Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.09.2018, Az.: 7 A 7420/17

Bestellung; Ehrenamt; Leitstelle; Örtliche Einsatzleitung; Rettungsdienst

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.09.2018
Aktenzeichen
7 A 7420/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74295
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Aufhebung der Bestellung eines ehrenamtlich tätigen Rettungssanitäters als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Rettungsdienstes wegen des Vorwurfs illoyalen Verhaltens und einer nachfolgenden Neuorganisation der Einsatzleitung.
2. Es liegt im Organisationsermessen des Trägers des öffentlichen Rettungsdienstes, die Mindesqualifikation für den Organisatorischen Leiter (hier: Rettungsassistent) festzulegen.
3. Es liegt daneben im Organisationsermessen des Rettungsdienstträgers, die Eigenschaft eines Mitarbeiters in der örtlichen Rettungsleitstelle zur Bestellungsvoraussetzung für den Organisatorischen Leiter zu machen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger ist C. und ausgebildeter Rettungssanitäter. In letzterer Eigenschaft ist er ehrenamtlich in einer Hilfsorganisation tätig. Mit Urkunde des Beklagten vom 30. August 2000 wurde der Kläger rückwirkend zum 1. Juni 2000 als ehrenamtlich tätiger Organisatorischer Leiter unbefristet in die Örtliche Einsatzleitung des Rettungsdienstes des Beklagten bestellt. Am 26. Januar 2016 wurde er nach eigenem Vortrag zum stellvertretenden Leiter der Örtlichen Einsatzleitung bestellt. Ob der Kläger vom Beklagten besonders zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde, ist dem von ihm vorgelegten Verwaltungsvorgang nicht zu entnehmen.

Die Örtliche Einsatzleitung (ÖEL) wird vom Beklagten als kommunalem Träger des Rettungsdienstes gemäß § 7 Abs. 1 des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes - NRettDG - für seinen Rettungsdienstbereich bestimmt und übernimmt bei einem Großschadensereignis am Einsatzort Aufgaben der Rettungsleitstelle (RLS), soweit dies zur ordnungsgemäßen Lenkung des Einsatzes erforderlich ist. Außerdem leitet die ÖEL die medizinische Versorgung und ist insoweit - mit nur einer Ausnahme - gegenüber den am Einsatzort tätigen Personen anstelle der RLS weisungsbefugt. Die ÖEL besteht gemäß § 7 Abs. 2 NRettDG aus einem Leitenden Notarzt (LNA) und einem Organisatorischen Leiter (OrgL). Die RLS bestimmt gemäß § 7 Abs. 3 NRettDG im Einzelfall, ob die ÖEL an ihrer Stelle tätig wird. Der Kläger war zuletzt auf der Grundlage der Satzung des Beklagten über die Örtliche Einsatzleitung und der damit verbundenen Entschädigung ehrenamtlicher Tätigkeit vom 28.2.2012 (Abl. LK SHG S. 36) – ÖEL-Satzung a.F. - tätig. § 1 Satz 3 dieser Satzung lautete:

[Der Beklagte] „schafft [für die ÖEL] die personellen Voraussetzungen durch die Bestellung ehrenamtlich Tätiger (§§ 38ff. NKomVG).“

Der Beklagte schloss seine Rettungsleitstelle 2013 mit den Leitstellen des benachbarten Landkreises D. zu einer integrierten Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst zusammen (§ 6 Abs. 1 NRettDG), die die Bezeichnung „Integrierte Regionalleitstelle E.“ (IRL) mit Sitz in F. trägt.

