte hatte seine Verfügung mit der von ihm beabsichtigten Aufhebung der am G. erfolgten Übertragung der ehrenamtlichen Tätigkeit des Klägers in der ÖEL nach § 38 Abs. 3 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes - NKomVG - begründet, da sich das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz - NRettDG - zu den Einzelheiten der Bestellung und Abberufung des OrgL nicht verhält. Die Freistellung vom Ehrenamt ist als Vorstufe gegenüber der Aufhebung der Übertragung des Ehrenamtes, wie sie erst mit Bescheid vom 20. Juli 2017 erfolgt ist, die mildere Maßnahme. Da die Bestellung des Klägers am G. unbefristet erfolgte, kann die Aufhebung einer Übertragung der ehrenamtlichen Tätigkeit ohne weitere ausdrückliche Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 Abs. 3 Halbsatz 1 NKomVG jederzeit erfolgen. Sie steht allerdings im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Ein „wichtiger Grund“ für die Aufhebung des Ehrenamts ist bei einer unbefristeten Übertragung der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht erforderlich, weil er nach Halbsatz 2 der Vorschrift nur bei der vorzeitigen Aufhebung einer auf Zeit erfolgten Übertragung Voraussetzung ist, sofern der ehrenamtlich Tätige der Aufhebung – wie hier - nicht zustimmt. Dessen ungeachtet ist in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung - NGO - geklärt, dass die sachlichen Grenzen für den Entzug eines Ehrenamts dem jeweiligen Zusammenhang entnommen werden müssen. So sind für die ehrenamtliche Tätigkeit im Verwaltungsverfahren (§ 81 VwVfG) Ermessensentscheidungen über eine Abberufung nur zugelassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 86 VwVfG). Dies gilt auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der niedersächsischen Kommunen (§ 1 Abs. 1 NVwVfG) (Nds. OVG, Beschluss vom 11.12.1985 - 2 OVG A 34/85 - Nds. RPfl. 1986, S. 110, 111). Die Kammer sieht aufgrund § 1 Abs. 2 NVwVfG die Regelung des § 86 VwVfG jedenfalls durch § 38 Abs. 3 Halbsatz 1 NKomVG nicht als vollständig verdrängt an. Denn kein Verwaltungsakt darf jedenfalls ohne sachlichen Grund ergehen (vgl. Wefelmeier in KVR Nds/NKomVG; Stand Juni 2012, § 38 Rdnr. 15). Insoweit ist nach Auffassung der Kammer spätestens bei der Ermessensbetätigung das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Aufhebung der Übertragung des Ehrenamts zu prüfen. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass je mehr das Ehrenamt durch eigene Leistung erworben oder verfestigt und zum wesentlichen Lebensinhalt eines Bürgers geworden ist, es desto festerer rechtlicher Bindung und Absicherung der Befugnis der Kommune bedarf, das Ehrenamt wieder zu entziehen (Nds. OVG, ebd.). Ebenso ist jedoch zu berücksichtigen, dass die hier streitbefangene Freistellung von den Aufgaben als Suspendierung nur die Vorstufe der Aufhebung der Übertragung des Ehrenamts darstellt.

Vorliegend bestand jedoch ein sachlicher Grund für die Freistellung des Klägers von den Aufgaben eines Organisatorischen Leiters in der Örtlichen Einsatzleitung (1.), gegenüber der seine über 16jährige ehrenamtliche Tätigkeit in dieser Funktion zurücktreten durfte (2.). Der Bescheid des Beklagten war deshalb ermessensgerecht, § 114 VwGO.

