Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 19.09.2018, Az.: 3 A 7872/16

Beendigung des Betreuungsverhältnisses; Kindertagespflege; laufende Geldleistung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
19.09.2018
Aktenzeichen
3 A 7872/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74211
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf die laufende Geldleistung nach § 23 SGB VIII besteht für die Tagespflegeperson jedenfalls dann nicht mehr, wenn sie sich mit den Kindeseltern unabhängig von etwaigen Kündigungsfristen in dem privatrechtlichen Betreuungsvertrag auf eine Beendigung des Betreuungsverhältnisses geeinigt hat.

2. Der Anspruch auf die laufende Geldleistung nach § 23 SGB VIII hängt in seiner zeitlichen Dimension nicht von den Vereinbarungen der Kindeseltern und der Tagespflegeperson über etwaige Kündigungsfristen des Betreuungsvertrages, sondern allein davon ab, in welchem zeitlichen Umfang der öffentliche Jugendhilfeträger dem leistungsberechtigten Kind die Jugendhilfeleistung in Form der Förderung in Kindertagespflege bewilligt hat (entgegen VG Dresden vom 16.08.2017 - 1 K 1120/16 -, juris).

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Einstellung von laufenden Leistungen zur Abgeltung von Kindertagespflege.

Die Klägerin betreute als Tagespflegeperson ab dem 01.08.2016 das Kind C. B.. Die Betreuung des Kindes wurde von der Beklagten als Jugendhilfeleistung gemäß §§ 23, 24 SGB VIII mit an die Kindeseltern gerichtetem Bescheid vom 21.03.2016 gewährt. Die Klägerin erhielt für die Durchführung der Tagespflege von der Beklagten für August und September 2016 laufende Geldleistungen gemäß § 23 SGB VIII unmittelbar ausgezahlt. Soweit ersichtlich erließ die Beklagte dazu keinen gesonderten Bescheid gegenüber der Klägerin.

Die Klägerin hatte über die Betreuung des Kindes zusätzlich mit den Kindeseltern einen schriftlichen Betreuungsvertrag abgeschlossen. Dieser sah in § 8 Satz 2 für die vorzeitige Beendigung der Betreuung eine Kündigungsfrist von „6 Wochen zum Quartal“ vor.

Am 06.10.2016 teilte die Kindesmutter der Beklagten telefonisch mit, dass ihr Sohn seit Mitte August nicht mehr von der Klägerin betreut worden sei. Die Kündigung des Betreuungsverhältnisses sei zum 30.09.2016 erfolgt. Die Klägerin habe ihnen gegenüber erklärt, sie werde die Beklagte darüber informieren.

Die Beklagte veranlasste daraufhin intern den Stopp der Auszahlung weiterer Geldleistungen an die Klägerin. Außerdem bat sie die Klägerin mit E-Mail vom 11.10.2016 um nähere Erläuterung. Mit Fax vom 11.10.2016 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie den Betreuungsplatz zum 05.10.2016 neu habe besetzen können. Außerdem übermittelte sie die von den Kindeseltern unter dem 23.09.2016 unterzeichnete Formblatterklärung (Anlage 2) über die Beendigung der Tagespflege für C. zum 30.09.2016. Wegen der inhaltlichen Einzelheiten der darin getätigten Erklärungen wird auf das Schriftstück verwiesen.

Mit an die Kindeseltern gerichtetem Bescheid vom 21.11.2016 stellte die Beklagte die Förderung von C. in Kindertagespflege bei der Klägerin rückwirkend zum 30.09.2016 ein. Mit weiterem Bescheid gleichen Datums stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin fest, dass die Zahlung der laufenden Geldleistung für die Betreuung des Kindes zum 30.09.2016 eingestellt werde.