Im August 2016 erhielten Lokalzeitungen anonyme Schreiben, in denen Personen, die sich als Mitarbeiter der IRL bezeichneten, über Missstände in der Regionalleitstelle insbesondere bei der Alarmierung der Einsatzkräfte klagten. Über einen ersten Brief, der nicht in den Verwaltungsvorgängen enthalten ist, berichtete die Zeitschrift „G.“ in ihrer Ausgabe vom H. mit der Überschrift „Im Brief: Anonyme schlagen Alarm“ (Bl. 13 BA, im Folgenden: Brief 1). Es folgten weitere anonyme Briefe und Veröffentlichungen auch in einer anderen Tageszeitung mit ähnlichen Beschreibungen. Ebenso folgte ein anonymer Brief an die Dezernentin I. des Beklagten vom 22. August 2016 (Postaufgabedatum), in dem deren Erwiderung in den Medien, es habe keine fehlerhaften Alarmierungen etc. gegeben, als Lüge dargestellt wurde (Bl. 76 BA, im Folgenden: Brief 2). Der Verfasser fügte seinem Schreiben das Foto einer internen E-Mail der Leitstelle vom 27. Mai 2016 bei, in der Probleme bei Alarmierungen bestätigt werden (Bl. 77 BA). Zumindest das Foto der E-Mail wurde an die Zeitschrift „G.“ übermittelt (Bl. 71f. BA), die in ihrer Ausgabe vom J. unter der Überschrift berichtete: „Verwaltungen sagen jetzt: Aussetzer ja, Probleme nein - Interne E-Mail an Mitarbeiter der Regionalleitstelle in F. an ‚Harke‘ durchgestochen“ (Bl. 83 BA). Die Auseinandersetzungen steigerten sich in eine anonyme Strafanzeige gegen den Leiter der IRL K. und die Leiterin des Ordnungsamtes des Beklagten L. vom 29. August 2016 an die Staatsanwaltschaft M. wegen unterlassener Hilfeleistung (mit Todesfolge), Brandstiftung und „vorsätzlicher Verletzung des rettungsdienstlichen Sicherstellungsauftrages“ (Bl. 98 BA). Der Beklagte stellte unter dem 1. September 2016 seinerseits Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft B gegen Unbekannt wegen Verstoßes gegen die §§ 164, 186, 187, 353b StGB und weiterer Delikte (Bl. 214 BA).

Am 16. Oktober 2016 kündigte der IRL-Mitarbeiter N. sein Arbeitsverhältnis. Am 24. Oktober 2014 versicherte dieser an Eides statt, dass er den Brief 1 an die Zeitschrift „G.“ abgesandt habe. Verfasst habe den Brief jedoch der Kläger (Bl. 353 BA). Zu den Umständen der Aushändigung des Schreibens durch den Kläger an ihn ergänzte der Zeuge O. seine eidesstattliche Versicherung am 26. Oktober 2016 (Bl. 357ff. BA). Außerdem habe er - N. - den Brief 2 mit der anliegenden E-Mail auf Veranlassung des Klägers („Er entwickelte … die Idee des anonymen Schreibens“) an die Dezernentin I. verfasst und abgesandt sowie eine Kopie des Briefes per WhatsApp an den Kläger übermittelt. Die beigefügte E-Mail habe er schon vorher dem Kläger zukommen lassen (Bl. 351f. BA). Er - N. - habe jedoch das Schreiben und die E-Mail nicht an die Presse „durchgestochen“.

Am 1. November 2016 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Suspendierung von seinen Aufgaben in der ÖEL mündlich angehört.