1. Von einem Organisatorischen Leiter des Rettungsdienstes ist eine besondere Loyalität zum Rettungsdienstträger und der Rettungsleitstelle zu erwarten, weil er zusammen mit dem Leitenden Notarzt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NRettDG beim Großschadensereignis die Aufgaben der Leitstelle am Einsatzort übernimmt. Absolute persönliche Integrität ist Voraussetzung, weil die aus ihm und dem Leitenden Notarzt gebildete Örtliche Einsatzleitung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NRettDG anstelle der Rettungsleitstelle gegenüber den übrigen Einsatzkräften des Rettungsdienstes weisungsbefugt ist. Entsprechend vertrauensvoll muss das Zusammenwirken der Mitglieder der rettungsdienstlichen ÖEL mit den Einsatzleitern von Polizei und Feuerwehr sein. Hiervon hängen Menschenleben ab. Die Mitglieder der ÖEL handeln hoheitlich (vgl. zum Leitenden Notarzt bereits BGH, Urteil vom 9.1.2003 - III ZR 217/01 - BGHZ 153, S. 268 = NJW 2003, S. 321, 323, juris Rdnr. 26). Ein Versagen wird unmittelbar dem Beklagten als Rettungsdienstträger zugerechnet. Im Innenverhältnis zwischen Rettungsleitstelle und ÖEL kommt hinzu, dass die Rettungsleitstelle gemäß § 7 Abs. 3 NRettDG im Einzelfall bestimmt, ob die ÖEL an ihrer Stelle tätig wird, d.h. die Rettungsleitstelle ihre hoheitliche Gewalt auf den Leitenden Notarzt und den Kläger als Organisatorischen Leiter delegiert. Bei einem illoyalen Organisatorischen Leiter wird die Rettungsleitstelle zumindest zögern, ihre Lenkungsgewalt abzugeben. Im Interesse eines funktionsfähigen Rettungsdienstes und insbesondere vor dem Hintergrund der Bewältigung von Großschadensereignissen ist dies nach dem Gesetzeszweck zu verhindern.

Der Kläger steht im Verdacht, etwaige Missstände in der Rettungsleitstelle aus seiner Sicht nicht offen, sondern im Wege anonymer Schreiben an Presse und Verwaltung kommuniziert zu haben. Zumindest soll er an zwei anonymen Schreiben über Alarmierungsprobleme in der IRL mitgewirkt haben. Er wird in dieser Hinsicht von dem ausgeschiedenen IRL-Mitarbeiter W. konkret belastet. Der Kläger selbst bestreitet die entsprechenden Mitwirkungshandlungen und seine Beteiligung an den übrigen anonymen Schreiben und der ebenfalls anonym gefassten Strafanzeige, die dem IRL-Leiter und der Dezernentin des Ordnungsamtes sogar ein Unterlassungsdelikt, wenn nicht gar ein Tötungsdelikt vorwirft. Da die Belastung des Klägers durch den ehemaligen IRL-Mitarbeiter W. in der Form eidesstattlicher Versicherungen erfolgte sowie konkreten Inhalts und detailreich geschildert ist, überzeugt das einfache Bestreiten durch den Kläger nicht. Es sind für die Kammer auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zeuge W. den Kläger durch seine Aussagen ohne realen Hintergrund als beliebigen unbeteiligten Dritten lediglich „mit in den Abgrund ziehen wollte“.

Aufgrund der eidesstattlichen Versicherungen des Zeugen W. durfte der Beklagte das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm - dem Beklagten - und dem von ihm in das Ehrenamt in verantwortlicher Position bestellten Kläger als erheblich gestört betrachten. Diese Störung war geeignet, die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten und insbesondere bei der Herausforderung der nicht vollständig planbaren Bewältigung von Großschadensereignissen empfindlich zu stören. Etwaige Missstände in der Rettungsleitstelle sind grundsätzlich erst intern zu klären. Der anonyme Gang zur Presse und ein anonymes Schreiben an die Dezernentin sind insbesondere geeignet, das Klima zu „vergiften“ und die im Bereich der Notfallrettung - wie vom Beklagten in dem angegriffenen Bescheid zutreffend ausgeführt - erforderliche Kooperation der Einrichtungen des Rettungsdienstes und ihrer Funktionsträger empfindlich zu stören (vgl. VG Mainz, Urteil vom 8.11.2012 - 1 K 193/12. MZ - LRKZ 2013, S. 18, juris zu E-Mails eines Mitglieds der Freiwilligen Feuerwehr; VG Darmstadt, Beschluss vom 29.9.2009 - 3 L 105/09. DA - juris zum Widerruf der Ernennung eines Leitenden Notarztes zum Ehrenbeamten wegen mangelnder Kooperation mit der Leitstelle).

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers reichte für die angefochtene Entscheidung der konkrete Verdacht aus. Ebenso wie im Arbeitsrecht reicht der Verdacht schwerer Verfehlungen, die (noch) nicht erwiesen sind, für die Suspendierung vom Ehrenamt aus, wenn der Verdacht das notwendige Vertrauensverhältnis zerstört und die Fortsetzung des Verhältnisses zwischen Kommune und Ehrenamtlichem unzumutbar macht (vgl. zum Arbeitsrecht: Palandt-Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 626 Rdnr. 49 mwN aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung).

Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der frühere ILS-Mitarbeiter W. oder der Kläger die Wahrheit sagen. Denn auch das nachträgliche Verhalten des Klägers kann als Zerstörung des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen Beklagten und Kläger gewertet werden. Dieses nachträgliche Verhalten ist nicht etwa der Umstand, dass sich der Kläger gegen seine Freistellung wehrt. Dies ist sein gutes Recht. Jedoch kann berücksichtigt werden, wie er sich in dem Rechtsstreit verhält und ob er Anlass gibt, die vom Beklagten geltend gemachte Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nachträglich als richtig zu beurteilen. Insoweit ist die Verwertung von nachträglichen Erkenntnissen zulässig. Denn das Verwaltungsgericht erklärt keine Freistellung vom Amt für rechtswidrig, die die Behörde aufgrund nachträglicher Erkenntnisse sofort hätte wieder verfügen dürfen. So verhält es sich hier. Der Kläger hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15. Februar 2017 ausgeführt:

„Abschließend möge der Beklagte sowohl die tatsächlichen Behauptungen als auch die seinerseits vorgenommene, antizipierte Beweiswürdigung im Kontext zu den Geschehnissen in naher Vergangenheit und den damit zusammenhängenden Beweggründen nochmals gründlich überdenken, bevor diese Angelegenheit eine durch einen investigativen Journalismus geprägte Aufarbeitung erfahren wird“.

Diese Ausführungen seines Rechtsanwalts muss sich der Kläger gemäß § 173 VwGO iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die Einlassung kann nicht anders verstanden werden als als Drohung, dem Beklagten werden Nachteile durch Presseveröffentlichungen entstehen, wenn er nicht die Freistellung des Klägers zurücknimmt. Dies wird durch das Wort „bevor“ belegt, die Bedingung und angekündigte Folge in Beziehung setzt. Ein ehrenamtlich bestellter Mitarbeiter des Beklagten, der im Einsatzfall mit Hoheitsrechten ausgestattet wird und für den Beklagten handelt, darf seinem Dienstherrn nicht drohen, schon gar nicht mit Presseveröffentlichungen.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum „Whistle-Blowing“ (EGMR, Entscheidung vom 17.9.2015 – 14464/11 – NZA 2017, S. 237 [EuGH 24.11.2016 - C-443/15]) steht der vom Beklagten verfügten Sanktion der Freistellung auch ein legitimes Ziel zur Seite, hier in Gestalt der Funktionsfähigkeit der ÖEL. Die gegen den Kläger verhängte Maßnahme steht auch bei Betrachtung der Gesamtumstände in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel, weil die Kammer davon ausgeht, dass die Integrierte Regionalleitstelle L. zumindest gezögert hätte, die Örtliche Einsatzleitung mit dem Kläger als Organisatorischem Leiter einzusetzen, wenn dieser in seinem Ehrenamt verblieben wäre.

2. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht zu erkennen. Der Beklagte hat das öffentliche Interesse mit den privaten Interessen des Klägers abgewogen. Der Umstand, dass der Kläger bereits seit mehr als 16 Jahren sein Ehrenamt ersichtlich unbeanstandet ausgeübt hatte, durfte zurücktreten. Der Kläger kann weiterhin im Rettungsdienst tätig sein, nur aus damaliger Sicht vorerst nicht mehr als Organisatorischer Leiter innerhalb der Örtlichen Einsatzleitung. Er hatte durch den Entzug der Tätigkeit keinerlei finanzielle Nachteile. Jedenfalls wurden solche nicht geltend gemacht. Die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten überwog das private Interesse des Klägers an der vorläufigen weiteren Ausübung seines Ehrenamtes, zumal nicht die Ausübung des Ehrenamtes durch den Einzelnen im Zentrum der Betrachtung zu stehen hat, sondern die Gewährleistung der reibungslosen medizinischen Versorgung des Notfallpatienten im Großschadensfall.

Nach alledem war die Fortsetzungsfeststellungsklage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, die Berufung durch das Verwaltungsgericht zuzulassen, liegen nicht vor.