Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.09.2018, Az.: 13 A 4182/16

Beihilfe; Hyperthermiebehandlung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
26.09.2018
Aktenzeichen
13 A 4182/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74224
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine Hyperthermiebehandlung bei Darmkrebs.
2. Die Hyperthermiebehandlung zur Behandlung eines Darmtumors ist wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt.
3. Bei der Auslegung der Beihilfevorschriften ist auch der Fürsorgepflicht Rechnung zu tragen.
4. Ein bösartiger, schon relativ weit fortgeschrittener Darmtumor ist eine lebensbedrohende Erkrankung im Sinne des § 28 NBhVO, auch wenn eine konkrete Gefährdung des Lebens durch die von der Beihilfeberechtigten in Anspruch genommene Therapie gerade abgewendet worden ist.
5. Zu der Frage, ob im konkreten Fall für die Behandlung eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode zur Verfügung gestanden hat.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten 12.01.2016 und ihr Widerspruchsbescheid vom 22.06.2016 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Beihilfe zu der von ihr in Anspruch genommenen Hyperthermiebehandlung in Höhe von 1.450 € zu gewähren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand:

Die im Jahre 1970 geborene Klägerin steht als Beamtin im Range einer D. (Besoldungsgruppe A 8) im Dienst des E..

Die Klägerin ist mit einem Bemessungssatz von 50 Prozent beihilfeberechtigt. Sie begehrt Beihilfe für eine Hyperthermiebehandlung.

Im Januar 2015 wurde bei der Klägerin eine Krebserkrankung, ein tiefsitzendes Adenokarzinom des distalen Rektums in der Nähe des Schließmuskels diagnostiziert. Die Klägerin wurde daraufhin mit einer Radiochemotherapie behandelt. Im Anschluss daran unterzog sie sich einer Hyperthermiebehandlung. Bei dieser Behandlung wird eine Überwärmung von Tumorzellen mittels hochfrequenter Wellen angestrebt, wodurch es zu einem Sauerstoffmangel und Entwicklung eines sauren Zellmilieus kommen soll sowie zu einer Nährstoffverarmung im Tumor. Hierdurch soll der Zellstoffwechsel gestört werden und es kann zum Zelltod kommen. Die Hyperthermiebehandlung wurde in der Zeit bis zum 26.06.2015 in insgesamt 20 Sitzungen durchgeführt. Pro Sitzung wurden 145 € berechnet. Der Klägerin wurden insgesamt 2.900 € in Rechnung gestellt.

Nach Durchführung von Radiochemotherapie und Hyperthermie wurden bei einer Endoskopie und einer Gewebeprobe keine Beweise für Tumorreste oder einen Rückfall festgestellt.

Zu den Aufwendungen für die Hyperthermiebehandlung beantragte die Klägerin Beihilfe. Die Beklagte beauftragte den Ärztlichen Direktor der Universitätsklinik für Radioonkologie des Universitätsklinikums F. Prof. Dr. med. G. mit der Erstellung eines Gutachtens. Der Gutachter nahm am 18.12.2015 zu der Frage Stellung, ob bei der Beihilfeberechtigten die Hyperthermie in Kombination mit Strahlen- und Chemotherapie nach Operation eines tief sitzenden Rektumkarzinoms medizinisch notwendig war, um eine Not abzuwenden und darum unerlässlich bzw. unentbehrlich, unvermeidbar bzw. zwangsläufig war. Er führte aus, offenbar sei bei der Klägerin eine kontinenzerhaltende Operation erfolgt. Die Hyperthermie zur Steigerung der Wirksamkeit der Radiochemotherapie bei einem Rektumkarzinom werde seit vielen Jahren wissenschaftlich evaluiert. Ein Vorteil der Hyperthermie sei aus den gewonnenen Daten nicht zu belegen. Zur vorliegenden Situation seien dem Gutachter keine prospektiven vergleichenden Effektivitätsdaten, die eine Steigerung der Wirkung der postoperativen Radiochemotherapie durch Hinzunahme der Hyperthermie belegen, bekannt. Zusammenfassend könne im vorliegenden Fall keine medizinische Notwendigkeit für die zusätzliche Anwendung der Hyperthermie festgestellt werden.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2016 eine Beihilfe zu den Aufwendungen der Hyperthermiebehandlung ab mit der Begründung, bei der Hyperthermiebehandlung handele es sich um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Behandlung. Dennoch sei im Rahmen einer Einzelfallentscheidung nach § 49 Absatz 1 NBhVO zur Klärung des Sachverhalts ein ärztliches Gutachten in Auftrag gegeben worden. Der Gutachter habe in seinem Gutachten festgestellt, dass im vorliegenden Fall keine medizinische Notwendigkeit für die zusätzliche Anwendung der Hyperthermiebehandlung festgestellt werden könne. Eine Anerkennung der Beihilfefähigkeit könne deshalb nicht erfolgen.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 04.03.2016 Widerspruch ein. Sie machte geltend, die Stellungnahme des Gutachters beruhe auf falschen Tatsachen, weil eine operative Versorgung des Rektumkarzinoms nicht erfolgt sei. Darüber hinaus seien von ihr überreichte medizinische Unterlagen nicht berücksichtigt worden.