Mit dem im vorliegenden Verfahren nicht streitbefangenen Bescheid vom 1. November 2016 wurde der Kläger vom Beklagten unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung ab sofort und bis auf weiteres von seinem Dienst in der ÖEL freigestellt. Ihm wurde aufgegeben, die ihm zur Verfügung gestellten und in einer Anlage zum Bescheid näher bezeichneten Ausrüstungsgegenstände abzugeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, es werde ein Verfahren zu seiner Abberufung aus der ehrenamtlichen Tätigkeit in der ÖEL eingeleitet werden. Die anonymen Verunglimpfungen der Leitstelle sowie der Mitarbeiter des Beklagten stellten eine gravierende Verletzung der Treuepflichten und der gewissenhaften Amtsausübung dar. Das für die Arbeit als OrgL in der ÖEL des Beklagten zwingend erforderliche Vertrauensverhältnis zum Beklagten und seinen Mitarbeitern einerseits, aber auch andererseits zu den übrigen Mitgliedern der ÖEL sei aufgrund der Schwere der Vorwürfe nachhaltig gestört, weshalb ein unmittelbares Einschreiten erforderlich sei. Es gelte, die uneingeschränkte Funktionsfähigkeit der ÖEL wie des übrigen Rettungswesens zu gewährleisten. Offenheit, Ehrlichkeit und rechtskonformes Verhalten seien unabdingbare Voraussetzungen für jede ehrenamtliche Tätigkeit. Es sei nicht hinnehmbar, wenn zur Rettung und Schutz von Leib und Leben Personen eingesetzt würden, die diesen Anforderungen nicht gerecht würden und möglicherweise Straftatbestände erfüllten. Zur Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung wird ausgeführt, dass das Vertrauen zwischen der ÖEL und der IRL in der zwingend erforderlichen Zusammenarbeit bei einem Verbleib des Klägers in der ÖEL nicht gewährleistet sei. Sein Verbleib sei den übrigen Mitarbeitern der IRL auch nicht zuzumuten. Außerdem müsse ein weiterer Einfluss des Klägers auf andere Mitarbeiter beendet und verhindert werden, dass die Aufklärung der Verunglimpfung der IRL erschwert werde. Angesichts der gegen den Kläger vorliegenden Aussage, zwei der insgesamt vier anonymen Schreiben verfasst zu haben, stehe zu befürchten, dass er auch weiterhin versuchen werde, dem Beklagten und insbesondere der IRL Schaden zuzufügen. Dementsprechend überwiege das Interesse an der Gewährleistung eines unbeeinträchtigten Wirkens der Leitstelle das Interesse des Klägers an der weiteren Ausübung seines Ehrenamts.

Am 28. November 2016 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Hannover zunächst Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid – 7 A 7072/16 -. Zur Begründung trug er vor: Es liege kein wichtiger Grund für seine Suspendierung vor. Er bestreite, den Brief 1 verfasst zu haben. Auch bestreite er, den Brief 2 verfasst oder versandt zu haben sowie Anstiftungs- oder Beihilfehandlungen hierzu vorgenommen zu haben. Er weise den Vortrag des Zeugen O. mit aller Entschiedenheit zurück. Er habe sich auch an den übrigen anonymen Schreiben nicht beteiligt. Der Zeuge O. habe aus Enttäuschung darüber gehandelt, nicht selbst zum OrgL bestellt zu werden. Der Zeuge sei dafür bekannt, Interna der Leitstelle an Dritte weiterzugeben sowie dienstrelevante Sachverhalte abzufotografieren und diese als Foto weiterzuleiten. Im Übrigen sei die Entscheidung unverhältnismäßig und ermessenfehlerhaft. Eine Verdachtsabberufung sei unzulässig. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2017 führte der Kläger aus (Bl. 71 der beigezogenen Gerichtsakte 7 A 7072/16):

„Abschließend möge der Beklagte sowohl die tatsächlichen Behauptungen als auch die seinerseits vorgenommene, antizipierte Beweiswürdigung im Kontext zu den Geschehnissen in naher Vergangenheit und den damit zusammenhängenden Beweggründen nochmals gründlich überdenken, bevor diese Angelegenheit eine durch einen investigativen Journalismus geprägte Aufarbeitung erfahren wird“.

Die Kammer lehnte einen vorläufigen Rechtsschutzantrag des Klägers gegen den Bescheid vom 1. November 2016 mit einem Beschluss vom 11.5.2017 ab – 7 B 7074/16 -.

Mit einer seit 1. Juli 2017 geltenden neuen Satzung vom 6.6.2017 (Abl. LK SHG S. 62) – ÖEL-Satzung n.F. – änderte der Beklagte die Voraussetzungen für eine Mitwirkung in der ÖEL. § 1 Sätze 3 und 4 der Satzung lauten nunmehr:

„Der Landrat schafft [für die ÖEL] die personellen Voraussetzungen durch Bestimmung der Mitglieder der ÖEL. Weitere Regelungen sind in einer Dienstordnung für die ÖEL enthalten.“

Nr. 3 der neuen Dienstordnung – ÖEL-DienstO n.F. – knüpft die Bestimmung des OrgL u.a. an die Ausbildung zum Rettungsassistenten und an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der ILS E.. Beide Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht.