Die Klägerin hat am 23.12.2016 Klage erhoben. Sie macht geltend, ihr stehe die laufenden Geldleistung in Bezug auf die Betreuung von C. auch für den Oktober 2016 noch insoweit zu, als darin eine pauschale Abgeltung für Sachmittelaufwendungen enthalten sei. Der Betreuungsvertrag für C. sei der vertraglichen Vereinbarung entsprechend erst zum 31.10.2016 von den Eltern gekündigt worden. Abgesehen davon müssten auf die Kindertagespflege im Bereich der Beklagten deren „Allgemeine Regelungen für Kindertageseinrichtungen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt Hannover“ entsprechend angewendet werden, in denen abschließend die Tatbestände für eine vorzeitige Beendigung des Betreuungsverhältnisses und die dafür geltenden Fristen geregelt seien. Daran sei die Beklagte auch bei Tagespflegeverhältnissen gebunden und müsse deshalb die laufende Geldleistung für die Betreuung eines Kindes solange weitergewähren, wie das Betreuungsverhältnis in entsprechender Anwendung der o. a. „Allgemeinen Regelungen“ als fortbestehend anzusehen sei. Das müsse auch unabhängig davon gelten, ob der Betreuungsplatz im Einzelfall kurzfristig wieder neu habe besetzt werden können. Jedenfalls aber stehe ihr für den Zeitraum 01.10. – 04.10.2016 ein anteiliges Tagespflegegeld zu.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.11.2016 zu verpflichten, ihr in Bezug auf die von ihr geleistete Tagespflege für das Kind C. B. für den Monat Oktober 2016 anteilig eine laufende Geldleistung in Form des Pauschbetrags zur Abgeltung von Sachmittelaufwendungen in Höhe von 465,90 EUR zu gewähren,

hilfsweise,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 21.11.2016 zu verpflichten, ihr eine derartige Leistung anteilig für den Zeitraum 01.10. – 04.10.2016 in Höhe von 162,65 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch – auch anteilig für den Zeitraum vom 01.10. bis 04.10.2016 – schon deshalb nicht zu, weil sie sich mit den Eltern des betreuten Kindes einvernehmlich auf eine Beendigung des Betreuungsverhältnisses zum 30.09.2016 geeinigt gehabt habe. Unabhängig davon sei zudem der Anspruch auf Gewährung einer laufenden Geldleistung nach § 23 SGB VIII zu der Bewilligung einer entsprechenden Jugendhilfeleistung für das betreute Kind akzessorisch. Diese Jugendhilfeleistung sei aber zum 30.09.2016 eingestellt worden. Eine Übertragung ihrer „Allgemeinen Regelungen“ zur Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten auf Kindertagespflegeverhältnisse komme nicht in Betracht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten sowie des Sachverhaltes im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.

Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 11.04.2018 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

1.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer anteiligen laufenden Geldleistung für Oktober 2016 in Bezug auf die von ihr geleistete Kindertagesbetreuung für das Kind C. B. nicht zu.

a)

Als materiell-rechtliche Grundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt allein § 23 Abs. 1, 2 SGB VIII in Betracht. Danach umfasst die Förderung eines Kindes in Kindertagespflege als Jugendhilfeleistung nach dem SGB VIII u. a. die Gewährung einer laufenden Geldleistung an die Tagespflegeperson, deren Bestandteile in Absatz 2 der Norm im Einzelnen geregelt sind und deren Höhe von den Trägern der Jugendhilfe im Übrigen gemäß Absatz 2a der Norm (durch Satzung) festgelegt wird. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Anspruch auf Gewährung der laufenden Geldleistung der Tagespflegeperson unmittelbar selbst zusteht und von dieser gegenüber dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe als subjektives öffentliches Recht geltend gemacht werden kann.

b)

Es kann letztlich offen bleiben, ob der Anspruch der Tagespflegeperson auf Gewährung der laufenden Geldleistung rechtlich mit der Bewilligung der zu Grunde liegenden Jugendhilfeleistung in Form der Kindertagespflege in der Form untrennbar verknüpft ist, dass er materiell-rechtlich von vornherein immer nur in dem Umfang besteht, in dem der Jugendhilfeträger dem zu betreuenden Kind Jugendhilfe in der Ausgestaltung von Kindertagespflege leistet (so z. B. Struck in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage, § 23 Rn. 27c), oder ob der Anspruch auch für Zeiten bestehen kann, in denen zwar eine Betreuung tatsächlich nicht mehr stattfindet, das privatrechtliche Betreuungsverhältnis auf Grund einer entsprechenden Ausgestaltung der darauf bezogenen vertraglichen Kündigungsfristen aber rechtlich noch besteht (so VG Dresden, Urt. vom 16.08.2017, 1 K 1120/16, juris Rn. 19 ff.). Denn im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass sich die Klägerin mit den Eltern von C. B. auf eine einvernehmliche Beendigung des Betreuungsverhältnisses zum 30.09.2016 geeinigt hatte. Dafür spricht zunächst, dass die Klägerin der Beklagten mit Fax vom 11.10.2016 die von den Kindeseltern unterzeichnete Formblatterklärung (Anlage 2) über die „einvernehmlich zwischen mir/uns und der Tagespflegeperson“ vereinbarte vorzeitige Beendigung der Tagespflege zum 30.09.2016 übermittelt hat, ohne darauf hinzuweisen, dass die Beendigung zu diesem Zeitpunkt gerade nicht einvernehmlich erfolgt sei. Außerdem hatte die Klägerin den dadurch frei gewordenen Betreuungsplatz bereits zum 05.10.2016 neu besetzt. Wenn sie aber zivilrechtlich gegenüber den Eltern von C. B. mangels Beendigung des vertraglichen Betreuungsverhältnisses noch verpflichtet gewesen wäre, diesen auch im Oktober 2016 zu betreuen, wäre dieser Platz rechtlich gesehen für den Abschluss eines neuen Betreuungsvertrages noch gar nicht frei gewesen.