Die Beklagte ließ sich die bislang nicht berücksichtigten ärztlichen Unterlagen und Entlassungsberichte der Krankenhausaufenthalte der Klägerin vorlegen und bat Prof. Dr. G. um Ergänzung seines Gutachtens. Dieser stellte am 21.03.2016 fest, dass nach wie vor keine ausreichende Evidenzlage zur Rechtfertigung des Einsatzes der Hyperthermie vorliege.

Mit Bescheid vom 22.06.2016 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Hinweis auf die Stellungnahmen des Gutachters zurück.

Am 26.07.2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor: Sie habe unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten. Es habe eine große Wahrscheinlichkeit der Herstellung eines dauerhaften künstlichen Darmausgangs nach der Radiochemotherapie bestanden. Nach den Ausführungen ihres behandelnden Arztes sei das Rektumkarzinom sehr nah am Schließmuskel lokalisiert. Bei einer notwendig werdenden Operation hätte ein künstlicher Darmausgang gedroht. Vor diesem Hintergrund sei es darum gegangen, den Tumor so zu verkleinern, dass ein Anus praeter vermieden werden könne. Gemäß den Empfehlungen sämtlicher Tumorkonferenzen in den behandelnden Kliniken in Diepholz, Garmisch-Partenkirchen und Esslingen sei eindeutig gewesen, dass im Anschluss an eine Strahlenchemotherapie noch jedenfalls eine Operation mit künstlichem Darmausgang erforderlich sei. In ihrem Falle sei durch die durchgeführte lokale Hyperthermiebehandlung die Strahlenchemotherapie so gut unterstützt worden, dass es letztlich zu einer Totalremission gekommen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12.01.2016 und ihren Widerspruchsbescheid vom 22.06.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Beihilfe für die Hyperthermiebehandlung zu gewähren

sowie die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Hyperthermiebehandlung gehöre im Falle der Klägerin nicht zu den wissenschaftlich allgemein anerkannten Behandlungen. Anderes gelte nur für eine Hyperthermiebehandlung bei Prostatakrebs.

Ein Rektumkarzinom stelle jedoch eine schwerwiegende lebensbedrohliche Erkrankung dar, sodass es die Fürsorgepflicht gebiete, in Ausnahmefällen die Kosten einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode zu erstatten (§ 28 NBhVO). Die Verpflichtung bestehe aber nur dann, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit noch nicht herausgebildet habe, das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden dürfe oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden sei. Zur Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliege, habe sie sich entschlossen, ein ärztliches Fachgutachten einzuholen. In dem Gutachten der Universitätsklinik für Radioonkologie, Prof. Dr. G., vom 18.12.2015 und in seinen Ergänzungen vom 21.03.2016 sei festgestellt worden, dass ein Vorteil der Hyperthermie aus den bisher erhobenen wissenschaftlichen Daten publizierten Nachweisen nicht belegt werden könne. Es gebe nach Auffassung des Gutachters keine Anhaltspunkte dafür, dass die angewandte Hyperthermiebehandlung zur vollständigen Rückbildung beigetragen habe. Die Voraussetzungen, aus Gründen der Fürsorgepflicht eine Beihilfe zu den Aufwendungen der Hyperthermiebehandlung zu gewähren, seien nicht gegeben. Für die Behandlung des Rektumkarzinoms habe eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Methode, die Radiochemotherapie, zur Verfügung gestanden.

Mit Schriftsatz vom 22.08.2018 hat die Beklagte sich erstmals auf den Standpunkt gestellt, bei der Klägerin habe keine lebensbedrohende oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorgelegen, schon deshalb lägen die Voraussetzungen des § 28 NBhVO nicht vor.

Das Gericht hat durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens des Prof. Dr. med. C., Facharzt für Frauenheilkunde und Strahlentherapeut, Klinikum der Universität C-Stadt, Beweis darüber erhoben, ob die Hyperthermiebehandlung (20 Sitzungen im Jahr 2015) die die Klägerin in Kombination mit einer Chemo- und Strahlentherapie zur Behandlung eines Rektumkarzinoms in Nähe des Schließmuskels in Anspruch genommen hat, medizinisch notwendig war.