Mit dem hier streitbefangenen zweiten Bescheid vom 20. Juli 2017 hob der Beklagte nach weiterer Anhörung des Klägers dessen Bestellung zum OrgL in der ÖEL für den Landkreis P. mit Wirkung zum 1. August 2017 auf. (1.) Zur Begründung wird der Inhalt der Begründung des freistellenden Bescheides vom 1. November 2016 wiederholt. Es sei eine extreme Verunsicherung bei den ILS-Disponenten eingetreten. Das Weiterleiten interner Arbeitsvorgänge sowie die Beschuldigungen, welche auch eine korrekte Arbeit der Disponenten in Frage stellten, hätten zu einem zunehmenden gegenseitigen Misstrauen geführt. Dies gelte auch im Verhältnis zu den Führungskräften des Beklagten. Ebenso verwies er auf die schriftsätzlichen Ausführungen des Klägers vom 15. Februar 2017. Das Vertrauensverhältnis zum Kläger sei zerrüttet. (2.) Nachdem mehrere OrgL und LNA mitgeteilt hätten, ab sofort nicht mehr für den Beklagten tätig sein zu wollen, habe er – der Beklagte – die ÖEL neu organisieren müssen. Dies sei durch die ÖEL-Satzung n.F. erfolgt. Diese sei ein Ergebnis der gesetzlichen Verpflichtung des Beklagten, sofort eine funktionsfähige ÖEL sicherzustellen. Nach der konzeptionellen Neuaufstellung der ÖEL mit dem Ziel, Kontinuität und Verlässlichkeit innerhalb der ÖEL zu erreichen, seien die Voraussetzungen einer Mitwirkung in der ÖEL an den Mitarbeiterstatus in der ILS geknüpft worden. Der Kläger erfülle die hieran gestellten Voraussetzungen nicht. (3.) Wegen der Abwägung der widerstreitenden Interessen wird auf die Ausführungen auf Seite 9 des Bescheides (Bl. 20 d.A.) verwiesen.

Mit seiner hiergegen am 17. August 2017 erhobenen weiteren Klage verfolgt der Kläger auch die Aufhebung des zweitens Bescheides. Er wiederholt sein Vorbringen aus den vorausgegangenen Verfahren und hält die satzungsrechtliche Neuregelung für zu unbestimmt, treuwidrig und sachwidrig. Diese sei insbesondere nicht geeignet, einen funktionsfähigen Dienstbetrieb herzustellen.

Der Kläger beantragt im vorliegenden Verfahren,

1. den Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2017 aufzuheben und

2. den Beklagten zu verpflichten, ihn – den Kläger – hinsichtlich seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung bei dem Beklagten zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31. Juli 2017 hinaus weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt seine Entscheidung. Er sei unter Abwägung der Interessen aufgrund des bekannten Sachverhalts gezwungen, eine Entscheidung zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Notfallrettung zu treffen. Selbst wenn der Kläger nicht Initiator der anonymen Briefe gewesen sein sollte, ändere dies nichts an der richtigen Beurteilung der Sachlage und der darauf gegründeten Entscheidung durch den Beklagten.