Darauf, ob – wie die Klägerin meint – auf Tagespflegeverhältnisse im Bereich der Beklagten die „Allgemeine(n) Regelungen für Kindertageseinrichtungen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt Hannover“ entsprechend anwendbar wären, kommt es nach alledem nicht an. Diese Idee ist aber auch abwegig, denn bei diesen Regelungen handelt es sich um nichts Anderes als um Ausgestaltungsregelungen für die jeweiligen Betreuungsverhältnisse, wie sie die Klägerin mit den Eltern der von ihr betreuten Kinder jeweils privatrechtlich in Form des Betreuungsvertrages vereinbart.

c)

Unabhängig davon bestehen gegen die vom VG Dresden vertretene Rechtsauffassung aber auch durchgreifende Bedenken. Denn sie läuft darauf hinaus, dass die zeitliche Reichweite des gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe gerichteten öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Gewährung der laufenden Leistung nach § 23 SGB VIII losgelöst wird von der tatbestandlichen öffentlich-rechtlichen Grundlage dieses Anspruchs – nämlich der Bewilligung der Kindertagespflege gegenüber dem leistungsberechtigten Kind – und stattdessen abhängig gemacht wird von der zwischen den Kindeseltern und der Tagespflegeperson rein privatrechtlich vorzunehmenden Ausgestaltung des Betreuungsverhältnisses, ohne dass der öffentliche Jugendhilfeträger als Schuldner des Anspruchs darauf rechtlich in irgendeiner Weise Einfluss nehmen könnte. Eine solche Konstruktion von Schuldverhältnissen ist der deutschen Rechtsordnung allgemein und der Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher Geldleistungsansprüche im Besonderen völlig wesensfremd. Sie macht den öffentlichen Jugendhilfeträger letztlich zum Ausfallbürgen für eine gescheiterte privatrechtliche Vertragsbeziehung. Zudem hätte der Jugendhilfeträger noch nicht einmal die Möglichkeit zu einer Refinanzierung über die Erhebung eines Kostenbeitrags von den Eltern, denn er kann die zu Grunde liegende Jugendhilfeleistung gegenüber dem vormals betreuten Kind nicht gegen den Willen der Eltern über das tatsächliche Ende der Betreuung hinaus aufrechterhalten. Dass das Gesetz ein solches, von grundlegenden Strukturprinzipien der deutschen (Verwaltungs-)Rechtsordnung abweichendes Konstrukt implementiert, lässt sich weder dem Gesetzestext noch einer teleologischen Auslegung der Norm entnehmen, sondern mutet nahezu absurd an. Die diesbezügliche Argumentation des VG Dresden liest sich denn auch vielmehr als eine – bezeichnenderweise im Konjunktiv gehaltene – rein sozialrechtspolitische Interessenabwägung denn als verwaltungsrechtsdogmatische Gedankenführung zur Normauslegung. Eine solche politische Interessenabwägung ist aber nicht Sache der Rechtsprechung, sondern des Gesetzgebers. Angesichts dessen hätte es, um zu dem vom VG Dresden vertretenen Ergebnis kommen zu können, einer dahingehend wesentlich klareren sprachlichen und systematischen Ausgestaltung der Norm bedurft.

Ausgehend davon scheitert ein Anspruch der Klägerin für den Monat Oktober 2016 insgesamt auch daran, dass die Beklagte in rechtlich zulässiger und gebotener Weise die dem vormals betreuten Kind gegenüber gewährte Jugendhilfeleistung in Form der Förderung in Kindertagespflege bei der Klägerin zum 30.09.2016 eingestellt hatte, weil der Anspruch der Tagespflegeperson auf Gewährung einer laufenden Geldleistung nach § 23 SGB VIII in zeitlicher Hinsicht rechtlich von dem zeitlichen Umfang der dem Kind bewilligten Jugendhilfeleistung abhängt.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.