Der Gutachter hat unter dem 01.08.2018 unter anderem festgestellt, dass die Hyperthermie einen Anteil an der Heilung gehabt habe und wirksam gewesen sei. Wegen der Ausführungen im einzelnen wird auf das Gutachten, wegen der dazu erfolgten Stellungnahme der Beklagte auf ihren Schriftsatz vom 22.08.2018 Bezug genommen

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage entscheidet der Einzelrichter, dem der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen worden ist.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Beihilfebescheid der Beklagten vom 12.01.2016 und ihr Widerspruchsbescheid vom 22.06.2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Ihr steht ein Anspruch auf Beihilfe zu den Aufwendungen der von ihr in Anspruch genommenen Hyperthermiebehandlung zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin ist § 80 Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG) i. V. m. der Niedersächsischen Beihilfeverordnung (NBhVO) vom 07.11.2011.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 NBhVO sind die nachgewiesenen und angemessenen Aufwendungen für medizinisch notwendige, nach wissenschaftlich allgemein anerkannten Methoden erbrachte ärztliche Leistungen beihilfefähig.

Die hier in Rede stehende Hyperthermiebehandlung ist nicht wissenschaftlich allgemein anerkannt. „Wissenschaftlich allgemein anerkannt“ in diesem Sinne ist eine Behandlungsmethode, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.03.1984 - BVerwG 2 C 2.83 -, juris Rn. 4; Beschluss vom 15.07.2008 - BVerwG 2 B 44.08 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Urteil vom 25.05.2004 - 5 LB 15/03 -, juris Rn. 22; Urteil vom 22.01.2013 - 5 LB 50/11 -, juris Rn. 29). Diese Anforderungen erfüllt die Hyperthermiebehandlung, die die Klägerin zur Behandlung ihres Rektumkarzinoms in Anspruch genommen hat, nicht. Bereits mit Urteil vom 20.12.2012 (2 A 274/11) hat das erkennende Gericht auf der Grundlage eines eingeholten Gutachtens festgestellt, dass nicht davon auszugehen ist, dass die Hyperthermiebehandlung eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode darstellt. Daran hat sich auch bis zu dem nach den Beihilfevorschriften maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen nichts geändert. Das lässt sich sowohl den gutachterlichen Stellungnahmen des von der Beklagten beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. med. G. vom 18.12.2015 und 21.03.2016 als auch dem Gutachten des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. med. C. vom 01.08.2018 entnehmen und ist zwischen den Beteiligten auch gar nicht streitig.

Der Anspruch auf Beihilfe ergibt sich aber aus § 28 NBhVO. Nach dieser Vorschrift sind Aufwendungen für medizinische Leistungen anlässlich einer lebensbedrohenden oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, für die eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht zur Verfügung steht oder Aussicht auf Heilung nicht bietet, beihilfefähig, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Bei der Klägerin wurde ein tiefsitzendes Adenokarzinom des distalen Rektums in der Nähe des Schließmuskels, also ein bösartiger Darmkrebs diagnostiziert. Dabei handelt es sich um eine lebensbedrohende Erkrankung. Denn bei einem bösartigen Karzinom besteht die Gefahr, dass die Zellen ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen in benachbarte Gewebe einwachsen und diese zerstören. Die bösartigen Zellen können sich auch vollständig ablösen, mit Blut oder Lymphe in andere Körperbereiche gespült werden, und sich dort wieder ansiedeln. So entstehen Metastasen (Tochtergeschwülste) (http://www.medizin-netz.de/krankheiten/dickdarm-und-enddarmkrebs-kolorektales-karzinom/). Die Lebensbedrohlichkeit eines bösartigen Darmkrebses belegen auch die statistischen Erhebungen des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen vom Juni 2018, die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 27.08.2018 vorgelegt worden sind. Danach verstarben 2015 in Niedersachsen ein 1.276 Männer und 1.189 Frauen an einem bösartigen Tumor des Darmes. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten liegen bei 64 % für Männer und bei 66 % für Frauen. Zum für den Beihilfeanspruch maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen in der ersten Hälfte des Jahres 2015 bestand sogar der Verdacht auf eine tumornahe Lymphknotenmetastase an der Darmwand (vgl. Befund der Kreiskliniken Esslingen vom 30.03.2015 (Bl. 237 f Bd. 2 der Beiakte). In einem Schreiben des Klinikums Garmisch-Partenkirchen vom 27.02.2015 heißt es, dass nach einer Sonografie der Tumor an einer Stelle die Muscularis propria zu durchbrechen schien, sodass an einer kleinen Stelle ein sogenanntes T3-Stadium vorliegen könnte (Bl. 241 Bd. 2 der Beiakte), also ein besonders aggressives Stadium der Ausbreitung des Tumors (zu der Klassifikation der Tumorstadien vgl. https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/weitere-krebsarten/enddarmkrebs-rektumkarzinom/tumorstadien.html.). Diese Verdachtsmomente haben sich offensichtlich im weiteren Verlauf nicht bestätigt. Zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen musste aber jedenfalls von einer lebensbedrohenden Erkrankung ausgegangen werden.