Das Gericht hat die auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Klage im Parallelverfahren 7 A 7072/16 mit einem Urteil vom heutigen Tage abgewiesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten, der dem Gericht zur Einsichtnahme vorgelegen hat, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 20. Juli 2017, mit dem die Bestellung des Klägers als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Beklagten mit Wirkung zum 1. August 2017 aufgehoben wurde, ist rechtmäßig. Der Kläger hat deshalb auch keinen Anspruch gegen den Beklagten, ihn hinsichtlich seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Organisatorischer Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung des Beklagten zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31. Juli 2017 hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Aufhebung der Bestellung zum Organisatorischen Leiter findet ihre Rechtsgrundlage in § 38 Abs. 3 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes - NKomVG -, da sich das Niedersächsische Rettungsdienstgesetz - NRettDG - zu den Einzelheiten der Bestellung und Abberufung des OrgL nicht verhält. Da die Bestellung des Klägers am 30. August 2000 unbefristet erfolgte, kann die Aufhebung einer Übertragung der ehrenamtlichen Tätigkeit ohne weitere ausdrückliche Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 Abs. 3 Halbsatz 1 NKomVG jederzeit erfolgen. Sie steht allerdings im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Ein „wichtiger Grund“ für die Aufhebung des Ehrenamts ist bei einer unbefristeten Übertragung der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht erforderlich, weil er nach Halbsatz 2 der Vorschrift nur bei der vorzeitigen Aufhebung einer auf Zeit erfolgten Übertragung Voraussetzung ist, sofern der ehrenamtlich Tätige der Aufhebung nicht zustimmt. Dessen ungeachtet ist in der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung - NGO - geklärt, dass die sachlichen Grenzen für den Entzug eines Ehrenamts dem jeweiligen Zusammenhang entnommen werden müssen. So sind für die ehrenamtliche Tätigkeit im Verwaltungsverfahren (§ 81 VwVfG) Ermessensentscheidungen über eine Abberufung nur zugelassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 86 VwVfG). Dies gilt auch für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der niedersächsischen Kommunen (§ 1 Abs. 1 NVwVfG) (Nds. OVG, Beschluss vom 11.12.1985 - 2 OVG A 34/85 - Nds. RPfl. 1986, S. 110, 111). Die Kammer sieht aufgrund § 1 Abs. 2 NVwVfG die Regelung des § 86 VwVfG jedenfalls durch § 38 Abs. 3 Halbsatz 1 NKomVG nicht als vollständig verdrängt an. Denn kein Verwaltungsakt darf jedenfalls ohne sachlichen Grund ergehen (vgl. Wefelmeier in KVR Nds/NKomVG; Stand Juni 2012, § 38 Rdnr. 15). Insoweit ist nach Auffassung der Kammer spätestens bei der Ermessensbetätigung das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Aufhebung der Übertragung des Ehrenamts zu prüfen. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass je mehr das Ehrenamt durch eigene Leistung erworben oder verfestigt und zum wesentlichen Lebensinhalt eines Bürgers geworden ist, es desto festerer rechtlicher Bindung und Absicherung der Befugnis der Kommune bedarf, das Ehrenamt wieder zu entziehen (Nds. OVG, ebd.).

Vorliegend bestehen jedoch zwei selbständig tragende sachliche Gründe für die Aufhebung der Bestellung des Klägers zum Organisatorischen Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung (1.), gegenüber der seine über 16jährige ehrenamtliche Tätigkeit in dieser Funktion zurücktritt (2.). Der Bescheid des Beklagten ist deshalb ermessensgerecht, § 114 VwGO.

1. Die sachlichen Gründe liegen in dem Verhalten des Klägers gegenüber dem Beklagten (a.) und in der zwischenzeitlich vom Beklagten vorgenommenen Neuorganisation der Örtlichen Einsatzleitung (b.).

a. Von einem Organisatorischen Leiter des Rettungsdienstes ist eine besondere Loyalität zum Rettungsdienstträger und der Rettungsleitstelle zu erwarten, weil er zusammen mit dem Leitenden Notarzt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NRettDG beim Großschadensereignis die Aufgaben der Leitstelle am Einsatzort übernimmt. Absolute persönliche Integrität ist Voraussetzung, weil die aus ihm und dem Leitenden Notarzt gebildete Örtliche Einsatzleitung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NRettDG anstelle der Rettungsleitstelle gegenüber den übrigen Einsatzkräften des Rettungsdienstes weisungsbefugt ist. Entsprechend vertrauensvoll muss das Zusammenwirken der Mitglieder der rettungsdienstlichen ÖEL mit den Einsatzleitern von Polizei und Feuerwehr sein. Hiervon hängen Menschenleben ab. Die Mitglieder der ÖEL handeln hoheitlich (vgl. zum Leitenden Notarzt bereits BGH, Urteil vom 9.1.2003 - III ZR 217/01 - BGHZ 153, S. 268 = NJW 2003, S. 321, 323, juris Rdnr. 26). Ein Versagen wird unmittelbar dem Beklagten als Rettungsdienstträger zugerechnet. Im Innenverhältnis zwischen Rettungsleitstelle und ÖEL kommt hinzu, dass die Rettungsleitstelle gemäß § 7 Abs. 3 NRettDG im Einzelfall bestimmt, ob die ÖEL an ihrer Stelle tätig wird, d.h. die Rettungsleitstelle ihre hoheitliche Gewalt auf den Leitenden Notarzt und den Kläger als Organisatorischen Leiter delegiert. Bei einem illoyalen Organisatorischen Leiter wird die Rettungsleitstelle zumindest zögern, ihre Lenkungsgewalt abzugeben. Im Interesse eines funktionsfähigen Rettungsdienstes und insbesondere vor dem Hintergrund der Bewältigung von Großschadensereignissen ist dies nach dem Gesetzeszweck zu verhindern.

Der Kläger steht im Verdacht, etwaige Missstände in der Rettungsleitstelle aus seiner Sicht nicht offen, sondern im Wege anonymer Schreiben an Presse und Verwaltung kommuniziert zu haben. Zumindest soll er an zwei anonymen Schreiben über Alarmierungsprobleme in der IRL mitgewirkt haben. Er wird in dieser Hinsicht von dem ausgeschiedenen IRL-Mitarbeiter O. konkret belastet. Der Kläger selbst bestreitet die entsprechenden Mitwirkungshandlungen und seine Beteiligung an den übrigen anonymen Schreiben und der ebenfalls anonym gefassten Strafanzeige, die dem IRL-Leiter und der Dezernentin des Ordnungsamtes sogar ein Unterlassungsdelikt, wenn nicht gar ein Tötungsdelikt vorwirft. Da die Belastung des Klägers durch den ehemaligen IRL-Mitarbeiter O. in der Form eidesstattlicher Versicherungen erfolgte sowie konkreten Inhalts und detailreich geschildert ist, überzeugt das einfache Bestreiten durch den Kläger nicht. Es sind für die Kammer auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zeuge O. den Kläger durch seine Aussagen ohne realen Hintergrund als beliebigen unbeteiligten Dritten lediglich „mit in den Abgrund ziehen wollte“.

Aufgrund der eidesstattlichen Versicherungen des Zeugen O. durfte der Beklagte das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm - dem Beklagten - und dem von ihm in das Ehrenamt in verantwortlicher Position bestellten Kläger als erheblich gestört betrachten. Diese Störung ist geeignet, die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten und insbesondere bei der Herausforderung der nicht vollständig planbaren Bewältigung von Großschadensereignissen empfindlich zu stören. Etwaige Missstände in der Rettungsleitstelle sind grundsätzlich erst intern zu klären. Der anonyme Gang zur Presse und ein anonymes Schreiben an die Dezernentin sind insbesondere geeignet, das Klima zu vergiften und die im Bereich der Notfallrettung - wie vom Beklagten in dem angegriffenen Bescheid zutreffend ausgeführt - erforderliche Kooperation der Einrichtungen des Rettungsdienstes und ihrer Funktionsträger empfindlich zu stören (vgl. VG Mainz, Urteil vom 8.11.2012 - 1 K 193/12. MZ - LRKZ 2013, S. 18, juris zu E-Mails eines Mitglieds der Freiwilligen Feuerwehr; VG Darmstadt, Beschluss vom 29.9.2009 - 3 L 105/09. DA - juris zum Widerruf der Ernennung eines Leitenden Notarztes zum Ehrenbeamten wegen mangelnder Kooperation mit der Leitstelle).

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers reichte für die angefochtene Entscheidung der konkrete Verdacht aus. Ebenso wie im Arbeitsrecht reicht der Verdacht schwerer Verfehlungen, die (noch) nicht erwiesen sind, für die Suspendierung vom Ehrenamt aus, wenn der Verdacht das notwendige Vertrauensverhältnis zerstört und die Fortsetzung des Verhältnisses zwischen Kommune und Ehrenamtlichem unzumutbar macht (vgl. zum Arbeitsrecht: Palandt-Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 626 Rdnr. 49 mwN aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung).

Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob der frühere ILS-Mitarbeiter O., gegen den der Kläger weder straf- noch zivilrechtlich vorgegangen ist, oder der Kläger die Wahrheit sagen. Denn auch das nachträgliche Verhalten des Klägers kann als Zerstörung des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen Beklagten und Kläger gewertet werden. Dieses nachträgliche Verhalten ist nicht etwa der Umstand, dass sich der Kläger gegen seine Freistellung und Abberufung wehrt. Dies ist sein gutes Recht. Jedoch kann berücksichtigt werden, wie er sich in dem Rechtsstreit verhält und ob er Anlass gibt, die vom Beklagten geltend gemachte Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nachträglich als richtig zu beurteilen. Insoweit ist die Verwertung von nachträglichen Erkenntnissen zulässig. Denn das Verwaltungsgericht erklärt keine Freistellung und Abberufung vom Amt für rechtswidrig, die die Behörde aufgrund nachträglicher Erkenntnisse sofort wieder verfügen dürfte. So verhält es sich hier: Der Kläger hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15. Februar 2017 im Parallelverfahren 7 A 7072/16 ausgeführt:

„Abschließend möge der Beklagte sowohl die tatsächlichen Behauptungen als auch die seinerseits vorgenommene, antizipierte Beweiswürdigung im Kontext zu den Geschehnissen in naher Vergangenheit und den damit zusammenhängenden Beweggründen nochmals gründlich überdenken, bevor diese Angelegenheit eine durch einen investigativen Journalismus geprägte Aufarbeitung erfahren wird“.

Diese Ausführungen seines Rechtsanwalts muss sich der Kläger gemäß § 173 VwGO iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die Einlassung kann nicht anders verstanden werden als als Drohung, dem Beklagten werden Nachteile durch Presseveröffentlichungen entstehen, wenn er nicht die Freistellung des Klägers zurücknimmt. Dies wird durch das Wort „bevor“ belegt, die Bedingung und angekündigte Folge in Beziehung setzt. Ein ehrenamtlich bestellter Mitarbeiter des Beklagten, der im Einsatzfall mit Hoheitsrechten ausgestattet wird und für den Beklagten handelt, darf seinem Dienstherrn nicht drohen, schon gar nicht mit Presseveröffentlichungen.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum „Whistle-Blowing“ (EGMR, Entscheidung vom 17.9.2015 – 14464/11 – NZA 2017, S. 237 [EuGH 24.11.2016 - C-443/15]) steht der vom Beklagten verfügten Sanktion der Freistellung und Abberufung auch ein legitimes Ziel zur Seite, hier in Gestalt der Funktionsfähigkeit der ÖEL. Die gegen den Kläger verhängte Maßnahme steht auch bei Betrachtung der Gesamtumstände in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel, weil die Kammer davon ausgeht, dass die Integrierte Regionalleitstelle E. zumindest gezögert hätte, die Örtliche Einsatzleitung mit dem Kläger als Organisatorischem Leiter einzusetzen, wenn dieser in seinem Ehrenamt verblieben wäre.

b. Selbständig tragend durfte der Beklagte die Bestellung des Klägers zum Organisatorischen Leiter in der Örtlichen Einsatzleitung aufheben, nachdem ersterer durch Satzung und Dienstordnung seine ÖEL neu organisiert hatte. Das vormals in § 1 Satz 3 der ÖEL-Satzung a.F. enthaltene Privileg, dass die Mitglieder der ÖEL als ehrenamtlich Tätige nach §§ 38 ff NKomVG bestellt werden müssen, ist aufgehoben. § 1 Satz 3 der ÖEL-Satzung n.F. bestimmt lediglich noch, dass der Landrat die personellen Voraussetzungen durch Bestimmung der Mitglieder der ÖEL schafft. Dies hat er durch Nr. 3 der neuen Dienstordnung – ÖEL-DienstO n.F. – unternommen und die Bestimmung des OrgL u.a. an die Ausbildung zum Rettungsassistenten und an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der ILS E. geknüpft. Beide Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Die Entscheidung, welche fachlichen und funktionalen Voraussetzungen an die Eigenschaft eines Organisatorischen Leiters in der Örtlichen Einsatzleitung zu stellen sind, steht in der Organisationshoheit und dem Organisationsermessen des Beklagten.