Eine andere Einschätzung ist auch nicht aufgrund der Formulierung in dem ärztlichen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. C. vom 01.08.2018 gerechtfertigt, die die Beklagte bemüht, um sich nunmehr - erstmals mit Schriftsatz vom 22.08.2018 - auf den Standpunkt zu stellen, bei der Klägerin habe keine lebensbedrohende oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorgelegen. Die Diagnose eines bösartigen Darmtumors ist nach den oben getroffenen Feststellungen eine lebensbedrohende Erkrankung im Sinne des § 28 NBhVO, auch wenn eine konkrete Gefährdung des Lebens durch die Therapie, die die Klägerin in Anspruch genommen hat, gerade abgewendet worden ist. Es liegt kein hinreichender Anhaltspunkt dafür vor, dass der Sachverständige mit seiner Formulierung die Ernsthaftigkeit der „fortgeschrittenen“ Tumorerkrankung (Seite 5 des Gutachtens) der Klägerin in Abrede stellen wollte oder aussagen wollte, ein bösartiger Tumor, wie bei der Klägerin diagnostiziert, sei – unbehandelt – nicht lebensbedrohend. Aus dem Gesamtzusammenhang ist die Formulierung, die der Sachverständige gebraucht hat, vielmehr so zu verstehen, dass eine konkrete Bedrohung des Lebens der Klägerin im Hinblick auf die angewandten medizinischen Therapiemaßnahmen nicht gegeben war. Dies schließt die Anwendung des § 28 NBhVO aber nicht aus.

Auch die Tatbestandsvoraussetzung des § 28 NBhVO, dass für die Behandlung eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode nicht zur Verfügung gestanden bzw. Aussicht auf Heilung nicht geboten hat, liegt vor. Dabei steht es außer Frage, dass es für die Behandlung des Darmkrebses als solche, also die Tumorbeseitigung, wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethoden gegeben hat, nämlich die bei der Klägerin durchgeführte Radio- und Chemotherapie sowie eine operative Entfernung des Tumors. Es stand aber keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode zur Verfügung, die es gewährleistet hätte, die Klägerin kontinenzerhaltend, also ohne operativ einen künstlichen Darmausgang zu schaffen, von ihrem Krebs zu heilen. Das hat auch der Sachverständige Prof. Dr. med. C. in seinem Gutachten vom 01.08.2018 bestätigt. Auf Seite 2 des Gutachtens stellt er fest, dass bei der absolut ungünstigen Konstellation (bezogen auf die ungünstige Lage des relativ fortgeschrittenen Tumors) ein kontinenzerhaltendes operatives Vorgehen primär ausgeschlossen war. Es ist vorliegend bei der Auslegung der Beihilfevorschriften auch der Fürsorgepflicht Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.1.2012 – 2 C 24.10, juris). Die Fürsorgepflicht gebietet es hier, der von schwerer Erkrankung betroffenen Beamtin durch Beihilfeleistungen zu Therapiemaßnahmen beizustehen, die dazu beitragen, dass die erkrankte Beamtin auf Dauer ohne schwerwiegende, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Einschränkung ihrer Körperfunktionen leben kann. In diesem Zusammenhang ist nicht allein in den Blick zu nehmen, ob es eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode gab, die die Klägerin vom Krebs befreite. Vielmehr ist maßgeblich, ob eine wissenschaftlich allgemeine anerkannte Methode zur Verfügung stand, die die Klägerin vom Krebs heilen konnte ohne den sehr belastenden Verlust der Kontinenz der noch jungen, zum Zeitpunkt der Erkrankung 44 Jahre alten Frau. Der Sachverständige hat hinreichend dargelegt, dass die wissenschaftlich (noch) nicht allgemein anerkannte Hyperthermiebehandlung in Kombination mit der konventionellen Radiochemotherapie der richtige und erfolgversprechende Therapieansatz war, um den Krebs zu bekämpfen mit der Zielstellung der Vermeidung eines dauerhaften künstlichen Darmausgangs.

Dass die Hyperthermiebehandlung in diesem Sinne eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hatte, lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit ebenfalls dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. med. C. vom 01.08.2018 entnehmen. Die kombinierte Radiochemotherapie und Hyperthermiebehandlung war nach den Feststellungen des Sachverständigen sogar eine absolut sinnvolle Option, den Krebs zu bekämpfen und die Kontinenz der Klägerin zu erhalten, was ja letztlich auch gelungen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.

Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ergibt sich aus § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.