aa. Die Qualifikationsanforderung eines Rettungsassistenten ist im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Klägers nicht sachwidrig. Im Gegenteil ist sie nach der von der Kammer vertretenen Rechtsauffassung eher noch gering bemessen, nachdem in § 10 Abs. 2 Satz 2 NRettDG für die Besetzung der das Großschadensereignis anfahrenden Rettungsmittel in der Notfallrettung in der Regel die Qualifikation eines Notfallsanitäters im Sinne von § 1 des Notfallsanitätergesetzes vom 22.5.2013 (BGBl. I S. 1348) - NotSanG – vorgeschrieben ist. Da der Organisatorische Leiter Kooperationspartner des Leitenden Notarztes ist und mit ihm zusammen die Örtliche Einsatzleitung bildet, die im Großschadensfall gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NRettDG mit Weisungsbefugnis ausgestattet ist, wäre schwer nachzuvollziehen, wie ein fachlich geringer Qualifizierter – wie der Kläger als Rettungssanitäter im Sinne von § 1 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitäter vom 17.12.2013 (Nds. GVBl. 2014, S. 73) – APVO-RettSan – organisatorische Weisungen an jedenfalls notfallmedizinisch höherqualifizierte Besatzungen der Notfallrettungsmittel (Ausbildungsdauer: drei Jahre) erteilen könnte. Unter Berücksichtigung der Übergangsregelung des § 10 Abs. 2 Satz 3 NRettDG ist jedoch die Qualifikationsanforderung eines Rettungsassistenten (Ausbildungsdauer: zwei Jahre) für den Organisatorischen Leiter im Sinne von § 1 des Rettungsassistentengesetzes vom 10.7.1989 (BGBl. I S. 1384) - RettAssG - jedenfalls bis zum 31. Dezember 2022 nicht zu beanstanden. Auch über diese notfallmedizinische Qualifikation verfügt der Kläger jedoch nicht. Er ist „lediglich“ über 520 Stunden ausgebildeter Rettungssanitäter.

bb. Ebenso ist es nicht sachwidrig, die Bestellung des Organisatorischen Leiters an die Eigenschaft eines Mitarbeiters der ILS E. zu knüpfen. Da die Örtliche Einsatzleitung im Großschadensfall gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NRettDG vor Ort die Aufgaben der Rettungsleitstelle übernimmt, ist es nach Auffassung der Kammer sinnvoll, als Organisatorische Leiter Personen einzusetzen, die mit den aktuellen Handlungsabläufen in der Rettungsleitstelle in vollem Umfang vertraut sind, insbesondere dann, wenn es sich – wie hier – um eine die Rettungsdienstbereiche übergreifende integrierte Leitstelle für Feuerwehr und Rettungsdienst handelt.

2. Ermessensfehler im Sinne von § 114 VwGO sind nicht zu erkennen. Der Beklagte hat das öffentliche Interesse mit den privaten Interessen des Klägers abgewogen. Der Umstand, dass der Kläger bereits seit mehr als 16 Jahren sein Ehrenamt ersichtlich unbeanstandet ausgeübt hatte, durfte zurücktreten. Der Kläger kann weiterhin im Rettungsdienst tätig sein, nur nicht mehr als Organisatorischer Leiter innerhalb der Örtlichen Einsatzleitung. Er hatte durch den Entzug der Tätigkeit keinerlei finanzielle Nachteile. Jedenfalls wurden solche nicht geltend gemacht. Die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich des Beklagten überwiegt das private Interesse des Klägers an der weiteren Ausübung seines Ehrenamts, zumal nicht die Ausübung des Ehrenamtes durch den Einzelnen im Zentrum der Betrachtung zu stehen hat, sondern die Gewährleistung der reibungslosen medizinischen Versorgung des Notfallpatienten im Großschadensfall.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, die Berufung durch das Verwaltungsgericht zuzulassen, liegen nicht vor.